2019/6 | Fachbeitrag | Gesundheitsmanagement

Betriebliches Gesundheitsmanagement: Fit für Veränderungen

von Michael Treixler

Inhaltsübersicht:

Wer kennt die Situation nicht? Stundenlang brüten wir im Büro über der Lösung für eine Aufgabe. Sie fällt uns nicht ein. Kaum sind wir jedoch zuhause, haben das Radio angeschaltet und im Sessel Platz genommen, plötzlich ist sie da: die Idee. Wir müssen sie nur noch umsetzen. Oder: Seit Tagen grübeln wir über eine neue Strategie, wie wir ein Ziel erreichen. Alles scheint in unserem Kopf festgerostet; nur unbefriedigende Lösungen fallen uns ein. Doch dann abends im Restaurant lässt ein Bekannter eine Bemerkung fallen, und plötzlich macht es „Klick“. Wir haben die Lösung; sie ist so einfach und doch so genial, dass wir uns wundern, dass wir sie nicht bereits früher fanden.

Im zweiten Fall wissen wir zumindest, was uns auf die zündende Idee brachte: die Bemerkung des Bekannten. Im ersten Fall werden wir es vermutlich nie wissen: War es der Geruch der Bratkartoffeln aus der Küche, die Nähe unserer Liebsten oder die Bequemlichkeit unserer Freizeithose? Beiden Beispielen ist jedoch gemeinsam. Sie beziehen sich auf Situationen, in denen wir uns entspannen und wohl in unserer Haut fühlen – Situationen also, in denen uns kein Stress, kein Zeitdruck und keine Angstzustände plagen, weshalb unsere Gedanken sich frei entfalten und neue Wege beschreiten können.

Jede schöpferische Tätigkeit erfordert Kreativität

Womit wir bereits beim Thema Kreativität wären. Viele Menschen glauben: Manche Personen verfügen über sie, anderen fehlt sie völlig. Diese Annahme ist falsch! Denn ihr liegt meist ein Kreativitätsverständnis zugrunde, das sich rein auf Tätigkeiten im musisch-künstlerischen oder graphisch-gestalterischen Bereich bezieht. Doch Kreativität ist bei allen schöpferischen Tätigkeiten gefragt – beim Entwickeln neuer technischer Lösungen ebenso wie in der Musik und beim Entdecken und Erschließen neuer Geschäftsfelder ebenso wie in der Malerei. Kreativität brauchen wir immer, wenn wir neue Wege beschreiten müssen, um Aufgaben zu lösen – und dies ist in der von rascher Veränderung sowie sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt und in einer Zeit, in der sich die digitale Transformation der Wirtschaft vollzieht, sehr oft der Fall.

Wie oft wir in unserem Lebens- und Arbeitsalltag kreativ sein müssen, sei an zwei einfachen Beispielen erläutert. Angenommen Kinder fragen uns, wie eine Glühbirne funktioniert. Dann müssen wir ihnen dies in ihrer Sprache erklären. Das erfordert Kreativität, da wir auf Begriffe wie elektrische Spannung, Volt, Ampere verzichten müssen. Ähnlich verhält es sich im beruflichen Bereich, wenn wir vor einer neuen Herausforderung stehen. Auch dann müssen wir meist vom gewohnten Vorgehen abweichen und einen neuen Lösungsweg finden. Stets wenn wir gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufgeben und neue Wege beschreiten müssen, ist Kreativität gefragt.

Woraus sich unsere Kreativität speist

Inwieweit wir dazu fähig sind, hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem:

  1. Unserer Kompetenz. Wenn wir nicht wissen wie eine Glühbirne funktioniert, können wir es auch nicht unseren Kindern erklären. Wir können ihnen höchstens eine Phantasiegeschichte erzählen. Ebenso verhält es sich im beruflichen Bereich, wenn wir beispielsweise fachfremden Personen (Mitarbeitern, Kunden, Kollegen) komplexe Zusammenhänge möglichst einfach, in deren Sprache erklären müssen.

  2. Unserer Erfahrung. Wenn wir Kindern schon oft schwierige Zusammenhänge erklärt haben, wissen wir welches Vorverständnis sie in der Regel haben und können dies bei unseren Erklärungsversuchen berücksichtigen. Entsprechendes gilt für Gespräche mit Kunden/Mitarbeitern im beruflichen Alltag. Auch hier hilft uns unsere Erfahrung, deren Sprache zu sprechen.

  3. Unserer körperlichen und geistigen Verfassung: Wenn wir müde und abgespannt sind, bringen wir beim Beantworten der Fragen unserer Kinder wenig Geduld und Phantasie auf. Entweder wir sagen einfach „Das verstehst du noch nicht“ oder wir reagieren gereizt, wenn sie unsere Erklärung nicht sogleich verstehen. Auch hier bestehen Parallelen zum Berufsalltag: Auch dort zeigen wir, wenn wir uns schlapp, müde, überfordert fühlen, wenn eine neue Aufgabe an uns herangetragen wird, oft eine Abwehrhaltung „Das geht nicht, weil...“. Oder wir reagieren gestresst und gereizt. Unsere Muskulatur verspannt sich. Unser Puls- und Blutdruck steigen sowie unsere Atemfrequenz und -tiefe. Und wir verfallen in ein lineares, starres Denken – ein Zustand, der das Finden kreativer Lösungen blockiert.

Oft merken wir dies selbst. Dies lässt und noch weiter in Stress und Panik verfallen und unsere Unfähigkeit, das Problem zu lösen, potenziert sich. Aus diesem Teufelskreis können wir nur ausbrechen, wenn wir die Reaktionen unseres Körpers kennen; außerdem, wenn wir mit Strategien vertraut sind, um Stress abzubauen bzw. das Entstehen von Stress zu vermeiden. Dann können wir in Situationen, die Stress erzeugen, Handlungen vornehmen, die den körperlichen Reaktionen, die mit dem Stress einhergehen, entgegensteuern. Als Beispiele für eine solche Momentan-Entspannung seien genannt:

  • betontes Ausatmen,
  • Aufsagen eines persönlichen Leitsatzes wie „Ganz ruhig bleiben“,
  • Entspannen aller Muskeln, die wir gerade nicht benötigen, und versuchen, sich beim Ausatmen jeweils noch weiter zu entspannen.

Hierdurch können wir uns oft eine momentane Erleichterung erschaffen – außer unser Anspannungsniveau ist schon so hoch, dass ein Abbau des angestauten Stresses mit so einfachen Techniken nicht mehr möglich ist. Die moderne Arbeitswelt ist voller Stressoren

Die Gefahr, dass dies geschieht, ist in der modernen Gesellschaft und Arbeitswelt hoch, denn in ihr folgt auf die meisten Situationen, die in unserem Körper Stressreaktionen auslösen, keine völlige Entspannung. Der nächste Stressor (so werden die Stress auslösenden Faktoren genannt) folgt bereits, bevor die körperlichen Reaktionen, die der vorangegangene auslöste, abgeklungen sind.

Wir kennen solche Situationen aus unserem Alltag: Gerade haben wir den Telefonhörer aufgelegt und wollen uns eine Gesprächsnotiz machen, schon wieder klingelt das Telefon. Kaum ist das zweite Telefonat beendet, und wir überlegen, was wir nach dem ersten notieren wollten, schon öffnet sich die Tür, und ein Kollege fragt „Können Sie mal kurz...!“. Ein Reiz, ein Stressor jagt den anderen.

Durch die Vielzahl kurz aufeinander folgender Reize erhöht sich der Spannungszustand unseres Körpers immer weiter. Wird er nicht zwischenzeitlich gesenkt, treten auf Dauer stressbedingte körperliche Beschwerden auf. Dies können u.a. sein:

  • Rückenschmerzen,
  • Kopfschmerzen,
  • Hautprobleme,
  • Magen-Darmbeschwerden,
  • Herzerkrankungen,
  • Bluthochdruck,
  • Potenzstörungen.

Unsere Stressresistenz und Resilienz erhöhen

Dieser Entwicklung können wir entgegen steuern, indem wir entweder lernen Stress zu bewältigen und/oder unsere Stressresistenz – auch Resilienz genannt – erhöhen. Wie stark und schnell wir gestresst reagieren, hängt nämlich stark von unserem körperlichen und geistlichen Befinden ab.

Deshalb sollten wir nicht nur die Reaktionen unseres Körpers sowie gewisse Stressmanagement-Methoden kennen, wir sollten uns auch gesund, das heißt körpergerecht ernähren; außerdem regelmäßig und ausdauernd Sport treiben. Die Betonung liegt hierbei auf regelmäßig und ausdauernd, denn nur dann wirkt sich Sport positiv auf unseren Körper aus:

  • der Blutdruck sinkt,
  • die Herzfrequenz und der Sauerstoffbedarf nehmen ab,
  • das LDL-Cholesterinanteil am Gesamtcholesterin sinkt, der HDL-Anteil steigt
  • der Körperfettanteil reduziert sich,
  • die Blutfließeigenschaften und der Zuckerstoffwechsel verbessern sich.

Außerdem werden durch Ausdauersport Stresshormone abgebaut, und Endorphine, körpereigene Hormone, die entspannend wirken, aufgebaut. Deshalb verbessert Ausdauersport auch unser geistiges Befinden. Unser Kopf wird wieder frei zum Denken.

Neue Verhaltensmuster entwickeln

Oft haben jedoch beruflich stark engagierte Personen im Laufe ihres Lebens, sich Verhaltensmuster angewöhnt, die ihrem körperlichen und geistigen Wohlbefinden eher schaden als nützen. Diese aufzugeben, fällt ihnen schwer – auch weil ihnen im Alltag oft vieles oft wichtiger erscheint als auf das langfristige Bewahren ihrer Gesundheit und Leistungskraft zu achten. Das haben auch viele Unternehmen erkannt. Deshalb verknüpfen bei ihrer betrieblichen Gesundheitsprävention oft folgende drei Elemente miteinander:

  • medizinischer Check-up,
  • Information über die gesundheitsrelevanten Themen Ernährung, Bewegung, Stress/Entspannung,
  • Training eines gesundheitsfördernden Verhaltens durch Gesundheitssport und Entspannungstechniken.

Sie praktizieren sozusagen einen „pädagogischen“ Drei-Schritt.

  1. Ein medizinischer Check-up informiert die Teilnehmer über ihre aktuellen, individuellen Gesundheitsdaten und Risikofaktoren

  2. Mediziner, Sport- und Ernährungswissenschaftler erläutern ihnen,

    • was die Daten bedeuten,
    • wie sie aufgrund der Körperreaktionen zustande kommen und
    • wie sie durch bewusste Ernährung, Ausdauersport und Stressmanagement positiv beeinflusst werden können.

  3. Die Teilnehmer üben unter fachlicher Anleitung ein neues gesundheitsförderndes Verhalten.

Geistesblitze verdichten sich zu Erkenntnis

Ein solches Präventionskonzept baut folglich auf denselben Elementen auf, die auch Voraussetzung für das Entfalten von Kreativität sind:

  1. Eine adäquate geistige und körperliche Verfassung (sie dokumentiert sich in dem medizinischen Befund des Check-ups),
  2. Kompetenz (sie entsteht durch das Vermitteln von Wissen über gesundheitsrelevante Themen),
  3. Erfahrung (sie resultiert aus dem Trainieren/Einüben eines gesundheitsfördernden Verhaltens).

Deshalb führt dieser Präventionsansatz bei den Teilnehmern meist zu einem AHA-Erlebnis, das zu einer langfristigen Veränderung ihres Verhaltens führt. Dieses AHA-Erlebnis entspricht dem Geistesblitz, den wir oft nach langem Suchen nach kreativen Lösungen plötzlich haben. Er entsteht nicht zufällig; er ist das Ergebnis von Kompetenz und Erfahrung, die sich unter stimulierenden Rahmenbedingungen zu einer neuen Erkenntnis verdichten.

 

 

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