Fachbeiträge

Ausgabe 5 / /2018
Fachbeitrag Changemanagement

Im ständigen Veränderungsmodus: Heterogenität im Change-Prozess wagen

von Dr. Christian Montel

Change-Prozesse sind Unternehmensalltag. Wettbewerbsfähig bleibt, wer erfolgskritische Anforderungen an Mitarbeiter festlegt und auf heterogene Teamstrukturen setzt.

Inhaltsübersicht:

Firmen müssen sich heute permanent an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, seien es technische Innovationen, veränderte Anforderungen des Marktes oder rechtliche und ökonomische Transformationen. Dabei sind Unternehmen komplexe Gebilde, in denen sich spezifisches Wissen und Leitbilder, Produktionsmittel und Eigenschaften der Belegschaft automatisch und über lange Zeiträume stabil aufeinander abstimmen. Change-Prozesse haben ein naturgemäß begrenztes Tempo, wenn z.B. die Einführung einer neuen Technologie zu neuen Lernerfahrungen in der Belegschaft führt oder Leitbilder beeinflusst. Wenngleich diese „natürliche Trägheit“ eines Unternehmens diesem mitunter das wirtschaftliche Leben retten kann – denn nicht jede Innovation ist so zukunftssicher, wie sie auf den ersten Blick scheint – ist die häufigste praktische Frage, wie Change-Prozesse beschleunigt werden können, um im Wettbewerb nicht zurück zu fallen.

Um im Change schnell marktbereit zu sein, ist der effektivste Weg das Einstellen von Experten. Gleichzeitig müssen bewährte Kräfte in die Bereiche investiert werden, die das Unternehmen bis dato erfolgreich gemacht haben. Studien haben gezeigt, dass zur Bewältigung neuartiger Aufgaben, wie es im Change zumeist der Fall ist, heterogene Teams eine bessere Performance erzielen. Geht es um die Ausführung von gewohnten Routineaufgaben, die beispielsweise den laufenden Betrieb im Backoffice sichern, eignen sich homogene Teams besser. [1]

Strategisches Talent Relationship Management (TRM) steht angesichts immer schnellerer und vermehrter Veränderungs-Zyklen vor der Herausforderung, Experten für innovative Prozesse bei gleichzeitiger Sicherung des Personalbedarfs zur Fortführung der bewährten Unternehmensgeschäfte bereit zu stellen. Das setzt neben fachlicher eignungsdiagnostischer Expertise ein hohes Maß an Kommunikationsbereitschaft voraus, so dass neue Wege im Unternehmen für alle beteiligten Stakeholder geebnet werden.

Im Anforderungsprofil auf dynamische Anpassungsfähigkeit setzen

Basis für das TRM im Change-Prozess ist es, gemeinsam mit den betroffenen Fachbereichen die Anforderungen festzulegen, die das Kandidatenprofil erfüllen muss. Da der Change im Unternehmen die Regel ist, empfiehlt es sich für dauerhafte Leistungsfähigkeit, im Anforderungeprofil neben fachlicher Expertise auf Eigenschaften zu setzen, die das dynamische Anpassen erhöhen, wie z.B. Agilität, Lernfähigkeit, Flexibilität, Freude am Erarbeiten neuer Inhalte sowie Ambiguitätstoleranz, die Fähigkeit also, Unsicherheiten zu ertragen.

Stehen diese Faktoren fest, kann die Zielgruppe darüber weiter gefasst und breiter definiert werden. Die Heterogenität, die entsteht, wenn so beispielsweise den erfolgskritischen Faktoren nach passende Wiedereinsteiger in den Beruf, Mütter nach der Elternzeit, Bewerber mit unterschiedlichem Bildungsabschluss oder Kandidaten aus anderen Kulturen das Team bereichern, trägt stark zur Innovationskraft des Teams im Change-Prozess bei. Die Ausprägung der erfolgskritischen Faktoren lässt sich valide mit eignungsdiagnostischen Tests messen, die genau an die Anforderungen der zu besetzende Stelle angepasst aus einzelnen Testmodulen kombiniert werden.

Die mittels eines so definierten Online-Assessments erhobenen Daten ermöglichen einen objektiven Vergleich der Kandidaten hinsichtlich ihrer Passung zum Anforderungsprofil. Günstig im Change ist es, wenn Anforderungsprofile als multiple Cutoff-Modelle vorliegen, in denen pro Dimension Sollbereiche festgelegt werden. Ein Bewerberprofil passt in diesem Ansatz umso besser zu den Anforderungen, je mehr Messwerte (z. B. Test-, Interview- oder Assessmentergebnisse) innerhalb der Sollprofile liegen.

Beispiel für ein multiples Cutoff-Modell: „Treffer“ zu den Sollbereichen quantifizieren die Passung zu den Anforderungen.

Modifikationen der Zielanforderungen sind entlang in dieser Form vorliegender Sollbereiche leichter zu diskutieren und hinsichtlich ihrer Konsequenzen abzuschätzen. Dies zahlt sich besonders aus, wenn die TRM-Strategie dynamischen oder zukünftigen Anforderungen Rechnung tragen soll.

Aspekte der Umsetzung: Mut zu kreativen Lösungen

TRM im Unternehmen steht und fällt mit der Herausforderung, Talent im Sinne des handelnden Unternehmens in der Zukunft zu definieren und zu erkennen und dabei diejenigen Kräfte zu binden, die den parallelen Betrieb des Unternehmens mit dem, was es erfolgreich gemacht hat, sicher zu stellen. Mit den Anforderungen der DIN 33430 steht Personalern ein hervorragender Standard zur Verfügung, auf dessen Basis die eignungsdiagnostischen Prozesse gestaltet, überprüft und regelmäßig überarbeitet werden können. Online-Assessments sind mittlerweile gut etabliert und ergänzen den Bewerbungsprozess. Gleichzeitig liegen unabhängige Untersuchungen zur Validität der verschiedenen Methoden und ausgewählter Methodenkombinationen vor.

Die Kombination der einzusetzenden Methoden entlang der Ergebnisse der Anforderungsanalyse im Change-Prozess ist dennoch aus vielfältigen Gründen eine Herausforderung: Sie erfordert neben der Kenntnis relevanter Methoden vor allem den Mut, kreativ Lösungen für Problemstellungen zu entwickeln, die bisher in keinem Lehrbuch vorkamen oder in keiner Norm standardisiert sind, aber unter kritischer Beobachtung sämtlicher Stakeholder stehen. Die Fähigkeit, unter Unsicherheit Entscheidungen zu fällen, ist dabei auf Seiten der Personaler ebenso gefragt wie Geduld und Durchhaltevermögen, werden Prozessinnovationen doch häufig äußerst kritisch geprüft, beurteilt und nicht selten massiv kritisiert, obwohl sie auf Basis der verfügbaren Datenlage eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Status quo darstellen.

Die Perspektive: Bindung nach Eintritt fördern

Da TRM-Strategien nicht mit dem Eintritt ins Team enden, müssen Personaler die aus einer Veränderungssituation zusätzlich erwachsenden Anforderungen bedenken. Diese bereits bei der Erstellung der Soll-Kriterien zu berücksichtigen, wirkt einem vorzeitigen frustrierten Austritt entgegen – umso stärker, je besser diese Maßnahme auf den allgemeinen Change-Prozess abgestimmt ist. Spätestens mit der Feststellung eines breiten Fachkräftemangels nimmt die Bedeutung der Lernfähigkeit von Mitarbeiter zu und es wird zunehmend wichtiger, auch Angebote zu schaffen, die den Verbleib und die Weiterentwicklung von Mitarbeitern im Unternehmen fördern.

Es überrascht nicht, dass eine substanzielle, attraktive Perspektive im aktuellen Unternehmen den Verbleib dort fördert, und leuchtet ein, dass eine Perspektive umso attraktiver ist, je besser sie zu den Wünschen, Interessen und Fähigkeiten und zur Entwicklung der Stelleninhaber passt. Eine attraktive Möglichkeit, die Passung zu den Anforderungen z. B. einer Teilnahme am Führungskräftenachwuchs-Programm oder einer weiteren, anspruchsvollen und mittel- bis langfristig angelegten Fortbildung zu ermitteln, stellen die risikofreien Self-Assessments dar.

Das Konzept der risikofreien Potenzialanalyse

Diese Angebote basieren auf einem Online-Assessment, können innerhalb des Unternehmens frei bearbeitet werden und stellen das Ergebnis nur dem Bearbeiter samt einer sorgfältig begründeten Empfehlung für oder gegen eine Bewerbung zur Verfügung. Das Konzept erfährt vor allem durch die reduzierte Gefahr des Gesichtsverlustes hohe Akzeptanz in der Praxis und trägt durch interne Weiterentwicklung ebenfalls zur Heterogenität im Unternehmen bei. Unternehmen melden zurück, dass Förderpools qualitativ bessere Konzeptionen für das Management erarbeiteten und einen höheren Anteil von Teilnehmern aufwiesen, als es bei der persönlichen Nominierung durch die Führungskraft der Fall war.

Auf Heterogenität setzen

Die Steigerung der Heterogenität in der Belegschaft ist ein sicher nicht bequem zu erreichendes Ziel mit unmittelbarem Bezug zur TRM-Strategie. Im ersten Impuls setzen Organisationen häufig sehr hohe Muss-Kriterien auf begrifflich positiv besetzte Anforderungen. Wird nach Sichtung der Bewerbungen offensichtlich, dass die Mehrheit diesen Anforderungen nicht genügt, werden die Anforderungen gelockert. Was in der ersten Betrachtung global frustrieren kann, weil gute Bewerbungen offensichtlich ausbleiben, lässt sich bei genauerem Hinsehen häufig differenzierter betrachten und bringt dabei nachhaltige Lernerfahrung für die Organisation mit sich. Viele Change-Pozesse scheitern oder werden nur bis zu einem bestimmten Grad umgesetzt. Wenn Personaler in enger Abstimmung mit den Fachabteilungen die wirklich erfolgskritischen Faktoren identifizieren, erwachsen daraus für die erfolgreiche Umsetzung von Veränderungsprozessen im Unternehmen Potenziale, die langfristig dessen Wettbewerbsfähigkeit im steten Fortschritt sichern.

Literatur:

[1] Furnham, A. (2005).The Psychology of Behaviour at Work. The Individual in the Organization. Taylor & Francis Ltd.

 

 

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