Fachbeiträge

Ausgabe 1 / /2007
Fachbeitrag IT-Tools

Wissensbewahrung – eine gesellschaftliche Herausforderung

von Hartmut F. Binner

Sinkende Geburtenraten, steigende Lebenserwartungen: Unternehmen versetzen diese demografischen Entwicklungen in Alarmbereitschaft. Denn in den nächsten Jahren steht ihnen eine einzigartige Rentenwelle bevor – und damit der Verlust gigantischer Wissensressourcen. Der „House of Process Knowledge“-Framework soll helfen, implizites Mitarbeiterwissen im Unternehmen zu bewahren.

Von Hartmut F. Binner

Inhaltsübersicht:

 

 

 

 

Nicht mehr die klassischen Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital, sondern das Wissen dominiert immer stärker die bereichs- und unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsketten. Doch aufgrund der demografischen Entwicklung droht in den nächsten Jahren ein immenser Wissensverlust. Bisher fehlen jedoch konkrete Konzepte, das Wissen älterer Mitarbeiter zu bewahren. Der Lösungsansatz „House of Process Knowledge“ bietet nun eine pragmatische und kostengünstige Möglichkeit, Mitarbeiterwissen nachhaltig zu bewahren.

Aufbau einer unternehmensweiten Wissensbasis

 

 

 

Die Entwicklung der organisationalen Wissensbasis beruht auf einem Ontologiekonzept mit Vorgabe einer Meta-Wissensstruktur in Form des SYCAT-OPD-Modells. Im Sinne der Einführung von integriertem Prozess- und Wissensmanagement geht es darum, mit Hilfe des „House of Process Knowledge“ und dem dazu gehörenden Wissens-Metamodell eine einfache und transparente Handlungsanleitung zu geben. Ergebnis soll ein prozessorientierter Wissensspeicher sein. Dieser Wissensspeicher wird anschließend für ein wissensbasiertes Prozessmanagement verwendet, um einen wissensbasierten Produkt- oder Dienstleistungserstellungsprozess durchzuführen. Dieses Wissenskonzept lässt sich auch als Ursache/Wirkungs-Beziehung interpretieren, wie in Abbildung 1 in Form eines Regelkreises gezeigt wird.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1

Zum Vergrössern klicken

 

 

 

 

Abbildung 1: Vorgehensmodell: in zwölf Schritten zur Realisierung von Wissenskonzepten auf drei Ebenen

 

 

 

Dieser Aufbau einer organisationalen Wissensbasis wird nicht zu Beginn der Unternehmens- und Organisationsentwicklung eingeführt, sondern entsteht mitarbeitergesteuert durch die Bündelung und systematische Strukturierung aller vorhandenen betrieblichen Regelwerke sowie Ordnungsrahmen. Auch integrierte Managementsysteme, elektronische Handbücher, IT-Applikationen (ERP, PPS, HR, CAQ) und Informationssysteme wie DMS, Groupware oder Portallösungen können eingebunden werden. Die systematische Strukturierung des vorhandenen Wissensbestandes und die anschließende Nutzung, Verbesserung und Bewertung über die Prozessbeteiligten erfolgt über das ebenfalls in Abbildung 1 gezeigte Wissensframework.

 

Der Wissensframework „House of Process Knowledge“ beschreibt zwölf Wissensbausteine (Frameworkschritte) und die darin enthaltenen Wissensaktivitäten. Die Beschreibungsmodelle und Methoden dienen aber auch zur Einteilung, Zuordnung, Gliederung und Verknüpfung von Wissensbegriffen, -merkmalen, -inhalten, und -komponenten innerhalb des Zwölf-Schritte-Vorgehensmodells. Auf diese Weise entsteht eine kontextbezogene Meta-Wissensstruktur, hier als SYCAT-Organisationsprozessdarstellung (OPD) bezeichnet. Sie ist ein Orientierungs- und Strukturierungsansatz zur kollektiven Wissensverbreitung. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, wird in der Prozessdarstellung über sachlich-logische und zeitliche Zuordnung der Prozessfunktionen der Arbeitsfluss mit dem Ressourcenfluss deutlich. Des Weiteren beschreibt sie die Informationsflüsse. Diese Arbeits-, Ressourcen- und Informationsflussdarstellungen lassen sich über Prozessparameter in der Datenbank präzisieren.

 

Wie Abbildung 2 verdeutlicht, wird in der Prozessdarstellung über sachlich-logische und zeitliche Zuordnung der Prozessfunktionen der Arbeitsfluss mit dem Ressourcenfluss deutlich. Des Weiteren beschreibt sie die Informationsflüsse. Diese Arbeits-, Ressourcen- und Informationsflussdarstellungen lassen sich über Prozessparameter in der Datenbank präzisieren.

 

 

 

 

Abbildung 2

Zum Vergrössern klicken

 

 

 

 

 

Abbildung 2: SYCAT als passendes Werkzeug zur Prozessanalyse und –optimierung

Über die selbsterklärende Prozessdarstellung kann eine ganze Anzahl von Prozessparametern in der Datenbank exakt zugeordnet werden. Den Detaillierungsgrad wählt der Anwender eigenständig für jede im Prozess sachlich-logisch und zeitlich fixierte Prozessfunktion mit einem definierten In- und Output. Die Prozessparameterzuordnung kann der Anwender nach bestimmten Ausprägungen bzw. Betrachtungsschwerpunkten sortieren. Gleichzeitig erfolgt eine vollständige softwaregestützte Dokumentation mit detaillierter Beschreibung der Prozessabläufe. Hier wird beispielsweise nach Aufbau- und Führungsorganisations-, Funktions-, Informations- und Datensicht unterteilt.

 

Identifizierte Wissensmerkmale

Wissen lässt sich in Form von Wissensmerkmalen in 

 

  • deklaratives Wissen (know what),
  • prozedurales Wissen (know how),
  • personales Wissen (know where),
  • transaktives Wissen (know who),
  • kausales Wissen (know why)

 

 

unterteilen. In Abbildung 3 sind mit Hilfe eines vorgegebenen wissensbasierten Transformationsprozess-Ordnungsrahmens auf der Grundlage der SYCAT-OPD die kontextbezogenen Anforderungen an diese Wissensmerkmale genannt. Durch die Erfüllung dieser Anforderungen leisten sie eine wesentliche Unterstützung bei der gezielten Entwicklung und Gestaltung der organisationalen Wissensbasis in Wissensframeworkebene 1 und ermöglichen damit in Frameworkebene 2 ein erfolgreiches, wissensbasiertes Prozessmanagement. Die dabei verwendete Systematische Prozessanalyse-Methode (SYPAM) stellt input-, transformationsprozess- und outputbezogen das vorhandene Struktur-, Prozess- und Ergebniswissen kontextbezogen dar.

 

 

 

 

 

Abbildung 3

Zum Vergrössern klicken

 

 

 

 

Abbildung 3: Leistungsprozess- bzw. transformationsprozessbezogene Modellbeschreibung für die lernende Organisation

 

Die so entstandene Wissensbasis gibt umfassende Auskunft über die Beziehungen und Wechselwirkungen aller Wissensobjekte.

 

Zentrale Wissensmanagement-Umsetzungsprinzipien

 

Folgende Prinzipien finden bei der Modellentwicklung Anwendung:

 

 

  • Die organisationale Wissensbasis ergibt sich aus der Zuordnung und Bündelung der mitarbeiterorientierten Erkenntnisse über die prozessorientierte SYCAT-OPD-Meta-Wissensstruktur. Das Wissensmanagement steht deshalb nicht am Anfang dieser Entwicklungsaufgabe, sondern begleitet sie wissensbasiert.
     
  • Alle in einer Organisation aus unterschiedlichsten Anforderungen und Aufgaben resultierenden Daten-, Dokumentations- und Informationssammlungen bilden den Ausgangspunkt für die Implementierung der organisationalen Wissensbasis, beispielsweise: Elektronische Managementsystemdokumentationen, Elektronische Prozesshandbücher, Elektronische IT-Anwendungshandbücher, Dokumentenmanagementsysteme, Elektronische Verzeichnisse.
     
  • Vorgegeben ist eine Meta-Wissensstruktur (Wissen über Wissen) als Mittel zum Zweck, d.h. zur gezielten prozessorientierten Wissensnutzung, -verteilung, und zum Wissensaufbau mit dem Mitarbeiter als Wissensträger im Fokus. Diese Wissens-Metastruktur ist hier das SYCAT-Organisationsprozessdarstellungs (OPD)-Modell.
     
  • Bezugspunkt für den Wissensspeicheraufbau, die Wissensnutzung und -verteilung ist die eingeführte Prozessorgansiation mit einer detaillierten Best-Practice-Prozessbeschreibung der vorhandenen Führungs-, Leistungs- und Unterstützungsprozesse und der dahinter stehenden prozessorientierten Aufbau-, Ablauf – und Führungsorganisationsstruktur.
     
  • Die SYCAT-Meta-Wissensstruktur ist das Rückgrat in einem ganzheitlichen Wissensframework (House of Process Knowlege), bestehend aus den drei Ebenen: Einführung einer prozessorientierten Wissensorganisation, Durchführung des wissensbasierten Prozessmanagement und Systematische prozessorientierte Wissensverbesserung und –bewertung.
     
  • In dem Wissensframework sind eine ganze Anzahl von verknüpften Modellen, Methoden und Vorgehensweisen integriert, die innerhalb der drei Frameworkebenen die Abarbeitung der Wissensbausteine ermöglichen.
     
  • Die prozessorientiert entwickelte SYCAT-Meta-Wissensstruktur dient mit Unterstützung der vernetzten Modelle, Methoden und Vorgehensweisen zielgerichtet, systematisch, strukturiert und methodisch der durchgängigen Strukturierung der Wissensbegriffe und der Durchführung der Wissensaktivitäten in einem einheitlichen Kontext.
     
  • Das vorgegebene Wissensframework stellt auf der Grundlage der vorgegebenen Meta-Wissenstruktur eine Strukturierungs- und Integrationsplattform für die Bündelung aller wissensrelevanter IMS-, GPS-Ordnungsrahmen und IKS-Regelwerke innerhalb der organisationalen Wissensbasis zur Verfügung. Diese sind eine governancebewährte Unternehmensführung absolut notwendig sind.
     
  • Die wissensbasierte, systematische Prozessanalysemethode (SYPAM) auf der Grundlage der SYCAT-OPD-Visualisierung (Wissens-Metastruktur) gibt Auskunft in Bezug auf: Ablauf- und Aufbau- und Führungsstrukturen sowie Beziehungen und Wechselwirkungen.
     
  • Das Wissensframework verbindet die auf der strategischen Ebene vorgegebenen Unternehmensziele durchgängig mit der Umsetzung des Wissensmanagements auf der operativen Ebene innerhalb realer Geschäftsprozesse.
  • Das Wissensframework ermöglicht der Unternehmensführung die Vermittlung von Wissensmanagement zur Verbesserung der unternehmensweiten Kompetenz.
     
  • Die Mitarbeiter sind aktiv in die Gestaltung der organisationalen Wissensbasis einbezogen und entwickeln diese Wissensbasis bei der Prozessanalyse und -gestaltung sowie bei der Aufgabenerledigung im Tagesgeschäft ohne zusätzlichen Aufwand weiter.

 

 

Fazit

 

 

 

Der „House of Process Knowledge“-Framework ist ein ganzheitlicher Ansatz zur erfolgreichen und nachhaltigen Wissensmanagementrealisierung durch die Mitarbeiter in einem Unternehmen. Im Mittelpunkt steht dabei der systematische Aufbau eines prozessbezogenen Wissensspeichers in zwölf Schritten, in dem eine große Anzahl von Wissenskonzeptsichten eingebracht wird. In den ersten vier Schritten dieses Vorgehensmodells wird eine Wissensorganisation im Unternehmen eingeführt. Sie ermöglicht in der zweiten Ebene (ebenfalls in vier Schritten) die anforderungsgerechte Nutzung über das Wissensmanagement, um abschließend in Ebene 3 (wieder mit vier Schritten) eine Wissensverbesserung und Wissensbewertung durchzuführen. Das mit Hilfe der systematischen Prozessanalysemethode (SYPAM) erfasste Wissen ist anschließend die Grundlage für ein mitarbeiterorientiertes Wissensportal.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 4

Zum Vergrössern klicken

 

 

 

 

 

Abbildung 4: Durchgängige Wissenspräsentation und -nutzung

 

Personifiziert stellt das Wissensportal das erarbeitete Wissen den Mitarbeitern wieder zur Verfügung. Auf diese Weise sind die Prozessbeteiligten in der Lage, ihre Prozesse fehlerfrei zum Nutzen des Kunden durchzuführen. Das in Unternehmen vorhandene implizite Wissen wird auf diese Weise in kollektives Wissen umgewandelt und der Weg zum lernenden Unternehmen erfolgreich umgesetzt.

 

 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Online Fachbeiträge Ausgabe 3 / 2007
Fachbeitrag       IT-Tools

Recherche-Tools: Masse mit Klasse

von Michael Hack

Artikel lesen


42010
Praxis Wissensmanagement       Immaterielles Kapital

Die regionale Wissensbilanz im Ortenaukreis

von Siegfried Mauch

Artikel lesen


42010
Dokumentation + Kommunikation       Wissensbilanz

Wissenskapital identifizieren und bewerten– ein 4-Stufen-Modell

von Christian Soelberg

Artikel lesen


22010
Human Resources       Implementierung

Stilles Wissen anzapfen, anschaulich und begreifbar machen

von Henriette Katharina Lingg

Artikel lesen


52010
Human Resources       Human Resources

Den Wert von Mitarbeitern (an-)erkennen

von Gerald Hahn

Artikel lesen


Unsere Empfehlungen