Fachbeiträge

Ausgabe 7 / /2008
Fachbeitrag Human Resources

Unternehmenskultur – von Schauspielern lernen

von Reiner Czichos

Im Theater füllen die Schauspieler Rollen aus, in aller Regel sind ihnen die Verhaltensweisen und der Charakter der Figur vorgegeben. Aber mit Hilfe ihrer Begabungen und ihrer Schauspielkunst malen sie die Leerstellen aus, die durch Charakterzeichnung und Drehbuch offen bleiben. Sie „interpretieren“ ihre Rolle. Dieses Beispiel verdeutlicht den untrennbaren Zusammenhang zwischen lernfähigen und lernbereiten Individuen einerseits und Unternehmensprozessen auf der anderen Seite, die eine Firma zu einer lernenden machen. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Dabei stehen die Rollenbeschreibungen nur am Ende eines Prozesses, durch den das Gesamtunternehmen den Weg zur Lernenden Organisation beschreitet.

Inhaltsübersicht:

Die Unternehmensführung verankert das Ziel „Lernendes Unternehmen“ in der Unternehmensphilosophie, in den Unternehmenszielsetzungen, vielleicht gar in der Vision, in der der Entwicklungshorizont für die nächsten Jahre aufscheint. Diese Verankerung bewirkt die Ausrichtung der gesamten Unternehmung auf flexible Lernprozesse – natürlich nicht von heute auf morgen, aber in einer mittel- und langfristigen Perspektive. So fließt dieses Unternehmensziel quasi automatisch in die Bereichszielsetzungen ein, hinterlässt seine deutlichen Spuren in den Abteilungszielen und schließlich in den Aufgabenbeschreibungen der Menschen. Wenn nun auf Führungskräfte- und Mitarbeiterebene die Zielsetzung „Lernende Organisation“ kreativ umgesetzt, gelebt sowie zur motivierenden Richtschnur des Denkens und Handels wird, entwickelt sich eine Unternehmenskultur, dessen Herzstück das Lernen und die Gestaltung des Wandels ist .

 

Das Lernende Unternehmen

 

Es ist nur zu natürlich, dass es während der Aufführung immer wieder Korrekturen geben muss – Lernprozesse sind offene Prozesse, es müssen stets Feinjustierungen vorgenommen werden. Ein Regisseur, dessen Ensemble ein und dasselbe Stück jede Woche drei- oder viermal auf die Bühne bringt, wird Kleinigkeiten verbessern, Fehler korrigieren und jede Aufführung als Möglichkeit interpretieren, aus dem Publikumsfeedback zu lernen, um noch besser zu werden.

Übertragen wir dies wieder aufs Unternehmen: Es müssen Strukturen geschaffen werden, die die Form der Zusammenarbeit und die Informationsabläufe zwischen Bereichen, Abteilungen und Mitarbeitern sichtbar machen, um aus dieser Analyse schließlich zu lernen und notwendige Veränderungsprozesse abzuleiten – eine komplexe Aufgabe, deren Umsetzung mit Hilfe folgender Ideen realisierbar wird:

  • Jeder Bereich, jede Abteilung erhält den Auftrag, die wichtigsten Kernprozesse zu beschreiben, also den Ist-Zustand zu bestimmen, ein Ideal zu definieren, den Soll-Zustand zu formulieren und die auf diese Weise entdeckten Lücken zu schließen – zum Beispiel durch interne und externe Weiter- bzw. Fortbildungsmaßnahmen.
  • Es findet eine Revision der Zielvereinbarungen statt: Inwieweit wird überhaupt mit Zielen geführt? Zielvereinbarungsgespräche auf allen Hierarchieebenen thematisieren die Ausrichtung auf das Lernende Unternehmen und die eruierten Lücken bei der Bewältigung der Kernprozesse und deren Schließung.
  • Konkrete Folge sind etwa die genannten offenen Rollenbeschreibungen, die den Führungskräften und Mitarbeitern Entscheidungsspielräume eröffnen. Das wiederum macht es notwendig, dass weniger durch Kontrolle als vielmehr durch Vertrauen geführt wird.
  • Hierarchisierte Entscheidungswege werden abgelöst durch Kommunikationsnetzwerke, in denen sich die Menschen frei bewegen können. Das heißt: Flexible Informationsnetzwerke ersetzen die starren Berichtssysteme.
  • Das Unternehmen ist ein Netzwerk zentraler und dezentraler Einheiten, die möglichst nah am Kunden arbeiten und entscheiden. Dezentralisation heißt zudem, Verantwortung zu delegieren und Entscheidungsmacht abzugeben – das erfordert mitunter ein Umdenken im Führungsverhalten.

 

 

Interne Drehbuchänderungen

 

Task Forces, Strategiegruppen oder Veränderungsteams kümmern sich „hauptberuflich“ darum, die Strukturen und Prozesse permanent daraufhin zu überprüfen, ob sie Lernfähigkeit garantieren. Diese Institutionen fragen sich permanent:

  • Wo genau stehen wir auf dem Weg zum Lernenden Unternehmen?
  • Was läuft gut, was weniger gut?
  • Welche Stolpersteine müssen beseitigt werden? Welche Veränderungen sind unumgänglich und notwendig, welche zumindest wünschenswert?

Voraussetzung dafür ist eine Fehlerkultur, die negative Entwicklungen zum Anlass nimmt, um Verbesserungsprozesse aufzubauen – zum Beispiel beim Beschwerdemanagement. Folgende Einstellung ist das Ziel: Ein reklamierender Kunde räumt dem Unternehmen eine zweite Chance ein. Er wechselt nicht zur Konkurrenz, sondern will das Problem erst einmal mit den Betroffenen lösen. An dieser Stelle führt ein proaktives Beschwerdemanagement dazu, dass das Unternehmen nicht erst reagiert, wenn der Kunde bereits verstimmt ist. Es fordert ihn vielmehr aktiv auf, sich zu beschweren und zu den Vorfällen zu äußern. Beschwerde-Hotlines, Fokusgruppen sowie Fragebögen zu den Produkten und Dienstleistungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Verbesserungspotenzialen auf die Spur zu kommen.

 

Externe Drehbuchänderungen

 

Lernende Unternehmen brauchen kreative Anstöße von außen. Regisseur und Schauspieler sind froh, wenn das Publikum – positive und negative – Kritik übt, der Beleuchter einen Verbesserungsvorschlag unterbreitet und der Requisiteur mit einer tollen Idee aufwartet.

Anstöße von außen kommen vor allem von den Kunden. Aber auch Lieferanten, Spediteure, Berater, Wettbewerber, Dienstleister – also alle, die mit dem Unternehmen auf irgendeine Art und Weise zu tun haben – sollten als „Angehörige des Unternehmens“ betrachtet und aufgefordert werden, konstruktive Kritik zu üben.

Denkanstöße von außen aufzunehmen, erfordert allerdings Souveränität – eine Eigenschaft, die Lernende Unternehmendurchaus aufbringen. Denn die Verantwortlichen wissen: Selbst die harscheste Kritik darf nicht persönlich genommen werden, sondern dient als Anregung zur Weiterentwicklung.

 

Fazit:

Lernen heißt, Veränderungen vorzubereiten, zu implementieren und durchzuführen. Erstrebenswert sind nicht Stabilität und Routine, sondern die permanente Erneuerung und Lernen. Globalisierung, Internationalisierung, weltweiter Wettbewerb, die Kommunikationsmöglichkeiten durch das Internet – der Wirtschaft bleibt gar nichts anderes übrig, als sich frühzeitig fit zu machen für die Bewältigung der Herausforderung des Lebenslangen Lernens.

„Alles fließt“ (Panta Rhei), so der Vorsokratiker Heraklit (um 540 v. Chr.). Dies trifft auf heutige Unternehmen mehr denn je zu. Wenn aber alles im Fluss ist, sollten die Verantwortlichen in den Organisationen gar nicht mehr versuchen, etwas festzuhalten oder Beständigkeit anzustreben. Optimalerweise richten sie ihre Energie stattdessen darauf aus, auf der Welle der permanenten Veränderungen zu gleiten – mit Kreativität, Innovationsbereitschaft und Lernfähigkeit. Aber: Brauchen wir im Wirbelsturm der Veränderungen nicht doch etwas, woran wir uns orientieren können, etwas Festes und Unverrückbares? Sicherlich. Dieser windstille Bereich im Wirbelsturm, das Auge im Taifun – eine auf Werten bauende Unternehmensvision könnte dies leisten.

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