2009/1 | Fachbeitrag | Lebenslanges Lernen

Bildungsrepublik Deutschland – Lernen ein Leben lang?

von Gilla Vogel-Berquet

Inhaltsübersicht:

Weiterbildung von Unternehmen zielt heute darauf ab, den Einzelnen in seinen Fähigkeiten voranzubringen, Talente fokussiert zu entdecken und zu fördern sowie persönliche und soziale Kompetenzen zu erweitern im Sinne der Firmenanforderungen. Es geht darum, Neues zu erlernen, Bekanntes zu verdichten und individuelle Lernstrategien zu entwickeln. Wobei natürlich Qualifikationen alleine auch nicht zum gewünschten Erfolg führen, sondern nur im Zusammenspiel mit Können und Kompetenz, dazu braucht es neben Weiterbildungsmaßnahmen vor allem Erfahrung.

 

Weiterbildung in Zahlen

 

Nur jeder dritte Arbeitnehmer nahm im vergangenen Jahr in Deutschland an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen teil und der Trend zeigt, dass ältere Arbeitnehmer klar unterrepräsentiert sind. Vor allem nach dem 50. Lebensjahr nimmt die Beteiligung an entsprechenden Maßnahmen erheblich ab. Als Gründe könnte man vermuten, dass für erfahrene Arbeitnehmer mit dem Konzept der Weiterbildung noch immer eine negative Assoziation der mangelnden Kompetenz mitschwingt oder dass sie nicht mehr die Notwendigkeit sehen, ihr Wissen zu erweitern. Die lange Zeit geltende Annahme, wonach unser Gehirn nur in einem begrenzten Zeitfenster effektiv neues Wissen erwerben kann, hat die Wissenschaft längst widerlegt. Festgestellt hat sie unterdessen, dass ältere Menschen anders lernen und vor allem praxisnahe Trainings für die Generation 50plus gute Lernerfolge erzielen.

Die Bereitschaft und Offenheit gegenüber Soft-Skill-Kursen, aber auch fachlichen Weiterbildungsangeboten ist bei der Gruppe der bis 40-Jährigen erheblich größer. Doch auch hier sind es vor allem die Leistungswilligen, die ihr Wissen gezielt ausbauen. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bilden sich unter ihnen über zwei Drittel regelmäßig beruflich fort. Nach ihrer Motivation befragt, sagt die Mehrheit, dass sie so ihre beruflichen Aussichten verbessern wollen. Wer bereit ist, sich weiterzubilden muss auch bereit sein, sein eigenes Wissen zu hinterfragen, es auf den Prüfstand zu stellen und in Kauf nehmen, beim Üben Fehler zu machen.

 

Fehler gehören dazu

 

Wer lernt, macht Fehler. Für viele Erwachsene ist genau das ein Problem. Fehler können viele nur schwer akzeptieren, obwohl sie zum Lernprozess gehören. Wenn Kinder laufen lernen, dann fallen sie, werden für ihren Mut gelobt und ermutigt weiterzumachen, fallen wieder …

Erwachsene dagegen glauben oft selbst, dass Fehler Schwächen sind und darum um jeden Preis vermieden werden müssen. Wer sich jedoch keine Fehlertoleranz erlaubt, lernt nicht und stagniert zwangsweise.

 

Regel 3: Zuverlässigkeit und Qualität sind entscheidend.

 

Gregory Bateson hat ein viel zitiertes Anschauungsmodell entwickelt, welches den Lernprozess in vier Stufen gliedert:

  • Die erste Stufe bildet die „unbewusste Inkompetenz“; es ist einem gar nicht bewusst, dass man etwas nicht kann oder weiß.
  • Die zweite Stufe ist die „bewusste Inkompetenz“; hier ist man sich bewusst, dass man über eine Fähigkeit oder Wissen nicht verfügt und man übt diese Fähigkeit, ist aber noch nicht kompetent. In dieser Phase reagieren Erwachsene meist verunsichert. Anders als Kinder, die sich begeistert in neue Lernabenteuer stürzen und sich über die Möglichkeiten ihrer neuen Entdeckungen freuen, müssen Erwachsene erst ihre Ängste vor Fehlern und neuen Herausforderungen überwinden.
  • „Bewusste Kompetenz“ ist die dritte Stufe; hier verfügt man über eine Fähigkeit, diese ist jedoch noch nicht voll ausgereift und bedarf einer erhöhten Konzentration.
  • Wenn eine Fähigkeit zur Gewohnheit geworden ist, dann ist mit der „unbewussten Kompetenz“ die vierte Stufe erreicht.

Der Autor und NLP-Trainer Joseph O’Connor ergänzte dieses Modell um eine fünfte Stufe: „die Meisterschaft“. Diese beinhaltet für ihn „eine ästhetische Dimension – Meisterschaft ist effizient und außerdem wunderbar anzuschauen. Wenn Sie Meisterschaft erlangt haben, müssen Sie nichts mehr versuchen, […] Sie kommen in einen Flow-Zustand. Es kostet Zeit und Mühe dahin zu kommen, aber die Ergebnisse haben etwas Zauberhaftes. Sie merken gleich, wenn Sie einem Meister zuschauen, denn bei ihm sieht alles einfach aus, selbst wenn Sie nicht jede Fassette dieser Fertigkeit schätzen.“

 

 

Lebenslanger Bildungsprozess

 

Bildung ist heute kein Lebensabschnitt mehr, den man mit Verlassen der Schule oder Universität abgeschlossen hat, sondern ein lebensbegleitender Entwicklungsprozess. Während jedoch die Ausgaben jedes Einzelnen für Weiterbildungsmaßnahmen steigen, sinkt laut Statistischem Bundesamt die Unterstützung der Arbeitgeber. 2005 ließen sich Unternehmen die Maßnahmen pro Mitarbeiter 504 Euro kosten, das waren im Schnitt acht Prozent weniger als 1999.

Vom Berufsanfänger bis hin zur erfahrenen Führungskraft muss heute jeder die eigenen Qualifikationen immer wieder überprüfen und erweitern. Der – von Frau Merkel postulierte – Begriff „Bildungsrepublik Deutschland“, in Verbindung mit der Eigenverantwortung für die persönliche Weiterbildung, prägt die öffentliche Diskussion. Und zwar nicht nur hier zu Lande! Ganz Europa sieht Weiterbildung als Schlüsselfaktor für Erfolg an, der über die Sicherheit des Arbeitsplatzes, ein gutes Einkommen und auch die Einstiegschancen während der Arbeitssuche entscheiden kann. In Frankreich existiert bereits ein funktionierendes Netzwerk zwischen Betrieben, Tarifparteien und dem Staat. Und auch in Deutschland gibt es zahlreiche Bemühungen und Initiativen, um berufliche Weiterbildung verstärkt zu fördern. Bisher besteht jedoch zwischen diesen Initiativen und der tatsächlichen Nutzung von Weiterbildungsprogrammen eine erhebliche Diskrepanz.

 

Politische Stimulation

 

Gerade im Hinblick auf die Alterung der Gesellschaft und dem damit verbundenen, viel gefürchteten Fachkräftemangel, werden Stimmen lauter, die bundesweite Regelungen zur Weiterbildung fordern. Die Bundesregierung reagierte hierauf mit der groß angelegten Offensive „Lebenslanges Lernen“, durch die eine Weiterbildungsquote von 50 Prozent erreicht werden soll. Der Kreis der Unterstützer wächst kontinuierlich. Von den großen Gewerkschaftsverbänden bis hin zum Bundesverband mittelständischer Wirtschaft wollen Politik und Unternehmen gemeinsam die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer und auch Arbeitssuchende verbessern.

Die im Frühjahr 2008 von der Bundesregierung beschlossene Bildungsprämie soll Arbeitnehmer mit geringen Einkommen zu mehr Eigeninitiative bei der beruflichen Weiterbildung motivieren. Seit Ende vergangenen Jahres können Arbeitgeber, deren Einkommen unter 17.900 Euro im Jahr liegt (Ehepaare 35.800), eine Bildungsprämie von 154 Euro pro Jahr beantragen. Voraussetzung ist, dass sich der Arbeitnehmer mit einem Eigenbetrag von mindestens der gleichen Höhe beteiligt.

 

Das Ziel: Weiterbildung als Breitensport

 

Berufliche Weiterbildung ist jedoch nur dann effektiv, wenn die Bereitschaft zur Weiterbildung vom Einzelnen kommt. Der Schlüssel hierzu ist die eigene Neugierde und der Spaß an neuen Fähigkeiten. Die meisten Menschen brauchen ein konkretes, individuelles Ziel, das sie motiviert. Viele müssen neben den eigenen Motivationsimpulsen auch das Lernen wieder erlernen bzw. neu entdecken. Damit verhält es sich so, wie mit dem Fahrradfahren: Wenn man sich lange Zeit nur auf vier statt auf zwei Rädern vorwärtsbewegt hat, fällt einem schwer, wieder damit anzufangen – auch wenn man das Fahrradfahren nicht vollständig verlernt hat.

Die ersten Lektionen sind mühsam und es bedarf einer Weile, um wieder den richtigen Tritt zu finden. Wer die Anfangsträgheit jedoch überwunden hat und die ersten selbst gesetzten Etappenziele erreicht, gewinnt durch positive Erfahrungen an Motivation hinzu. Der Schweizer Philosoph und Autor Peter Bieri sagte einmal dazu: „Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. […] Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können.“ Wenn man sich weiterbildet, arbeitet man laut Bieri daran, „etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Videolearning kompakt erklärt: Die wichtigsten Formate im Überblick

WISSENplus
Seit die Khan-Academy Schülern auf der ganzen Welt dabei hilft, per Video spielend Mathe zu lernen, greift der Trend des Videolearnings auch immer mehr auf die Unternehmen über. „Video ist das neue Leitmedium", schreibt zum Beispiel der Weiterbildungsexperte Jochen Robes. Und der amerikanische Corporate-Learning-Profi Josh Bersin geht noch weiter: „Video is the new ‚text‘". Was bedeutet das fÃ...

Weiterlesen

Nachwuchsförderung: Ausbildungskooperation für Fachkräfte

WISSENplus
Schon seit 1999 ist eine neue Form der Ausbildung das Erfolgsmodell der Münchner Hard- und Software-Schmiede Sun Microsystems. Bildungskooperation heißt das Stichwort. Durch das Bildungskonzept der Siemens Professional Education (SPE) können Sun wie auch andere Betriebe und Öffentliche Verwaltungen diese maßgeschneidert, pra- xisgerecht und in hervorragender Qualität bekommen....

Weiterlesen

Der Mensch im Mittelpunkt

Ziel des Wissensmanagements ist es, neues Wissen zu generieren und umzusetzen und den störungsfreien Dialog zwischen Individuen zu ermöglichen. Auch ohne Globalisierung waren Kosten und Wachstumsdruck schon spürbar genug. Galt es früher als unabdingbare Taktik, nicht zu viele Fronten gleichzeitig zu öffnen, erlebt der Manager von heute den 360°-Wettbewerb. Über das Ringen um den Kunden hinaus führte...

Weiterlesen

Lernen aus Erfahrung: Was die Generation 50plus alles weiß

WISSENplus
Angesichts des demografischen Wandels wird die Frage nach Instrumenten, mit denen das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter in der Firma gehalten werden kann, immer bedeutsamer. Denn Fakt ist: Der Wirtschaftsstandort Deutschland und unsere Unternehmen können sich langfristig und nachhaltig nur behaupten, wenn diese die Ressourcen und Potenziale aller Führungskräfte und Mitarbeiter optimal nutzen – gera...

Weiterlesen

Externe Kompetenzen – Fehlendes Wissen einkaufen

Schon heute klagen viele Unternehmen über den Mangel an gut ausgebildeten IT-Mitarbeitern. Eine Veränderung auf dem Arbeitsmarkt ist schon allein aufgrund der demografischen Entwicklung nicht in Sicht. Wie wollen Unternehmen also in Zukunft den Wettbewerb um die fähigsten Köpfe finanzieren? Umdenken ist gefragt. Müssen wirklich alle IT-Aufgaben intern erledigt werden? Der Markt für IT-Workplace-Leistu...

Weiterlesen

Smart Learning: Weiterbildung neu gedacht

Auch in der betrieblichen Weiterbildung ist derzeit scheint angesichts von Kontaktbeschränkungen und Abstandsgeboten ein einfaches "Weiter so!" nicht möglich. Und vielerorts auch gar nicht gewollt, denn wer sich in den vergangenen drei Monaten an Homeoffice und vernetztes Arbeiten gewöhnt hat, der will nicht unbedingt zurück in alte Muster. Freie Zeiteinteilung und Selbstbestimmung gehören zu den groß...

Weiterlesen

Learning for Future: Welches Wissen ist wichtig?

WISSENplus
Unsere komplexe, volatile Arbeitswelt fordert von Organisationen und ihren Mitgliedern kontinuierliches Weiter-, Neu- und Umlernen. Statt den Fokus auf den Erwerb spezifischer Fähigkeiten zu legen, unterstützen moderne Lernkulturen die Entwicklung eines Learning Mindsets: einer Haltung, die von Selbststeuerung, Lernfähigkeit und Selbstreflexion geprägt ist. Im Fokus stehen Metakompetenzen, die die...

Weiterlesen

Virtueller Coach: Der Avatar als Strategie-Arbeiter

WISSENplus
Schnelle und nachhaltige Verhaltensänderungen auf Mitarbeiterseite sind durch den Einsatz virtueller Avatare möglich. Verkäufer und Berater übernehmen betrachtete und erlebte Einstellungen und Verhaltensweisen aus einer virtuellen Welt – und ändern daraufhin das Verhalten in der realen Welt. Der Avatar ist dabei machtvoller als jeder Trainer aus Fleisch und Blut....

Weiterlesen