2011/5 | Kolumne | Kolumne

Wiki und die starken Männer

von Gabriele Vollmar

In der letzten Kolumne haben wir uns, angeregt durch einen Vortrag von Richard Sennett (und zugegebenermaßen dem Teenie-Film „La Boum“), mit der Hypothese auseinandergesetzt, dass Hierarchie in Organisationen eine zerstörerische Wirkung entfalten und zur Verschwendung von Wissen führen kann. Ich möchte nun gerne an diese Überlegungen dort anknüpfen, wo ich Sie das letzte Mal „über der Klippe habe hängen lassen“ – nämlich bei der Frage, warum gerade die vermeintlichen Enterprise-2.0-Unternehmen oft so stark auf eine charismatische Führungspersönlichkeit ausgerichtet sind. Ich erinnere nur an den kurzzeitigen Sturz der Apple-Aktie im Januar diesen Jahres als die Krankheit von Steve Jobs bekannt wurde.

Doch bevor wir über die Rolle der „starken Männer“ nachdenken, sollten wir definieren, was eigentlich unter einem Enterprise-2.0-Unternehmen zu verstehen ist – in meinem Verständnis jedenfalls deutlich mehr als ein Unternehmen, das Social-Software- Tools wie Wiki, Blog & Co. einsetzt, auch wenn McAfee als Urheber des Begriffes das noch genau so beschreibt: „Enterprise 2.0 is the use of emergent social software platforms within companies, or between companies and their partners or customers“. Vielmehr sollte Enterprise 2.0 als Label für solche Organisationen stehen, in denen die Philosophie der Social-Software- Werkzeuge Einzug gefunden hat in die Zusammenarbeit im Unternehmen – bis hin zu dessen Führungsstrukturen. Das heißt wir reden dann von Organisationen, in denen Emergenz, Selbstorganisation und Selbstbestimmtheit, Autonomie, Teamdenken, Demokratie, Polyfonie, Freiraum und Vertrauen die bestimmenden Parameter nicht nur der Unternehmenskultur sind, sondern sich eben auch in der Organisationsstruktur manifestieren. Und das betrifft gleichsam das Thema Führung.

In einer echten, so verstandenen Enterprise- 2.0-Unternehmung funktioniert eine klassisch kybernetische Führung im Sinne des Management- Kreislaufs von Vordenken, Vorgeben, Messen, Kontrollieren, Analysieren, Vorgeben... nämlich gerade nicht mehr bzw. kann Enterprise 2.0 dort nicht entstehen, wo ein solches Führungsverständnis vorherrscht (auch nicht mit noch sovielen Wiki-Installationen). Fazit: In Enterprise- 2.0-Organisationen kann es den „starken Mann“ an der Spitze per definitionem nicht geben.

Aber was machen wir dann mit Steve Jobs und der Apple-Aktie (als „Platzhalter“ für das generelle Phänomen, das selbstverständlich auch andere, wenn auch weniger prominente Unternehmen betrifft)? Hier sind mehrere Erklärungen denkbar (oder mir eingefallen, wenn Sie weitere haben, freue ich mich über eine kurze E-Mail):

  1. Apple ist im Grunde gar kein Enterprise-2.0-Unternehmen, sondern verkauft sich nur erfolgreich nach außen als solches.
  2. Steve Jobs ist gar nicht der „starke Mann“ bei Apple, sondern verkauft sich nur erfolgreich nach außen als solcher.
  3. Finanzmarktanalysten haben das Konzept Enterprise 2.0 und seine Folgen für Führung noch nicht verstanden und bewerten den Aktienwert zwanghaft nach „Old Economy“- kompatiblen Kriterien.
  4. Der Stellenwert des „starken Mannes“ an der Spitze dient der Selbst- und Rückversicherung auf zunehmend schwankendem Grund am Übergang von Enterprise 1.0 zu 2.0.

Wahrscheinlich haben wir es, wie so oft, mit einem komplexen Konglomerat all dieser Gründe zu tun. Lassen Sie mich trotzdem an dieser Stelle nur einen davon, nämlich den letzten aufgreifen. Ich meine damit, dass wir den „starken Mann“ an der Spitze als Projektionsfläche nutzen im Kampf gegen unser Unbehagen mit Organisationen, deren Wert fast ausschließlich auf der Old Economy, denen wir eben doch noch mehr verhaftet scheinen als uns lieb ist, scheinbar zu unterwerfen. Und da gerade Unternehmen mit dem Label Enterprise 2.0 überdurchschnittlich oft Unternehmen sind, deren Wert stark auf Intangibles beruht, kommt es zu der im Grunde widersprüchlichen Koinzidenz von Enterprise 2.0 und „Starkem Mann“-Phänomen.

Einverstanden?


Ihre

Gabriele Vollmar

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