Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2015
Fachbeitrag Unternehmensorganisation

Digitaler Wandel: Radikale Innovationen & neues Führungsverständnis

von Tim Neugebauer

Wollen etablierte Unternehmen klassischer Wirtschaftszweige in Zukunft konkurrenzfähig bleiben, heißt es, den digitalen Wandel durch eigene Transformationsanstrengungen selbst zu gestalten und eine führende Rolle einzunehmen, Leader zu werden. Andernfalls entsteht die Gefahr einer übermächtigen digitalen Konkurrenz. Dann droht das etablierte Unternehmen vom Leader zum bloßen Follower zu werden – und im Extremfall vollständig vom Markt zu verschwinden. So befindet sich etwa der Musikmarkt in einem fundamentalen Umbruch. Früher spielten die großen Labels mit ihren Tonträgern die Hauptrolle, von der LP bis zur CD. Heute sind Downloads und verstärkt Streaming die Regel. Ein Musikstreaming-Dienst wie Spotify dreht das Geschäft vollständig um: mit digitalen Gütern in einem digitalen Geschäftsmodell. 

Inhaltsübersicht:

Seit es Software gibt, ist sie ein Mittel der Prozessoptimierung. Durch sie sollen Arbeitsabläufe schneller, mit weniger Fehlern und in besserer Qualität stattfinden – bei reduzierten Kosten. Dieser traditionelle Zweck ist zwar legitim, im digitalen Zeitalter greift er aber zu kurz. Denn wenn Unternehmen lediglich am bestehenden Status optimieren, bleibt wenig Raum für die Auseinandersetzung mit den tiefer greifenden Chancen und Risiken technologischer Veränderung. Diese Auseinandersetzung ist in Anbetracht der immensen Reichweite der Digitalisierung jedoch notwendig. Denn die revolutionierende Kraft des Digital Business erfasst heute alle Branchen. Digitale Konkurrenten mit neuartigen Geschäftsmodellen, smarten Produkten und integrierten Dienstleistungen hinterfragen und verändern bestehende Marktstrukturen.

Digital Business Transformation fordert radikale Innovationen

Digital Business Transformation bedeutet, bestehende Geschäftslogiken so fortzuentwickeln, dass sie auch unter den Bedingungen einer digital vernetzten Welt erfolgreich sein können. Was oberflächlich betrachtet einfach erscheint, erfordert im Detail erhebliche Anstrengungen. Denn es reicht in der Regel nicht, bestehende Produkte und Dienstleistungen nur im Detail verbessern zu wollen, indem man sie beispielsweise durch digitale Funktionen anreichert. Vielmehr sind radikal neue Lösungen gefragt – im Sinne echter digitaler Innovationen bei eigenen Prozessen, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Gegenüber kleinen und flexiblen digitalen Startups haben etablierte Unternehmen hier mitunter einen deutlichen Nachteil. Einerseits ist das aktuelle Geschäft eines etablierten Marktteilnehmers häufig nur sehr bedingt digital ausgerichtet. Die Geschäftstätigkeit war ja traditionell – oft seit Jahren und Jahrzehnten – erfolgreich. Darum wird die Notwendigkeit kaum wahrgenommen, Innovationen zu entwickeln und digitale Geschäftsfelder zu generieren, die auch in Zukunft Erträge sichern. Die ganze Unternehmenskultur ist häufig nicht offen für Neuerungen. Die Folge ist, dass aktuelle digitale Produktionsverfahren – von Frameworks bis Cloud-Plattformen – in etablierten Unternehmen gar nicht bekannt sind oder aber ausgeblendet werden. Dabei können sie entscheidend helfen, Entwicklungen zu beschleunigen und Kosten zu reduzieren.

Zudem besteht in etablierten Unternehmen oft ein organisatorisches Dilemma. Es gibt eine Konkurrenzsituation: zwischen unverzichtbar scheinenden Routinetätigkeiten im operativen Geschäft und potenziell riskanten digitalen Innovationsprojekten. Tendenziell sind es immer die tagesaktuellen Notwendigkeiten, die den unternehmensinternen Kampf um die knappen Ressourcen bestimmen. Digital Business Transformation ist also zunächst eine Aufgabe für das Management. Es ist seine Sache, die Ausrichtung des Unternehmens auf zukünftige digitale Entwicklungen zu erweitern und zugleich dem organisatorischen Dilemma zu begegnen. Auch das etablierte Unternehmen muss im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten Wege finden, um die digitale Transformation, die in der jeweiligen Branche bevorsteht – oder schon in vollem Gange ist – aktiv zu gestalten. Aus dieser Perspektive muss das Management neuartige technische Lösungen bewerten.

Führung 2.0: direkt, flexibel, agil

Ein weiterer Aspekt ist die Erneuerung von Vorgehensmodellen und Managementmethoden. Gerade in diesem Bereich gibt es schon Werkzeuge, die helfen, unsere Denkmuster für die Herausforderungen der digitalen Welt zu öffnen, das Risiko digitaler Innovationen zu steuern und die Umsetzung zu vereinfachen. Ansätze wie „Business Model Generation“ (nach Osterwalder/Pigneur), „Lean Startup“ (Ries) und „Customer Development“ (Blank) gehören im E-Business- und Digital-Startup-Umfeld zum Allgemeingut. Entscheidungsprozesse im Zeitalter der Digitalisierung müssen direkter, Vorgehen flexibler und agiler sein. Die teamorientierte und projektbezogene Zusammenarbeit über die alten organisatorischen Abteilungsgrenzen hinweg wird immer wichtiger.

Deutschland gilt international als Land der Ingenieure. Es ist durchaus legitim, daraus eine spezifische Stärke in Sachen Digital Business Transformation abzuleiten: Auch Softwareentwicklung ist letztlich eine Ingenieursleistung. Wenn deutsche Unternehmen dagegen eine spezifische Schwäche gegenüber der Herausforderung Digitalisierung aufweisen, so ist es wohl ihre traditionell anbieterzentrierte Kultur. Ingenieurswissenschaftliche Entwicklungen sind oft hochinnovativ, aber nicht immer sind sie auch die ganz konkrete Antwort auf aktuelle Bedürfnisse im Markt. Bei Kunden- und Nutzerorientierung haben deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich oft Nachholbedarf. Aber gerade die erwähnten Vorgehensmodelle und Werkzeuge des Digital Business – wie Scrum, Lean Startup, Customer Development und Business Model Canvas – können dabei helfen, die Schwächen bei der Nutzer- und Marktzentrierung auszugleichen und anschließend die ureigenen Ingenieursstärken auszuspielen.

Digital Business Transformation in der Industrie: vier Kernthesen

These 1:
Die Veränderungskraft der Digitalisierung erreicht alle Branchen – auch die Industrie hat sich den Zukunftsthemen zu stellen. Stichworte hier sind Industrie 4.0, Internet der Dinge, zunehmende Serviceorientierung (von der Sekundärdienstleistung am Produkt zur Primärdienstleistung mit Produktergänzung), neue digitale Geschäftsmodelle usw.

These 2:
Etablierte Industrieunternehmen werden zukünftig noch stärker und wesentlich schneller durch branchenfremde Wettbewerber bedroht. Langanhaltende Wettbewerbsvorteile verschwinden – zeitlich begrenzte Wettbewerbsvorteile werden die Regel. Dies erfordert den kontinuierlichen Aufbau neuer Wettbewerbsvorteile (vgl. u.a. „Rita McGrath: The End of Competitive Advantage“).

These 3:
Kontinuierliche Verbesserungsprozesse und inkrementelle Fortentwicklung sind im Industriesektor die Regel, „bold innovations“ im Sinne radikal neuer oder disruptiver Entwicklungen eher die Ausnahme. Diese sind aber nötig, um entsprechend neue Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Grund ist u.a. das klassische „organisatorische Dilemma“ des Innovationsmanagements: Routineprozesse vs. Innovationsprozesse; Planungssicherheit vs. Risiko; fehlende innovationsfördernde Unternehmenskultur usw.

These 4:
Wollen Industrieunternehmen These 1 begegnen, These 2 ermöglichen und These 3 überwinden, müssen sie verschiedene Herausforderungen bewältigen. Fünf Stoßrichtungen dafür, hier mit spezifischem Digitalfokus:

  • Entwicklung der Innovationsstrategie
  • Ressourcenbereitstellung/Team-Building/Top-Management-Support
  • Etablieren einer innovationsfördernden Unternehmenskultur
  • Einführung eines passenden Innovationsprozesses (Backend of Innovation, Idea-to-launch)
  • Neue Wege im „Fuzzy Frontend“: Open Innovation, Cross-Industry-Innovation usw.

Marktbeobachtung als erster Schritt

Was sollte ein etabliertes Unternehmen also tun, wenn es mit der Digital Business Transformation ernst machen will? Wenn aus dem Follower von heute ein Leader von morgen werden soll? Die einfachste Strategie kann zunächst darin bestehen, sich die augenblicklichen Gestalter der digitalen Transformation sehr genau anzusehen. Dies bedeutet, von den Erfahrungen und dem Wissen der High-Tech-Startups zu lernen und funktionierende Verfahren und Geschäftsmodelle des E-Business an geeigneter Stelle zu übernehmen. Der erste Schritt dahin kann einfacher sein, als man denkt: Im Zweifelsfall ist das nächste „Digital Startup Meetup“ in der eigenen Stadt nur ein paar Klicks entfernt.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

42010
Titelthema       Innovationsmanagement

Innovationsmanagement in KMU? Status Quo, Probleme und Lösungen

von Swetlana Franken

Artikel lesen


62010
Trends       Innovationsmanagement

Kopieren statt innovieren - die Benchmark-Falle

von Jens-Uwe Meyer

Artikel lesen


32010
Praxis Wissensmanagement       Social Media

Berichten, Koordinieren, Probleme lösen mit Enterprise Microblogging

von Alexander Richter, Kai Riemer

Artikel lesen


32010
Praxis Wissensmanagement       Social Media

Firmenblog - das Fenster ins Unternehmen

von Dirk Beckmann, Nicole Haase

Artikel lesen


42010
Titelthema       Innovationsmanagement

Ideenmanagement 2.0 - Gemeinsam Ideen entwickeln, bewerten und auswählen

von Michael Durst, Stefanie Stang

Artikel lesen


Unsere Empfehlungen