2019/8 | Fachbeitrag | Digitale Transformation

Welche Kompetenzen brauchen „Digital Leader“?

von Barbara Liebermeister, Patrick Merke

Inhaltsübersicht:

„Welche Kompetenzen brauchen Führungskräfte, um im Zeitalter der Digitalisierung erfolgreich zu führen?“. Um dies zu ermitteln, analysierte das Institut für Führung im digitalen Zeitalter (IFIDZ) 61 Studien und Umfragen zum Thema Führung aus den Jahren 2012 bis 2018, an denen über 100.000 Personen teilnahmen – meist Führungskräfte, zum Teil jedoch auch Mitarbeiter und Wissenschaftler.

Beim Auswerten der Primärstudien für die IFIDZ-Metastudie „Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter“ wurde unter anderem untersucht, welche Kompetenzen werden in den Studien als relevante Führungskompetenzen genannt. Danach wurde entsprechend der Häufigkeit ihrer Nennung ein Kompetenz-Ranking erstellt.

Dieses Ranking zeichnet kein abschließendes Bild der relevanten Führungskompetenzen im digitalen Zeitalter – auch weil die Diskussion darüber, welche Kompetenzen Führungskräfte brauchen, eine fortlaufende ist, die in einem sich verändernden Umfeld erfolgt. Zudem verändert sich In ihrem Verlauf die genutzte Terminologie.

So werden zum Beispiel in den 2012 bis 2015 erschienenen Studien die Begriffe Agilität, Ambidextrie und Disruption noch recht selten verwendet, weshalb sie in der Metastudie auch nicht in den Top-20 der am häufigsten genannten Kompetenzen stehen (siehe Grafik). Anders sieht dies in den im Zeitraum 2016 bis 2018 erstellten Studien aus. In ihnen spielt zumindest der Begriff Agilität fast durchgängig eine wichtige Rolle.

Analoge, analogitale und digitale Kompetenzen

Das Kompetenz-Ranking listet 86 Kompetenzen auf, die den Primärstudien zufolge, eine Relevanz für den Führungserfolg haben. Die am häufigsten genannten Kompetenzen sind:

  • Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent),
  • Veränderungsfähigkeit (39 Prozent) und
  • Wertschätzung/Mitarbeiterorientierung (33 Prozent).

In der Metastudie werden drei Kompetenz-Arten unterschieden.

  • „Analoge“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die bereits im „vor-digitalen Zeitalter“ (z. B. in den 1980er Jahren) bekannt und relevant waren und sich in ihrem Wesen und Inhalt nicht oder nur marginal geändert haben.
  • „Analogitale“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die zwar schon im „vor-digitalen Zeitalter“ bekannt und relevant waren, sich aber durch die Digitalisierung in ihrem Wesen und Inhalt signifikant verändert haben.
  • „Digitale“ Kompetenzen: Sie umfassen Kompetenzen, die im „vor-digitalen Zeitalter“ entweder noch nicht existierten oder kaum Bedeutung hatten und erst im Kontext der Digitalisierung relevant wurden.

Die in den Primärstudien am häufigsten genannten „analogen“ Kompetenzen sind:

  • Veränderungsfähigkeit (39 Prozent),
  • Wertschätzung (33 Prozent) und
  • Innovationsfähigkeit (30 Prozent).

Die am häufigsten genannten „analogitalen“ Kompetenzen sind:

  • Kommunikationsfähigkeit (57 Prozent)
  • Netzwerkfähigkeit (26 Prozent) und
  • Entscheidungsfähigkeit (25 Prozent).

Die am häufigsten genannten „digitalen“ Kompetenzen sind:

  • Transparenzorientierung (31 Prozent),
  • Digital-/IT-Kompetenz (28 Prozent) und
  • Heterarchiefähigkeit (26 Prozent).

Aus der Auswertung der Primärstudien, die der Metastudie zugrunde liegen, lassen sich folgende Schlüsse bzw. Ergebnisse ableiten.

Ergebnis 1: Die Anforderungen an Führungskräfte werden vielfältiger.

Den Primärstudien zufolge sollte eine Führungskraft im digitalen Zeitalter im Idealfall 86 Kompetenzen haben. Das heißt, die Anforderungen an Führungskräfte sind so vielschichtig und komplex, dass die perfekte Führungskraft als „Master of the Universe“ erscheint.

Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass viele der in den Primärstudien genannten Kompetenzen (bzw. Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale) in einer Wechselbeziehung zueinander stehen. Außerdem ändert sich die Terminologie. So werden zum Beispiel in den bis 2015 publizierten Studien recht häufig die Begriffe „Schnelligkeit“ und „Flexibilität“ als Kompetenzen genannt, in den später erschienenen Studien hingegen dominiert der Begriff „Agilität“. Zudem ist mal von „Motivationsfähigkeit“, mal von „Inspirationsfähigkeit“ und mal von damit verknüpften Eigenschaften wie „Vorbild sein“ und „Visionär sein“ die Rede. Deshalb ist Fazit zulässig: Führung ist im digitalen Zeitalter zwar anspruchsvoll, jedoch keine Aufgabe nur für „Super-Menschen“.

Ergebnis 2: Kommunikationsfähigkeit ist die Top-1-Kompetenz!

Kommunikationsfähigkeit ist die mit Abstand am häufigsten genannte Kompetenz. In über der Hälfte der Studien (57 %) wird sie als wichtige Führungskompetenz genannt.

Dabei fällt auf: Insbesondere die „dialogischen Kommunikationsfähigkeiten“ (wie Feedback-geben, Zuhören, Coachen) werden als erfolgsrelevant gesehen. Der Dialog mit den Mitarbeitern wird im digitalen Zeitalter als bedeutsamer für den Führungserfolg erachtet als der auf dem hierarchischen System basierende Top-down-Monolog mit ihnen.

Ergebnis 3: Führungskräfte sind auch Change-Manager und -Leader!

Die am zweithäufigsten genannte Kompetenz ist mit 39 Prozent die Veränderungsfähigkeit. Dabei sind die Handlungsfelder der Veränderung sehr umfassend. Sie beziehen sich u.a. auf die Prozesse und Strukturen, (Mitarbeiter-)Beziehungen und Erwartungen, Geschäftsmodelle und-strategien, Haltungen und Einstellungen und selbstverständlich auch auf das Führen selbst.

Dabei zeigen die Primärstudien deutlich: Der permanente Wandel ist im digitalen Zeitalter die größte Herausforderung für Führungskräfte. Führungskraft sein, bedeutet künftig zugleich Change-Manager und -Leader zu sein. Das Thema Change mit all seinen Voraussetzungen und Wirkungen ist nicht ein, sondern das Führungsthema.

Ergebnis 4: Der Mensch steht im Zentrum des Führungsprozesses!

Zu den Top-Kompetenzen von Führung zählen künftig auch die „Wertschätzung“ bzw. „Mitarbeiterorientierung“ mit 33 Prozent auf Rang 3. Dahinter steckt die Anforderung, den Menschen bzw. Mitarbeiter ins Zentrum des Führungsprozesses zu stellen. Der Fokus des Führungshandelns sollte stärker auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter sowie deren Potenziale, Stärken und Schwächen liegen.

Die hohe Bedeutung der Mitarbeiterorientierung ist ein Indiz dafür, dass sich Führung aus der Umklammerung des „sachlichen Managements“ löst. Im Zentrum der Führungsarbeit steht künftig stärker das Motivieren, Integrieren, Befähigen und Ermächtigen – oder kurz Führen – der Mitarbeiter und weniger das Managen des Betriebsalltags.

Ergebnis 5: Transparenzorientierung ist eine neue Führungskompetenz!

Zu den Top-Kompetenzen zählt auch die „Transparenzorientierung“ mit 31 Prozent auf Rang 4. Dahinter steckt die Anforderung an Führungskräfte, vor allem in den Beziehungen zu den Mitarbeitern und Kollegen für meine Transparenz zu sorgen – u.a. bezüglich der (eigenen) Werte und Ziele, des geplanten Vorgehens, der internen und externen Zwänge. Denn: Transparenz schafft Vertrauen, wirkt motivierend und bildet eine Grundlage für ein eigenständiges und -verantwortliches Arbeiten. „Transparenzorientierung“ sollte als neue Kompetenz im digitalen Zeitalter stärker im Fokus der Führungskräfteentwicklung stehen, denn: Transparenz ist ein Wesensmerkmal der Digitalisierung und modernen Teamarbeit und zugleich ein Führungsinstrument.

Ergebnis 6: Digitalkompetenz ist wichtig, jedoch nicht am wichtigsten!

Auffallend ist, dass die „Digitalkompetenz“ mit 28 Prozent nur auf Rang 7 im Kompetenz-Ranking steht – obwohl viele Unternehmen sich aktuell im digitalen Transformationsprozess befinden. Dies liegt primär daran, dass Führung auch im digitalen Zeitalter ein weitgehend analoger Prozess bleibt, in dem der Faktor Vertrauen eine zentrale Rolle spielt. In ihm benötigen die Führungskräfte im Digital-Bereich zwar eine Beurteilungskompetenz, um entscheidungs- und handlungsfähig zu sein. Die (Fach-)Experten bzw. Spezialisten in diesem Bereich sind sie in der Regel jedoch nicht, weshalb die „Digitalkompetenz“ auch keine zentrale Schlüsselkompetenz von ihnen ist.

Bei Führungskräfteentwicklung inkrementell vorgehen

Aktuell überdenken viele Unternehmen ihre Führungskräfteentwicklung, weil ihnen bewusst ist, dass ihre Führungskräfte im digitalen Zeitalter ein teils anderes Kompetenzprofil brauchen. Unklar ist ihnen aber oft noch, welche Kompetenzen dies konkret sind. Die Ergebnisse der Metastudie geben ihnen diesbezüglich einige Impulse.

Beim Entwickeln ihrer neuen Führungskräfte-Entwicklungsprogramme sollten die Unternehmen – wie beim Bearbeiten solcher Themen wie „Innovation“ und „Agilität“ – inkrementell und iterativ vorgehen. Das heißt, sie sollten im Dialog mit ihren Führungskräften einen (Lösungs-)Versuch wagen, dann die Erfahrungen reflektieren und anschließend das Vorgehen neu oder nach-justieren.

Ein Dialog mit den Führungskräften hierüber ist wichtig, damit bei ihnen nicht das Gefühl entsteht „Wir werden beim Entwickeln unserer Kompetenz allein gelassen“. Er ist auch wichtig, damit sich die Suche der Führungskräfte nach Antworten auf die Frage „Wie sollen wir im digitalen Zeitalter führen?“ in dieselbe Richtung bewegt und in der Organisation allmählich eine neue gemeinsame Führungskultur entsteht.

 

 

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