2002/3 | Fachbeitrag | Online-Hilfe
Wissensmanagement in Online-Medien
Inhaltsübersicht:
Die Darstellung von Zusammenhängen,
die sich an den fachlichen Aufgaben, den Erwartungshaltungen und
den Erfahrungen bzw. dem Vorwissen der Benutzer orientiert, wird
zunehmend zur zentralen Anforderung an Online-Dokumentationen. So
muss etwa eine Online-Hilfe nicht nur Informationen bereitstellen,
sondern in erster Linie Wissen vermitteln. Darstellungsmethoden,
die sich an den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie und des
Wissensmanagements orientieren, werden daher auch für das Online-Medium
immer wichtiger.
Was haben Online-Medien mit Wissen zu tun?
Im Gegensatz zu technischen Geräten wie beispielsweise Auto,
Video-Kamera oder Stereo-Anlage lässt sich der Zweck und das
Einsatzgebiet von Software nicht aus der Technik ableiten. Der Diskette
oder der CD sieht man nicht an, was das installationsbereite Programm
überhaupt leistet und ob es besonders komplex oder komfortabel
bzw. teuer oder günstig ist.
Gerade weil Software-Programme sich nicht aus sich selbst heraus
erschließen, sondern erst in der Begegnung mit einer konkreten
Arbeitssituation, spielt die Dokumentation eine entscheidende Rolle.
Sie hat nicht primär die Aufgabe zu erklären, wie etwas
funktioniert, sondern warum oder in welchem Zusammenhang bzw. vor
dem Hintergrund welcher fachlichen Anforderung etwas mit einer Software
gemacht werden kann. Ein Beispiel: Die Betriebsanleitung für
ein Auto wird üblicherweise dann zur Hand genommen, wenn der
Fahrer z.B. wissen will, wie er Sitze verstellen kann, wann und
wie er welche Wartungsarbeiten durchführen muss oder wie er
den Sender seines Radios einstellt. Aber er erwartet keine Hinweise
darüber, in welcher Situation er den Rückwärtsgang
einlegen oder wie er sich in dichtem Verkehr verhalten muss. Pointiert
gesagt sind es aber gerade solche Wissenselemente, die in Software-Dokumentationen
und Online-Hilfen stehen müssen. Wer beispielsweise mit Microsoft
Word in einem Dokument Grafiken einbauen will, dem stehen dazu insgesamt
fünf Techniken zur Verfügung, wobei jede Technik ein etwas
anderes Ergebnis liefert. Der Anwender dieser Software muss also
wissen, worin sich diese Techniken unterscheiden und in welchen
Anwendungssituationen der einen oder der anderen Technik der Vorzug
zu geben ist.
Eine Dokumentation ob online oder in gedruckter Form
schlägt also die Brücke zwischen Anwendung und Technik,
zwischen Praxis und Theorie, zwischen konkreter Arbeitswirklichkeit
und Modell. Wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden soll, muss sie
daher nicht nur das Wissen offenlegen, das in der Software steckt,
sondern auch das Wissen so aufbereiten, dass sich der Anwender einer
Software darin wiederfindet.
Methoden der Wissensvermittlung
Wie und mit welchen Darstellungsmethoden kann Wissen in einem Online-Medium
angemessen dargestellt und präsentiert werden? Diese Problematik
wird im Folgenden von zwei Fragestellungen aus betrachtet:
- Wie kann die Aufnahme von Wissen so gesteuert werden, dass sie den Prozess des Verstehens so gut wie möglich unterstützt? Für diese Frage sind Erkenntnisse aus dem Fachgebiet der kognitiven Psychologie sehr wichtig.
- Welche technischen Möglichkeiten bieten sich im Online-Medium, um Wissenselemente gezielt abrufbar zu machen?
Eine Person, die Wissen aufnehmen und verstehen will, bewegt sich
nicht im geistigen Niemandsland, sondern hat schon eine gewisse
Orientierung und sozusagen eine räumliche Vorstellung von dem,
was sie erfahren wird. Die kognitive Psychologie hat in den letzten
Jahren erforscht, wie das Gehirn seine Orientierungsaufgabe löst.
Eine wesentliche Erkenntnis ist, dass es bei neuen Informationen
zuerst versucht, einen kognitiven Rahmen zu finden oder zu konstruieren,
in dem die Detailfülle eingeordnet werden kann: "Es ist
also keineswegs so, dass wir beim Verstehen ein Detail nach dem
anderen aufnehmen und daraus nach und nach ein Gesamt entsteht.
So arbeitet ein Scanner, nicht das Gehirn. Vielmehr entwickeln wir
bereits nach wenigen Informationen Annahmen über das Gesamt
und ordnen die folgenden Daten in diesen Rahmen ein" [1].
Das bedeutet für das Online-Medium: Die Begriffe oder Verfahren
der DV-Technik oder auch Details zu Dialogfenstern oder anderen
Elementen der Benutzeroberfläche dürfen nicht im Vordergrund
stehen, da sie Gefahr laufen, im kognitiven Rahmen des Anwenders
keinen Halt zu finden. Dagegen erhält die Darstellung von Zusammenhängen,
die sich an den fachlichen Aufgaben, den Erwartungshaltungen und
Erfahrungen bzw. dem Vorwissen des Benutzers orientiert, einen zentralen
Stellenwert innerhalb einer Dokumentation.
Diese Aufgabe kann gerade bei komplexer Software nur dann erfüllt
werden, wenn im Online-Medium Darstellungsmethoden zum Einsatz kommen,
die Wissen und Wissenselemente in Schichten deutlich voneinander
abheben. Die Verwendung von Registerkarten ist ein solches Mittel.
Hier steht das fachliche Wissen mit seinen zentralen Aspekten im
Vordergrund. Der Leser einer Online-Hilfe beispielsweise kann dank
einer solchen Darstellung von Wissen auf einen Blick erkennen, welcher
Aspekt für ihn wichtig und weiterführend ist und in welchem
übergeordneten Zusammenhang sich dieses Wissenselement befindet.
Mit einer solchen Methode lässt sich Wissen, das sich über
viele hundert Druckseiten erstrecken kann, übersichtlich strukturieren.
Durch Registerkarten kann selbst umfangreiches Wissen im Online-Medium übersichtlich präsentiert werden. |
Darüber hinaus verfügen Online-Dokumentationen über
ein reichhaltiges Instrumentarium, um vor- und nachgelagertes Wissen
zu steuern:
- Vorgelagertes Wissen – z.B. typische Bedientechniken wie Suchen, Filtern, Ändern, Löschen – lässt sich üblicherweise über klassische Hyperlinks abrufen. Denn dem Anwender ist in diesem Fall klar, dass er Kenntnisse, die aus dem eigentlichen fachlichen Zusammenhang herausfallen, in einem anderen Kontext nachlesen kann.
- Anders verhält es sich bei konkreten Handlungsanweisungen oder Kochrezepten. Hierbei handelt es sich um nachgelagertes Wissen, also um Wissen, das erst dann in einen kognitiven Rahmen eingeordnet werden kann, wenn der Anwendungsfall klar ist und der Benutzer genau weiß, warum er bestimmte Arbeitsschritte durchlaufen muss. Solches Wissen kann sinnvollerweise in einem zweiten Fenster präsentiert werden. Das bedeutet: Der ursprüngliche Kontext, aus dem heraus ein konkreter Arbeitsablauf aufgerufen wird, bleibt weiterhin sichtbar und der Anwender kehrt ohne weitere Navigation unmittelbar wieder in diesen fachlichen Zusammenhang zurück.
Medium und Message
Neben Registerkarten oder der Verwendung zweiter Fenster verfügt
das Online-Medium über viele weitere Möglichkeiten, Wissen
oder Wissenselemente mediengerecht darzustellen. Unter anderem haben
sich folgende Mittel in der Praxis bewährt:
- interaktive Elemente: Wissenselemente bleiben kompakt; Details oder weiterführende Informationen werden nur dem zugänglich gemacht, der sie aktiv anfordert.
- Grafiken mit sensitiven Flächen: Grafiken, die einen Arbeitsprozess visualisieren, oder Screenshots, die Benutzereingaben steuern, werden erheblich aufgewertet, wenn sie nicht nur illustrieren, sondern für die Navigation genutzt werden.
Dennoch: Online-Hilfen sind als Medium zum Verstehen längerer
und komplexer Themen kein Universalmittel. Andere Medien wie Druckwerke,
grafische Vorträge (Slideshows) oder auch Videos können
ein Online-Medium ideal ergänzen. Nun spricht aber dieser Befund
nicht gegen, sondern für Online-Medien. Denn Dateien in einem
beliebigen Format, wie beispielsweise DOC, PDF, PPT, VID oder auch
XLS, lassen sich im so genannten Cross-Media-Publishing problemlos
integrieren, und der Leser kann sie aus der Online-Hilfe direkt
aufrufen.
Literatur:
[1] Weidenmann, B.: Psychologie des Nichtverstehens.
In: tekom-Schriften zur technischen Kommunikation. Bd. 1: Verständlichkeit
und Nutzungsfreundlichkeit von technischer Dokumentation. Lübeck
1999, S. 34-49.
[2] Ballstaedt, S.-P.: Wissensvermittlung. Weinheim 1997.
[3] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H.: Individuelles Wissensmanagement:
Strategien für den persönlichen Umgang mit Information
und Wissen am Arbeitsplatz. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle
2000.