2004/9 | Fachbeitrag | Data Mining

Wenn es in der Presse steht, ist es zu spät

von Matthias Hoffmann

Von Matthias Hoffmann

Inhaltsübersicht:

 

Vor dem Hintergrund sich immer schneller ändernder

Märkte und einer täglich zunehmenden Informationsflut sind intelligente

Lösungen zur Textanalyse ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen

aller Branchen geworden. Mit vielen der klassischen Recherche- und Marktforschungstechniken

lässt sich allenfalls ein Schnappschuss erzielen. Schwache Signale, die

sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, bleiben damit häufig

unerkannt. Insbesondere die Vielzahl der heute verfügbaren Informationsquellen

– angefangen von Agenturmeldungen und Printmedien bis hin zu Chat Rooms

und Blogs im Internet – stellt eine Herausforderung dar.

 

Vom Data Mining zum Text Mining

 

Viele Unternehmen und Organisationen greifen bereits auf Data-Mining-Werkzeuge

zurück, um ihre internen Datenbestände zu analysieren. So lassen sich

beispielsweise Kundeninformationen aus Customer-Relationship-Management-Systemen

und anderen internen Datenbanken zusammenführen und auswerten, um das Kaufverhalten

zu untersuchen. In Märkten mit einer hohen Transaktionsquote, wie zum Beispiel

beim E-Business, können diese Techniken somit ganz erheblich den Umsatz

und Gewinn eines Unternehmens beeinflussen.

 

 

Bisher sind Data-Mining-Techniken hauptsächlich auf strukturierte interne

Informationen angewandt worden. Ansätze zur Analyse großer Mengen

an unstrukturierten Informationen, wie sie beispielsweise in den Milliarden

Seiten des Internets vorliegen, sind dagegen meistens gescheitert. Durch neue

Entwicklungen im Rahmen des Web-Fountain-Projekts von IBM ist es jetzt möglich,

auch solche Informationen zu verarbeiten und daraus aussagekräftige Muster

und Trends zu erkennen. Der Informationsdienstleister Factiva ist das erste

Unternehmen, das IBM Web Fountain in Lizenz genommen hat. Mit den darauf basierenden

Anwendungen stehen nun Analysemöglichkeiten für das gesamte Internet

sowie das Nachrichten- und Informationsarchiv von Factiva und alle unternehmensinternen

Datenbestände zur Verfügung.

 

 

 

Die zugrunde liegende Technik nennt man Text Mining. Darunter versteht man

den Prozess der Verarbeitung einer großen Menge von unstrukturierten Daten,

der anschließenden Bereitstellung von Informationen über relevante

Themen, Konzepte und Zusammenhänge in einer strukturierten Datenbank und

letztlich der Analyse und Präsentation in einer leicht verständlichen

Form. Erreicht wird das durch ausgefeilte statistische Methoden, die es erlauben,

aus Mustern Sinnzusammenhänge zu extrahieren. Unternehmen, Marken oder

Namen können so zum Beispiel erkannt werden oder aus dem Wortabstand zwischen

Themen und Konzepten lässt sich auf bestimmte Trends schließen. Die

Darstellung in einer geeigneten grafischen Form ermöglicht schließlich

die einfache Interpretation der Ergebnisse.

 

 

Welchen Nutzen haben Unternehmen und Organisationen nun konkret vom Einsatz

des Text Minings? Entscheidungsträger können damit zukünftige

Entwicklungen leichter erkennen, deren Folgen besser einschätzen und so

Risiken für das Unternehmen oder die Organisation minimieren und Chancen

optimal ausnutzen. Anwendungsgebiete können beispielsweise die Bereiche

Business/Competitive Intelligence, strategische Planung, Risikomanagement, Issues/Reputation

Management, aber auch die Analyse von gesellschaftlichen Problemfeldern oder

des Wählerverhaltens sein.

 

 

 

Wie Text Mining die Unternehmensreputation

schützen hilft

 

 

Die Reputation eines Unternehmens, also das von unterschiedlichen Interessengruppen

wahrgenommene Ansehen, kann entscheidenden Einfluss auf den Markterfolg haben.

Sie ist ein direktes Maß dafür, inwieweit ein Unternehmen das angestrebte

Image tatsächlich erreicht. Eine hohe Reputation eröffnet Wettbewerbsvorteile,

wie zum Beispiel höhere Produktpreise, niedrigere Beschaffungskosten, eine

höhere Loyalität bei Kunden und Lieferanten oder die Gewinnung besonders

qualifizierter Mitarbeiter.

 

 

Auch wenn negative Unternehmensmeldungen bereits lange zurückliegen –

die Erinnerung in der breiten Öffentlichkeit an Marketingsünden oder

Produktskandale ist enorm langlebig und damit verbundene Schlagwörter sind

oft noch bis weit in die Zukunft sehr präsent. Negative Berichterstattung

kostet Unternehmen viel Geld. Was sich über lange Zeit in millionenschweren

Kampagnen an Reputation aufgebaut hat, kann durch eine einzige Negativschlagzeile

in kürzester Zeit zunichte gemacht werden. Doch häufig erfahren Unternehmen

viel zu spät von medial brisanten Themen, um bedacht reagieren zu können.

Dasselbe trifft auch auf etwaige Entwicklungschancen zu: Trends und daraus ableitbare

Geschäftspotenziale frühzeitig zu erkennen, kann bereits ein wichtiger

Wettbewerbsvorteil sein. Deshalb wird das systematische Aufspüren von unternehmensrelevanten

Themen immer wichtiger.

 

 

 

Durch Text Mining und entsprechende Werkzeuge zur Visualisierung können

Chancen und Risiken frühzeitig sichtbar gemacht werden, damit ausreichend

Zeit zum Agieren bleibt, bevor das Unternehmensimage erheblich geschädigt

ist oder Marktchancen ungenutzt verstrichen sind. Dabei lässt sich der

Faktor ausnutzen, dass durch das Internet jeder selbst zum Autor werden kann.

In vielen Fällen werden unternehmensrelevante Themen in Chat Rooms, Web

Blogs und anderen Plattformen unterschiedlicher Interessengruppen im Internet

diskutiert – und zwar lange bevor sie von Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk

oder Fernsehen aufgegriffen werden. Beispiele dafür gibt es viele, man

denke etwa an Patientenselbsthilfegruppen, Automobilforen oder Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen.

 

 

 

Neben der Technik ist somit die Auswahl der Medien ein weiterer entscheidender

Erfolgsfaktor. Hier kommt es auf den richtigen Mix an: Neben dem Internet mit

seinen Chat Rooms, Blogs und anderen Diskussionsforen müssen auch die klassischen

Medien, wie zum Beispiel Tageszeitungen, Fachzeitschriften oder Nachrichtenagenturen,

in die Analyse einbezogen werden. Des Weiteren kann es auch sinnvoll sein, interne

Datenbestände in die Betrachtung einfließen zu lassen. Verfolgt man

nun die Entwicklung der Diskussion zu einem bestimmten Thema in den unterschiedlichen

Mediengruppen über die Zeit, so lassen sich daraus Trends und Entwicklungen

abschätzen und vorhersehen. Wichtig ist, dass es erst durch die Beobachtung

von zeitlichen Veränderungen und eine geeignete Darstellung möglich

ist, auch so genannte schwache Indikatoren zu analysieren.

 

 

 

Eine Text-Mining-Lösung ermöglicht diese komplexe Langzeitanalyse

und ist immer individuell auf das Unternehmen oder die Organisation zugeschnitten,

andernfalls ließe sich das Volumen an vorhandenen Informationen nicht

sinnvoll auswerten. Eine weitere Anforderung ist das Erkennen von spezifischen

Kontexten für das Unternehmen oder die Organisation. Das können zum

Beispiel Unternehmensbezeichnungen, Marken, Abkürzungen oder auch Namen

sein.

 

Ein Beispiel aus der Nahrungsmittelbranche

 

Übergewicht und Ernährungsstörungen sind nicht nur ein gesellschaftliches

Problem, sondern insbesondere ein Risikothema für Unternehmen der Nahrungsmittelbranche.

Nicht nur für Fast-Food-Produzenten, sondern auch für Hersteller von

Soft Drinks oder Convenience-Produkten zeigt sich hier ein enormes Risiko-,

aber auch Chancenpotenzial. Seit einiger Zeit wird das Thema Ursachen und Auswirkungen

von Übergewicht weltweit in den klassischen Medien kritisch betrachtet.

Was man in den Nahrungsmittelkonzernen vielfach ignoriert hatte, ist die Tatsache,

dass dieses Thema bereits Monate zuvor von Verbraucherschutzorganisationen oder

gar Jahre zuvor in Blogs und Chat Rooms aufgegriffen wurde. Dazu zwei Beispiele:

 

 

  • Diskussionsforen im Internet greifen das Thema Übergewicht durch Fast Food auf: “After they won against Big Tobacco, there’s no reason why they can’t apply the same principles of that case to the fast-food industry. FF is making people fat, increasing medical expenses … and shortening the overall life span.”
    (Quelle: alt.food.fast-food, 19. Juni 2002)
  • Das Thema Übergewicht wird zum Gegenstand von Verbraucherschutzorganisationen: “Some school districts in the United States are rejecting the intrusion of corporate processed foods, tied to that country’s epidemic of childhood obesity and related diabetes.”
    (Quelle: Manifesto on the Future of Food, www.slowfood.com)

 

Angesichts der Menge an Risikothemen, die Fast-Food-Unternehmen heutzutage

auf ihrem Radar haben, kann es passieren, dass das Thema Übergewicht nicht

die notwendige Beachtung findet. Allein eine Betrachtung der zeitlichen Entwicklung

und eine geeignete Darstellung hätte hier den notwendigen Aufschluss geben

können. Eine von Factiva durchgeführte Analyse zu diesem Thema konnte

den Sachverhalt bestätigen. Ergänzt man die Analyse um die Namen der

drei weltweiten Marktführer im Bereich Fast Food, so kann man leicht das

Unternehmen mit dem größten Risikopotenzial sowie das mit dem größten

Chancenpotenzial identifizieren.

 

 

In der Tat haben Fast-Food-Unternehmen in unterschiedlicher Art und Weise auf

das Thema Übergewicht reagiert. Einige Unternehmen attackierten beispielsweise

ihre Wettbewerber durch gezielte Diversifikation und neue, gesundheitsbewusste

Produktlinien, um so Marktanteile zu gewinnen. Andere Unternehmen versuchten,

auf das Thema durch organisatorische Änderungen und entsprechende Kommunikationsmaßnahmen

zu reagieren. So ernannte ein Unternehmen beispielsweise Ende 2003 erstmals

einen so genannten “Director of Worldwide Nutrition“.

 

 

Fazit

 

Moderne Text-Mining-Lösungen sind in der Lage, das gesamte Internet sowie

Nachrichten- und Informationsarchive und interne Datenbestände zu analysieren.

Durch die Beobachtung von Themen und Konzepten im zeitlichen Verlauf und eine

geeignete Visualisierung der Daten können Risiken für die Unternehmensreputation

frühzeitig erkannt werden, wobei sich der Aktionsspielraum erhöht.

Dieser Zeitvorsprung kann von Unternehmen als Wettbewerbsvorteil genutzt werden.

Das Beispiel aus der Nahrungsmittelbranche zeigt, dass nicht nur Reputationsrisiken

abgewehrt, sondern auch Chancen in Form von Marktanteilen genutzt werden können.

 

 

 

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