2013/4 | Kolumne |

Wissen nimmt Gestalt an

von Gabriele Vollmar

Am 23. und 24. April fanden an der Donau- Universität zum zweiten Mal die Wissensmanagement- Tage Krems statt. In diesem Jahr unter dem Motto „Wissen nimmt Gestalt an“. Während meiner Vorbereitung auf die Moderation dieses Fachkongresses habe ich mich gefragt, wie wohl dieser Titel zu verstehen (und gegebenenfalls in die Begrüßung der Kongressteilnehmer einzubinden) ist. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was die Veranstalter sich dabei gedacht haben. Daher nun meine persönlichen Gedanken zu diesem Titel.

Doch zuvor noch eine kleine Anekdote: Vor Kurzem erläuterte mir der Geschäftsfu?hrer eines Unternehmens, das noch schwankt, ob Wissensmanagement denn nun ein lohnendes Thema ist oder nicht, dass man sich mit einer Entscheidung für Wissensmanagement so schwer tue – weil dieses Thema auf der einen Seite zwar durchaus faszinierend erscheine und auch „intuitiv irgendwie“ die Überzeugung vorherrsche, dass es wichtig sei, dass es auf der anderen Seite aber auch ein klares Unbehagen hervorrufe. Unbehagen ob der „Seltsamkeit“ dieser Ressource, mit der man es da zu tun habe, und die sich eben wie ein glitschiger Fisch immer wieder einem direkten Zugriff entziehe.

Und nun nimmt Wissen Gestalt an, d.h. es wird buchstäblich begreifbar und damit überhaupt erst nutzbar, entwickelbar, kombinierbar, veränderbar...

Aber was heißt „Gestalt“ überhaupt? Mit „Gestalt“ bezeichnen wir die äußere Form oder auch Erscheinung von Gegenständen. „Erscheinung“ wiederum bezeichnet, laut Wikipedia, das „Dasein eines Objektes oder das Sichtbarwerden oder Sichzeigen von zuvor nicht zu sehenden oder erkennbaren Gegenständen oder Vorgängen...“.

Wissen nimmt also zum Beispiel dann Gestalt an, wenn es sich in Handlung manifestiert, denn nur dann wird es in der objektiven Welt für andere sichtbar. Aber eben nicht das Wissen selbst, in seiner reinen und ursprünglichen Form, sondern in einer Art von möglichem Ausdruck und damit interpretierbar: Ob und welches Wissen ich hinter dem Ausdruck erkenne, liegt gewissermaßen im Auge des Betrachters. In der Kunst bezeichnet „Gestalt“ übrigens die Einkleidung eines Gedankens, beispielsweise als Gedicht, als Drama oder als ein Werk der bildenden Kunst.

Und hiermit wären wir auch bei einer weiteren Möglichkeit, wie Wissen Gestalt annehmen kann: durch Visualisierung. Knowledge Visualization ist sicherlich eines der spannendsten aktuellen Forschungsfelder im Kontext Wissensmanagement. Und obwohl Visualisierung durch die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch ein probates Mittel war, sowohl konkrete als auch abstrakte Ideen zu vermitteln, ist es eine Fähigkeit, die in den letzten Jahren außerhalb bestimmter technischer Kontexte zunehmend verkümmert ist. Und dabei ist Visualisierung – eben Sichtbarmachung – im Wissensmanagement ein so mächtiges Werkzeug, vermittelt sie doch neben bloßen Fakten auch persönliche Einsichten, schwer in Worte zu fassende Erfahrungen, Haltungen, Werte, Erwartungen, Sichtweisen, Meinungen usw., kurz also Wissen in seiner ganzen Varianz und Komplexität. Bringen wir unser Wissen also in Bilder, grafische oder sprachliche, um es Gestalt annehmen zu lassen dort, wo die schiere Faktizität an ihre Grenzen stößt. Und wenn Sie Ihre Visual Skills ein wenig schulen möchten, empfehle ich einen Besuch auf www.visualliteracy.org.

Visualisierung von Wissen ist auch eine wesentliche Grundlage für Wissensgenerierung. Nonaka und Takeuchi sprechen bei ihrem SECI-Modell in der Phase der Wissens-Explizierung ausdrücklich davon, dass dies zumindest teilweise über Bilder, Metaphern und Allegorien geschieht. Denn nur so werde das zunächst subjekte Wissen kollektiv nachvollziehbar (oder auch begreifbar in seiner Gestalt?). Wenn ich nun mein Wissen nicht nur transferieren, sondern teilen möchte, um andere einzuladen, es weiterzuentwickeln, sollte meine Visualisierung dabei dem Prinzip der „low perceived finishedness“ folgen. So berichtete jedenfalls Prof. Martin Eppler von der Universität St. Gallen in seinem anregenden Vortrag auf den Kremser Wissensmanagement-Tagen. Gemeint ist damit, dass eine Visualisierung, die zum „Mitmachen“ oder Weiterentwickeln einladen soll, nicht als perfekt und schön wahrgenommen werden sollte, weil sonst der Museumseffekt eintrete, nämlich Bewunderung und Scheu. Nur Unfertigkeit ist auf aktivierende Art einladend.

„Low perceived finishedness“ – ein Prinzip, das so auch für die meisten Web 2.0-Werkzeuge gilt. Und ein Prinzip, mit dem wir uns in der Regel schwer tun. Wieso eigentlich? Dazu (vielleicht) mehr an anderer Stelle. Hier erst mal – unfertig – zu Ende...

Ihre Gabriele Vollmar

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