2004/11 | Fachbeitrag | Kompetenz-Networking

Netzwerkbasierte Kompetenzentwicklung am Beispiel der deutschen Marine

von Arnd Kah, Axel Seemann und Frank Strewinsky

 

Von Dr. Arnd Kah, Axel

Seemann und Frank Strewinsky

 

Inhaltsübersicht:

 

Die Marine steht wie andere Teilstreitkräfte der

Bundeswehr derzeit vor der Herausforderung, ihr Fähigkeitsprofil an eine

veränderte sicherheitspolitische Lage sowie neue Bedrohungsszenarien anzupassen.

Um die hierfür notwendigen Kompetenzen zu bündeln und weiterzuentwickeln,

wurde ein so genanntes Kompetenznetz Marine (KNM) konzipiert und eingeführt.

 

 

 

 

Netzwerkbasierte Ansätze in der Bundeswehr

 

 

 

Im militärischen Bereich haben netzwerkbasierte Ansätze eine große

Bedeutung erlangt. Sie liegen zunehmend als Lösungsmuster zugrunde, um

der gestiegenen Komplexität und Dynamik des sicherheitspolitischen Umfelds

gerecht zu werden. So bestimmt nicht mehr die in der Vergangenheit noch vergleichsweise

gut antizipierbare und kalkulierbare Bedrohung an den Landesgrenzen Deutschlands

die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vielmehr gilt es nunmehr, internationalen

Krisen, ethnischen Konflikten und terroristischen Bedrohungen zu begegnen, die

schwer antizipierbar sind, sich aber in hohem Maße auf die Wirtschaft

und Sicherheit Deutschlands auswirken könnten.

 

 

 

Vor dem Hintergrund dieser neuen, weitaus komplexeren Situation hat sich schnell

gezeigt, dass geeignete Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen nur gemeinsam

mit Partnern möglich sind, die sich vernetzen und ihre Informations- und

Wissensbestände austauschen. So wird heute von den NATO-Partnern als Zielvorstellung

das Bild einer Joint Force verfolgt, die weltweit in der Lage ist, mit maßgeschneiderten

interoperablen Kräften jeglichen Bedrohungsszenarien zu begegnen. Ein wichtiges

militärisches Konzept hierzu ist die Network Centric Warfare (NCW). Dies

beinhaltet die Führung und den Einsatz von Streitkräften auf der Grundlage

eines streitkräftegemeinsamen, führungsebenenübergreifenden und

interoperablen Informations- und Kommunikationsverbundes.

 

 

NCW ist der Ausgangspunkt für eine hohe Akzeptanz netzwerkbasierter Ansätze

in der Bundeswehr. Bezogen sich diese zunächst ausschließlich auf

militärische Einsätze, lag es bald nahe, sie auch auf die konzeptionelle

und kreative Arbeit der Stäbe zu übertragen. So wendet die Deutsche

Marine das Netzwerk- Prinzip inzwischen konsequent an, um die konzeptionelle

Arbeit bei der Weiterentwicklung von Fähigkeiten in einem die verschiedenen

Teilstreitkräfte übergreifenden Ansatz zu unterstützen.

 

 

 

Dieser Prozess der Kompetenz-Weiterentwicklung erfordert es, eine Vielzahl

neuer Szenarien einzubeziehen. Geeignete Konzepte, Doktrinen, organisatorische,

logistische, personelle und materielle Maßnahmen sind nötig, um den

veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Das konzeptionelle Know-how

und das erforderliche Wissen zur Einschätzung notwendiger Anpassungsmaßnahmen

sind in der Marine auf eine Vielzahl räumlich getrennter Experten und Prozessbeteiligten

verteilt, so dass es notwendig war, deren Wissen und Erfahrung im Rahmen eines

netzwerkbasierten Wissensmanagement-Ansatzes zusammenzuführen.

 

 

Die Abteilung Weiterentwicklung Marine (WEM) erhielt deshalb den Auftrag, ein

Kompetenznetz Marine zu initiieren und zu betreiben. Mit Unterstützung

der NetSkill AG als externem Dienstleister startete die Konzeptionsphase.

 

 

Kompetenz-Networking als höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements

 

 

Im Zeitalter der Informations- und Kommunikationsgesellschaft hängt der

Erfolg von Organisationen immer stärker davon ab, neues Wissen schnell

zu generieren und zusammen mit Partnern in innovative Lösungen umzusetzen.

Die Identifikation und Vernetzung von Expertise und Fähigkeiten sowie die

gemeinsame Definition und Realisierung robuster Wertschöpfungsketten werden

somit zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor. Kompetenz-Networking stellt insofern

die derzeit höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements dar [1].

 

 

Kompetenz bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, alleine und vernetzt

möglichst souverän Problemlösungen zu entwickeln. Es gilt, die

eigenen Kernkompetenzen herauszuarbeiten, die dann in einen gemeinsamen Wertschöpfungsverbund

mit Partnern einzubringen sind. Networking heißt, die vorhandene Kompetenzvielfalt

zur Generierung überlegener Lösungen bestmöglich auszuschöpfen.

Im Networking liegt eine Kraft, welche die Fähigkeiten einzelner Abteilungen

oder Organisationen weit übersteigen kann. Vieles ist bereits erreicht,

wenn es gelingt, die Kompetenzen des eigenen Hauses strategiebezogen zusammenzuführen

und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Darüber

hinaus können Innovationskraft und Kompetenzentwicklung durch eine organisationsübergreifende

Vernetzung mit Partnerunternehmen, Universitäten, Forschungsinstituten,

Verbänden etc. zusätzlich gestärkt werden.

 

 

 

Kompetenz-Networking eignet sich immer dann als Wissensmanagement-Ansatz, wenn

die zu unterstützenden Prozesse in hohem Maße strategischen Charakter

haben, stark vom Input menschlichen Erfahrungswissens abhängig sind und

im Ergebnis nur schwer vorherbestimmbar sind. Zwei zentrale Anforderungen sind

zu erfüllen, um diesem Ansatz zum Erfolg zu verhelfen:

 

 

1. Experten identifizieren und vernetzen:

Das Entwickeln von Kernkompetenzen setzt das Generieren neuen Wissens voraus.

Dies kann nur in der Interaktion kompetenter Experten geschehen, die ihr Erfahrungswissen

einbringen, austauschen und daraus neues Wissen erzeugen. Reines Dokumentenmanagement

greift hierfür zu kurz, da es die lebendige Wissensbasis vernachlässigt.

Basis für Kompetenz-Networking ist deshalb ein Expertenmanagement, das

die Identifikation relevanter Experten unterstützt und durch Vernetzung

deren Erfahrungsaustausch fördert.

 

 

2. Strategisch ausgerichtete Kooperation:

 

Die Identifikation und Vernetzung von Experten ist jedoch kein Selbstzweck,

sondern muss an den Zielen der Organisation ausgerichtet sein, um einen entsprechenden

Wertschöpfungsbeitrag zu gewährleisten. Es gilt, die zum Erfüllen

der Organisationsziele erforderlichen Kernkompetenzen abzuleiten und konsequent

zu entwickeln. In einem von Dynamik und Komplexität geprägten Umfeld

wird es dabei immer stärker notwendig sein, die erforderlichen Kompetenzen

gemeinsam mit kompetenten Partnern, auch außerhalb der eigenen Organisation,

zu entwickeln, um zu überlegenen Lösungen kommen zu können. Die

Kooperations- und Partnerschaftsfähigkeit hat also eine strategische Bedeutung

[2].

 

 

Networking im Kompetenznetz Marine

 

 

In der Deutschen Marine wird die Grundidee und Philosophie des Kompetenz-Networking

in Form einer Vernetzungsplattform umgesetzt, welche das für die relevanten

Prozesse der Weiterentwicklung erforderliche Wissen bündelt und identifizierbar

macht. Die Plattform basiert auf der Competence-Engine, einer von der Net Skill

AG entwickelten Networking-Technologie.

 

 

In Organisations- und Prozessanalysen wurden zunächst die folgenden Prozesse

auf ihre Wissens- und Kommunikationsbedarfe hin untersucht:

 

  • Konzeptentwicklung, Auswertung/Analyse und Simulation
  • Fähigkeitsanalyse
  • Standardisierung von NATO-Einsatzvorschriften

 

Ausgehend von den Analyseergebnissen konnte dann das Kompetenznetz Marine (KNM)

konzipiert werden, welches drei zentrale Elemente beinhaltet:

 

  • Das Kompetenz-Netzwerk stellt die virtuelle Wissensorganisation der Marine dar und vernetzt das in den Dokumenten- und Expertenpools vorhandene implizite und explizite Wissen. Ziel ist es, den Wissensaustausch zu intensivieren und die Wissenstransparenz zu erhöhen, um eine solideEntscheidungsgrundlage für die Weiterentwicklung der Marine zu schaffen.
  • Das Kompetenz-Warehouse bildet die Kompetenzlandschaft der Marine auf Basis einer marinespezifischen Taxonomie strukturiert ab. Ziel ist eine einheitliche und praxisnahe Kennzeichnung von Inhalten, damit diese schnell und gezielt abgerufen werden können.
  • Das Kompetenz-Portal unterstützt die Prozessbeteiligten mit geeigneten IT-Anwendungsfunktionen. Ziel ist eine zunehmende Automatisierung des Kommunikations- und Kollaborationsprozesses, um die Durchlaufzeiten zu beschleunigen und damit Kosten zu sparen.

 

Basis der Wissensorganisation sind virtuelle Kompetenzzentren, die dezentral

verteiltes Wissen (z.B. wichtige konzeptionelle Dokumente) und Experten (also

das implizite Wissen in Köpfen) transparent zusammenführen. Aufgabenorientiert

können aus den Kompetenzzentren Dokumente und Expertenwissen abgerufen

und zusammengefasst werden. Dies unterstützt das Bilden projektbezogener

virtueller Arbeitsräume und fördert die Projektmanagement-Kultur.

 

 

Bei Aufbau und Betrieb der virtuellen Wissensorganisation sind mehrere Rollen

zu unterscheiden: Die Rolle des Auftraggebers nimmt ein Steuerungsgremium wahr;

dies umfasst die Initiierung und Kontrolle der Kompetenzentwicklung. Für

Aufbau und Pflege der Kompetenzzentren sind so genannte Kompetenz-Manager bzw.

Themenverantwortliche aus der Abteilung Weiterentwicklung Marine zuständig.

Fachexperten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Marine, gegebenenfalls

auch solche von externen Partnern, sind die Autoren und Editoren des Kompetenznetzes.

So genannte Aufgaben-Manager treiben die Entwicklung neuer Fähigkeiten

durch Projektarbeit voran; hierfür rufen sie Inhalte und Experten gezielt

ab.

 

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Virtuelle Kompetenzzentren als dynamisch wachsendes System

 

Die Verwaltung der Datensätze erfolgt in einem zentralen Kompetenz-Warehouse.

Basis für die Strukturierung ist eine Taxonomie, die eine einheitliche

Kennzeichnung von Dokumenten, Experten und Dialogen sowie deren Zuordnung auf

die Kompetenzzentren ermöglicht. Diese Taxonomie besteht aus speziellen

Fachdimensionen und sie beschreibenden Topics. Die Fachdimensionen spannen die

Kompetenzlandschaft der Marine auf. Anhand der Topics können die Inhalte

verschlagwortet werden, so dass sie über direkte Suchabfragen und Zuweisungen

zu Kompetenzzentren in der Begriffswelt der Marine identifizierbar sind und

von den Nutzern schnell und gezielt abgerufen werden können. Die Taxonomie

wurde von einem Team aus Vertretern der NetSkill AG und der Deutschen Marine

in einem Top-down- und Bottom-up-Verfahren erarbeitet.

 

 

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Fachdimensionen der marinespezifischen Taxonomie

 

Auf dem Kompetenz-Warehouse setzen IT-Anwendungsfunktionen auf, welche die

Prozessbeteiligten beim selbständigen Wahrnehmen ihrer Aufgaben unterstützen.

Voraussetzung dafür ist ein einheitliches User-Interface, das mit dem Kompetenz-Portal

geschaffen wurde. Über das Portal ist der direkte Zugriff auf die Kompetenzlandschaft

der Marine und die eingerichteten IT-Anwendungen möglich.

 

 

Dokumentenmanagement-Funktionen erlauben es den Nutzern, zu jeder Zeit von

jedem Ort aus relevante Inhalte einzusehen und zu bearbeiten. Außerdem

wird das Kommentieren und Weiterleiten von Dokumenten unterstützt, um Dialoge

oder Bearbeitungsprozesse einleiten zu können.

 

 

Das Erfahrungswissen der Fachexperten wird über so genannte Expertenprofile

in speziellen Verzeichnissen erfasst. Diese Profile ermöglichen eine onlinegestützte

Suche nach relevanten Experten. Zudem können Anfragen über vorhandene

Experten geroutet werden („Können Sie mir einen Experten zum Thema

XY empfehlen?“). Wichtig ist auch, dass der Expertenstamm aus sich selbst

heraus wachsen kann, um bislang nicht erschlossenes Potenzial innerhalb der

Marine zu identifizieren. Es ist deshalb möglich, dass die Nutzer selbst

Experten vorschlagen.

 

 

 

Weiterhin wird über Kommunikationsfunktionen, wie Experten-Ask-Net, Diskussionsforen

und Chat, der fachbezogene Dialog intensiviert, um einen Arbeits- bzw. Projektfortschritt

auch zwischen Arbeitssitzungen zu unterstützen und das vorhandene Kreativpotenzial

besser auszuschöpfen. Um zusätzlich die Durchführung virtueller

Konferenzen zu ermöglichen, wurde eine Spezialsoftware integriert.

 

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Aufgabenunterstützung im Self Service durch abrufbare IT-Funktionen

Organisatorische und kulturelle Verankerung

 

Besonders wichtig ist, das Thema Kompetenz-Networking ganzheitlich anzugehen

und dabei die kulturelle und organisatorische Verankerung nicht zu vernachlässigen.

Um das Prinzip des Kompetenz-Networking nachhaltig zu verankern, ist ein gesundes

Verhältnis aus Konzeption, Technik, Mensch und Organisation gefragt.

 

 

Zunächst gilt es, bei allen Beteiligten ein Bewusstsein für vernetztes

Arbeiten zu schaffen. Dazu eignen sich Maßnahmen des internen Marketings

wie Aufklärungskampagnen, Impulsseminare oder begleitende Ausbildungsmaßnahmen.

Das Etablieren geeigneter Rollen sowie das Definieren von Grundsätzen für

die Projektarbeit gewährleistet, dass auch tatsächlich die komplette

Kompetenzvielfalt einbezogen werden kann – bis hin zu Experten, die über

konkrete Anwendungserfahrungen aus Übungen und Einsätzen verfügen.

Abteilungen dürfen hier nicht als Einzelkämpfer agieren; die bereichsübergreifende

Zusammenarbeit muss gestärkt werden.

 

 

 

Unterstützende Maßnahmen sind in der Deutschen Marine bereits eingeleitet

worden. Deren Wirkung ist im laufenden Betrieb des Kompetenznetzes Marine konsequent

zu beobachten, um die Akzeptanz des neuen Ansatzes bei allen Beteiligten sicherzustellen.

 

 

 

 

Literatur:

 

 

[1] Kah, A.: Kompetenz-Networking. Höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements.

In: Handelsblatt.com. Juli 2004.

[2] Leibold, M./Probst, G./Gibbert, M.: Strategic Management in the Knowledge

Economy. Wiley & Sons 2002.

 

 

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