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3/2013
Kolumne Kolumne

Lass dich irritieren!

von Gabriele Vollmar

Workshops zum Thema Wissensmanagement beginne ich gerne mit einer einfachen Bilderbuchgeschichte, der Geschichte „Fisch ist Fisch“ von Leo Lionni. Darin erzählt ein Frosch seinem Freund aus gemeinsamen Kindertagen – einem Fisch – von seinem aufregenden Leben an Land. Und er beschreibt dabei auch die Lebewesen, die er dort gesehen hat. Der Fisch stellt sich daraufhin diese Lebewesen vor, z.B. die Kuh gewissermaßen als Fisch auf vier Beinen mit Hörnern und Euter, aber eben auch mit Flossen. Sie können sich vorstellen, dass diese kleine Geschichte ein guter Aufhänger ist, um die Schwierigkeiten des Wissenstransfers anschaulich zu machen ...

Workshops zum Thema Wissensmanagement beginne ich gerne mit einer einfachen Bilderbuchgeschichte, der Geschichte „Fisch ist Fisch“ von Leo Lionni. Darin erzählt ein Frosch seinem Freund aus gemeinsamen Kindertagen – einem Fisch – von seinem aufregenden Leben an Land. Und er beschreibt dabei auch die Lebewesen, die er dort gesehen hat. Der Fisch stellt sich daraufhin diese Lebewesen vor, z.B. die Kuh gewissermaßen als Fisch auf vier Beinen mit Hörnern und Euter, aber eben auch mit Flossen. Sie können sich vorstellen, dass diese kleine Geschichte ein guter Aufhänger ist, um die Schwierigkeiten des Wissenstransfers anschaulich zu machen, um für eine Auffassung von Wissen als subjektiver Konstruktion zu sensibilisieren usw. Und in der Regel gehen die DiskussionenmitdenWorkshop- Teilnehmern auch in diese Richtung und damit letztendlich in eine Bewertung der Vorstellung des Fisches von einer Kuh als „falsch“. Kürzlich jedoch hat mich eine Teilnehmerin überrascht: Sie führte an, dass in dieser „verrückten“ Vorstellung des Fisches doch eigentlich ein kreatives Moment und wertvolles Innovationspotenzial liege. Ein interessanter Gedanke, oder? „Falsch Denken“ als Weg zur am Ende richtigen Idee? Oder nach Albert Einstein: „Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, gibt es keine Hoffnung für sie“?

Doch wie passt das zusammen mit unserer tief verwurzelten Auffassung von Wissen als „gerechtfertigtem wahren Glauben“ (Plato)? Als stabile und gesicherte Grundlage für Entscheidungen? Wie weit sind wir in der Lage, uns irritieren zu lassen? Das verlässliche „knowing“ zu ersetzen durch ein Freiräume eröffnendes „maybe knowing“, wie Günther Szogs zwei Beiträge zur „cross-fertilization of knowledge and art“ in den GfWM THEMEN 3 & 4 u?berschrieben hat (http://www. gfwm.de/node/8)? Und wie soll das überhaupt gehen? Wie kann Wissen, können Überzeugungen erschüttert werden? Und warum ist dies wu?nschenswert?

Warum also? Nun, eine klassisch systemtheoretische Definition von Wissen lautet ungefähr so: Wissen ist das kondensierte Resultat kognitiver Erwartungen, d.i. eine relativ (!) enttäuschungsfest stabilisierte Sinnform (knowing), die aber eigene Änderungsbereitschaft immer mitkommuniziert (maybe knowing). Ohne Änderungsbereitschaft wäre Stillstand, ein Ende des Lernens und damit das Risiko des Scheiterns, weil ohne Lernen keine Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen mehr stattfände. Stabilität um jeden Preis in einer nun einmal volatilen Umwelt funktioniert nicht.

Die Frage nach dem „Wie“ lässt sich weniger einfach beantworten. Erinnern wir uns aber an die Geschichte von Fisch und Frosch: Das Wissen des Fisches wurde erschüttert durch neues Wissen, das von draußen in sein System „Teich“ getragen wurde und das er neugierig aufgenommen hat. Ohne dabei nach einem konkreten Nutzen dieses neuen Wissens zu fragen. Vielleicht bleibt es ja nutzlos, vielleicht ist es aber auch Grundlage für eine bahnbrechende Innovation, wer wollte dies zu diesem Zeitpunkt schon entscheiden.

Wie können nun aber Irritation und Erschütterung „von außen“ zu uns vordringen? Hier komme ich wieder auf Günther Szogs und die wechselseitige Befruchtung von Kunst und Wissen zurück. Denn Kunst versteht sich per se als Irritation. Wenn wir uns auf sie einlassen, kann darin manchmal eine unerwartete und gänzlich ungeplante Bereicherung liegen.

So ging es mir zum Beispiel mit der Cellistin Zoe Keating. Diese erschafft als Solo-Musikerin, nur unterstützt durch eine loop-Software, komplexe Musikstücke, indem Sie kleine Elemente spielt und dabei aufnimmt, dann in einer loop wieder abspielt und mit weiteren Elementen kombiniert. Ihr dabei zuzusehen bzw. zuzuhören ist nicht nur ein faszinierendes sinnliches Erlebnis und eine intellektuelle Herausforderung, sondern auch eine wunderbare Darstellung des SECI-Modells zur Wissensgenerierung von Nonaka und Takeuchi, das plötzlich sinnlich greifbar und vorstellbar wird. Kunst als sinnliche Übersetzung eines abstrakten Konzeptes – wohlgemerkt nicht intendiert von Zoe Keating, sondern lediglich in meinem individuellen Kontext (meinem persönlichen Teich) so interpretiert, weil mir die Musik, oder generell Kunst – anders als das Wissen – diesen Freiraum der eigenen Interpretation und gedanklichen Fortführung (wenn auch in Bezug auf moderne Kunst von vielen als lästig und anstrengend empfunden) lässt.

Hören Sie doch mal rein und lassen Sie sich irritieren und anregen: www.youtube.com/watch

Ihre Gabriele Vollmar


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