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6/2002
Editorial Wissensmanagement

Kommt Tante Emma aus dem Ruhestand zurück?

von Dr.-Ing. Wolfgang Sturz

Früher wusste Tante Emma an der nächsten Straßenecke ganz genau, wer lieber Gouda statt Emmentaler aß - und legte, wenn es knapp wurde, dem Stammkunden auch mal ein Stück zurück. "Der Kunde ist König", stand auf dem Schild an der Wand über den Regalen und das war keine Floskel. Dann kamen die Supermärkte, in denen alles super war - nur nicht die Kundenbetreuung.

Früher wusste Tante Emma an der nächsten Straßenecke ganz genau, wer lieber Gouda statt Emmentaler aß - und legte, wenn es knapp wurde, dem Stammkunden auch mal ein Stück zurück. "Der Kunde ist König", stand auf dem Schild an der Wand über den Regalen und das war keine Floskel. Dann kamen die Supermärkte, in denen alles super war - nur nicht die Kundenbetreuung. Es gab zwar eine immense Vielfalt an Angeboten, doch der Kunde wurde anonym und austauschbar. Alles war größer, vieles war billiger, nichts war wie früher und plötzlich wurde aus dem König Kunden ein anonymes und entmündigtes Einkaufspotenzial. König wurden nun solche Leute wie der bayerische Kellner, der die gesamte Republik im Rekordtempo mit Hendl-Buden überzog.

Das hat sogar lange Zeit ganz ordentlich funktioniert. Es hat deshalb funktioniert, weil der Markt ein Anbietermarkt war. Das einzig Interessante am Kunden war dessen Bereitschaft, seine Kaufkraft relativ kritiklos einzusetzen. Supermärkte wurden fortan nicht mehr dort gebaut, wo der inzwischen abgesetzte König Kunde wohnte, sondern dort, wo die Grundstückspreise den neuen Kaufhauskönigen eine Profitmaximierung ermöglichten. Heute ist die Zeit des Anbietermarktes vorbei und wir haben in fast allen Branchen einen Käufermarkt. Wenn das Hendl ihm nicht schmeckt, geht auch der deutsche Michel halt zwei Häuser weiter zur Döner-Bude. Wenn der Autohändler nicht einige hochwertige Extras drauflegt, holt er sein Auto in Dänemark. Und wenn die große Airline das Frühstück abschafft und sich trotzdem verspätet, wechselt er zu RyanAir.

Die Anbieter spüren das - und die guten unter ihnen lernen schnell. In immer mehr großen Kaufhäusern bekommt man heute plötzlich das Gefühl, die liebe gute Tante Emma sei zurückgekehrt und habe gerade das gesamte Verkäuferteam geschult. Kunden überlegen sich, woher sie die freundliche Kassiererin kennen, die sie mit Namen begrüßt. Und was bei der Tante Emma die Flasche Wein zum Geburtstag war, ist heute die individualisierte und auf Büttenpapier gedruckte Glückwunschkarte, die der Kaufhauschef "ganz persönlich" und handsigniert zusammen mit einem Rabattgutschein verschickt. Diesen Aufwand treibt der Kaufhauschef natürlich nicht uneigennützig. Der Rabattgutschein unterliegt einem knallharten Kalkül und es lässt sich leicht ausrechnen, dass der Gewinn aus dem damit ausgelösten Mehrumsatz den Preisnachlass meist bei Weitem übertrifft - zu Lasten der Wettbewerber.

Kundenorientierte Verkäufer geben sich jede erdenkliche Mühe, den Kunden wieder zu inthronisieren. So speichert der Bekleidungsspezialist die Kleidungsgrößen und sonstige Präferenzen seiner Kunden, um bei Anproben schneller etwas Passendes bieten zu können. Der Apotheker speichert sämtliche Informationen über den Medikamenteneinkauf und kann dadurch sogar vor gefährlichen Inkompatibilitäten warnen, aber auch rechtzeitig an notwendige Nachlieferungen erinnern. Der Autohändler erinnert per Brief an die Fälligkeit von ASU- und TÜV-Terminen und freut sich, wenn der Kunde dann gleich auch den Kundendienst machen lässt.

Ist Tante Emma also aus dem Ruhestand zurückgekehrt? Nein, denn sie hatte damals einen kleinen, überschaubaren Kundenkreis und war in ihrem Dorf ohne Konkurrenz. Heute kommt der Kunde aus dem globalen Dorf und hat sein Domizil nicht zwei Blocks, sondern vielleicht zwei Ländergrenzen weiter. Tante Emma konnte sich alle wichtigen Sachen über ihre Kunden noch merken. Heute sind die Kundenlisten so groß, dass eine persönliche Betreuung wie bei Tante Emma sich nicht realisieren lässt. Stattdessen gibt es heute Tante-Emma-Software, in der das gesamte Wissen über den gläsernen Kunden gespeichert werden kann. Weil aber wohl nur das ankommt, was keinen deutschen Namen trägt, wurde diesen Konzepten der modernen Kundenbetreuung ein englisches Etikett angehängt: Customer Relationship Management, kurz CRM.

Greifen Sie nun aber auf keinen Fall sofort zum Telefonhörer, um eine CRM-Software zu bestellen. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich genau so sinnstiftend wie der Ferrari als Geburtstagsgeschenk für Ihren 14-jährigen Sohn. Die Bandbreite an CRM-Lösungen ist nämlich genau so groß wie die Auswahl an Transportmöglichkeiten, um von A nach B zu kommen, angefangen beim Fahrrad bis hin zum besagten Ferrari. Lesen Sie vor weiteren Entscheidungen erst einmal die Beiträge, die wir im vorliegenden Heft dem Schwerpunktthema CRM gewidmet haben. Auf der CRM-EXPO am 13. und 14. November in Köln können Sie sich weiter orientieren, um danach besser zu entscheiden, ob Ihr Unternehmen für die Kundenbetreuung einen Ferrari, einen Motorroller oder gar nur ein Fahrrad benötigt.

Ich möchte mich bereits jetzt bei Ihnen für Ihre Treue im vergangenen Jahr bedanken. Eine schöne Advents- und Weihnachtszeit - mit möglichst wenig lästiger Werbepost aus falsch aufgesetzten CRM-Systemen - und alles Gute für das Jahr 2003 wünscht Ihnen

Ihr Wolfgang Sturz


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