2004/2 | Fachbeitrag | Wissensaustausch

Systematischer Wissenssaustausch bringt Umsatzwachstum

von Leonhard Fromm

Von Leonhard Fromm

 

 

Monatlich beantworten die Geschäftsführer der

40 Niederlassungen des Seil- und Hebespezialisten Carl Stahl schriftlich, welche

Erfolge sie in den vergangenen vier Wochen erzielt haben oder welche Neuentwicklungen

aktuell passieren. In der Firmenzentrale im schwäbischen Süßen

laufen die Fäden dieses systematischen Wissensaustauschs zusammen.

 

 

 

Bei der Carl Stahl GmbH in Süßen hat man begriffen, dass das wichtigste

Kapital eines Unternehmens seine Mitarbeiter sind. „Was meine Mitarbeiter

können und wissen, entscheidet über den Erfolg von morgen“,

sagt Firmenchef Willy Schwenger. Seit 1980 verdoppelt der Seil- und Hebespezialist

alle fünf Jahre seinen Umsatz auf zuletzt 130 Millionen Euro Jahresumsatz.

Die Folge: Mehr als 650 Mitarbeiter in weltweit 40 Niederlassungen arbeiten

für die einstige Seilerei.

 

 

 

Was damals per Zuruf und Aushang am schwarzen Brett im Betrieb funktionierte,

hat Seniorchef Willy Schwenger im Lauf der Jahrzehnte systematisiert. Jeweils

freitags gehen im Mutterhaus die E-Mails der 40 Niederlassungsleiter ein, in

denen diese auf deutsch oder englisch berichten, welche Projekte sie aktuell

bearbeiten, mit welchen Kunden sie verhandeln und welche Probleme und Erfolge

es gibt. Diese Informationen werden dann dienstags in der Geschäftsführung

besprochen und mögliche Hilfestellungen den Frontleuten angeboten.

 

 

Ein mehrseitiger Monatsbericht im Telegrammstil, der per E-Mail an alle Geschäftsführer

geht, fasst die Aktivitäten zusammen und bietet jeder Führungskraft

einen Überblick über die aktuellen Projekte und Problemstellungen

in der Zentrale. Halbjährliche Führungskräftekonferenzen und

eine Mitarbeiterzeitung ergänzen die virtuelle Kommunikation. Die Präsenzmeetings

finden seit kurzem auf Grund des rasanten Wachstums wahlweise auf Deutsch und

Englisch statt.

 

 

 

Die Autorität der Unternehmerpersönlichkeit Schwenger reicht, dass

sich alle Beteiligten in der Regel an die Fristen und Absprachen halten und

die aufbereiteten Informationen auch nutzen. Ein betriebswirtschaftliches Controlling

unterstützt die Kommunikationskultur, weil die Zusammenhänge von Wissen

und wirtschaftlichem Erfolg nachweisbar sind.

 

 

Dabei ist das Prinzip immer dasselbe: An irgendeiner Ecke des Unternehmens

wird eine Innovation erbracht, weil ein Mitarbeiter eine gute Idee oder ein

Kunde ein neuartiges Problem hatte. Über die Umsetzung der Idee oder die

Lösung des Problems wird das Gesamtunternehmen informiert und andere, die

dazu etwas beitragen können, somit aktiviert. Ein Prämiensystem honoriert

diese Mitarbeit. Zudem können die Carl-Stahl-Vertriebsleute überall

auf der Welt ab diesem Bekanntwerden weitere potenzielle Kunden ausmachen, denen

diese Innovation helfen könnte.

 

 

Die Firmengeschichte ist gepflastert mit solchen Beispielen: 1998 wurden erstmals

Carl-Stahl-Seile zur Abspannung eines Hubschrauberlandeplatzes auf einem 7-Sterne-Hotel

in Dubai verwendet. Die Experten streuten die Information in der internationalen

Architektenszene – und verkauften die Lösung seither weltweit mehrfach.

Ähnlich erschloss sich der einstige Hanfseilhersteller die Zoobau-Branche.

Für Affen- und Wildkatzen-Gehege lieferte Carl Stahl in Köln erstmals

spezielle Seile. Der Lieferant schaute so genau hin, dass er bald darauf in

weiteren Zoos als Generalunternehmer auftreten konnte und damit seine Wertschöpfung

vervielfachte.

 

 

 

Auf diese Weise stieg das Unternehmen auch ins Schmuck-, Medizintechnik- und

Fahrradgeschäft ein. Überall, wo Seile heben oder ziehen, schauen

die Mitarbeiter mit viel Phantasie und Lösungskompetenz über den eigenen

Tellerrand und nutzen die eigenen Vertriebskanäle. „Es ist beeindruckend,

mit welcher Qualität die Firma in einen neuen Markt geht und in diesem

rasch zur Branchenspitze aufschließt“, lobt Thomas Musch, Chefredakteur

des Tour-Magazin. Das branchenführende Rennradfahrerheft hatte im Dezember

2003 die Bowdenzüge von einem Dutzend Hersteller getestet. Mit seinen Nokons,

die im Test einen vorderen Platz belegten, hatte Carl Stahl 1999 dieses Anwendungsfeld

für Schalt- und Bremszüge entdeckt. Die Verkaufszahlen für die

hochwertige Technik haben sich seither jährlich verdoppelt. Im Jahr 2003

wurden 100.000 Bowdenzüge verkauft.

 

 

 

Auch im klassischen Geschäftsbereich funktioniert das Prinzip. Hatte die

Hamburger Tochterfirma Nordgreif bislang elektrohydraulische Coilgreifer nur

einzeln an Stahlwerke in Skandinavien und Deutschland geliefert, hat sie im

Herbst 2003 den ersten Großauftrag bekommen, in Vietnam ein komplettes

Stahlwerk mit Greifern auszurüsten. Seniorchef Willy Schwenger ist deshalb

zuversichtlich, auch 2004 sein Wachstumsziel trotz schwierigem wirtschaftlichem

Umfeld zu erreichen.

 

 

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