2003/8 | Fachbeitrag | Wissensmanagement einführen
Wissensorientiertes Performance Measurement für die öffentliche Verwaltung
Inhaltsübersicht:
- Neue Anforderungen an die öffentliche Verwaltung
- Performance Measurement als kennzahlenbasiertes Planungs- und Steuerungsinstrument
- Wissensmessung als Instrument der wissensorientierten Unternehmensführung
- Wissensmessung als Instrument der wissensorientierten Unternehmensführung
- Ausblick
Gesellschaft, Unternehmen und öffentliche Verwaltungen werden
zunehmend von der Ressource Wissen beeinflusst. Traditionelle
betriebswirtschaftliche Konzepte sind dabei immer seltener geeignet, um die
aktuellen Probleme der Praxis anzusprechen und zu lösen. Ein besonders
relevantes Defizit der Betriebswirtschaft besteht in ihrem Mangel an
geeigneten Verfahren und Instrumenten für eine ganzheitliche
Verwaltungsplanung und -steuerung, die den heutigen Anforderungen der
Wissensökonomie gerecht werden.
Neue Anforderungen an die öffentliche Verwaltung
Eine steigende Komplexität und Dynamik von Verwaltungsabläufen, eine
Verschärfung der Finanzmittelknappheit der öffentlichen Haushalte sowie ein
Umbruch bestehender Strukturen kennzeichnen die Rahmenbedingungen heutiger
Verwaltungen. Beschleunigt wird der damit einhergehende Wandel durch eine
verstärkte Bürger- und Dienstleistungsorientierung sowie
informationstechnologische Entwicklungssprünge, denen sich auch öffentliche
Verwaltungen nicht länger entziehen können.
Diese Entwicklungen ziehen ein Dilemma der strategischen Führung nach sich:
Einer zunehmenden Anpassungszeit für notwendige Reaktionsmaßnahmen steht
eine abnehmende Vorhersehbarkeit von Umweltveränderungen sowie eine
Verkürzung der Reaktionszeiten gegenüber. Hieraus ergibt sich die klare
Forderung, durch Wissen und Lernen die Fähigkeit zu kontinuierlicher
Effektivitätssteigerung und Entwicklung zu erlangen. So sollen die Verwaltungen
einen antizipativen Transformationsprozess an die sich ständig ändernden
Umwelt- und Rahmenbedingungen etablieren und damit letztendlich geeignete
Lösungsalternativen für Problemsituationen bereitstellen können.
Die in diesem Zusammenhang aus der Betriebswirtschaft bekannten
Lösungsinitiativen wie Total Quality Management, Business Process
Reengineering und Kostenmanagement greifen hier zu kurz. Eine ganzheitliche
Denkweise ist gefordert. Gemeint ist damit ein integrierendes,
zusammenhängendes Denken, das auf einem breiten Horizont basiert, von
großen Zusammenhängen ausgeht, viele Einflussfaktoren der Verwaltungsleistung
berücksichtigt und weniger isolierend und zerlegend ist als das übliche Vorgehen.
Hierzu bedarf es zukunftsorientierter Planungs- und Steuerungsinstrumente, die
die Organisation jederzeit über den Zustand ihrer aktuellen und zukünftigen
Leistungsfähigkeit – auch unter Berücksichtigung verschiedener
Interessensgruppen – informieren. Ein klarer Fall für Performance Measurement
und Wissensmessung.
Performance Measurement als kennzahlenbasiertes Planungs- und Steuerungsinstrument
Kennzahlen und Kennzahlensysteme gehören seit der Etablierung des Neuen
Steuerungsmodells (NSM) zum festen Bestandteil des
Controlling-Instrumentariums deutscher Verwaltungen. Betrachtet man die
verwendeten Kennzahlen jedoch genauer, so zeigen sich deutliche
Verbesserungspotenziale. Die Hauptprobleme bestehen in einer zu starken
finanziellen Ausrichtung, dem Fehlen lern- und wissensbezogener Kennzahlen
sowie einer zu starken Vergangenheitsorientierung. Die Ansätze des Performance
Measurements versprechen hier Abhilfe. Performance Measurement bezeichnet
die Neukonzeption kennzahlenbasierter Instrumente der Unternehmensplanung
und -steuerung. Dabei werden die Leistungen verschiedener Anwendungsobjekte
oder Leistungsebenen (z.B. Organisationseinheiten unterschiedlicher Größe,
Mitarbeiter, Prozesse) systematisch erfasst und vorfolgt. Besonderes Merkmal:
Nicht nur finanzielle Kennzahlen werden berücksichtigt, sondern auch
nicht-finanzielle Größen. Ziel dabei ist es, eine ganzheitliche Planung und
Steuerung der Leistung zu ermöglichen.
Wissensmessung als Instrument der wissensorientierten Unternehmensführung
Neben der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise von Planungs-
und Steuerungsgrößen setzt sich zudem die Erkenntnis durch, dass sich die
organisationale Wissensbasis sowie die Fähigkeit zu deren Weiterentwicklung und
Nutzung längst zum entscheidenden Bestimmungsfaktor der aktuellen und
zukünftigen Leistungsfähigkeit einer Organisation entwickelt hat. Aktuell basieren
die Planungs- und Steuerungsinstrumente noch ausschließlich auf materiellen
Vermögensgegenständen. Große Anstrengungen von Unternehmen, mittels
Wissensmanagement die Ressource Wissen zu erschließen, sowie zahlreiche
Initiativen des öffentlichen Sektors (z.B. der vom Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit initiierte Wettbewerb „WissensMedia“ für Wissensmanagement in
mittelständischen Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung) belegen jedoch
ein erhebliches Interesse an diesem Thema wie auch den Willen, hier etwas
voranzubringen. In Abhängigkeit von der Betrachtung des Wissens als Objekt oder
Prozess ergeben sich bei einem zukunftsorientierten Wissensmanagement
folgende Zielsetzungen:
- Bewertung der organisationalen Wissensbasis
- Evaluierung von Investitionen zur Weiterentwicklung der organisationalen Wissensbasis
- Beschreibung und Diagnose der organisationalen Wissensbasis und der lernenden Organisation
- Planung und Steuerung von Maßnahmen zur Weiterentwicklung der organisationalen Wissensbasis
Bei der Übertragung der theoretischen Konzepte des Wissensmanagements in die
Praxis und bei der Beantwortung der zentralen wissensrelevanten Fragestellungen
spielen die unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Privatunternehmen und
öffentlichen Verwaltungen eine wichtige Rolle: Beim Aufbau eines
Wissensmanagements müssen Verwaltungsorganisationen teilweise andere
Schwierigkeiten überwinden als privatwirtschaftliche Unternehmen. Besonders
schwerwiegend sind dabei die oftmals fehlenden und unklar operationalisierten
Zielvorgaben sowie die stark eingeschränkte Möglichkeit einer exakten
quantitativen Bewertung des Verwaltungsoutputs.
| Privatunternehmen | Öffentliche Verwaltung | |
Wissensziele | Wissen als Wettbewerbsvorteil (Wissensziele abgeleitet aus den Unternehmenszielen) | kein Wettbewerbsdruck vorhanden (eher Effizienzziele) | |
Wissensidentifikation | Transparenz mit Hilfe von z.B. Expertenverzeichnissen, Wissenslandkarten, Yellow Pages sowie durch Verfahren des Wissensaudits | ||
Wissenserwerb | aus externen Quellen (z.B. Kooperation, Akquisition) | externe Quellen werden oft nicht finanziert, daher sind andere Maßnahmen nötig (z.B. übergeordnete Behörden, Kooperation mit anderen Institutionen) | |
Wissensentwicklung | F&E-Aktivitäten | keine F&E-Aktivitäten | |
Wissensverteilung | häufiges Hindernis: Funktionsdenken der Mitarbeiter | Bereichsorientierung, "Autonomie" trotz ausgeprägter Hierarchie | |
Wissensnutzung | Nutzungsbarrieren müssen überwunden werden | ||
Wissensbewahrung | Bewahrung von implizitem und explizitem Wissen | ||
Wissensbewertung | Erfolg und dessen Messung ist abhängig von Wissenszielen | kein Bezug zu Wettbewerbsvorteilen vorhanden, daher Kontrolle schwieriger |
Gestaltung eines wissensorientierten Performance-Measurement-Systems
Kombiniert man nun die Elemente des Performance Measurements auf der einen Seite und der Wissensmessung auf der anderen Seite zu einem wissensorientierten Performance Measurement, so kann ein Instrument der kennzahlenbasierten Unternehmensplanung und steuerung entwickelt werden, das die unterschiedlichsten Anforderungen erfüllt. Übergreifendes Ziel dabei ist die Messung und Beurteilung der Leistung, der Leistungspotenziale und der Leistungsbereitschaft der Organisation unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der organisationalen Wissensbasis, des organisationalen Lernens sowie der Determinanten des organisationalen Lernens.
Zielsetzungen des wissensorientierten Performance Measurements |
Grundlage eines wissensorientierten Performance-Measurement-Systems bildet ein mehrdimensionales Kennzahlensystem, das idealerweise auf einer Mischung aus finanziellen und nicht-finanziellen, quantitativen und qualitativen Kennzahlen basiert. Zentrales Gestaltungsmerkmal ist dabei die starke Betonung der wissensorientierten Kennzahlen. Diese lassen sich sechs verschiedenen Kategorien zuordnen:
Kennzahlenkategorie | Messobjekt | Beispiele |
Finanzielle Ergebniskennzahlen | Messung der Erfüllung der finanziellen kritischen Erfolgsfaktoren (Einhaltung von Budgetvorgaben, Planungsgenauigkeit etc.) | Outcome, Stückkosten, Kontraktkennzahlen |
Nicht- finanzielle Ergebniskennzahlen | Beschreibung der Erfüllung der nicht-finanziellen kritischen Erfolgsfaktoren (z.B. Erfüllung von Kundenerwartungen) | Zufriedenheit der Stakeholder (Bürger, Mitarbeiter, Legislative) |
Kennzahlen der Wissensumsetzung | Beschreibung der Resultate bei der Nutzung der Wissensbasis | Prozessqualität, Durchlaufzeit |
Kennzahlen des Wissensbestands | Beschreibung der verschiedenen Elemente der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene | Bildungsgrad |
Kennzahlen der Wissensdeterminanten | Beschreibung der Rahmenbedingungen zur Weiterentwicklung der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene | F[Y¨]hrungskompetenz, Informations- und Kommunikationstechnologie |
Kennzahlen der Wissensintervention | Beschreibung der Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Wissensbasis auf individueller, organisationaler und interorganisationaler Ebene | Schulungstage pro Mitarbeiter, Aufwendungen f[Y¨]r Prozessversbesserungen |
Zur systematisierten Erfassung wird der organisationale Wissensbestand in drei Elemente untergliedert:
- Der Wissensbestand auf individueller Ebene beschreibt dabei den Wissensbestand, über den nur Individuen, d.h. die Mitarbeiter der Verwaltung, verfügen.
- Der Wissensbestand auf organisationaler Ebene beschreibt den Wissensbestand der Organisation, d.h. den Wissensbestand, über den die Mitarbeiter kollektiv verfügen, bzw. den Wissensbestand, der unabhängig von der Organisationszugehörigkeit einzelner Mitarbeiter ist.
- Der Wissensbestand auf interorganisationaler Ebene beschreibt den Wissensbestand, über den die Verwaltung und seine Stakeholder gemeinsam verfügen.
Ebenen der Kennzahlen des Wissensbestands |
Ausblick
Der Erfolg der Verwaltungsmodernisierung wird zukünftig davon abhängen, inwieweit es gelingen wird, aus der Flut von Daten, Informationen und Wissen auf effiziente Weise jenes Wissen zu identifizieren, das in den verschiedenen Verwaltungsprozessen benötigt wird, es mit einfachen, zugänglichen Mitteln zu transportieren, es an allen erforderlichen Stellen zu nutzen und so schließlich auch neues Wissen zu generieren. Das interdisziplinäre Konzept des wissensorientierten Performance Measurements wird dieser Anforderung gerecht. Aber an Forschungsbedarf wird es auch in Zukunft nicht fehlen. Denn ein profundes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Unternehmenszielen, kritischen Erfolgsfaktoren und der Wissensbasis sowie die hohen Koordinations- und Kommunikationsanforderungen setzen nicht nur eine Fortentwicklung bestehender Konzepte voraus, sondern auch eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten der Mitarbeiter, die mit den zukünftigen Aufgaben der Unternehmensplanung und steuerung betraut sind. Es bleibt viel zu tun.