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6/2011
Kolumne Wissenswertes

Sackgasse Problemlösungsorientierung

von Gabriele Vollmar

Nicht jammern und klagen, sondern eine patente Problemlösung zur Hand haben! Haben wir das alle nicht längst verinnerlicht? Im Sinne von Effizienz, Effektivität, Exzellenz und all der anderen von Beratern und Managern gern bemühten E-Wörtern? Und im Sinne unserer Vorgesetzten (oder Kunden), die nun mal keine Probleme (sondern ausschließlich Lösungen) mögen.

Nicht jammern und klagen, sondern eine patente Problemlösung zur Hand haben! Haben wir das alle nicht längst verinnerlicht? Im Sinne von Effizienz, Effektivität, Exzellenz und all der anderen von Beratern und Managern gern bemühten E-Wörtern? Und im Sinne unserer Vorgesetzten (oder Kunden), die nun mal keine Probleme (sondern ausschließlich Lösungen) mögen.

Problemlösungsorientierung ist also eine erwünschte und gern gesehene Kompetenz bei Mitarbeitern. Was aber, wenn wir damit munter und dabei immer zielorientiert in eine Sackgasse rennen?

Lassen Sie uns doch einmal – ohne jetzt gleich „Vom Nutzen ungelöster Probleme“ zu schwärmen, wie Dirk Baecker und Alexander Kluge in ihrer gleichnamigen Essaysammlung, – die Sache von der anderen Seite betrachten! Was also sind die Nachteile der Problemlösungsorientierung (abgesehen von der schieren Anzahl der Buchstaben)?

Dort, wo nicht das Problem, sondern immer nur dessen Lösung erwünscht ist, nehmen wir uns die Chance, das Problem selbst eingehend zu betrachten und zu erfassen. Albert Einstein meinte dazu: „The mere formulation of a problem is far more often essential than its solution, which may be merely a matter of mathematical or experimental skill. To raise new questions, new possibilities, to regard old problems from a new angle requires creative imagination and marks real advances in science.“

Das Kreativitäts- und Innovationspotenzial liegt also nicht in der Lösung, sondern im Problem. Und mit unserer Fixierung auf die (schnelle) Problemlösung nutzen wir dieses Potenzial allzu oft nicht. Im Streben nach vermeintlicher Stabilität weichen wir der Irritation und Verunsicherung, die ein Problem mit sich bringt, solange es eben nicht gelöst ist, aus. Und vergeben damit die Chance, tatsächlich und tief greifend zu lernen – sowohl als Individuum als auch als Organisation.

Denn wie können wir wahrhaft lernen, wenn wir uns unser Unwissen nicht eingestehen? Und ungelöste Probleme tun genau das: Sie konfrontieren uns mit unserem Unwissen. Zugegeben, eine unbequeme Vorstellung, der wir mit Hilfe der schnellen Problemlösung ausweichen. Doch allzu oft vielleicht nur scheinbar und oberflächlich, weil wir mangels eingehender Beschäftigung und – ja! – Wertschätzung des Problems auch die Untiefen des Unwissens – und die Weite des möglichen Wissens (?) – gar nicht erfasst haben. Echtes Lernen findet so jedenfalls nicht statt, oder?

Die Definition des Begriffes Problem besagt übrigens, dass ein Problem eine Aufgabe oder Streitfrage darstellt, deren Lösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Schwierigkeit gehört also wesentlich zum Problem und sollte nicht mit der schnellen Lösung weggewischt, sondern vielleicht immer wieder auch bewusst thematisiert werden (auch wenn es Ihr Chef nicht gerne hört). Denn „per aspera ad astra“, nur über raue Pfade gelangt man zu den Sternen (auf den bequemen kommen wir immer nur zu den Energiesparlampen).

Ihre

Gabriele Vollmar


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