2002/4 | Fachbeitrag | Baubranche
Wissensmanagement als Strohhalm für die krisengeplagte Baubranche?
Von Markus Hörger
Inhaltsübersicht:
- Große Baufirmen entwickeln sich zu Baumanagementfirmen
- Viele gleiche Standorte
- Wettbewerbsdruck von kleinen Bauunternehmen
- Prototypenfertigung in der Baubranche
- Fazit
Als eine der letzten Branchen wagt sich mittlerweile
auch die Baubranche langsam an das Thema Wissensmanagement heran.
In dieser Anfangsphase stellt sich zunächst die Frage: Welche
Gründe gibt es speziell für Bauunternehmen, sich mit diesem
Thema auseinanderzusetzen, und Wissensmanagement im Unternehmen
einzuführen?
Die Baubranche steckt derzeit in ihrer größten Krise
der Nachkriegszeit. Sieben Jahre Rezession und kein Ende in Sicht
dies stellt die Bauunternehmen vor massive Probleme. Dem
enormen Preisdruck wird mit drastischen Einsparungen bei den Lieferanten
und Nachunternehmern begegnet. Diese Mittel sind inzwischen ausgeschöpft,
ohne jedoch den Unternehmen aus der Krise zu helfen. Jetzt gilt
es also, neue Wege zu beschreiten, um dem Preisdruck zu entgehen.
Da Bauunternehmen in der Regel nicht optimal organisiert sind,
liegen in einer Optimierung der Geschäftsprozesse die größten
Potenziale. Diese Prozessoptimierung zielt in zwei Richtungen: Einerseits
sollen die eigenen Kosten gesenkt werden, um auch bei niedrigen
Baupreisen überleben zu können; andererseits soll eine
erhöhte Kundenzufriedenheit durch verbesserte Leistung und
damit eine positive Abgrenzung von der Konkurrenz erreicht werden.
Einen wichtigen Beitrag zur Optimierung der Geschäftsprozesse
kann Wissensmanagement leisten. Einige wenige Bauunternehmen beschäftigen
sich derzeit schon mit der Einführung von Wissensmanagement,
einige wollen damit beginnen. Wenn eine Branche bei einem solchen
Thema am Anfang steht, gilt es zunächst Überzeugungsarbeit
zu leisten: bei den Führungskräften, sich mit diesem Thema
zu beschäftigen, und bei den Mitarbeitern, sich aktiv zu beteiligen.
Große Baufirmen entwickeln sich zu Baumanagementfirmen
Ein immer größerer Teil der Leistung wird bei großen
Bauunternehmen inzwischen von Nachunternehmern erbracht. Das eigene
gewerbliche Personal und damit das handwerkliche Know-how wird immer
weniger. Diese Entwicklung führt dazu, dass zunehmend eine
organisierende und steuernde Funktion im Projekt wahrgenommen wird.
Bei Aufträgen als Generalunternehmer oder Generalübernehmer
wird hauptsächlich eine Dienstleistungsfunktion übernommen:
Das Bauunternehmen organisiert und plant den Bauprozess und koordiniert
die Vielzahl von Nachunternehmen. Damit entwickeln sich große
Bauunternehmen immer mehr in Richtung Baumanagement.
In Zukunft wird das Hauptprodukt, das große Bauunternehmen
verkaufen, daher ihr Know-how rund ums Bauen sein. Und dieses Know-how
gilt es, mit Hilfe des Wissensmanagements entsprechend der Marktbedürfnisse
zu entwickeln und zu pflegen. Diese Umwandlung von einem ausführenden
in ein steuerndes Unternehmen erfordert Veränderungen in der
Firmenstruktur und der Firmenphilosophie.
Viele gleiche Standorte
In einem Industrieunternehmen sind die einzelnen Niederlassungen
bzw. Werke zumeist spezialisiert. Zwar beginnt auch in vielen Bauunternehmen
derzeit eine Ausrichtung nach Sparten, doch erbringen die einzelnen
Niederlassungen in der Regel gleiche oder sehr ähnliche Leistungen.
Da in den Niederlassungen somit das gleiche Know-how zum Erbringen
der Leistungen erforderlich ist, bringt es deutliche Vorteile, dieses
Wissen entsprechend übergreifend zu fördern. So können
Erfahrungen von Niederlassung zu Niederlassung übertragen und
ein gemeinsamer Lernprozess eingeleitet werden.
Umstrukturierungen mit dem Ziel, flache Hierarchien zu schaffen,
verstärken die Tendenz, dass ein Bauunternehmen aus vielen
kleinen Einzelunternehmen besteht. Mit diesen flachen Hierarchien
sind die Unternehmen zwar flexibler, unterliegen aber auch dem Risiko
von Einzelkämpfertum und der Bündelung des Know-hows in
einzelnen Inseln des Unternehmens. Es besteht die Gefahr, dass sich
die verschiedenen Niederlassungen aus dem Auge verlieren und der
Wissenstransfer damit zum Erliegen kommt. Gerade bei solchen verteilten
Firmenstrukturen ist es wichtig, den Mitarbeitern etwa durch Gelbe
Seiten und Projektdatenbanken auch außerhalb ihres Bereichs
die Möglichkeit zu geben, Ansprechpartner zu finden.
Wettbewerbsdruck von kleinen Bauunternehmen
Selbst die großen Bauunternehmen verdienen einen nicht unbedeutenden
Teil ihres Umsatzes mit kleineren Projekten. Bei Bauprojekten dieser
Größenordnung stehen sie dann in Konkurrenz zu kleinen
Bauunternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern. Zwar sind die Niederlassungen
der großen Bauunternehmen oftmals nicht viel größer
und spielen somit in derselben Liga, doch hat eine kleine Baufirma
den Vorteil, dass sie keine Gemeinkosten für eine große
Firmenzentrale kalkulieren muss. Da die höheren Gemeinkosten
für die Niederlassungen ein deutlicher Wettbewerbsnachteil
sind, sollte eine Niederlassung dafür neben dem finanziellen
Rückhalt eines großen Unternehmens und der Möglichkeit,
auch Großprojekte zu realisieren einen zusätzlichen
Nutzen bekommen.
Und dieser Zusatznutzen ist das Know-how, das ein großes
Unternehmen zu bieten hat. Kleine Bauunternehmen können sich
keine großen technischen Büros mit Gebäudetechnik
und Fassadenspezialisten leisten, keine Forschung und Entwicklung,
keine Schulungsprogramme. Den Vorteil, fast zu jedem Thema einen
Spezialisten an Bord zu haben, müssen die Großen ausspielen.
Damit wären wir schon beim Thema Wissensmanagement: Große
Unternehmen wissen prinzipiell viel und Wissensmanagement soll helfen,
dieses im gesamten Unternehmen verteilte Wissen dorthin zu bringen,
wo es benötigt wird, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Somit wird erfolgreiches Wissensmanagement zum Konkurrenz unterscheidenden
Merkmal, mit dem eine Niederlassung auch bei kleineren Projekten
im Wettbewerb gegen die kleinen Baufirmen bestehen kann.
Prototypenfertigung in der Baubranche
In aller Regel sind Bauwerke Einzelstücke, so dass bei jedem
Projekt im Prinzip von vorne damit begonnen werden muss, eine Projektstruktur
und ein neues Team aufzubauen. Der Preisdruck führt dazu, dass
immer weniger Geld in die Planung investiert wird und damit auch
deren Qualität sinkt. Da nur wenige Auftraggeber bereit sind,
für eine optimale Planung auch den entsprechenden Preis zu
bezahlen, müssen die Unternehmen versuchen, mit den vorhandenen
Mitteln besser zu wirtschaften, um Qualitätseinbußen
dennoch zu vermeiden.
Für eine effektive Planung gilt es, Erfahrungen aus bereits
ausgeführten Projekten besser zu nutzen. Bisher wagt sich die
Baubranche nur recht halbherzig an dieses Thema heran mit
der Ausrede, dass schließlich alle Projekte Einzelstücke
und deshalb nicht miteinander vergleichbar seien. Allerdings ähneln
sich, abgesehen von äußerlichen Unterschieden, Gebäudetypen
von gleicher Nutzung und gleicher Größe doch sehr stark.
Es sollte also nicht jedes Mal versucht werden, das Rad (Gebäude)
neu zu erfinden. Durch die Standardisierung von Bau- und Planungsprozessen
können deutliche Effektivitätssteigerungen erreicht werden.
Daher ist es wichtig, aus ausgeführten Projekten zu lernen
und einen intensiven Know-how-Transfer im Unternehmen zu starten.
Fazit
Die Einführung von Wissensmanagement ist für Bauunternehmen
ein nicht weniger wichtiges und dringendes Thema als für Hightechunternehmen.
Da die Baubranche neuen Entwicklungen meist eher skeptisch und abwartend
gegenübersteht, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis sich
hier Wissensmanagement etablieren kann. Sicher wird jedoch der große
Leidensdruck, der nach sieben Jahren Rezession entstanden ist, Innovationen
begünstigen. Viele Bauunternehmen müssen inzwischen nach
jedem Strohhalm greifen, um sich über Wasser zu halten. Und
vielleicht entdeckt nun ja das eine oder andere Unternehmen den
rettenden Strohhalm Wissensmanagement für sich?