2014/4 | Fachbeitrag | Agile Organisation

Zukunft der Wissensarbeit: Die agile Organisation als strategischer Erfolgsfaktor

von Dr. Yves Stalgies, Thomas Lieder

Inhaltsübersicht:



Die komplexen und schnelllebigen Anforderungen des Internetzeitalters erfordern immer flexiblere Unternehmen. Die agile Organisation ist eine mögliche Antwort auf diese Herausforderung. Agil ist in diesem Zusammenhang als Mindset zu verstehen. Es ist nicht entscheidend, ob in der Entwicklung Scrum, Kanban, DSDM Atern, eine Variante der Crystal-Familie oder ein eigener Ansatz verfolgt wird. Wichtig ist vielmehr, die den agilen Methoden zugrunde liegenden Werte zu beachten.

Ein solches Mindset ist durch die folgenden Eigenschaften gekennzeichnet:

  • Neues lernen zu wollen, muss im Fokus stehen. Dies impliziert den Willen, die Komfortzone aus eigenem Antrieb zu verlassen und neue Dinge auszuprobieren.
  • Herausforderungen müssen als Chance zum Lernen begriffen werden.
  • Sie sollten daher begrüßt und nicht als Hindernis betrachtet werden.
  • Fehler sind als notwendiger Bestandteil des Lernprozesses zu begreifen. Wer sich Herausforderungen stellt und Neues lernt, nimmt immer die Gefahr des Scheiterns auf sich. Fehler zu machen oder zu scheitern, darf daher nicht als Makel angesehen werden.
  • Anstrengung ist als Notwendigkeit und nicht als Zeichen fehlenden Talents sehen. Die Herausforderungen sind in der Regel komplex, die Lösungen sind daher meist mit Anstrengung verbunden.
  • Mentale Flexibilität und Belastbarkeit müssen vorausgesetzt werden. Ein innovatives Umfeld wird häufig durch vielfältige Änderungen geprägt. Demnach tauchen Herausforderungen überraschend auf und verlangen ad-hoc Aufmerksamkeit.

Dieses Mindset gilt dabei aber nicht allein als Anforderungsliste für Mitarbeiter, sondern ebenso als Verpflichtung des  Managements, ein Umfeld zu schaffen, das eben dieses agile Mindset erlaubt und fördert.

Warum kleinere Firmen agiler sind als große Unternehmen

Startups und kleine Unternehmen haben in der Regel keine Probleme, agil auf die drei Seiten des Erfolgsdreiecks zu reagieren und damit Innovation zu fördern. Flache Hierarchien, wenige bis keine Denkverbote, große persönliche Freiheiten und hohe Eigenverantwortung fördern ein Klima, in dem Mitarbeiter positiv auf Herausforderungen reagieren. Mit Alter und Größe einer Firma etablieren sich aber häufig Strukturen und Hierarchien, die zwar vordergründig Effizienz schaffen, aber auch Freiheiten nehmen. Der Weg zum starren Unternehmen beginnt oftmals an dem Punkt, an dem die Startup-Zeit Vergangenheit ist: Die Umsatzsteigerung ist im Gegensatz zum Kostenwachstum nicht mehr zweistellig und die Mitarbeiterzahl übersteigt die magische Grenze um 50 Personen.

Der Herausforderung, agil zu bleiben, muss sich auch das Unternehmen etracker stellen. Der Software-Anbieter ist sich sicher, dass man langfristig nur bestehen kann, wenn man sowohl Kunden als auch Mitarbeiter begeistert. Die Mitarbeiter sollen ihr Potenzial vollständig entfalten können. Daher sollen die einzelnen Teams so weit wie möglich eigenverantwortlich arbeiten. Dies impliziert, dass sie in die Lage versetzt werden, die gesamte Wertschöpfungskette bis zum Kunden zu beschreiten. Nur so können die Teams beurteilen, ob die Ergebnisse ihrer Arbeit zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen. Damit entstehen cross-funktionale Teams, die sich zunehmend als „Firma in der Firma“ etablieren. Neben dem Aspekt, dass so aufgestellte Teams eine direkte Verbindung zum Kunden bekommen, wird auf dieses Weise auch die Teamintelligenz gefördert. Dies lässt sich nicht nur in der IT verwirklichen, sondern – mit teilweise anderen Ausprägungen – auch in den Non-IT Bereichen. So wird zum Beispiel das Consulting-Team sehr früh in den Sales-Prozess eingebunden.

Autarke Teams etablieren, Hierarchien abbauen

Je mehr Verantwortung die Teams selber tragen, desto weniger sind tiefe Hierarchien sinnvoll. Ein fachlich verantwortlicher Teamleiter als Hierarchie-Element bremst eher die Innovationskraft und Kreativität als dass er sie fördert. Eine aktuelle Studie von HAYS aus dem Jahr 2013 hat beispielsweise ergeben, dass 51 Prozent der Generation Y sich einen Mentor bzw. Coach als Vorgesetzten wünschen. Nur zehn Prozent der Befragten wünschen sich einen Director/Allocator of Work. Wenn also ernsthaft Verantwortung übertragen werden soll, müssen Hierarchien abgebaut werden. Bei etracker sind einige Teams bereits direkt der Geschäftsführung unterstellt. Diese Teams tragen die volle Verantwortung für ihren Aufgabenbereich und dürfen diesen weitgehend selbst gestalten. Die Führungsmannschaft dient dann nur noch als Sparringspartner und unterstützt die Zusammenarbeit. Im Kontext des Abbaus von Hierarchien definiert sich auch die Einheit „Human Ressource“ derzeit komplett neu: Im Fokus stehen nicht mehr die Verwaltung der Mitarbeiter und ihre jährliche Beurteilung, sondern die Unterstützung der Mitarbeiter auf ihrem Weg hinzu mehr Eigenverantwortung.

Peer-Feedback einführen

Klassische Feedbackgespräche zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter leiden häufig darunter, dass der Vorgesetzte die Arbeit des Mitarbeiters nur eingeschränkt beurteilen kann. Dies gilt umso mehr, je stärker die Teams eigenverantwortlich arbeiten. Ein konstruktives Feedback, das Impulse für die persönliche Entwicklung liefert, kann dann nicht mehr zwischen den Hierarchien, sondern nur noch innerhalb des Teams stattfinden. Die Kollegen können in der Regel viel besser beurteilen, wo der jeweilige Mitarbeiter Stärken und Schwächen hat.

Bei den Feedbackgesprächen ist neben der notwendigen Sachlichkeit des Feedbacks darauf zu achten, dass es nicht darum geht, Mitarbeiter zu beurteilen, sondern ihnen dabei zu helfen, besser zu werden. In diesem Zusammenhang ist dann auch individuell abzuwägen, ob der Fokus auf die Stärken des Einzelnen gesetzt wird oder ob die Schwächen, z.B. weil sie störend für das Team wirken, angegangen werden sollten.

Je detaillierter Feedbackgespräche ausgearbeitet sind, desto hilfreicher ist in der Regel der daraus gewonnene Wert. Leider steigt in gleichem Maße der Aufwand für die Vorbereitung. Im Idealfall erfolgt ein Feedback außerdem zeitnah, wird also eher häufig als selten durchgeführt. Ergänzend dazu, sollte eine Kultur geschaffen werden, in der Feedback jederzeit möglich ist. Je stärker dieses situative Feedback gelebt wird, desto geringer wird der Bedarf nach expliziten Feedbackgesprächen.

Transparenz schaffen

Vor allem in IT-Unternehmen ist der der Status von Software-Entwicklungen recht transparent. Dies insbesondere, wenn bereits agile Methoden eingesetzt werden, da hier die Boards meist frei zugänglich sind. Bei etracker werden außerdem einige Kennzahlen aus der Systemüberwachung und der aktuelle Teststatus über einen zentralen Monitor sichtbar gemacht. Auch andere Abteilungen wie Vertrieb, Marketing und Consulting berichten in einem für alle zugänglichen Forum wöchentlich über die erreichten Ergebnisse. Da die Teams mittlerweile sehr eigenverantwortlich arbeiten, ist für diese aber nicht nur die Darstellung der eigenen Arbeit wichtig. Sie fühlen sich für den Geschäftserfolg mitverantwortlich und schöpfen daher einen Teil der Motivation daraus, über die vitalen Geschäftszahlen Bescheid zu wissen. Es geht hierbei nicht so sehr darum, die absoluten Zahlen zu kennen, sondern die Geschäftsentwicklung zeitnah mitzubekommen. Das Unternehmen gibt daher vierteljährlich relative Zahlen zur Geschäftsentwicklung bekannt und berichtet im gleichen Zyklus über den aktuellen Stand der Roadmap.

Agile Coach etablieren

In einer perfekten Welt funktionieren Teams harmonisch und es existieren keine Reibungsverluste in der teamübergreifenden Zusammenarbeit. Da dies in der Realität leider nicht immer der Fall ist, gilt es, eine neutrale Instanz zu etablieren, deren Aufgabe es ist, die Teams in Konfliktsituationen zu unterstützen. Diese Instanz muss unabhängig von allen Bereichen sein, damit kein persönliches Interesse an einzelnen Projekten oder Maßnahmen vorhanden ist. Ein solcher Agile Coach arbeitet mit den Teams an schrittweisen Verbesserungen bzw. Problemlösungen und fördert damit die Selbstständigkeit der Teams. Im Gegenzug wird das Managementteam dadurch von operativen Details entlastet. Da er selbst keinen Vorteil aus einzelnen Projekten oder Maßnahmen zieht, kann er z.B. unbefangener Fragen nach dem Status oder dem Fortschritt stellen, als dies dem disziplinarisch Vorgesetzten möglich ist.

Kundenzufriedenheit steigern

Neben der Unternehmenskultur und der Mitarbeiterzufriedenheit ist die Kundenzufriedenheit der dritte wichtige Faktor. Nur zufriedene Kunden werden zu Fans eines Unternehmens und helfen, im Wettbewerb zu bestehen. Zur Messung der Kundenzufriedenheit stehen etablierte Methoden zur Verfügung. Doch das alleinige Ermitteln der aktuellen Zufriedenheit liefert in der Regel nur wenige Ansätze, wie diese gehalten oder gesteigert werden kann. Es sind daher weitere Maßnahmen notwendig. Exemplarisch werden  im Folgenden zwei Ansätze vorgestellt, die sich etabliert haben.

  1. In der Software-Entwicklung genügt es nicht, ein neues Feature fehlerfrei umzusetzen und einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten. Darüber hinaus gilt es festzustellen, ob überhaupt das richtige Feature entwickelt wurde. Dazu müssen die Nutzung neuer Features und die im Support auflaufenden Kundenanfragen beobachtet werden. Erst hierdurch erfährt man, ob die im Vorfeld ermittelten Kundenbedürfnisse wirklich befriedigt sind. Um nach der Umsetzung nicht ratlos vor den Nutzungszahlen zu stehen und sich zu fragen, ob sie nun gut oder schlecht sind, muss das Ziel, d.h. das erwünschte Ergebnis, bereits im Laufe der Konzeption ermittelt werden. So gilt es z.B. zu definieren, welche Kundengruppen adressiert werden sollen, wie deren Nutzungshäufigkeit ist und welche erwarteten Nutzungszahlen sich daraus ableiten lassen. Ebenso sollten alle weiteren mit einer Änderung oder Erweiterung verbundenen Ziele, wie Rückgang von Supportanfragen, Steigerung des Umsatzes oder ähnliches bereits im Vorfeld fixiert werden.
  2. Fokus-Gruppen: Um die Bedürfnisse der Kunden noch besser kennen zu lernen, laden Unternehmen regelmäßig Kunden ein, um live zu berichten, wie genau sie das Tagesgeschäft mit einem bestimmten Produkt bewältigen. Dieses konkrete Wissen über die täglichen Anforderungen und Bedürfnisse der Kunden hilft, bei der Konzeption neuer Features den Fokus auf die wichtigen Details zu legen.

Fazit

Um die Innovationsfähigkeit zu erhalten, müssen sich Unternehmen auf den Weg hin zu einer agilen Organisation machen. Anstatt alleine den Umsatz zu fokussieren, müssen die Faktoren Mitarbeiterzufriedenheit, Kundenzufriedenheit und Unternehmenskultur gleichmäßig ausgebaut werden. Insbesondere durch den Abbau von Hierarchien, die Etablierung von eigenständigen Teams und der Dezentralisierung von Entscheidungen kann es gelingen, ein Klima zu schaffen, das Innovation und damit nachhaltiges Wachstum ermöglicht.

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