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6/2012
Kolumne Wissenswertes

Das Ende der Altersteilzeit

von Gabriele Vollmar

Wenn von Wissensmanagement in Zeiten des demografischen Wandels die Rede ist, dann geht es dabei eigentlich immer um die Wissensweitergabe beim Ausscheiden älterer und erfahrener Mitarbeiter. Doch das ist nur ein (kleiner) Aspekt, denn das noch vor wenigen Jahren übliche „frühe“ Ausscheiden in die Altersteilzeit wird immer seltener.

Wenn von Wissensmanagement in Zeiten des demografischen Wandels die Rede ist, dann geht es dabei eigentlich immer um die Wissensweitergabe beim Ausscheiden älterer und erfahrener Mitarbeiter. Doch das ist nur ein (kleiner) Aspekt, denn das noch vor wenigen Jahren übliche „frühe“ Ausscheiden in die Altersteilzeit wird immer seltener. Vielmehr sollen Mitarbeiter – und mit ihnen ihr wertvoller Wissens- und Erfahrungsschatz – immer länger im Unternehmen bleiben. Vor allem, weil es zunehmend schwierig wird am Arbeitsmarkt Nachfolger für qualifizierte Fachkräfte zu finden. Das bekannte Projekt „Silver-Line“ bei Audi, in dem bei der Fertigung des Audi R8 mehr als ein Drittel des Teams älter als 40 Jahre war, ist längst keine Ausnahme mehr, sondern wird zur Regel: Nicht nur Audi rechnet damit, dass das Durchschnittsalter seiner Belegschaft von aktuell knapp über 41 Jahren bis 2020 auf über 49 Jahre steigen wird. Um ältere Mitarbeiter möglichst lange produktiv im Arbeitsprozess zu halten, investieren Unternehmen mittlerweile eine Menge – in Gesundheitsmanagement, Betriebssport oder ergonomische Arbeitsplätze. Was aber ist mit einem „altersergonomischen“ Wissensmanagement, um den viel gelobten Erfahrungsschatz überhaupt heben zu können? Oder ist Wissensmanagement alterslos?

Nein, ich denke nicht. „Wissensmanagement in Zeiten des demografischen Wandels“ sollte sich auch mit der Frage beschäftigen, welches Wissensmanagement alternde oder vielleicht besser deutlich altersgemischte Belegschaften benötigen. So lernen ältere Menschen zum Beispiel anders. Diversen Studien zufolge lernen Ältere deutlich praxisorientierter und hinterfragen sehr viel kritischer den konkreten Nutzen und die konkrete Anwendbarkeit auf den eigenen Arbeitskontext. Berücksichtigen unsere Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung dies?

A propos, Kompetenzmanagement: Wie viele Unternehmen kennen Sie, die in die Weiterentwicklung von Mitarbeitern über 50 nicht mehr investieren und nur „die Jungen“ auf Seminare schicken. Sei es, weil es als nicht lohnend erachtet wird, einen älteren Kollegen „noch“ weiterzubilden, sei es weil älteren Kollegen tendenziell Lernunwilligkeit oder –unfähigkeit unterstellt wird. Die persönliche Motivation zum Lernen hängt aber unter Umständen schlicht auch mit der Art des Lernangebotes zusammen (s.o.) oder mit fehlenden Karriereanreizen, weil ab einem bestimmten Alter die Aufstiegsmöglichkeiten in der Hierarchie für beendet erklärt werden? Dies rührt noch an ein weiteres – altersunabhängiges – Thema, nämlich das der Expertenlaufbahn in Unternehmen: Wie können (Karriere-) Anreize für Wissensarbeiter geschaffen werden, die sich nicht in eine klassische Führungsposition entwickeln sollen und oft auch wollen. Doch dies ist ein weites Feld und ein Thema für eine andere Kolumne an dieser Stelle.

Bleiben wir noch kurz bei der persönlichen Motivation: Ältere Mitarbeiter hinterfragen nicht nur beim Lernen den klaren Nutzen deutlich kritischer, sondern tun dies generell. D.h. auch Wissensmanagement- Angebote müssen diese Nutzenfrage – und dies nicht nur auf der Ebene des organisationalen Nutzens, sondern auch des ganz persönlichen Nutzens – noch viel deutlicher beantworten, um zu einer aktiven Teilnahme zu motivieren. Und diese ist dringend notwendig, denn alle Unternehmen, die bereits Erfahrungen mit dem bewussten Einsatz älterer Mitarbeiter gemacht haben, berichten, dass vor allem altersgemischte Teams oder Tandems hier einen großen Nutzen stiften – wenn denn auch der notwendige Austausch- und Wissensprozess effektiv unterstützt wird, und hier ist genau ein „alterssensibles“ Wissensmanagement gefragt, dass das miteinander und voneinander Lernen in solchen Teams fördert und fordert.

Und schließlich sollten wir nicht vergessen, dass ältere Mitarbeiter im besten Falle digital immigrants sind, also Menschen, die mit den neuen (sozialen) Medien nicht selbstverständlich aufgewachsen sind, sondern sich diese angeeignet haben. Auch hier zeigen aktuelle Untersuchungen, dass diese digital immigrants bei aller grundsätzlicher Bereitschaft und Aufgeschlossenheit in dieser Umwelt grundsätzlich zurückhaltender und kritischer agieren und z. B. die Verwendung von persönlichen Daten, Urheberrecht usw. einen höheren Stellenwert einnimmt. Auch hier müssen wir als Wissensmanager bei der Einführung von Werkzeugen des „Wissensmanagement 2.0“ diesem Rechnung tragen.

Wissensmanagement in Zeiten des demografischen Wandels hat Potenzial und wird benötigt – wenn es mehr ist als der Wissenstransfer beim Ausscheiden.


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