2007/12 | Fachbeitrag | Berufsehtik

Wissensvermittlung um jeden Preis?

von Birgit Lutzer

Von Birgit Lutzer

Inhaltsübersicht:

Führungskräfteseminar in einem Fünfsterne-Hotel. „Jeder von Ihnen erhält nun der Reihe nach ein ungeschminktes Feedback von den anderen, wie er wirkt!“ ordnet der Trainer an. Die Teilnehmer müssen sich der Reihe nach auf den „heißen Stuhl“ setzen, auf dem jede/r im buchstäblichen Sinne „sein Fett weg kriegt“. Eine Teilnehmerin kommt mit den Rückmeldungen der anderen nicht zu recht und fängt an zu weinen. Sie hat kein Taschentuch und ihre Nase läuft. Hilflos schluchzend blickt sie in die Runde. Niemand – auch nicht der Trainer – reagiert. Schließlich steht sie auf und rennt aus dem Raum. Im Nachhinein beschreibt die Frau diese Situation als zutiefst demütigend und beschämend. Solche Erfahrungen können sich tief im Bewusstsein verankern: Jeder Mensch hat ein Idealbild von sich selbst. Weicht er von diesem Ideal-Selbst vor Publikum oder für sich alleine ab, kann dies heftige Scham auslösen. Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob das abweichende Verhalten von ihm selbst oder durch externe Einwirkung ausgelöst wird.

Selbstbild: Abweichungen und ihre Folgen

 

Führungskräfteseminar in einem Fünfsterne-Hotel. „Jeder von Ihnen erhält nun der Reihe nach ein ungeschminktes Feedback von den anderen, wie er wirkt!“ ordnet der Trainer an. Die Teilnehmer müssen sich der Reihe nach auf den „heißen Stuhl“ setzen, auf dem jede/r im buchstäblichen Sinne „sein Fett weg kriegt“. Eine Teilnehmerin kommt mit den Rückmeldungen der anderen nicht zu recht und fängt an zu weinen. Sie hat kein Taschentuch und ihre Nase läuft. Hilflos schluchzend blickt sie in die Runde. Niemand – auch nicht der Trainer – reagiert. Schließlich steht sie auf und rennt aus dem Raum. Im Nachhinein beschreibt die Frau diese Situation als zutiefst demütigend und beschämend. Doch gerade das Schamgefühl, das jeder Mensch aus eigener, unangenehmer Erfahrung kennt, hat weit reichende Folgen: Zunächst strahlt es unmittelbar auf das Gehirn aus: Gestik, Mimik und Sprechvermögen entwickeln ein unangenehmes Eigenleben, das gleichzeitig noch die Scham verstärkt. Ist die erste, akute Schamphase überwunden, entwickeln sensible Menschen manchmal über einen langen Zeitraum hinweg Deprimiertheits- und Schuldgefühle.

Je tiefer verwurzelt ein Aspekt des Selbstbildes in der Persönlichkeit ist, desto stärkere Auswirkungen hat eine (provozierte) Abweichung davon: Manche Personen erinnern sich ein Leben lang mit Schaudern an bestimmte Schamanlässe und entwickeln im Extremfall psychische Störungen. Natürlich reagiert jeder Mensch individuell auf eine Situation. Das, was dem einen die tiefste Schamesröte ins Gesicht treibt, löst bei anderen nur ein Achselzucken aus – weil die Abweichung vom Ideal-Selbst durch andere Gegebenheiten ausgelöst wird.

 

 

Lernmethoden: Folgen müssen absehbar sein

 

 

Ãœbertragen auf die Seminarsituation bedeutet das: Hätte der Dozent die Ãœbung nicht angeordnet, bestünde für die Frau kein Anlass, zu weinen. Also ist er indirekt der Verursacher der Abweichung von ihrem Idealbild, das vielleicht lautet: „Ich bin eine selbstbewusste Führungskraft, die sich zu jeder Zeit emotional im Griff hat und öffentlich keine Schwäche zeigt.“ Darüber hinaus hat der Trainer nichts unternommen, um die Frau zu trösten. Jeder Bildungsanbieter sollte das, was er mit einer bestimmten Methode hervorruft, auch auffangen können. Sonst geht es ihm wie Goethes Zauberlehrling, der in Abwesenheit seines Meisters einen Besen durch Magie zum Leben erweckte und anschließend nicht mehr damit umgehen konnte.

 

In einer normalen Seminarsituation ist es meist schwierig, alle Personen so gut einzuschätzen, um die jeweilige Reaktion auf eine gezielte Bloßstellung vorauszuberechnen. Hier ist Vorbeugung gefordert: Damit Weiterbildungskunden wissen, auf welche Art von Erfahrungen sie sich einlassen, sollte die Ausrichtung des Seminars deutlich aus der Seminarbeschreibung bzw. dem Angebot hervorgehen.

 

 

Qualitätsanspruch: Berufskodex für die Weiterbildung

Das „Forum Werteorientierung in der Weiterbildung“ setzt sich für ethisches Verhalten von Trainern und Beratern bei ihrer Berufsausübung ein. Dazu wurde der „Berufskodex für die Weiterbildung“ entwickelt, den Trainerinnen und Trainer aus den Mitgliedsorganisationen des „Forum Werteorientierung“ als freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnen können. Der Kodex enthält Hinweise über das Menschenbild sowie Richtlinien für den fairen Umgang und eine wertschätzende Wissensvermittlung zwischen Trainern bzw. Beratern und ihren Teilnehmern, Kunden und Geschäftspartnern. Als Zeichen der Anerkennung des Berufskodex verwenden die Unterzeichnenden das Siegel „Qualität-Transparenz-Integrität“ sowie den Berufskodex im Wortlaut in ihren Werbematerialien. Ist der Kunde eines solchen Anbieters der Meinung, dieser habe gegen Inhalte des Berufskodex für die Weiterbildung verstoßen, kann er diesen Vorfall kostenlos prüfen lassen.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Wissen braucht Führung

WISSENplus
In Expertenorganisationen „erzeugen" Menschen Wissen. Sie entwickeln, tauschen, vermitteln und nutzen es. Und diese Wissensprozesse müssen geführt werden. Im folgenden Best-Practice-Bericht geht es um die Besonderheiten bei der Führung von Expertenorganisationen, um Verhaltensmuster in Expertenteams und um wichtige Aspekte bei der Teamentwicklung....

Weiterlesen

Videolearning kompakt erklärt: Die wichtigsten Formate im Überblick

WISSENplus
Seit die Khan-Academy Schülern auf der ganzen Welt dabei hilft, per Video spielend Mathe zu lernen, greift der Trend des Videolearnings auch immer mehr auf die Unternehmen über. „Video ist das neue Leitmedium", schreibt zum Beispiel der Weiterbildungsexperte Jochen Robes. Und der amerikanische Corporate-Learning-Profi Josh Bersin geht noch weiter: „Video is the new ‚text‘". Was bedeutet das fÃ...

Weiterlesen

Kompetenzstandards mit KI konzernweit durchsetzen

Seit Corona ist nichts mehr, wie es war. Auch in der beruflichen Fortbildung hat sich die Digitalisierung deutlich beschleunigt. Holger Offermanns, Global Head of Digital Learning bei der TÜV Rheinland Akademie, berichtet von aktuellen Digitalisierungsoffensiven des in mehr als 25 Ländern weltweit tätigen Kompetenzentwicklers. ...

Weiterlesen

Lernen aus Erfahrung: Was die Generation 50plus alles weiß

WISSENplus
Angesichts des demografischen Wandels wird die Frage nach Instrumenten, mit denen das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter in der Firma gehalten werden kann, immer bedeutsamer. Denn Fakt ist: Der Wirtschaftsstandort Deutschland und unsere Unternehmen können sich langfristig und nachhaltig nur behaupten, wenn diese die Ressourcen und Potenziale aller Führungskräfte und Mitarbeiter optimal nutzen – gera...

Weiterlesen

Bildungsmanagement 2.0 – Barcamps in der betrieblichen Qualifizierungspraxis

WISSENplus
Selbstorganisierte und kollaborative Lernprozesse werden zukünftig noch stärker das betriebliche Lernen bestimmen. Schon heute experimentieren Unternehmen mit Lernen-2.0-Formaten. Konzerne wie die Deutsche Telekom AG, Credit Suisse und IBM nutzen insbesondere Un-Konferenzen wie Barcamps seit Jahren sehr erfolgreich für ihr betriebliches Bildungsmanagement. Doch auch KMU können von diesem aus berufspäda...

Weiterlesen

Mitarbeiterführung – Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

In vielen Unternehmen ist das Führen mit Zielen zu einer technokratisch gehandhabten Führungsmethode erstarrt – auch weil viele Führungskräfte nicht wissen, wann sich Ziele positiv auf die Leistung von Mitarbeitern auswirken. Das ist nur der Fall, wen der Mitarbeiter von den Zielen auch tatsächlich überzeugt ist oder sie sich sogar selbst setzt. Damit das gelingt, ist Führungsarbeit gefragt. Dazu g...

Weiterlesen

Erfolgreicher Wissenstransfer - auf die Stimme kommt es an

WISSENplus
Informationen werden häufig mündlich übermittelt bzw. an andere weitergegeben. Der entscheidende Erfolgsfaktor beim Wissenstransfer ist die Stimme – sie ist das direkteste Kommunikationsmittel, das wir haben. Und leider auch jenes, was oft vernachlässigt wird. Bei Gesprächs- und Präsentationsvorbereitungen wird oft viel Wert auf Inhalte und die richtige Technik gelegt. Das ist ohne Zweifel wichtig....

Weiterlesen

Mitarbeiter emotional führen: Die Generation Y braucht Spaß, Wertorientierung & Sinn

WISSENplus
„Jeder Mitarbeiter ist anders!" Diese Erkenntnis gewinnt angesichts der Tatsache, dass Führungskräfte oft drei Generationen zugleich führen, an Bedeutung: die Baby Boomer, geboren zwischen 1947 und 1964, die Vertreter der Generation X, zwischen 1965 und 1980 geboren und die Generation Y, die jetzt knapp 30-jährigen Millennials. Was bedeutet dies für die Führungsarbeit?...

Weiterlesen