Fachbeiträge

Ausgabe 3 / /2002
Fachbeitrag IT-Tools

Wissensmanagement in Online-Medien

von Matthias Hattemer

Da sich eine Software nicht aus sich selbst heraus erschließen lässt, sondern erst in einer konkreten Arbeitssituation, kommt ihrer Online-Dokumentation eine wesentliche Bedeutung zu. Eine solche Online-Hilfe soll dabei nicht nur Informationen bereitstellen, sondern das im aktuellen Kontext benötigte Wissen vermitteln. Matthias Hattemer stellt Methoden der Wissensvermittlung in Online-Medien vor, die sich an Erkenntnissen der kognitiven Psychologie orientieren.

Von Matthias Hattemer

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

Die Darstellung von Zusammenhängen,

 

die sich an den fachlichen Aufgaben, den Erwartungshaltungen und

 

den Erfahrungen bzw. dem Vorwissen der Benutzer orientiert, wird

 

zunehmend zur zentralen Anforderung an Online-Dokumentationen. So

 

muss etwa eine Online-Hilfe nicht nur Informationen bereitstellen,

 

sondern in erster Linie Wissen vermitteln. Darstellungsmethoden,

 

die sich an den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und des

 

Wissensmanagements orientieren, werden daher auch für das Online-Medium

 

immer wichtiger.

 

 


Was haben Online-Medien mit Wissen zu tun?

 

 

Im Gegensatz zu technischen Geräten wie beispielsweise Auto,

 

Video-Kamera oder Stereo-Anlage lässt sich der Zweck und das

 

Einsatzgebiet von Software nicht aus der Technik ableiten. Der Diskette

 

oder der CD sieht man nicht an, was das installationsbereite Programm

 

überhaupt leistet und ob es besonders komplex oder komfortabel

 

bzw. teuer oder günstig ist.

 

 

 

Gerade weil Software-Programme sich nicht aus sich selbst heraus

 

erschließen, sondern erst in der Begegnung mit einer konkreten

 

Arbeitssituation, spielt die Dokumentation eine entscheidende Rolle.

 

Sie hat nicht primär die Aufgabe zu erklären, wie etwas

 

funktioniert, sondern warum oder in welchem Zusammenhang bzw. vor

 

dem Hintergrund welcher fachlichen Anforderung etwas mit einer Software

 

gemacht werden kann. Ein Beispiel: Die Betriebsanleitung für

 

ein Auto wird üblicherweise dann zur Hand genommen, wenn der

 

Fahrer z.B. wissen will, wie er Sitze verstellen kann, wann und

 

wie er welche Wartungsarbeiten durchführen muss oder wie er

 

den Sender seines Radios einstellt. Aber er erwartet keine Hinweise

 

darüber, in welcher Situation er den Rückwärtsgang

 

einlegen oder wie er sich in dichtem Verkehr verhalten muss. Pointiert

 

gesagt sind es aber gerade solche Wissenselemente, die in Software-Dokumentationen

 

und Online-Hilfen stehen müssen. Wer beispielsweise mit Microsoft

 

Word in einem Dokument Grafiken einbauen will, dem stehen dazu insgesamt

 

fünf Techniken zur Verfügung, wobei jede Technik ein etwas

 

anderes Ergebnis liefert. Der Anwender dieser Software muss also

 

wissen, worin sich diese Techniken unterscheiden und in welchen

 

Anwendungssituationen der einen oder der anderen Technik der Vorzug

 

zu geben ist.

 

 

 

Eine Dokumentation – ob online oder in gedruckter Form –

 

schlägt also die Brücke zwischen Anwendung und Technik,

 

zwischen Praxis und Theorie, zwischen konkreter Arbeitswirklichkeit

 

und Modell. Wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden soll, muss sie

 

daher nicht nur das Wissen offenlegen, das in der Software steckt,

 

sondern auch das Wissen so aufbereiten, dass sich der Anwender einer

 

Software darin wiederfindet.

 

Seitenanfang

Methoden der Wissensvermittlung

 

 

Wie und mit welchen Darstellungsmethoden kann Wissen in einem Online-Medium

 

angemessen dargestellt und präsentiert werden? Diese Problematik

 

wird im Folgenden von zwei Fragestellungen aus betrachtet:

 

 

  • Wie kann die Aufnahme von Wissen so gesteuert werden, dass sie den Prozess des Verstehens so gut wie möglich unterstützt? Für diese Frage sind Erkenntnisse aus dem Fachgebiet der kognitiven Psychologie sehr wichtig.
  • Welche technischen Möglichkeiten bieten sich im Online-Medium, um Wissenselemente gezielt abrufbar zu machen?

 

 

Eine Person, die Wissen aufnehmen und verstehen will, bewegt sich

 

nicht im geistigen Niemandsland, sondern hat schon eine gewisse

 

Orientierung und sozusagen eine räumliche Vorstellung von dem,

 

was sie erfahren wird. Die kognitive Psychologie hat in den letzten

 

Jahren erforscht, wie das Gehirn seine Orientierungsaufgabe löst.

 

Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass es bei neuen Informationen

 

zuerst versucht, einen kognitiven Rahmen zu finden oder zu konstruieren,

 

in dem die Detailfülle eingeordnet werden kann: "Es ist

 

also keineswegs so, dass wir beim Verstehen ein Detail nach dem

 

anderen aufnehmen und daraus nach und nach ein Gesamt entsteht.

 

So arbeitet ein Scanner, nicht das Gehirn. Vielmehr entwickeln wir

 

bereits nach wenigen Informationen Annahmen über das Gesamt

 

und ordnen die folgenden Daten in diesen Rahmen ein" [1].

 

 

 

Das bedeutet für das Online-Medium: Die Begriffe oder Verfahren

 

der DV-Technik oder auch Details zu Dialogfenstern oder anderen

 

Elementen der Benutzeroberfläche dürfen nicht im Vordergrund

 

stehen, da sie Gefahr laufen, im kognitiven Rahmen des Anwenders

 

keinen Halt zu finden. Dagegen erhält die Darstellung von Zusammenhängen,

 

die sich an den fachlichen Aufgaben, den Erwartungshaltungen und

 

Erfahrungen bzw. dem Vorwissen des Benutzers orientiert, einen zentralen

 

Stellenwert innerhalb einer Dokumentation.

 

 

 

Diese Aufgabe kann gerade bei komplexer Software nur dann erfüllt

 

werden, wenn im Online-Medium Darstellungsmethoden zum Einsatz kommen,

 

die Wissen und Wissenselemente in Schichten deutlich voneinander

 

abheben. Die Verwendung von Registerkarten ist ein solches Mittel.

 

Hier steht das fachliche Wissen mit seinen zentralen Aspekten im

 

Vordergrund. Der Leser einer Online-Hilfe beispielsweise kann dank

 

einer solchen Darstellung von Wissen auf einen Blick erkennen, welcher

 

Aspekt für ihn wichtig und weiterführend ist und in welchem

 

übergeordneten Zusammenhang sich dieses Wissenselement befindet.

 

Mit einer solchen Methode lässt sich Wissen, das sich über

 

viele hundert Druckseiten erstrecken kann, übersichtlich strukturieren.

 

 

 

registerkarten picture
Durch Registerkarten kann selbst umfangreiches Wissen im Online-Medium übersichtlich präsentiert werden.

 

 

Darüber hinaus verfügen Online-Dokumentationen über

 

ein reichhaltiges Instrumentarium, um vor- und nachgelagertes Wissen

 

zu steuern:

 

 

  • Vorgelagertes Wissen – z.B. typische Bedientechniken wie Suchen, Filtern, Ändern, Löschen – lässt sich üblicherweise über klassische Hyperlinks abrufen. Denn dem Anwender ist in diesem Fall klar, dass er Kenntnisse, die aus dem eigentlichen fachlichen Zusammenhang herausfallen, in einem anderen Kontext nachlesen kann.
  • Anders verhält es sich bei konkreten Handlungsanweisungen oder Kochrezepten. Hierbei handelt es sich um nachgelagertes Wissen, also um Wissen, das erst dann in einen kognitiven Rahmen eingeordnet werden kann, wenn der Anwendungsfall klar ist und der Benutzer genau weiß, warum er bestimmte Arbeitsschritte durchlaufen muss. Solches Wissen kann sinnvollerweise in einem zweiten Fenster präsentiert werden. Das bedeutet: Der ursprüngliche Kontext, aus dem heraus ein konkreter Arbeitsablauf aufgerufen wird, bleibt weiterhin sichtbar und der Anwender kehrt ohne weitere Navigation unmittelbar wieder in diesen fachlichen Zusammenhang zurück.

Seitenanfang

Medium und Message

 

 

Neben Registerkarten oder der Verwendung zweiter Fenster verfügt

 

das Online-Medium über viele weitere Möglichkeiten, Wissen

 

oder Wissenselemente mediengerecht darzustellen. Unter anderem haben

 

sich folgende Mittel in der Praxis bewährt:

 

 

  • interaktive Elemente: Wissenselemente bleiben kompakt; Details oder weiterführende Informationen werden nur dem zugänglich gemacht, der sie aktiv anfordert.
  • Grafiken mit sensitiven Flächen: Grafiken, die einen Arbeitsprozess visualisieren, oder Screenshots, die Benutzereingaben steuern, werden erheblich aufgewertet, wenn sie nicht nur illustrieren, sondern für die Navigation genutzt werden.

 

 

Dennoch: Online-Hilfen sind als Medium zum Verstehen längerer

 

und komplexer Themen kein Universalmittel. Andere Medien wie Druckwerke,

 

grafische Vorträge (Slideshows) oder auch Videos können

 

ein Online-Medium ideal ergänzen. Nun spricht aber dieser Befund

 

nicht gegen, sondern für Online-Medien. Denn Dateien in einem

 

beliebigen Format, wie beispielsweise DOC, PDF, PPT, VID oder auch

 

XLS, lassen sich im so genannten Cross-Media-Publishing problemlos

 

integrieren, und der Leser kann sie aus der Online-Hilfe direkt

 

aufrufen.

 

Seitenanfang

Literatur:

 

 

[1] Weidenmann, B.: Psychologie des Nichtverstehens.

 

In: tekom-Schriften zur technischen Kommunikation. Bd. 1: Verständlichkeit

 

und Nutzungsfreundlichkeit von technischer Dokumentation. Lübeck

 

1999, S. 34-49.

 

 

[2] Ballstaedt, S.-P.: Wissensvermittlung. Weinheim 1997.

 

 

[3] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H.: Individuelles Wissensmanagement:

 

Strategien für den persönlichen Umgang mit Information

 

und Wissen am Arbeitsplatz. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle

 

2000.

 

 

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