2018/8 | Fachbeitrag | Weiterbildung

Was und wie: Die zentralen Fragen des Future Learning

von Christian Friedrich

Inhaltsübersicht:

Folgende Differenzierung hilft, die Herausforderungen im Bereich Weiterbildung und Wissensmanagement zu verstehen: Wir stehen zum einen tagtäglich vor Aufgaben, die sich aus dem aktuellen Tagesgeschäft ergeben und womöglich völlig neu für uns sind. Hierfür brauchen wir kurze, exakte Informationen und Hilfestellung, die sich auf den Kontext beziehen und sich direkt im Arbeitsalltag anwenden lassen. Zum anderen werden künftig Rollen und Aufgaben auf uns zukommen, die in ihrer Ausprägung noch nicht absehbar sind.

Diese Differenzierung macht – gerade im Kontext von Transformationsprozessen – deutlich, dass wir in der Qualifizierung einen Schritt weiterdenken müssen: Maßnahmen der Personalentwicklung müssen sowohl auf individueller als auch auf organisatorischer Ebene ganzheitlich wirken. So kann Weiterbildung die Weiterentwicklung von einzelnen Mitarbeitern, Teams aber auch der ganzen Organisation vorantreiben.

Situative und strategische Weiterbildung

Weiterbildung sollte also zwei unterschiedliche Arten des Wissensbedarfs abdecken:

  1. Eine in die Zukunft gerichtete strategische Qualifizierung, die sich auf zu erfüllende Rollen bezieht. Voraussetzung dafür ist ein nachhaltiger Lernprozess, bei dem es mit Blick auf die Unternehmensziele um eine strategische und rollenbezogene Weiterentwicklung der Mitarbeiter geht.
  2. Eine situative Qualifizierung für Aufgaben im konkreten Bedarfsmoment. Hier findet Lernen situativ, individuell und in der Anwendung statt – je nach Business-Need und den jeweils anstehenden Aufgaben. Ziel ist, zeitnahen businessrelevanten Output zu generieren.

Um diese beiden Aspekte in einem ganzheitlichen Ansatz zu vereinen, muss die Personalentwicklung umdenken. Dieses Umdenken soll dabei über Methoden, Formate und Zugangswege zur Weiterbildung hinausgehen – es geht um eine Neuausrichtung der Personalentwicklung. Wenn wir zwischen strategischer und situativer Qualifizierung unterscheiden, wird sich dies auch auf die Granularität der Formate und Entwicklungsbausteine auswirken. Während situative Weiterbildung Micro-Formate erfordert, um für die konkrete Situation relevante Ergebnisse zu erzeugen, sind für die strategische Qualifizierung weitaus komplexere Maßnahmen erforderlich. Hier gilt es, die Entwicklung des Mitarbeiters hin zu völlig neuen Rollen und Aufgabengebieten voranzutreiben.

Informelle Lernprozesse: allgegenwärtig, aber noch zu wenig beachtet

Doch wie wird in Organisationen gelernt? Aktuell kann man zwischen zwei Lernprozessen unterscheiden: Zum einen formelle und somit steuerbare Lernprozesse, die durch die Personalentwicklung in der Organisation ausgerollt werden. Zum anderen informelle Lernprozesse, die sich am persönlichen und situativen Bedarf ausrichten und kaum systematisch steuerbar sind. Obwohl informelle Prozesse einen Großteil des tatsächlichen Lernens ausmachen, findet nur in wenigen Unternehmen eine Kopplung dieser beiden Prozesse statt.

Damit Weiterentwicklung aber nachhaltig wirkt, sollte genau dieser ganzheitliche Anspruch verfolgt werden. Dafür müssen folgende Prozesse in direkten Kontakt zueinander gebracht werden: Lernen und Arbeiten, strategiebezogene Entwicklung und situativer Bedarf sowie formelles und informelles Lernen.

Status quo: Personalentwicklung bedient nur 10 Prozent der Lernprozesse

Doch wie stehen formelles und informelles Lernen zueinander? Hier empfiehlt sich ein Blick auf das 70:20:10-Modell. Es besagt, dass circa 70 Prozent des Lernens durch individuelles „Learning while doing“ erfolgt. 20 Prozent werden während der Zusammenarbeit mit anderen sowie im Austausch bzw. durch situatives Feedback und Mentoring gelernt. Lediglich 10 Prozent des Lernens erfolgen durch formelle Lernprozesse wie Trainings, Seminare oder Weiterbildungen, ganz unabhängig davon, ob die Formate analog oder digital sind. Wer einen Blick in die eigene Organisation wirft, wird schnell erkennen: Personalentwicklung legt den Fokus meist ausschließlich auf diese 10 Prozent des Lernens. Was wiederum die Frage aufwirft: Was ist mit den restlichen 90 Prozent?

Erfolg hat, wer mehrdimensional denkt

Aus dem 70:20:10-Modell lässt sich zum einen ableiten, dass die Personalentwicklung geeignete Methoden, Formate und Tools bereitstellen muss, die individuelle und personalisierte Zugangswege zu Kompetenzentwicklung erlauben – und diese sowohl in einzelnen Teams also auch organisationsübergreifend eingesetzt werden können. Zum anderen brauchen wir Verbindungen zwischen formellen und informellen Lernprozessen, damit Lernen wirklich auch im Arbeitsprozess stattfinden kann.

Diese Anforderungen verlangen nach einer mehrdimensionalen Lösung. Deshalb ist die Haufe Akademie aktuell dabei, ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Ziel ist…

  • formelle und informelle Lernprozesse zu verbinden,
  • die Kompetenz von Teams und Mitarbeitern personalisiert und bedarfsorientiert weiterzuentwickeln,
  • ein organisationsweites Talentmanagement zu ermöglichen,
  • nachhaltig wirkende Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen,
  • Transformationsprozesse von Organisationen voranzutreiben und zu unterstützen.

Nur so kann Weiterbildung wirkungsvollen und businessrelevanten Output generieren. Doch wie ist das zu schaffen?

Digitales Lernen bringt formelles und informelles Lernen wieder näher zusammen

Neue Möglichkeiten für die Entwicklung mehrdimensionaler und ganzheitlicher eröffnet digitales Lernen. Dazu zählen:

  • Die Verbindung von formellen und informellen Lernprozessen durch Blended Learning, Online-Kurse, Mobile Learning, Webinare, Learning-on-demand Lösungen und Performance Support
  • Die aktive Förderung informeller Lernprozesse durch Micro-Contents, digitale Feedback-Kanäle und Kooperationsplattformen
  • Ein schneller und einfacher Zugriff auf aufgabenbezogene Ressourcen, relevantes Wissen und personalisierte Lernbausteine
  • Messbarkeit von Ergebniswirksamkeit und Businessrelevanz von Weiterbildung

Digitales Lernen öffnet personalisierte Zugangswege zu allen drei Lernräumen und erleichtert das Lernen im konkreten Bedarfsmoment. So können Mitarbeiter mit Hilfe von Performance Support, Learning on Demand und Micro-Learning Aufgaben erfüllen und damit die 70 Prozent des „Learning while doing“ aus bereits erwähntem Modell erreichen. Für den 20 Prozent-Anteil des Austauschs und somit des voneinander Lernens bieten sich digitale Kommunikations- und Kollaborationsplattformen an.

Formelles Lernen: digital wider das Vergessen

Eine besondere Rolle spielt digitales Lernen auch bei den restlichen 10 Prozent: Hier hilft es, das Gelernte durch konkrete Handlungsimpulse vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu transferieren. Dies ist sehr wichtig, denn zwischen Seminaren oder Online-Kursen und der tatsächlichen Anwendung des Gelernten im Arbeitsalltag vergeht oft einige Zeit. Auch hier sind ganzheitlich gedachte Weiterbildungskonzepte der beste Weg, um den Transfer in den Arbeitsalltag aktiv zu fördern und zu unterstützen – sowohl für Teilnehmer als auch Führungskräfte bzw. die Organisation. Digitales Lernen bietet zudem konkret folgende Lösungen:

  • Transfer-Apps, beispielsweise in Form von Videosequenzen, die das Wiederholen, Reflektieren und Vertiefen fördern.
  • Micro-Content wie beispielsweise Kurzvideos für Situationen, die Learning-on-Demand erfordern.
  • Performance-Support im Bedarfsmoment wie beispielsweise durch elektronische Performance Support Systeme (EPSS). Diese gibt es klassischer Weise bei der Nutzung von Softwaresystemen und bieten Unterstützung bei der Identifizierung konkreter Prozesse oder Arbeitsschritte.

Last but not least: Die Frage nach dem „Why“ etabliert eine neue Lernkultur

Was hilft die beste Weiterbildungsstrategie, wenn die Bereitschaft zum Lernen oder zur Veränderung fehlt? Gerade in Zeiten des Wandels ist es für Mitarbeiter und Unternehmen entscheidend, dass der einzelne den Sinn bzw. das „Why“ der eigenen Arbeit kennt und weiß, welchen Beitrag er damit zum großen Ganzen leistet. Neben Tools und Strategie, ist es eine wichtige Aufgabe für HR und Personalentwicklung, den Sinn der Arbeit und mit ihr auch die Notwendigkeit von Weiterentwicklung an die Mitarbeiter zu vermitteln. Denn: Kennen die Mitarbeiter den Grund sind sie bereit, sich die Basis für das Know-how zu schaffen und sich für das Lernen neuer Inhalte zu engagieren.

Ganzheitliches Lernen ist Future Learning

In Zeiten des digitalen Wandels und der enormen Informationsfluten ist es die Aufgabe der Personalentwicklung, Mitarbeiter dazu zu befähigen, mit den massiven und rasanten Veränderungen Schritt zu halten. Wichtig ist es, das Lernen am Arbeitsplatz als selbstverständlichen Teil der Unternehmenskultur zu verankern. Noch allzu oft herrscht in den Unternehmen die Ansicht vor, Lernen sei keine Arbeit. Ganzheitliche Weiterbildung kann aber nur zu einem Erfolg werden, wenn Lernen am Arbeitsplatz zu einer akzeptierten Selbstverständlichkeit wird. Dafür braucht es eine ganzheitliche Weiterbildungsstrategie, die formelle und informelle Lernprozesse sowie digitale und analoge Formate so verbindet, dass das Lernen wirklich im Kontext der Arbeit stattfinden kann – und seine volle Wirkung entfalten kann. Nur so können Mitarbeiter die strategischen und situativen Kompetenzen entwickeln, die sie für ihre Aufgaben benötigen. Langfristig werden es diese Faktoren sein, die relevante Businessergebnisse und anhaltenden Unternehmenserfolg gewährleisten.

 

 

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