Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2000
Fachbeitrag Interview

DMS – eine Branche im Umbruch?

von

Zu aktuellen Entwicklungen in der DMS-Branche hat Dr. Ulrich Kampffmeyer, einer der führenden deutschen Experten auf dem Gebiet des Dokumentenmanagements, Stellung genommen. Als wichtigsten Trend sieht er eine starke strukturelle Bereinigung: Von den derzeit rund 150 Anbietern werden sich 10 absetzen, die den Markt dominieren.

 

Dr. Ulrich

Kampffmeyer beschäftigt sich seit nahezu 20 Jahren mit den

Themen Dokumentenmanagement, elektronische Archivierung und wissensbasierte

Informationserschließung. 1992 gründete er die PROJECT

CONSULT Unternehmensberatung GmbH, eine der führenden produkt-

und herstellerneutralen Beratungsgesellschaften für diese Themenbereiche

in Deutschland. Aufgrund seiner detaillierten Marktkenntnisse haben

wir ihn zu den aktuellen Entwicklungen in der DMS-Branche befragt.

 

 

wm:

Dr. Kampffmeyer, Sie sind Spezialist für die Planung und den

Einsatz von Dokumentenmanagement-Systemen. Über solche DMS-Konzepte

wird seit Anfang der 90er Jahre diskutiert. Davor gab es Schlagwörter

wie Künstliche Intelligenz und Expertensysteme; heute redet

alle Welt über Wissensmanagement. Sehen Sie zwischen diesen

Schlagwörtern einen Zusammenhang?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Nun, erstens wird der Begriff Dokumentenmanagement sehr unterschiedlich

belegt. Im engeren Sinne ging es dabei um die Handhabung von Dateien;

heute wird dieser Begriff für viele verschiedene Aufgaben wie

Workflow, Content Management, Archivierung und andere verwendet.

Der Begriff Dokumentenmanagement hat sich so in den letzten Jahren

abgenutzt und deshalb wurde vor etwa zwei Jahren der neue Begriff

des Wissensmanagements geprägt.

 

 

Auch der Begriff

Wissensmanagement ist allerdings sehr unterschiedlich besetzt. Der

Amerikaner redet bereits von Wissensmanagement, wenn er mit Hilfe

der EDV Informationen zusammenträgt, verdichtet und digital

bereitstellt. Wir in Deutschland sehen Wissensmanagement eher im

Kontext der KI-Ansätze und der Expertensysteme aus den 80er

Jahren: Es geht um das Zusammenfassen von Erfahrungswissen und Bereitstellen

von Entscheidungshilfen.

 

 

Problematisch

ist sicher, dass der Begriff Wissensmanagement heute aus marketingtechnischen

Gründen durch große Anbieter wie Microsoft oder Lotus

besetzt wird, obwohl deren Lösungen eigentlich nur Basissysteme

für Dokumentenmanagement, Groupware und Bürokommunikation

sind.

 

 

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"Von den derzeit rund 150 Anbietern werden sich 10 absetzen, die den Markt dominieren"

 

 

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wm:

Bleiben wir zunächst beim Dokumentenmanagement. Wenn ich heute

ein solches System für mein Unternehmen einsetzen möchte,

begebe ich mich in Neuland. Während es vor wenigen Jahren z.B.

auf der CeBIT nur eine Handvoll DMS-Anbieter gab, gibt es heute

sogar eigene Messen und Kongresse für Dokumentenmanagement.

Wie finde ich als Anwender das richtige System?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Das ist nicht einfach. Dokumentenmanagement ist, wie gesagt, zu

einem Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlichster Lösungen

geworden. Im Umfeld dieser Branche gibt es allein in Deutschland

derzeit etwa 150 bis 160 Anbieter. Es gibt die großen klassischen

Anbieter wie Documentum oder PC Docs, heute Hummingbird, aber auch

Lotus und Microsoft sind, wie erwähnt, in diesem Bereich aktiv.

Im Augenblick erleben wir eine starke Marktbereinigung, und das

ist vielleicht sogar einer der wichtigsten Trends dieser Branche.

Sehr viele Firmen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen,

werden entweder vom Markt verschwinden oder aufgekauft. Gleichzeitig

dringen neue Unternehmen, die sich bisher eher im Bereich des Internets

bewegten, in den herkömmlichen DMS-Markt ein.

 

 

 

wm:

Wieviele der heute rund 150 Anbieter wird es in etwa fünf Jahren

noch geben?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Vielleicht wird es in fünf Jahren auch noch 150 Anbieter geben,

aber es werden zum Teil andere sein. Außerdem wird sich ein

Führungsfeld von etwa 10 Unternehmen absetzen, die den Markt

dominieren. Den anderen bleiben nur noch Marktnischen.

 

 

wm:

Es wird also sehr spezialisierte Anbieter geben?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Wir unterscheiden schon heute zwischen Anbietern von Universalprodukten

und anderen, deren Produkte sich nur für ganz bestimmte Aufgaben

oder vertikale Lösungen einsetzen lassen.

 

 

wm:

Gibt es eigentlich Branchen, in denen heute bereits Universallösungen

zum Stand der Dinge gehören?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Nun, die großen DMS-Anbieter konzentrieren sich immer noch

auf die Top-5000-Unternehmen wie Versicherungen, Banken und andere

große Konzerne. Die Anforderungen in diesem Umfeld lauten

heute Integration und Realisierung von Konzernlösungen. Dabei

müssen häufig bestehende Insellösungen zusammengeführt

werden.

 

 

 

wm:

Welche Branche ist am weitesten? Sind das die Versicherungen?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Die Versicherungen sind sicher am weitesten, weil dort der Kundenservice

so wichtig geworden ist, dass eigentlich nur ein durch geeignete

DV-Lösungen unterstützter Service – man nennt das

heute Customer Relationship Management – das Überleben

solcher Unternehmen sichert. Die Versicherungen sind übrigens

auch bereits über die erste System-Generation hinweg, dort

werden Systeme der zweiten oder dritten Generation eingesetzt. Die

Einführung von DMS-Lösungen wird nicht mehr in Frage gestellt;

stattdessen gibt es durch die Zusammenführung von Unternehmen

eher das Problem der Migration und Verknüpfung unterschiedlicher

Lösungen.

 

 

 

wm:

Was können Sie einem kleinen oder mittelständischen Unternehmer

empfehlen, der anfängt sich über die DMS-Einführung

Gedanken zu machen?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Dort spielen zwei Ansätze eine Rolle. Zum einem reichen heute

oft schon Standard-Bürokommunikationslösungen wie Exchange,

Outlook oder Lotus Notes für viele Aufgaben, für die in

der Vergangenheit spezialisierte Dokumentenmanagement-Systeme nötig

waren. Es gibt allerdings auch einige Anbieter, die von der herkömmlichen

DMS-Seite kommen und versuchen, diesen Markt mit kleinen, kostengünstigen

und einfach handhabbaren Produkten zu erschließen, wie z.B.

EASY oder A.I.S.

 

 

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"Eines

der größten Probleme in der Branche ist, dass es

kaum ausgebildete Fachleute gibt"

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wm:

Was sagen Sie zum Thema der Mitarbeiterqualifikation? Wo findet

man heute die Fachleute, die in der Lage sind, solche Systeme einzuführen

und zu pflegen?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Es ist eines der größten Probleme der Branche, dass es

kaum ausgebildete Fachleute gibt. Dieses Problem betrifft sowohl

Anbieter als auch Anwender. Wir haben viele Kunden, die ihre offenen

Stellen für Informationsmanager nicht besetzen können.

Der Aufwand wird ja immer größer, denn es reicht nicht,

dass man eine neue Software installiert; sie muss auch gepflegt

und verwaltet werden.

 

 

Inzwischen

gibt es im Übrigen den Ansatz, dass einzelne Telekommunikationsanbieter

als Dienstleister und Outsourcing-Partner in diesen Markt eintreten.

Sie bieten ihren Kunden die gesamte Dokumentenverwaltung und auch

das Workflowmanagement auf einem zentralen Server an. Der Kunde

benötigt dann also keinen eigenen Server und keine Software

mehr, sondern nur noch einen Browser. Der Hintergedanke ist natürlich,

dass der Kunde, wenn seine Daten bei dem Telekommunikationsanbieter

liegen, seinen Provider nicht mehr so schnell wechselt.

 

 

wm:

Ganz ohne Konfiguration und firmenspezifische Anpassung werden auch

derart zentralisierte Lösungen der Telekommunikationsanbieter

nicht funktionieren.

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Das ist richtig, aber dieser Aufwand liegt dann bei den Rechenzentren,

so dass der Mittelständler sich nicht mehr darum kümmern

muss. Natürlich gibt es da das Vertrauensproblem, denn wer

möchte schon gerne seine Rechnungsbelege in einem externen

Rechenzentrum archivieren?

 

 

wm: Wie

sehen Sie generell die Ausbildungssituation hier in Deutschland:

Werden im klassischen Informatikstudium die notwendigen Fähigkeiten

vermittelt oder gibt es Alternativen?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Viele Informatik-Studiengänge in Deutschland sind völlig

überholt. Aber inzwischen gibt es neue Studiengänge wie

Mediendokumentar, Informationswirt oder Medienbibliothekar, z.B

in Hamburg. Wir haben selbst einige Absolventen dieser Studiengänge

eingestellt.

 

 

 

wm:

Ist das eine akademische Ausbildung oder eher eine Fachhochschulausbildung?

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Es sind eher Fachhochschulen, die dies anbieten, wie z.B in Koblenz

und Speyer. Dort wird weniger Wert auf die Technik als auf die Konzeption

und inhaltliche Organisation von Informationen gelegt. In Österreich

wurde jetzt eine Ausbildung zum Informationsmanager eingerichtet,

eine solche fehlt jedoch bei uns noch. Ansätze dazu gibt es

z.B. in Darmstadt. In den Universitäten fehlt jedoch eine praxisnahe

Ausbildung.

 

 

wm:

Es gibt also einige Angebote. Reichen die aus?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Nein, in keiner Weise. Wenn ich mir unsere Kundenstruktur anschaue,

dann benötigt eigentlich jedes Unternehmen ab 200 Mitarbeitern

mindestens einen Spezialisten für die Betreuung der Web-Seiten,

des Dokumentenmanagements und der internen Bürokommunikation.

Hierbei spielt die fachliche Ausbildung eine große Rolle.

Solche Leute gibt es auf dem Markt nicht. Vielen Anwendern ist allerdings

auch noch nicht klar, dass inzwischen für diese Management-Aufgaben

hauptamtliche Mitarbeiter nötig sind. Wir empfehlen unseren

Kunden, dass sie aus den Projekten heraus Mitarbeiter identifizieren,

die die Aufgabe des Informationsmanagers übernehmen können.

Die haben firmeninternes Know-how, und das technische Know-how über

die verfügbaren Systeme können sie sich aneignen.

 

 

wm: Bei

der Einführung von Dokumentenmanagement- oder auch von Wissensmanagement-Systemen

ist es nicht damit getan, eine Software zur Verfügung zu stellen

und zu pflegen. Wie kann man die Mitarbeiter dazu motivieren, diese

Programme auch anzuwenden?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Da sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt. Keiner gibt sein

Wissen freiwillig ab, das Stichwort Herrschaftswissen spielt immer

noch eine große Rolle. Neben der Bereitstellung der Software

sind deshalb sehr viele vertrauensbildende Maßnahmen erforderlich.

Den Mitarbeitern muss klar gemacht werden, dass sie durch die Abgabe

ihres Wissens nicht ihren eigenen Arbeitsplatz wegrationalisieren.

Manche Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern mehr Geld, wenn sie

ihre Erfahrung in Datenbanken eingeben. Aber auch das funktioniert

nur bedingt.

 

 

Ein wichtiges

Problem ist übrigens zudem, dass durch die Einführung

solcher Systeme Hierarchien aufgebrochen und sogar umgekehrt werden:

Während früher die Chefs alles wussten und alles im Griff

hatten, sind es heute oft die Sachbearbeiter und die Sekretärinnen,

die den besseren Zugriff auf die Daten haben und einfach mehr wissen

als ihre Chefs.

 

 

wm:

Die Einführung von Wissensmanagement bedeutet also nicht nur

das Implementieren von Technik, sondern geht auch einher mit einer

Kulturänderung?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Wenn wir Wissensmanagement-Systeme einführen, sagen wir

unseren Kunden immer, dass 10% des Aufwandes für die Technik

erforderlich sind und 90% für Organisation, Qualifizierung

und die Änderung der Unternehmenskultur. Viele unserer Kunden

haben zunächst die Erwartung, dass es ausreicht, irgendeine

Hard- oder Software zu kaufen. Das ist ein Trugschluss!

 

 

Wir orientieren

uns an dem Leitsatz: Mensch vor Strategie, Strategie vor Organisation

und Organisation vor Technik. Die Technik kommt also an letzter

Stelle.

 

wm:

Aus aktuellem Anlass ist das Stichwort "Big Brother" wieder

in aller Munde. Setze ich mich als Mitarbeiter durch meine Integration

in ein EDV-gestütztes Wissensmanagement-System nicht der Gefahr

aus, beobachtet zu werden?

 

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Das ist bestimmt ein heikles Thema. Es ist im Vorfeld sehr viel

Aufklärung erforderlich, und ohne vertrauensbildende Maßnahmen

lassen sich solche Systeme nicht einführen. Das ist allerdings

Aufgabe der Unternehmen und nicht der Systemanbieter und Berater;

diese können allenfalls als Moderatoren dazugeholt werden.

 

 

wm:

Mit manchen Systemen können ja regelrechte Benutzerprofile

angelegt werden.

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Ja, es lässt sich genau analysieren, wer welche Aufgaben gelöst

hat, wer über welche Themen wie häufig kommuniziert, wer

wann welche Informationen abgerufen hat – sowohl aus dem eigenen

Datenbestand als auch aus dem Internet. Hier gibt es noch keine

festen Spielregeln wie bei der konventionellen Kommunikation. Dort

ist es ja z.B. so, dass differenziert wird zwischen einem Schreiben,

welches an eine Firma zu Händen eines Mitarbeiters geschickt

wurde, und einem anderen, welches an einen Mitarbeiter in einem

Unternehmer adressiert ist. Der erste Brief ist an das Unternehmen

gerichtet und darf geöffnet werden, der zweite nicht. Solche

Regeln sind auch bei der elektronischen Kommunikation erforderlich,

da bedarf es sicher noch vieler Diskussionen.

 

 

 

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"Wir arbeiten mit neuen Medien, müssen aber noch lernen mit diesen umzugehen"

 

wm:

Wie kommen die Mitarbeiter mit der wachsenden Informationsflut zurecht?

Zum einen haben sie riesige Informationsbestände, die sie nutzen

können und sollten. Zum anderem werden Sie passiv mit Informationen

und E-Mails zugemüllt.

 

 

Dr. Kampffmeyer:

Auch hier geht es darum, dass wir lernen müssen mit diesen

neuen Medien umzugehen. Es ist sehr einfach, eine eingegangene Mail

mit wenigen Mausklicks an eine ganze Reihe von Kollegen weiterzuleiten.

Aber ist es auch immer sinnvoll und nötig? Das Zumüllen

mit Mails führt nämlich dazu, dass die Mails zwar empfangen

und sogar gesehen werden, aber letztlich ungelesen bleiben oder

nur flüchtig überflogen werden. Das ist dann oft Ursache

für eine Vielzahl unnötiger Missverständnisse.

 

 

 

Wie gesagt,

wir arbeiten mit neuen Medien, müssen aber noch lernen mit

diesen umzugehen. Die Technik spielt dabei sicherlich eine wichtige,

aber doch untergeordnete Rolle. Wenn Dokumentenmanagement- oder

Wissensmanagement-Systeme an den Mitarbeitern vorbei und ohne Berücksichtigung

der Unternehmenskultur eingeführt werden, ist es meistens nur

schade um das investierte Geld.

 

 

wm: Herzlichen

Dank für dieses Gespräch, Herr Dr. Kampffmeyer.

 

 

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