2013/2 | Fachbeitrag | Unternehmensorganisation

Vernetzt arbeiten, lateral führen

von Johann Scholten

Inhaltsübersicht:


Vor allem High-Performance-Organisationen sind heute weitgehend netzwerkartig strukturiert. Und die Bereichsgrenzen sowie Hierarchiestufen spielen in ihrer Alltagsarbeit eine immer geringere Rolle – unter anderem, weil die Leistungen zunehmend in bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Arbeitsteams erbracht werden. Damit stößt auch das klassische Führen an seine Grenzen, das weitgehend auf der qua Position verliehenen disziplinarischen Macht und Weisungsbefugnis beruht. An Bedeutung gewinnt hingegen das sogenannte laterale Führen, das auf Vertrauen und Verständigung beruht und danach strebt, durch das Schaffen eines gemeinsamen Denkrahmens die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten soweit möglich tragfähig zu verbinden. Diese Art von Führung muss sich, da die disziplinarische Weisungsbefugnis als Machtquelle entfällt, auf andere Machtquellen stützen – zum Beispiel eine hohe persönliche Autorität und Integrität. Oder auf ein ausgewiesenes Expertentum. Oder auf ein gezieltes Net-working, das die eigene informelle Machtbasis stärkt.

Merkmale von lateraler Führung

Dabei stellt der Begriff „Laterale Führung“, zumindest ausgehend vom klassischen Führungsverständnis, ein Oxymoron, also ein Widerspruch in sich selbst, dar. Denn ihm zufolge ist Führung untrennbar mit einer hierarchischen Weisungsbefugnis und Unterordnung verbunden. Trotzdem ist laterale Führung zunehmend eine typische Erfordernis der heutigen Organisationswelt, die durch bereichsübergreifende Kooperationen, Vernetzungen, flache Hierarchien sowie Team- und Projektarbeit gekennzeichnet ist.

Wichtig ist dabei festzuhalten: Lateral führen bedeutet mehr als koordinieren. Denn während Koordination primär auf ein Aufeinanderabstimmen zum Beispiel von Interessen, Aufgaben oder Tätigkeiten abzielt, beinhaltet Führung auch ein Einwirken auf andere Personen oder Organisationen, damit sie in eine gewünschte Richtung handeln. Zentrales Ziel von lateraler Führung ist also nicht das Aushandeln oder Vereinbaren tragfähiger Kompromisse, sondern das Erreichen der eigenen oder übergeordneten Ziele (zum Beispiel des Unternehmens), wozu wiederum der Kompromiss ein Instrument sein kann. Entsprechend schwierig ist laterale Führung in der Praxis, da die an diesem Prozess beteiligten Personen zum Beispiel aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion und Position in der Organisation häufig divergierende Auffassungen und Interessen haben.

Anlässe für laterale Führung

Dessen ungeachtet gewinnt aufgrund der heutigen Organisation von Unternehmen das Thema laterale Führung an Bedeutung. Einige Beispiele, wann laterale Führung häufig gefragt ist, seien genannt.
Verständigung zwischen mehreren Bereichen einer Organisation aus einem konkreten Anlass

  • Beispiel: Ein Projektmanager oder Teamleiter erhält von seinem Vorgesetzten zwar ein Mandat, die Kooperation in Gang zu setzen und zu halten, er hat aber nur schwache Mittel, die Kooperanden „an die Leine“ zu nehmen.

Verständigung in der Wertschöpfungskette

  • Beispiel: Ein Bereich muss mit Nachbarbereichen entlang der Prozesskette kooperieren, der Bereichsleiter kann bei Meinungsverschiedenheiten aber nicht auf übergeordnete Instanzen als „Schlichter“ zurückgreifen – zum Beispiel auf Grund von Zeitmangel, fehlender Praxisnähe der Instanzen oder mangelnder Konfliktschlichtungskapazität.

Verständigung unter Geschäftspartnern

  • Beispiel: Eine Organisation muss sich mit mehreren ebenfalls autonomen Lieferanten und Kooperationspartnern darüber verständigen, wer im Rahmen eines gemeinsamen Großprojekts gewisse Leistungen für einen gemeinsamen Kunden erbringt.

Von hoher Bedeutung ist laterale Führung auch beim Treffen und Herbeiführen von Entscheidungen in Kollegialgremien (wie zum Beispiel Vorständen oder Präsidien) sowie in bereichs- und unternehmensübergreifenden Veränderungsprozessen (wie zum Beispiel Fusionen).

Instrumente des lateralen Führens

Da beim Lateralen Führen das Erteilen von Anweisungen entfällt, bedarf es anderer, eher informeller Instrumente der Führung. Diese lassen sich vier Komplexen zuordnen.

Denkgebäude öffnen, um Verständigung herzustellen

  • Auffassungen (= mentale Modelle) verändern, damit Verständigung entsteht
  • individuelle mentale Modelle erweitern, um kollektive mentale Modelle zu kreieren
  • das Lernen 1. Ordnung (Verhalten) ergänzen um ein Lernen 2. Ordnung (mentale Modelle, Werte)
  • Sondieren der individuellen Interessen, um Ziele, Herausforderungen, professionelle Werte zu klären
  • Sondieren der individuellen Auffassungen, um Überzeugungen, Arbeitsschemata, Entscheidungsverfahren zu klären

Kommunikation verbessern

  • Kommunikation in der Kooperationsbeziehung verbessern
  • Verständigungsbrücken schaffen („Partner“ sollen nachvollziehen können, was der andere meint)
  • tatsächliche Interaktion, Dialoge entstehen lassen (die Einen reagieren auf die Äußerungen der Anderen in ihrer Meinungsbildung)

Vertrauen erzeugen und erhalten

  • Vertrauen als Tauschgeschäft (Wer vertraut, dem wird vertraut. Einer beginnt und wartet die Reaktion des Anderen ab, um dann seinerseits wieder zu reagieren.)
  • Grundlagen von persönlichem Vertrauen herausarbeiten lassen
  • Zwänge offen legen
  • Regeln der Kommunikation und Kooperation erarbeiten, einführen und kontrollieren
  • Vertrauen langsam wachsen lassen (Felder identifizieren, wo das Risiko nicht so groß ist.)

Macht arrangieren

  • Macht erwächst aus dem Beherrschen von Unsicherheitszonen, die es zu reduzieren gilt (zum Beispiel aufgrund von Fachwissen, Markt-, Umweltbeziehungen, Kommunikation, formalen Bedingungen, Charisma, Heldentaten, Sympathie/Freundlichkeit, Zukunftseinschätzungen)
  • Macht ist eine Austauschbeziehung. Getauscht werden Handlungsmöglichkeiten ( = Fähigkeit, für Andere wichtige Probleme zu lösen). Dafür ist ein „Markt“ zu schaffen. (Neue Austauschbeziehungen entstehen lassen und so das Machtgefüge verändern.)
  • Coaching, Beratung in Anspruch nehmen, um eine Außenperspektive einzuführen und durch angeleitete Reflexion Blockaden zu überwinden
  • ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Vision kreieren
  • Erhöhung der Rationalität durch Weitergabe von Wissen und Informationen.

 

Oberstes Ziel: Zielerreichung

Die vier Steuerungsmechanismen „Kommunikation verbessern“, „Verständigung erreichen“, „Machtgefüge arrangieren“ und „Vertrauen aufbauen“ greifen ineinander und lassen sich im Unternehmens- und Führungsalltag schwer trennen. Sie laufen immer gleichzeitig und können sich gegenseitig stützen, behindern oder ersetzen.

Laterale Führung folgt besser einer Logik der Kontingenz statt Konsequenz. Das heißt, laterale Führungskräfte halten sich für die Auffassungen und Interessen der Anderen offen. Laterale Führung lässt zudem in der Entscheidungsfindungsphase offen, welches Entscheiden und Handeln das richtige oder beste ist („Es könnte so gehen, aber auch anders – jedoch nicht beliebig!“). Denn wichtig ist es nicht, den (scheinbar) „besten“ Weg durchzusetzen, sondern das übergeordnete Ziel zu erreichen. Und hierfür gibt es zumeist mehrere Wege.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Wissensmanagement, eine Frage der Führung?

Die Praxis in vielen Unternehmen zeigt immer wieder, wie oft Führung das Gegenteil bewirkt. Durch einen falschen Führungsstil werden Mitarbeiter demotiviert, vorhandene Eigeninitiative wird genommen, die Kreativität der Mitarbeiter einschränkt. Was aber kann eine Führungskraft in dem Spannungsfeld des möglichst selbst initiierten Wissensmanagements der Mitarbeiter und der nötigen Gesamtkoordination d...

Weiterlesen

Wissensmanagement braucht ein neues Verständnis von Unternehmenskultur

WISSENplus
Nie mussten Menschen so viele Informationen aufnehmen und verarbeiten wie heute. Kollaborationsplattformen, Social Intranet und die anderen Werkzeuge des Enterprise 2.0 werden von Unternehmen angeschafft, um der immer umfangreicheren und sich stetig beschleunigenden Informationsflut Herr zu werden. Attraktive Software-Produkte gibt es viele, der Markt entwickelt sich rasant, entsprechend groß und differenz...

Weiterlesen

Führen in schwierigen Zeiten – Turbulenzen als Chance verstehen

WISSENplus
Für Unternehmen werden die zukünftigen Entwicklungen zunehmend komplexer, sodass auf Führungskräfte neue Anforderungen zukommen. Für komplexe, chaotische Umgebungen ist ein Wildfluss eine ideale Metapher. Mit einem Team einen Wildwasserfluss im Kajak zu befahren, lehrt durch praktische Erfahrung, in einer sich ständig ändernden Umgebung die richtigen Entscheidungen zu treffen und Risiken angemessen z...

Weiterlesen

Communities & Netzwerke in den Dienst der Führungsarbeit stellen

WISSENplus
Eine der elementarsten Herausforderungen für Führungskräfte: Sie sollten die Kommunikationsinstrumente der Zukunft beherrschen und für die Führungsarbeit nutzen können. Bei der konkreten Umsetzung sind viele Verantwortliche allerdings überfordert. Die Frage lautet daher: Wie lassen sich Social Media, Twitter, Facebook & Co. nun tatsächlich bei der Mitarbeiterführung einsetzen?...

Weiterlesen

Generation Y als Treiber eines „neuen“ Innovationsmanagements

WISSENplus
Natürlich waren und sind creaktive Ideen auf motivierte Mitarbeiter angewiesen. Doch bisher haben Führungskräfte ihre Mitarbeiter dafür höchstens in Crea-Seminare geschickt, in denen sie mit einem gut gefüllten Crea-Werkzeugkasten ausgerüstet wurden. Anders ausgedrückt: Das „klassische“ Innovationsmanagements ist sehr toolbasiert. Brainstorming gilt als die Methode, mit der sich Innovationen...

Weiterlesen

Die wichtigsten Faktoren für die digitale Transformation

Wie an so vielen Wochenenden im Jahr sitze ich in einer Konferenz. Nein, nicht so eine, wie Sie vielleicht kennen. Diese Konferenz hat etwas Besonderes, denn ich bin hier, ohne dass die Organisatoren vorher eine Agenda festgelegt haben. Rund 150 weitere Teilnehmer tun es mir gleich und viele davon sind vorbereitet: mit ihrer eigenen Präsentation, um die anderen an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Der Abla...

Weiterlesen

Die digitale Transformation: Vernetzte Wirtschaft, vernetzte Gesellschaft, vernetztes Wissen

WISSENplus
Die seit Jahren fortschreitende Digitalisierung durchdringt zunehmend sämtliche Lebensbereiche, seien es das private Umfeld und die Bewältigung des privaten Alltags, der berufliche Kontext und die Formen des (Zusammen-)Arbeitens, die Kommunikation und das soziale Miteinander sowie die Interaktion zwischen Gegenständen auf der Basis des Internet – das so genannte Internet der Dinge. Zunehmend setzt sich...

Weiterlesen

Organisationale Paradoxien meistern

WISSENplus
Zwar hat sich auf der Basis von Praxiserfahrungen und einem umfangreichen Fundus wissenschaftlicher Studien ein Problembewusstsein für die Existenz, die Ursachen und die Folgen von organisationalen Paradoxien etabliert. Als Umsetzungsbarriere erweist sich jedoch die Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen und dem praktischen Zugang zum Paradoxie-Phänomen, die sich sowohl in unterschiedlichen Begrifflic...

Weiterlesen