2004/9 | Fachbeitrag | Data Mining
Wenn es in der Presse steht, ist es zu spät
Inhaltsübersicht:
- Vom Data Mining zum Text Mining
- Wie Text Mining die Unternehmensreputation schützen hilft
- Ein Beispiel aus der Nahrungsmittelbranche
- Fazit
Vor dem Hintergrund sich immer schneller ändernder
Märkte und einer täglich zunehmenden Informationsflut sind intelligente
Lösungen zur Textanalyse ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen
aller Branchen geworden. Mit vielen der klassischen Recherche- und Marktforschungstechniken
lässt sich allenfalls ein Schnappschuss erzielen. Schwache Signale, die
sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, bleiben damit häufig
unerkannt. Insbesondere die Vielzahl der heute verfügbaren Informationsquellen
– angefangen von Agenturmeldungen und Printmedien bis hin zu Chat Rooms
und Blogs im Internet – stellt eine Herausforderung dar.
Vom Data Mining zum Text Mining
Viele Unternehmen und Organisationen greifen bereits auf Data-Mining-Werkzeuge
zurück, um ihre internen Datenbestände zu analysieren. So lassen sich
beispielsweise Kundeninformationen aus Customer-Relationship-Management-Systemen
und anderen internen Datenbanken zusammenführen und auswerten, um das Kaufverhalten
zu untersuchen. In Märkten mit einer hohen Transaktionsquote, wie zum Beispiel
beim E-Business, können diese Techniken somit ganz erheblich den Umsatz
und Gewinn eines Unternehmens beeinflussen.
Bisher sind Data-Mining-Techniken hauptsächlich auf strukturierte interne
Informationen angewandt worden. Ansätze zur Analyse großer Mengen
an unstrukturierten Informationen, wie sie beispielsweise in den Milliarden
Seiten des Internets vorliegen, sind dagegen meistens gescheitert. Durch neue
Entwicklungen im Rahmen des Web-Fountain-Projekts von IBM ist es jetzt möglich,
auch solche Informationen zu verarbeiten und daraus aussagekräftige Muster
und Trends zu erkennen. Der Informationsdienstleister Factiva ist das erste
Unternehmen, das IBM Web Fountain in Lizenz genommen hat. Mit den darauf basierenden
Anwendungen stehen nun Analysemöglichkeiten für das gesamte Internet
sowie das Nachrichten- und Informationsarchiv von Factiva und alle unternehmensinternen
Datenbestände zur Verfügung.
Die zugrunde liegende Technik nennt man Text Mining. Darunter versteht man
den Prozess der Verarbeitung einer großen Menge von unstrukturierten Daten,
der anschließenden Bereitstellung von Informationen über relevante
Themen, Konzepte und Zusammenhänge in einer strukturierten Datenbank und
letztlich der Analyse und Präsentation in einer leicht verständlichen
Form. Erreicht wird das durch ausgefeilte statistische Methoden, die es erlauben,
aus Mustern Sinnzusammenhänge zu extrahieren. Unternehmen, Marken oder
Namen können so zum Beispiel erkannt werden oder aus dem Wortabstand zwischen
Themen und Konzepten lässt sich auf bestimmte Trends schließen. Die
Darstellung in einer geeigneten grafischen Form ermöglicht schließlich
die einfache Interpretation der Ergebnisse.
Welchen Nutzen haben Unternehmen und Organisationen nun konkret vom Einsatz
des Text Minings? Entscheidungsträger können damit zukünftige
Entwicklungen leichter erkennen, deren Folgen besser einschätzen und so
Risiken für das Unternehmen oder die Organisation minimieren und Chancen
optimal ausnutzen. Anwendungsgebiete können beispielsweise die Bereiche
Business/Competitive Intelligence, strategische Planung, Risikomanagement, Issues/Reputation
Management, aber auch die Analyse von gesellschaftlichen Problemfeldern oder
des Wählerverhaltens sein.
Wie Text Mining die Unternehmensreputation
schützen hilft
Die Reputation eines Unternehmens, also das von unterschiedlichen Interessengruppen
wahrgenommene Ansehen, kann entscheidenden Einfluss auf den Markterfolg haben.
Sie ist ein direktes Maß dafür, inwieweit ein Unternehmen das angestrebte
Image tatsächlich erreicht. Eine hohe Reputation eröffnet Wettbewerbsvorteile,
wie zum Beispiel höhere Produktpreise, niedrigere Beschaffungskosten, eine
höhere Loyalität bei Kunden und Lieferanten oder die Gewinnung besonders
qualifizierter Mitarbeiter.
Auch wenn negative Unternehmensmeldungen bereits lange zurückliegen –
die Erinnerung in der breiten Öffentlichkeit an Marketingsünden oder
Produktskandale ist enorm langlebig und damit verbundene Schlagwörter sind
oft noch bis weit in die Zukunft sehr präsent. Negative Berichterstattung
kostet Unternehmen viel Geld. Was sich über lange Zeit in millionenschweren
Kampagnen an Reputation aufgebaut hat, kann durch eine einzige Negativschlagzeile
in kürzester Zeit zunichte gemacht werden. Doch häufig erfahren Unternehmen
viel zu spät von medial brisanten Themen, um bedacht reagieren zu können.
Dasselbe trifft auch auf etwaige Entwicklungschancen zu: Trends und daraus ableitbare
Geschäftspotenziale frühzeitig zu erkennen, kann bereits ein wichtiger
Wettbewerbsvorteil sein. Deshalb wird das systematische Aufspüren von unternehmensrelevanten
Themen immer wichtiger.
Durch Text Mining und entsprechende Werkzeuge zur Visualisierung können
Chancen und Risiken frühzeitig sichtbar gemacht werden, damit ausreichend
Zeit zum Agieren bleibt, bevor das Unternehmensimage erheblich geschädigt
ist oder Marktchancen ungenutzt verstrichen sind. Dabei lässt sich der
Faktor ausnutzen, dass durch das Internet jeder selbst zum Autor werden kann.
In vielen Fällen werden unternehmensrelevante Themen in Chat Rooms, Web
Blogs und anderen Plattformen unterschiedlicher Interessengruppen im Internet
diskutiert – und zwar lange bevor sie von Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk
oder Fernsehen aufgegriffen werden. Beispiele dafür gibt es viele, man
denke etwa an Patientenselbsthilfegruppen, Automobilforen oder Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen.
Neben der Technik ist somit die Auswahl der Medien ein weiterer entscheidender
Erfolgsfaktor. Hier kommt es auf den richtigen Mix an: Neben dem Internet mit
seinen Chat Rooms, Blogs und anderen Diskussionsforen müssen auch die klassischen
Medien, wie zum Beispiel Tageszeitungen, Fachzeitschriften oder Nachrichtenagenturen,
in die Analyse einbezogen werden. Des Weiteren kann es auch sinnvoll sein, interne
Datenbestände in die Betrachtung einfließen zu lassen. Verfolgt man
nun die Entwicklung der Diskussion zu einem bestimmten Thema in den unterschiedlichen
Mediengruppen über die Zeit, so lassen sich daraus Trends und Entwicklungen
abschätzen und vorhersehen. Wichtig ist, dass es erst durch die Beobachtung
von zeitlichen Veränderungen und eine geeignete Darstellung möglich
ist, auch so genannte schwache Indikatoren zu analysieren.
Eine Text-Mining-Lösung ermöglicht diese komplexe Langzeitanalyse
und ist immer individuell auf das Unternehmen oder die Organisation zugeschnitten,
andernfalls ließe sich das Volumen an vorhandenen Informationen nicht
sinnvoll auswerten. Eine weitere Anforderung ist das Erkennen von spezifischen
Kontexten für das Unternehmen oder die Organisation. Das können zum
Beispiel Unternehmensbezeichnungen, Marken, Abkürzungen oder auch Namen
sein.
Ein Beispiel aus der Nahrungsmittelbranche
Übergewicht und Ernährungsstörungen sind nicht nur ein gesellschaftliches
Problem, sondern insbesondere ein Risikothema für Unternehmen der Nahrungsmittelbranche.
Nicht nur für Fast-Food-Produzenten, sondern auch für Hersteller von
Soft Drinks oder Convenience-Produkten zeigt sich hier ein enormes Risiko-,
aber auch Chancenpotenzial. Seit einiger Zeit wird das Thema Ursachen und Auswirkungen
von Übergewicht weltweit in den klassischen Medien kritisch betrachtet.
Was man in den Nahrungsmittelkonzernen vielfach ignoriert hatte, ist die Tatsache,
dass dieses Thema bereits Monate zuvor von Verbraucherschutzorganisationen oder
gar Jahre zuvor in Blogs und Chat Rooms aufgegriffen wurde. Dazu zwei Beispiele:
- Diskussionsforen im Internet greifen das Thema Übergewicht durch Fast Food auf: “After they won against Big Tobacco, there’s no reason why they can’t apply the same principles of that case to the fast-food industry. FF is making people fat, increasing medical expenses … and shortening the overall life span.”
(Quelle: alt.food.fast-food, 19. Juni 2002) - Das Thema Übergewicht wird zum Gegenstand von Verbraucherschutzorganisationen: “Some school districts in the United States are rejecting the intrusion of corporate processed foods, tied to that country’s epidemic of childhood obesity and related diabetes.”
(Quelle: Manifesto on the Future of Food, www.slowfood.com)
Angesichts der Menge an Risikothemen, die Fast-Food-Unternehmen heutzutage
auf ihrem Radar haben, kann es passieren, dass das Thema Übergewicht nicht
die notwendige Beachtung findet. Allein eine Betrachtung der zeitlichen Entwicklung
und eine geeignete Darstellung hätte hier den notwendigen Aufschluss geben
können. Eine von Factiva durchgeführte Analyse zu diesem Thema konnte
den Sachverhalt bestätigen. Ergänzt man die Analyse um die Namen der
drei weltweiten Marktführer im Bereich Fast Food, so kann man leicht das
Unternehmen mit dem größten Risikopotenzial sowie das mit dem größten
Chancenpotenzial identifizieren.
In der Tat haben Fast-Food-Unternehmen in unterschiedlicher Art und Weise auf
das Thema Übergewicht reagiert. Einige Unternehmen attackierten beispielsweise
ihre Wettbewerber durch gezielte Diversifikation und neue, gesundheitsbewusste
Produktlinien, um so Marktanteile zu gewinnen. Andere Unternehmen versuchten,
auf das Thema durch organisatorische Änderungen und entsprechende Kommunikationsmaßnahmen
zu reagieren. So ernannte ein Unternehmen beispielsweise Ende 2003 erstmals
einen so genannten “Director of Worldwide Nutrition“.
Moderne Text-Mining-Lösungen sind in der Lage, das gesamte Internet sowie
Nachrichten- und Informationsarchive und interne Datenbestände zu analysieren.
Durch die Beobachtung von Themen und Konzepten im zeitlichen Verlauf und eine
geeignete Visualisierung der Daten können Risiken für die Unternehmensreputation
frühzeitig erkannt werden, wobei sich der Aktionsspielraum erhöht.
Dieser Zeitvorsprung kann von Unternehmen als Wettbewerbsvorteil genutzt werden.
Das Beispiel aus der Nahrungsmittelbranche zeigt, dass nicht nur Reputationsrisiken
abgewehrt, sondern auch Chancen in Form von Marktanteilen genutzt werden können.