Fachbeiträge

Ausgabe 10 / /2016
Fachbeitrag Changemanagement

Führungsroutinen im Wandel: Lean Management bei der INOVAN GmbH & Co. KG

von Dr. Michael Matros, Dr. Thomas Hör

Lean Management hat seit vielen Jahren eine wichtige Bedeutung, wenn es um eine nachhaltige Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen geht. „Lean“ wird mitunter aber auch kritisch gesehen – besonders dann, wenn es als reiner Baukasten von Methoden gilt, dessen Ziel lediglich die Verschlankung der Organisation ist. Damit entstehen Angst, Unsicherheit und Widerstände im Unternehmen. Stattdessen muss Lean Management als ganzheitlicher Ansatz verstanden werden, der nur dann funktioniert, wenn im Unternehmen eine Kultur des Vertrauens und des gegenseitigen Respekts besteht oder entwickelt wird. Damit wird die Führungskultur zum erfolgsentscheidenden Faktor.

Inhaltsübersicht:

In der Umsetzung von Lean- Management-Strategien hat sich Hoshin Kanri (auch Policy Deployment) als ein prinzipienbasiertes Führungssystem entwickelt. Es entstand bereits im Japan der 1950er Jahre und wurde von Unternehmen wie Toyota, Komatsu, Bridgestone oder Hewlett Packard etabliert. Hierbei geht es darum, die gesamte Organisation auf wenige, aber entscheidende Durchbruchziele auszurichten. Die Mitarbeiter werden intensiv in die Ausgestaltung der Unternehmensstrategie und deren Umsetzung einbezogen. Sie übernehmen wichtige Aufgaben, wie die Entwicklung von Lösungswegen und die Implementierung neuer Abläufe.

Hoshin Kanri orientiert sich an anspruchsvollen strategischen Zielen und fordert

  • kundenorientiertes Denken und Handeln,
  • die Fokussierung auf das Wesentliche,
  • entwickeln neuer, innovativer Lösungsansätze,
  • fach- und bereichsübergreifende Teamarbeit sowie
  • das Denken in Prozessen.

Auch wenn die Methode bereits viele Jahrzehnte alt ist, kommt ihr in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zu. Die Herausforderungen durch die Digitalisierung und die Globalisierung erfordern einen dynamischen und mutigen Umgang mit kundenorientierten und kreativen Neuerungen der etablierten Wertschöpfungsketten.

Der Einsatz von Hoshin Kanri als Kernelement von Lean Management schafft Kompetenzen, um innovative, kundenorientierte Lösungen umzusetzen. Dafür unabdingbar: eine adäquate Anpassung des Führungsverhaltens. Führungskräfte müssen situativ die Rolle von Befähigern einnehmen und in diesem Sinne stimmige Führungsroutinen einsetzen.

Best Practice: Lean Management bei INOVAN

Bei der INOVAN GmbH & Co. KG, einem Unternehmen der Prym Gruppe, stieß dieser Ansatz auf offene Ohren. Das Unternehmen, führend in den Bereichen Werkstofftechnik, galvanische Oberflächen-, Stanz-, Biege-, Kunststofftechnik sowie Baugruppen-Montage bis hin zur Verbindungstechnik, begann 2015 damit, Lean Management-Methoden einzuführen. Als Zielsetzung stand die Verbesserung der operativen Leistung und der internen Prozesse im Fokus. In diesem Zusammenhang galt auch die Weiterentwicklung von Führungskompetenzen als einen erfolgsentscheidenden Faktor.

Die gesetzten Unternehmensziele waren anspruchsvoll und herausfordernd. Schnell wurde deutlich, dass der Weg zur Zielerreichung nur über eine grundlegende Neugestaltung bestehender Prozesse und Strukturen zu erreichen war. Im Zuge der Zielkaskadierung und der Operationalisierung mittels Hoshin Kanri wurden im Führungskreis gemeinsam Verbesserungsprioritäten und Handlungsschwerpunkte erarbeitet. Dieses kollektive Vorgehen war sehr wichtig, um eine Annahme der gesetzten Ziele durch die jeweils Verantwortlichen zu erreichen.

Wie die Lösung bei den einzelnen Themen aussehen sollte, war in vielen Fällen offen. Insofern wurden die Beteiligten zunächst auf unbekanntes Terrain und somit in die so genannte „Lernzone“ geführt.

Der Weg zu einem Hoshin-Ziel führt durch eine Lernzone

Es war erkennbar, dass es seine Zeit braucht, bis die Verantwortung für die Zielerreichung voll und ganz angenommen wurde. Mit externer Begleitung trugen die Beteiligten dafür Sorge, dass ein Verständnis für die Sinnhaftigkeit des Vorgehens entstand. Ohne ein gemeinsames Bekenntnis zu den strategischen Zielen gelingt dieser Schritt nicht. Daher legte man in der Planungsphase und bei der Operationalisierung großen Wert darauf, die Verantwortlichen intensiv mit in den Prozess einzubinden. Konkret setzte man auf moderierte Workshops, in denen gemeinsam mit den Teams für die gesetzten Ziele Lösungsansätze erarbeitet und grobe Milestones definiert wurden. Komplexe und aufwändige Projektpläne waren nicht erforderlich. Vielmehr orientierten sich die Teams an ihren Zielen, an den Milestones und an ihren Aktionslisten, die jeweils auf einen Zeitraum von vier Wochen ausgelegt waren.

Die Komfortzone verlassen

Der Weg, beispielsweise zum „kundenorientierten Durchbruchdenken“, erfordert von allen Beteiligten die Bereitschaft und die Fähigkeit, Ziele anzunehmen, für die es ad hoc keine Lösungen gibt. Daher wird die „Lernzone“ von manchem auch als „Angstzone“ empfunden. Dieses Empfinden hat seine Ursache oft darin, dass es im Unternehmen an Fehlertoleranz und angemessener Unterstützung durch die Vorgesetzten mangelt. Die Reaktionen auf eine Steigerung der Anforderungen sind individuell sehr unterschiedlich und der Vorgesetzte steht vor der Aufgabe, die Ursachen eventueller Blockaden oder Fehlentwicklungen zu erkennen. Außerdem braucht er die Fähigkeit, diese zu beseitigen. Damit das gelingt, muss im Laufe des Prozesses gegenseitiges Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzten entstehen.

Förderlich dafür, die „Komfortzone“ zu verlassen, wirkt eine weitere Besonderheit von Hoshin Kanri: Zur klassischen numerischen Zielvorgabe wird eine Orientierungshilfe beigefügt. Diese kann entweder in einer Fokussierung – somit eine Eingrenzung des Suchraumes für Lösungen – bestehen, oder auch in einer Vorgabe der Mittel, die eingesetzt werden sollen, um das Ziel zu erreichen.

Orientierungshilfe durch konkrete Vorgaben

Das alleine reicht jedoch nicht aus. Um Mitarbeiter in einen solchen Veränderungsprozess zu führen, ist eine angemessene Fehlertoleranz erforderlich. Die Suche nach Schuldigen, falls sich ein Lösungsweg mal als Sackgasse erweisen sollte, muss tabu sein. Aus unvermeidbaren Fehlern lernen, das ist die Devise.

Teamwork und Delegation

Ebenfalls charakteristisch für Hoshin Kanri ist, dass die Zielerreichung bereichsübergreifende Zusammenarbeit erfordert. So war zum Beispiel eine signifikante Durchlaufzeitverkürzung des Produktentstehungsprozesses (PEP) nicht alleine von der Entwicklungsabteilung zu erreichen, sondern alle im Prozess beteiligten Fachbereiche mussten einbezogen werden. Insbesondere an den Schnittstellen fand man die meisten Verbesserungspotenziale. Teamarbeit sowie bereichsübergreifendes Denken und Handeln waren sehr wichtig. Bei der INOVAN GmbH & Co. KG hatte der Leiter der Entwicklung die volle Verantwortung für die Zielerreichung. Gemäß dem „Pull-Prinzip“ musste er sich die erforderliche Unterstützung von seinen Mitarbeitern und von seinen Kollegen aus den anderen Fachbereichen holen. Diese Interaktionen verlaufen nicht immer reibungslos und verlangen gute Kommunikationsfähigkeiten von den Verantwortlichen. Der Vorgesetzte des Entwicklungsleiters war gefordert, Hindernisse zu beseitigen, die dieser nicht beseitigen konnte und eine offene und konstruktive Streitkultur zu entwickeln. Die Ziele waren so aufgesetzt, dass sie im Alleingang nicht zu erreichen waren. Ohne Kooperation, ohne Delegation und ohne Einbindung der Mitarbeiter funktioniert es nicht.

Generell ist zu sagen, dass die ersten Zyklen mit Hoshin Kanri auch eine Art Assessment Center im laufenden Betrieb sind, bei dem Führungsqualitäten, Problemlösungskompetenzen, Teamfähigkeit und Lernfelder sehr schnell transparent und auf die Probe gestellt werden.

Neue Führungsroutinen etablieren

Verhalten basiert auf gelernten Mustern und Routinen und jede Führungskraft entwickelt im Laufe ihres Berufslebens ihre eigenen Führungsroutinen.

Charakteristisch für die neue Führungskultur bei INOVAN, die durch die Einführung des Lean-Management-Systems entstand, ist, dass die Teams nach Wegen zur Erreichung eines Zielzustandes suchten und dafür auch die volle Verantwortung übertragen bekamen. Selbstredend, dass dies für einige eine neue und unbekannte Art der Führung war, sowohl für Mitarbeiter als auch für Vorgesetzte. Es war bis dato durchaus gängig, dass Vorgesetzte Anweisungen gaben, wie ein Problem zu lösen sei oder wie man am besten zum Ziel komme.

Um jedoch die Problemlösungsfähigkeiten der Mitarbeiter zu entwickeln, war ein anderer Ansatz gefragt. Denn die Veränderung eingefahrener Verhaltensweisen gelingt am einfachsten durch die Einführung neuer Routinen. So wurde bei INOVAN festgelegt, dass einmal monatlich jedes Team ein so genanntes Hoshin-Review nach einer festen Agenda durchführen sollte. Die Reviews dienten zur Steuerung und sind fester Bestandteil eines jeden Strategieumsetzungsprozesses gemäß Hoshin Kanri. Im Vorfeld fand eine Klärung der Rollen und Verantwortungen statt, so dass alle Beteiligten über die Erwartungen orientiert waren.

Das Ziel eines jeden Hoshin-Reviews war es, am Ende die folgenden Fragen beantworten zu können:

  1. Tun wir das Richtige, um unsere Ziele zu erreichen?
  2. Tun wir die Dinge richtig? (zeitlich, qualitativ, quantitativ)
  3. Was/wie können wir es ggf. besser machen?
  4. Was lernen wir aus unseren Erkenntnissen?

Die Termine für die Reviews waren für ein Jahr festgelegt, mit Anwesenheitspflicht aller Teammitglieder. Alle Meetings fanden in einem eigens eingerichteten Raum statt, so dass sich alle Mitarbeiter laufend über die Zusammenhänge zwischen den Unternehmenszielen, der Strategie, den laufenden und geplanten Aktionen sowie zum aktuellen Stand informieren konnten. Damit war größtmögliche Transparenz gewährleistet.

Der Leiter eines Reviews, der auch der Vorgesetzte des jeweiligen Teams war, führte das Meeting anhand einer Frageroutine, die sich an die Coaching-Kata anlehnt.

Frageroutine eines Hoshin Reviews

Diese Frageroutine besteht aus einem Zyklus von Leitfragen, die beim Durchsprechen einer Verbesserungspriorität, eines Teilzieles oder auch eines Milestoneplanes vom Vorgesetzten Verwendung fanden. Die Anwendung dieser Routine wurde mit den Führungskräften im Vorfeld in einem zweitägigen Training anhand eines Planspieles geübt. Danach konnten die Führungskräfte das Gelernte direkt in ihren eigenen Reviews praktizieren. Dabei wurden sie jeweils von einem Trainer begleitet, der Feedback gab und gemeinsam mit dem Coachee dessen Lernfelder bestimmte.

In dieser sowohl für die Führungskräfte als auch für die Mitarbeiter ungewohnten Situation standen die Mitarbeiter wesentlich stärker in der Verantwortung. Die Führungskräfte waren gefordert, die Rolle eines Coaches für die Mitarbeiter einzunehmen, der sie durch ihre „Lernzone“ begleitet. Durch den konsequenten Einsatz der Fragetechnik steigt die Effizienz der Meetings. Lange Erklärungen und Monologe finden ein schnelles Ende, wenn beispielsweise die erste Frage: „Was ist Ihr Ziel?“, gestellt wird. Nach einigen Monaten beginnt sich die neue Routine durch diszipliniertes und konsequentes Anwenden zu festigen. Das Repertoire der Führungskräfte erweitert sich und erforderliche Fähigkeiten zur Erfüllung von Kernaufgaben der Führung lassen sich gezielt entwickeln.


Ziele festlegen

  • Klar, konkret, spezifisch, messbar und terminiert
  • Anspruchsvoll, aber realistisch
  • Prioritäten setzen
  • Den Fokus halten

Den Status und die Ursachen von Abweichungen verstehen

  • Zahlen, Daten, Fakten analysieren
  • Den Problemen auf den Grund gehen bzw. gehen lassen
  • Die Chancen bewerten, wie es um die Zielerreichung steht
  • Die Risiken der Abweichungen bewerten und ggf. Entscheidungen treffen
  • Wertschätzung von nachhaltigen Fortschritten

Lernfelder ermitteln

  • Stand der Mitarbeiter erfassen
  • Die Fähigkeiten der Mitarbeiter im Kontext bewerten
  • Stimmungslage erfassen
  • Potenziale erkennen, Grenzen erkennen
  • Loben, wenn aus einem Fehler etwas gelernt wurde

Mitarbeiter in die Verantwortung führen bzw. in der Verantwortung halten

  • Ziele vereinbaren, Erwartungen formulieren und ermutigen
  • Keine Lösungen vorgeben - Lösungsansätze fordern, den nächsten Schritt fordern
  • Kein Rückdelegieren zulassen
  • Steuern statt kontrollieren

Unterstützen und Vertrauen aufbauen

  • Entscheidungen treffen und für Klarheit sorgen
  • Kontakt und Bezug zu den Mitarbeitern halten
  • Balance zwischen Ergebnisorientierung und Fehlertoleranz halten
  • Organisieren, notwendige Rahmenbedingungen schaffen, Hindernisse beseitigen
  • Zielgerichtetes Lernen und Experimentieren ermöglichen

Kernaufgaben einer Führungskraft im Sinne von Hoshin Kanri

Fazit

Das Beispiel der INOVAN GmbH & Co. KG zeigt: Der Einsatz von Hoshin Kanri im Rahmen der Veränderung eines Unternehmens hin zu einem Lean-Management-System unterstützt insbesondere bei den Führungskräften die Entwicklung spezifischer Soft Skills und schult einen Führungsstil, der die Kompetenzen der Mitarbeiter fordert und fördert. Zum Einstieg in einen Veränderungsprozess hin zu einer Lean Kultur ist der Einsatz einer Frageroutine – ähnlich der Coaching-Kata von Toyota – im Rahmen von Hoshin-Reviews bestens geeignet. Führungskräfte kommen in Kontakt mit ihren eigenen Grenzen und lernen, die ihrer Mitarbeiter zu erkennen. So gelingt es, die Grundlage für eine lösungsorientierte Führungskultur zu schaffen, in der Mitarbeiter bei der Verfolgung von strategischen Zielen eng eingebunden werden. Dabei hat sich eine zeitweise intensive Begleitung der Führungskräfte on-the-Job als unabdingbar erwiesen.

Ebenso wichtig für das Gelingen ist die Vorbildfunktion der Geschäftsführung. Von allen Beteiligten wird Ausdauer, Disziplin und Konsequenz in der Umsetzung gefordert. Die Frageroutine selbst hat einen sehr sachlichen und nüchternen Charakter. Ebenso wichtig ist es, Raum für empathische Interaktionen zu schaffen, damit die Mitarbeiter im Fokus bleiben und Lean Management zu dem wird, was es ist: Ein ganzheitliches Management-System, das eine gesamte Organisation in die Lage versetzt, durch die Änderung ihrer Haltung und ihres Vorgehens nachhaltig innovativ und erfolgreich im Sinne ihrer Kunden zu sein.

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