Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2004
Fachbeitrag Kommunikation

Eine Frage der Verständigung: Deutsche Unternehmen und englische Sprache

von Stefan Hartwig

Englisch begegnet uns hierzulande immer häufiger in Werbeaussagen oder sogar als Unternehmenssprache. In beiden Bereichen gibt es – unabhängig von weltanschaulichen oder geschmacklichen Fragen – handfeste betriebswirtschaftliche Faktoren, die berücksichtigt werden sollten. Vor diesem Hintergrund warnt Stefan Hartwig vor leichtfertigen Englisch-Deutsch-Mischungen und dem Einsatz des Englischen als allgemeiner Konzernsprache.

Von Stefan Hartwig

Inhaltsübersicht:

 

 

Englischsprachige Werbebotschaften landeten im Herbst

2003 in der Illustrierten „Die Bunte“ auf der Out-Liste. Begründung:

„Klingen flott, werden aber von den meisten Deutschen gar nicht oder völlig

falsch verstanden“. Englisch begegnet uns hierzulande immer häufiger

in Werbeaussagen oder sogar als Unternehmenssprache. In beiden Bereichen gibt

es – unabhängig von weltanschaulichen oder geschmacklichen Fragen

– handfeste betriebswirtschaftliche Faktoren, die berücksichtigt

werden sollten.

Die öffentliche Kritik an Englisch-Deutsch-Mischungen

nimmt zu. Zur „Bunten“ gesellte sich Focus-Chefredakteur Helmut

Markwort und schrieb Ende 2003 mit offensichtlichem Spott auf der ersten Seite

seines Magazins: „Wieder zwei Beispiele von wichtigtuerischem Denglisch

notiert. Ein Kollege hat in einem Trimmstudio einen Aushang gelesen, wonach

ein ‚hand-out beim check-in‘ liege. Abends höre ich mit eigenen

Ohren, wie ein Manager seinem Kollegen berichtet, er habe mit Herrn Soundso

zwei ‚one-to-one-meetings‘ gehabt. Unsereiner hätte gesagt,

wir haben uns zweimal getroffen. Die beiden haben sich wahrscheinlich auch noch

gegenseitig ‚gebrieft‘“.

 

 

 

Wenn Wirtschaftsbosse ihre Botschaften derartig verklausulieren, wird weit

mehr als eine Geschmacksfrage daraus. Denn das Sprachgemisch kann dann leicht

als nichtssagender Werbespruch oder schlimmstenfalls als Verschleierung verstanden

werden. So prangerte das Handelsblatt unlängst als Zitat des Tages eine

Aussage von Degussa-Chef Utz-Hellmuth Flecht an, der über den konzerninternen

Wissensaustausch sagte: „Auf der Basis von Blue Spirit, unserer Unternehmenskultur,

sind vor wenigen Monaten die Initiativen Linking Knowledge und Solutions to

Customer gestartet“. Diese Aussage ist zweifellos ungeeignet, einem Außenstehenden

– sicher aber auch den meisten Mitarbeitern – eine klare Botschaft

zu vermitteln.

 

Teure Missverständnisse durch unsinnige Werbebotschaften

 

Im September 2003 sorgte eine Untersuchung der Kölner Agentur Endmark

für Aufsehen. Die auf die Namensfindung für Produkte, Dienstleistungen

oder Firmen spezialisierte Agentur hatte untersucht, ob und wie die Deutschen

aktuelle englischsprachige Werbebotschaften verstehen. Das Ergebnis der Studie

mit 1.100 Befragten war: Die meisten der untersuchten Werbesprüche wurden

von der Mehrheit nicht oder nicht so wie gemeint verstanden. So konnten z.B.

nur 15 Prozent der Befragten den Siemens-Slogan „Be inspired“ korrekt

übersetzen. Die RWE-Botschaft „One group, one utility“ konnten

sogar nur noch 8 Prozent verstehen. Bedenkt man, wie viel Geld ausgegeben wird,

um solche Botschaften zu kommunizieren, zeigt sich der immens große betriebswirtschaftliche

Schaden, der durch nicht verstehbare Werbebotschaften entsteht.

 

 

 

Meist ist es das kleinere Übel, überhaupt nicht verstanden zu werden.

Missverständnisse hingegen lösen teilweise etwas ganz anderes oder

sogar entgegengesetztes bei den Menschen aus, als vom Unternehmen gewünscht.

Es klingt wie ein Witz, dass die Botschaft von Douglas „Come in and find

out“ von rund 20 Prozent der Befragten als „Komm rein und finde

wieder heraus“ verstanden wurde oder das „Powered by emotions“

von Sat 1 mit Strom assoziiert wurde. In beiden Fällen ist das Verstandene

geeignet, dem Unternehmen zu schaden.

 

 

 

Tragen denn nun die Unternehmen die Hauptschuld an nicht verstehbaren Werbebotschaften?

Schließlich neigen besonders Marketingagenturen dazu, den eigenen Soziolekt

bei den Zielgruppen vorauszusetzen, die sie im Auftrag der Unternehmen ansprechen

sollen. Diese Annahme ist unprofessionell und führt zu handwerklichen Fehlern.

Botschaften von Unternehmen sollten von denen verstanden werden, an die sie

sich richten, und nicht primär den Sprachgewohnheiten derer entsprechen,

die sie formulieren. Oder anders ausgedrückt: In der Marketingkommunikation

ist die Reihenfolge vorgegeben – und zwar: Zielgruppe identifizieren,

gewünschte und angestrebte Reaktion festlegen und dann erst – dazu

passend – die Marketingbotschaft entwerfen. Zum Schluss folgen Schritte

wie die Auswahl geeigneter Medien oder das Bereitstellen des Budgets.

 

 

Es ist im Marketing inzwischen Gemeingut, auch bei globalen Kampagnen auf nationale,

nötigenfalls sogar regionale sozio-kulturelle und sprachliche Rahmenbedingungen

einzugehen, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. In Philipp Kotlers

Handbuch „Grundlagen des Marketing“ heißt es dazu: „Standardisierung

ignoriert, dass jeder nationale Markt seine Eigenheiten hat. (...) Ein paneuropäisches

Werbekonzept erscheint für die meisten Produkte nahezu undenkbar, da schon

zwischen den Staaten Europas große Unterschiede in Bezug auf Kultur, Sprachen,

Traditionen, Musik, Überzeugung, Wertvorstellung und Lebensstil bestehen“.

Wie kann man angesichts dieser Befunde auf die Idee kommen, für Märkte

Sprachen auszuwählen, die dort nicht verstanden werden?

 

 

Unternehmenssprache und Sprachen im Unternehmen

 

Doch nicht nur im Marketing zeitigt der unüberlegte Einsatz des Englischen

mitunter immensen Schaden. Auch innerhalb eines Unternehmens können Informationsverluste

durch sprachliche Missverständnisse nicht nur im Bereich Forschung und

Entwicklung, sondern auch überall sonst, wo es auf Genauigkeit und Vollständigkeit

ankommt, fatal sein und hohe Folgekosten erzeugen.

 

 

Verschiedene Unternehmen mit umfangreichem Auslandsgeschäft haben Englisch

als Konzernsprache gewählt. Bei einer solchen Entscheidung gilt es zu bedenken:

Man muss die Mitarbeiter dann auch flächendeckend in die Lage versetzen,

Englisch zu verstehen, ja mehr noch, in dieser Sprache wie in der eigenen arbeiten

zu können. In einer Sprache zu Hause zu sein, das bedeutet weit mehr als

Schulenglisch oder Grundkenntnisse aus Urlaub und Filmen. Es bedarf einer intensiven

Sprachschulung, die über zwei Stunden pro Woche hinausgeht und auch ein

privates Nacharbeiten einschließt.

 

 

 

Wenn es um die Sprachen im Unternehmen geht, müssen die Mitarbeiter sowohl

der in- als auch der ausländischen Unternehmensstandorte berücksichtigt

werden. Bei der Wahl des Englischen als Unternehmenssprache gilt es zu beachten,

dass auch die nicht-englischsprachigen Mitarbeiter darin perfekt kommunizieren

können müssen. Darum ist zu prüfen, in welchen Ländern die

Mitarbeiter über welche Sprachkenntnisse verfügen: Es nützt nichts,

wenn Franzosen, Spanier und Deutsche in dem kommunizieren, was sie jeweils für

Englisch halten, und sich dennoch nicht verstehen, weil keiner die Sprache wirklich

beherrscht.

 

 

Bedacht werden muss auch, wie viele Mitarbeiter in Deutschland noch nicht einmal

die deutsche Sprache gut beherrschen. So war im Oktober 2003 im Informationsdienst

des Instituts der Deutschen Wirtschaft unter der Überschrift „Man

spricht – zu wenig – Deutsch“ folgendes zu lesen: „Die

größten Handicaps der heranwachsenden Türken, Griechen, Kroaten,

Polen, Spanier oder Italiener sind ungenügende Sprachkenntnisse und schlechte

oder fehlende Schulabschlüsse. (...) Fast 50 Prozent der Jugendlichen aus

Zuwandererfamilien kommen nach Angaben der internationalen PISA-Studie im Lesen

nicht über die Kompetenzstufe I hinaus. Sie können dem Schulunterricht

inhaltlich kaum folgen.“ Wie aber sollen Mitarbeiter, die bereits die

Sprache ihres Gastlandes nicht vollständig beherrschen, auch noch eine

dritte Sprache so hinreichend erlernen, um darin arbeiten zu können?

 

 

 

Und nicht zuletzt: Was spricht eigentlich dagegen, dass ein in Deutschland

beheimateter Konzern die eigene Sprache statt des Englischen als allgemeine

Unternehmenssprache für alle Standorte wählt? Schließlich ist

Deutsch als Fremdsprache allen Negativmeldungen zum Trotz nicht nur in Ost-

und Mitteleuropa nach wie vor sehr beliebt, sondern auch in anderen Teilen der

Welt – sei es als erste oder zweite Fremdsprache, sei es als Sprache ehemaliger

Gastarbeiter, Austauschstudenten oder alliierter Soldaten, sei es als Sprache

für Wissenschaftler, Tourismusbeschäftigte oder Handeltreibende. Man

schätzt, dass derzeit weltweit etwa 130 Millionen Menschen Deutsch als

Muttersprache sprechen und 15 bis 18 Millionen Deutsch als Fremdsprache lernen.

 

Fazit

 

Es gibt gute Gründe, den Einsatz des Englischen in Werbebotschaften oder

als generelle Unternehmenssprache sowie eine leichtfertige Vermischung von Englisch

und Deutsch zu vermeiden. Denn kaum ein Fehler ist schwerwiegender als einer,

aufgrund dessen Kunden das Unternehmen oder die Mitarbeiter sich untereinander

nicht oder nicht richtig verstehen

 

 

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