Fachbeiträge

Ausgabe 5 / /2012
Fachbeitrag Recruiting

Talent Management 2.0: Nachfolgeplanung mit webbasierten Potenzialanalyseverfahren

von Dipl. Psych. Christa Mette, Prof. Dr. Heinrich Wottawa

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde: So sieht laut aktueller Frühjahrsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bereits jedes dritte Unternehmen im Fachkräftemangel ein großes Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung. In seiner Engpassanalyse von März 2012 stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) fest: 30 bis 40 Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen haben mittlere bis große Probleme bei der Besetzung von Fachstellen. Die sogenannte MINT-Lücke, die Zahl unbesetzter Stellen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, wird in dieser Studie auf 179.000 Personen beziffert.

Inhaltsübersicht:

Eine weitere Herausforderung: Je höher die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter, desto schwieriger wird es, die Positionen passend zu besetzen. Für die meisten Unternehmen ist es sinnvoller, den Führungskräftenachwuchs im eigenen Unternehmen zu suchen. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand: Diese Mitarbeiter kennen das Unternehmen und identifizieren sich bereits mit der Firma, ihren Produkten und Werten. Die Einarbeitungszeit ist kürzer und das Unternehmen spart dadurch Ressourcen für den Bewerbungs- und Qualifizierungsprozess.

Unternehmen, die dieses Vorgehen in Erwägung ziehen, nehmen allerdings häufig an, die Suche nach Potenzial in der eigenen Belegschaft sei einfacher als externes Recruitment. Dies ist oft ein Trugschluss: Den meisten Entscheidern mangelt es vor allem an der nötigen Objektivität. Führungskräfte können das Potenzial ihrer Mitarbeiter erfahrungsgemäß erst nach vier Jahren korrekt einschätzen. Hinzu kommt: Führungskräfte empfehlen nicht immer die Mitarbeiter ihres Teams mit dem größten Potenzial für eine Führungskarriere. Denn sie würden sie dann als Mitarbeiter im eigenen Team verlieren. Führungskräfte gehen oft zu stark von sich selbst aus, wenn sie nicht nur die aktuelle Leistung, sondern das Potenzial ihrer Mitarbeiter beurteilen sollen. Nach dem Motto: „Ähnlichkeit erzeugt Sympathie“ beurteilen viele Vorgesetzte das Potenzial derjenigen am höchsten, die ihnen am ähnlichsten sind.

Objektive Prognose durch psychologische Verfahren

Dem Bewerbungsprozess, sowohl intern als auch extern und vor allem, wenn es um die Besetzung von Führungspositionen geht, muss deswegen ein objektives und umfassendes Talent Management zugrunde liegen. Ausgehend von einer Anforderungsanalyse an die zu besetzende Position, sollte mit den Interessenten ein Potenzialanalysetest gemacht und abschließend ein entsprechendes Potenzialanalyseinterview geführt werden. Die einzelnen Schritte können als offener oder anonymisierter Prozess ablaufen, wodurch weitere Vorteile entstehen. Gibt man den Interessenten beispielsweise die Möglichkeit, den Test zunächst anonym online zu absolvieren, brauchen diese keine negativen Folgen oder unangenehme Gespräche zu fürchten. Sie haben so direkt eine objektive Gesprächsgrundlage, anhand derer, eventuelle weitere Schritte geplant werden können.

Am anonymen Verfahren schätzen viele Mitarbeiter die Sicherheit. Es schließt aus, dass persönliche Sympathie oder Antipathie der Vorgesetzten den Prozess beeinflussen. Alle Testteilnehmer erhalten konstruktives Feedback durch eine Testauswertung, deren Systematik von unabhängigen Personalberatern erstellt wurde. Auch wenn das erforderliche Potenzial noch nicht bestätigt wird, können so Wege aufgezeigt werden, um Stärken auszubauen und die zukünftige Karriere durch gezielte Weiterbildung zu fördern. Neben dem anonymen Testverfahren kann ebenso ein offener Nominierungsprozess zur Besetzung der Führungsposition etabliert werden. Die objektiven Ergebnisse liefert dann ein Potenzialanalysetest. Diese Variante ist häufiger in deutschen Unternehmen anzutreffen, wobei mehr und mehr Unternehmen die Einführung webbasierter Analyseverfahren als objektive erste Entscheidungsgrundlage wählen.

Potenzialanalyse bei der Deutschen Bank – hochkarätig, objektiv, diskret

Die Deutsche Bank beispielsweise qualifizierte Mitarbeiter mit besonderem Potenzial für die Betreuung von gehobenen Privatkunden durch ein Aufbaustudium „Qualified Financial Consultant“ an der Akademie der Ruhr-Universität Bochum. Dieser Studiengang ist für die Teilnehmer sehr aufwendig. Außerdem entstehen erhebliche Kosten für jede angemeldete Person – einerseits für die Fortbildung, andererseits durch den Wegfall der Arbeitsleistung. Deshalb wählte das Unternehmen für die Teilnahme nur Mitarbeiter aus, die in der Lage sind, den erheblichen Anforderungen dieses Studienganges gerecht zu werden.

Grundlage für die Auswahl war ein Online-Assessment mit abgestimmten Verfahren aus der Testplattform PERLS. Das Online-Assessment enthält auf die Anforderungen des jeweiligen Programms abgestimmte Leistungstests und Persönlichkeitsverfahren. Die Erfahrungen bei der Deutschen Bank zeigen, dass gerade erfahrene Mitarbeiter die Möglichkeit schätzen, mit Hilfe objektiver Verfahren ihre persönlichen Stärken und möglichen Entwicklungsfelder zu reflektieren. Das Ergebnis wird ausschließlich dem Bewerber persönlich mitgeteilt. Nur wenn sich der betreffende Mitarbeiter mit der Auswertung direkt an die zuständige Führungskraft im Unternehmen gewendet hat, wurde allgemein bekannt, dass dieser Mitarbeiter an dem Verfahren teilgenommen hatte.

Schon das Angebot, sich mit seinen persönlichen Stärken auseinanderzusetzen und diese für die eigene Karriere zu nutzen, sorgt für eine hohe Motivation. Nach sechsjähriger Erfahrung wurde außerdem deutlich, dass die mit dem Studiengang verfolgten emotionalen Lernziele ebenso erreicht wurden, wie die fachlichen. Weniger als drei Prozent eines Jahrgangs schlossen den Studiengang nicht erfolgreich ab - so zeigt sich die Treffsicherheit der Vorauswahl.

Diese professionellen Analyseverfahren zeichnen sich durch die Objektivität psychologischer Tests aus, die beruflich erfolgsrelevante Persönlichkeits- und Fähigkeitsaspekte frei von subjektiven „Verzerrungen“ erfassen. Sie sind reliabel durch klar definierte Methoden und valide auf der Basis wissenschaftlicher Grundsätze. Um die Testergebnisse sinnvoll zu interpretieren und Vergleichbarkeit herzustellen, spielt die Normierung in dieser Art von Testverfahren eine große Rolle. Die Grundlage, ein sicheres Bezugssystem herzustellen, liefern Basistests mit mehreren Tausend Teilnehmern. Die Normen müssen kontinuierlich aktualisiert werden, damit sie die Forderungen der DIN 33430 erfüllen. Um den Anforderungen jedes einzelnen Unternehmens gerecht zu werden, ermöglichen passgenaue Testverfahren eine individuelle Angleichung. Nicht zuletzt sollten alle diese Bewertungsprozesse den derzeitigen Standards für den Datenschutz entsprechen.

Integration des Internets – kosten- und zeitsparend, objektiv und standardisiert

Insbesondere große Unternehmen nutzen die systematisierte und objektivierte Analyse für die Auswahl der Mitarbeiter zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. Die Zielgruppen sind dabei oft sehr unterschiedlich: von Auszubildenden über Fachkräfte mit ersten Führungsaufgaben auf Teamleiterebene bis hin zu erfahrenen Führungskräften oder Personen in Expertenfunktionen, die von Vorgesetzten als überdurchschnittliche Potenzialträger eingestuft werden. Die Erfahrungen sind durchweg positiv: Sowohl für die Arbeitgeber als auch für die qualifizierten Mitarbeiter bieten diese Potenzialanalyseverfahren Vorteile, die der persönlichen Karriereplanung sowie den wirtschaftlichen Unternehmenszielen im Sinne einer langfristigen und erfolgversprechenden Nachfolgeplanung Rechnung tragen. Die Integration der modernen Möglichkeiten des Internets schöpft dabei alle Vorteile eines kostengünstigen und zeitsparenden, objektiven, standardisierten und wissenschaftlich fundierten Bewerbungsverfahrens aus.

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