2002/2 | Editorial | Wissensmanagement

Die Kluft zwischen Wissenden und Unwissenden wächst

von Wolfgang Sturz

"Software auf dem Prüfstand" - so lautet unser Schwerpunkt. Und damit greifen wir ein kritisches Thema auf: Kann ich allein durch Kauf und Einsatz eines bestimmten Softwarepaketes in meinem Unternehmen Wissensmanagement einführen? Nein! Genauso gut könnte ich einen Karton Kugelschreiber in den nächsten Kindergarten tragen - also die "Tools" bereitstellen - und dann erwarten, dort am nächsten Tage fertige Aufsätze vorzufinden.

Allerdings verdient auch der Umkehrschluss Beachtung: Ohne Schreibgerät, also ohne geeignetes Werkzeug, steht selbst ein Günter Grass auf verlorenem Posten. Darum zeigen wir Ihnen in unserem Magazin, welche Software-Lösungen als Werkzeug für Wissensmanagement bereits am Markt existieren und was Sie Ihnen bringen.

In unserem Titelthema ab Seite 14 finden Sie eine ausgewogene Bandbreite solcher Werkzeuge. Wir stellen Ihnen nicht nur klassische Knowledge-Management-Systeme in einer Marktübersicht (Seite 24) vor, sondern auch EAI-Systeme und den neuen Daten-Standard XML. Warum? Weil für einen besseren Austausch von Informationen im Unternehmen bereits die bessere Integration von verschiedenen bestehenden Daten-Inseln hilfreich sein kann. Darüber hinaus beschreiben Experten, wie Sie mit Collaboration-Software oder einer Portal-Lösung neue Arbeitsprozesse im Unternehmen unterstützen.

Neben der Technik kommt - wie üblich - auch der Focus auf die Mitarbeiter nicht zu kurz. Unternehmensberater Hans-Werner Bormann erläutert Aspekte der Unternehmenskultur und, wie der Organisationswandel trotz Widerstände gemanagt werden kann.

Was erleben wir heute in den Unternehmen und was ist anders als früher? Es war einmal, dass die Chefs alles wussten und die Mitarbeiter nichts. Heute wissen die Mitarbeiter im Faktenbereich fast alles, und die Vorgesetzten schaffen es manchmal gerade noch, den groben Überblick zu behalten. Manager müssen lernen, nicht mehr durch ihren statischen Wissensvorsprung Sachbearbeiter anzuleiten. Stattdessen müssen sie heute "Wissensarbeiter" motivieren: strategisch und kreativ.

Auch innerhalb gleicher Hierarchieebenen sind Verschiebungen in der Arbeitsweise festzustellen. Den Bibliothekar, der mit Karteikarten Bücher ordnet und verwaltet, gibt es noch. Demgegenüber: Der Bibliothekar, der sich mit seiner Ausbildung und seinem Beruf neue Dimensionen erschließt; der Verwalter multimedial verfügbaren Wissens; der Spezialist, der im Internet oder in den vielen Online Datenbanken nicht ziellos surft und sich vom Zufall der Windrichtungen treiben lässt, sondern der beim Surfen selber seine Segel so setzt, dass er präzise am geplanten Ziel ankommt. Zwei Berufstätige also, die trotz gleicher Ausbildung in ihrem Umgang mit Wissen in völlig unterschiedlichen Welten leben.

Dramatisch wird das Ungleichgewicht zwischen Wissenden und Unwissenden im Lichte der PISA-Studie. Abgesehen von dem allgemeinen schlechten Abschneiden deutscher Schüler ist dort die große Varianz im Leseverständnis der deutschen Jugend aufgefallen. Während deutsche Spitzenschüler sich im internationalen Vergleich behaupten können, gibt es gleichzeitig einen erschreckend großen Anteil mit äußerst mangelhaftem Leseverständnis. Während die erst genannten in unserer Wissensgesellschaft beruflich sicher Fuß fassen können, stellt sich bei den extrem Leseschwachen die Frage nach deren Perspektiven. Hier sind die im Umgang mit Wissen fähigen Köpfe, dort die Nicht-Wissenden. Die Herausforderung an Politik, Ausbilder und insbesondere die Eltern ist es, jedem einzelnen Heranwachsenden die Möglichkeiten mit auf den Weg zu geben, sich Wissen zu erarbeiten und umzusetzen.

Ihnen allen wünsche ich viel Spaß beim Erarbeiten des in dieses Magazin hineingelegten Wissens.

Ihr Wolfgang Sturz

Dr.-Ing. Wolfgang Sturz

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