2004/11 | Fachbeitrag | Kompetenz-Networking
Netzwerkbasierte Kompetenzentwicklung am Beispiel der deutschen Marine
Inhaltsübersicht:
- Netzwerkbasierte Ansätze in der Bundeswehr
- Kompetenz-Networking als höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements
- Networking im Kompetenznetz Marine
- Organisatorische und kulturelle Verankerung
Die Marine steht wie andere Teilstreitkräfte der
Bundeswehr derzeit vor der Herausforderung, ihr Fähigkeitsprofil an eine
veränderte sicherheitspolitische Lage sowie neue Bedrohungsszenarien anzupassen.
Um die hierfür notwendigen Kompetenzen zu bündeln und weiterzuentwickeln,
wurde ein so genanntes Kompetenznetz Marine (KNM) konzipiert und eingeführt.
Netzwerkbasierte Ansätze in der Bundeswehr
Im militärischen Bereich haben netzwerkbasierte Ansätze eine große
Bedeutung erlangt. Sie liegen zunehmend als Lösungsmuster zugrunde, um
der gestiegenen Komplexität und Dynamik des sicherheitspolitischen Umfelds
gerecht zu werden. So bestimmt nicht mehr die in der Vergangenheit noch vergleichsweise
gut antizipierbare und kalkulierbare Bedrohung an den Landesgrenzen Deutschlands
die Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Vielmehr gilt es nunmehr, internationalen
Krisen, ethnischen Konflikten und terroristischen Bedrohungen zu begegnen, die
schwer antizipierbar sind, sich aber in hohem Maße auf die Wirtschaft
und Sicherheit Deutschlands auswirken könnten.
Vor dem Hintergrund dieser neuen, weitaus komplexeren Situation hat sich schnell
gezeigt, dass geeignete Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen nur gemeinsam
mit Partnern möglich sind, die sich vernetzen und ihre Informations- und
Wissensbestände austauschen. So wird heute von den NATO-Partnern als Zielvorstellung
das Bild einer Joint Force verfolgt, die weltweit in der Lage ist, mit maßgeschneiderten
interoperablen Kräften jeglichen Bedrohungsszenarien zu begegnen. Ein wichtiges
militärisches Konzept hierzu ist die Network Centric Warfare (NCW). Dies
beinhaltet die Führung und den Einsatz von Streitkräften auf der Grundlage
eines streitkräftegemeinsamen, führungsebenenübergreifenden und
interoperablen Informations- und Kommunikationsverbundes.
NCW ist der Ausgangspunkt für eine hohe Akzeptanz netzwerkbasierter Ansätze
in der Bundeswehr. Bezogen sich diese zunächst ausschließlich auf
militärische Einsätze, lag es bald nahe, sie auch auf die konzeptionelle
und kreative Arbeit der Stäbe zu übertragen. So wendet die Deutsche
Marine das Netzwerk- Prinzip inzwischen konsequent an, um die konzeptionelle
Arbeit bei der Weiterentwicklung von Fähigkeiten in einem die verschiedenen
Teilstreitkräfte übergreifenden Ansatz zu unterstützen.
Dieser Prozess der Kompetenz-Weiterentwicklung erfordert es, eine Vielzahl
neuer Szenarien einzubeziehen. Geeignete Konzepte, Doktrinen, organisatorische,
logistische, personelle und materielle Maßnahmen sind nötig, um den
veränderten Anforderungen gerecht zu werden. Das konzeptionelle Know-how
und das erforderliche Wissen zur Einschätzung notwendiger Anpassungsmaßnahmen
sind in der Marine auf eine Vielzahl räumlich getrennter Experten und Prozessbeteiligten
verteilt, so dass es notwendig war, deren Wissen und Erfahrung im Rahmen eines
netzwerkbasierten Wissensmanagement-Ansatzes zusammenzuführen.
Die Abteilung Weiterentwicklung Marine (WEM) erhielt deshalb den Auftrag, ein
Kompetenznetz Marine zu initiieren und zu betreiben. Mit Unterstützung
der NetSkill AG als externem Dienstleister startete die Konzeptionsphase.
Kompetenz-Networking als höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements
Im Zeitalter der Informations- und Kommunikationsgesellschaft hängt der
Erfolg von Organisationen immer stärker davon ab, neues Wissen schnell
zu generieren und zusammen mit Partnern in innovative Lösungen umzusetzen.
Die Identifikation und Vernetzung von Expertise und Fähigkeiten sowie die
gemeinsame Definition und Realisierung robuster Wertschöpfungsketten werden
somit zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor. Kompetenz-Networking stellt insofern
die derzeit höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements dar [1].
Kompetenz bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, alleine und vernetzt
möglichst souverän Problemlösungen zu entwickeln. Es gilt, die
eigenen Kernkompetenzen herauszuarbeiten, die dann in einen gemeinsamen Wertschöpfungsverbund
mit Partnern einzubringen sind. Networking heißt, die vorhandene Kompetenzvielfalt
zur Generierung überlegener Lösungen bestmöglich auszuschöpfen.
Im Networking liegt eine Kraft, welche die Fähigkeiten einzelner Abteilungen
oder Organisationen weit übersteigen kann. Vieles ist bereits erreicht,
wenn es gelingt, die Kompetenzen des eigenen Hauses strategiebezogen zusammenzuführen
und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit zu stärken. Darüber
hinaus können Innovationskraft und Kompetenzentwicklung durch eine organisationsübergreifende
Vernetzung mit Partnerunternehmen, Universitäten, Forschungsinstituten,
Verbänden etc. zusätzlich gestärkt werden.
Kompetenz-Networking eignet sich immer dann als Wissensmanagement-Ansatz, wenn
die zu unterstützenden Prozesse in hohem Maße strategischen Charakter
haben, stark vom Input menschlichen Erfahrungswissens abhängig sind und
im Ergebnis nur schwer vorherbestimmbar sind. Zwei zentrale Anforderungen sind
zu erfüllen, um diesem Ansatz zum Erfolg zu verhelfen:
1. Experten identifizieren und vernetzen:
Das Entwickeln von Kernkompetenzen setzt das Generieren neuen Wissens voraus.
Dies kann nur in der Interaktion kompetenter Experten geschehen, die ihr Erfahrungswissen
einbringen, austauschen und daraus neues Wissen erzeugen. Reines Dokumentenmanagement
greift hierfür zu kurz, da es die lebendige Wissensbasis vernachlässigt.
Basis für Kompetenz-Networking ist deshalb ein Expertenmanagement, das
die Identifikation relevanter Experten unterstützt und durch Vernetzung
deren Erfahrungsaustausch fördert.
2. Strategisch ausgerichtete Kooperation:
Die Identifikation und Vernetzung von Experten ist jedoch kein Selbstzweck,
sondern muss an den Zielen der Organisation ausgerichtet sein, um einen entsprechenden
Wertschöpfungsbeitrag zu gewährleisten. Es gilt, die zum Erfüllen
der Organisationsziele erforderlichen Kernkompetenzen abzuleiten und konsequent
zu entwickeln. In einem von Dynamik und Komplexität geprägten Umfeld
wird es dabei immer stärker notwendig sein, die erforderlichen Kompetenzen
gemeinsam mit kompetenten Partnern, auch außerhalb der eigenen Organisation,
zu entwickeln, um zu überlegenen Lösungen kommen zu können. Die
Kooperations- und Partnerschaftsfähigkeit hat also eine strategische Bedeutung
[2].
Networking im Kompetenznetz Marine
In der Deutschen Marine wird die Grundidee und Philosophie des Kompetenz-Networking
in Form einer Vernetzungsplattform umgesetzt, welche das für die relevanten
Prozesse der Weiterentwicklung erforderliche Wissen bündelt und identifizierbar
macht. Die Plattform basiert auf der Competence-Engine, einer von der Net Skill
AG entwickelten Networking-Technologie.
In Organisations- und Prozessanalysen wurden zunächst die folgenden Prozesse
auf ihre Wissens- und Kommunikationsbedarfe hin untersucht:
- Konzeptentwicklung, Auswertung/Analyse und Simulation
- Fähigkeitsanalyse
- Standardisierung von NATO-Einsatzvorschriften
Ausgehend von den Analyseergebnissen konnte dann das Kompetenznetz Marine (KNM)
konzipiert werden, welches drei zentrale Elemente beinhaltet:
- Das Kompetenz-Netzwerk stellt die virtuelle Wissensorganisation der Marine dar und vernetzt das in den Dokumenten- und Expertenpools vorhandene implizite und explizite Wissen. Ziel ist es, den Wissensaustausch zu intensivieren und die Wissenstransparenz zu erhöhen, um eine solideEntscheidungsgrundlage für die Weiterentwicklung der Marine zu schaffen.
- Das Kompetenz-Warehouse bildet die Kompetenzlandschaft der Marine auf Basis einer marinespezifischen Taxonomie strukturiert ab. Ziel ist eine einheitliche und praxisnahe Kennzeichnung von Inhalten, damit diese schnell und gezielt abgerufen werden können.
- Das Kompetenz-Portal unterstützt die Prozessbeteiligten mit geeigneten IT-Anwendungsfunktionen. Ziel ist eine zunehmende Automatisierung des Kommunikations- und Kollaborationsprozesses, um die Durchlaufzeiten zu beschleunigen und damit Kosten zu sparen.
Basis der Wissensorganisation sind virtuelle Kompetenzzentren, die dezentral
verteiltes Wissen (z.B. wichtige konzeptionelle Dokumente) und Experten (also
das implizite Wissen in Köpfen) transparent zusammenführen. Aufgabenorientiert
können aus den Kompetenzzentren Dokumente und Expertenwissen abgerufen
und zusammengefasst werden. Dies unterstützt das Bilden projektbezogener
virtueller Arbeitsräume und fördert die Projektmanagement-Kultur.
Bei Aufbau und Betrieb der virtuellen Wissensorganisation sind mehrere Rollen
zu unterscheiden: Die Rolle des Auftraggebers nimmt ein Steuerungsgremium wahr;
dies umfasst die Initiierung und Kontrolle der Kompetenzentwicklung. Für
Aufbau und Pflege der Kompetenzzentren sind so genannte Kompetenz-Manager bzw.
Themenverantwortliche aus der Abteilung Weiterentwicklung Marine zuständig.
Fachexperten aus den unterschiedlichsten Bereichen der Marine, gegebenenfalls
auch solche von externen Partnern, sind die Autoren und Editoren des Kompetenznetzes.
So genannte Aufgaben-Manager treiben die Entwicklung neuer Fähigkeiten
durch Projektarbeit voran; hierfür rufen sie Inhalte und Experten gezielt
ab.
Virtuelle Kompetenzzentren als dynamisch wachsendes System |
Die Verwaltung der Datensätze erfolgt in einem zentralen Kompetenz-Warehouse.
Basis für die Strukturierung ist eine Taxonomie, die eine einheitliche
Kennzeichnung von Dokumenten, Experten und Dialogen sowie deren Zuordnung auf
die Kompetenzzentren ermöglicht. Diese Taxonomie besteht aus speziellen
Fachdimensionen und sie beschreibenden Topics. Die Fachdimensionen spannen die
Kompetenzlandschaft der Marine auf. Anhand der Topics können die Inhalte
verschlagwortet werden, so dass sie über direkte Suchabfragen und Zuweisungen
zu Kompetenzzentren in der Begriffswelt der Marine identifizierbar sind und
von den Nutzern schnell und gezielt abgerufen werden können. Die Taxonomie
wurde von einem Team aus Vertretern der NetSkill AG und der Deutschen Marine
in einem Top-down- und Bottom-up-Verfahren erarbeitet.
Fachdimensionen der marinespezifischen Taxonomie |
Auf dem Kompetenz-Warehouse setzen IT-Anwendungsfunktionen auf, welche die
Prozessbeteiligten beim selbständigen Wahrnehmen ihrer Aufgaben unterstützen.
Voraussetzung dafür ist ein einheitliches User-Interface, das mit dem Kompetenz-Portal
geschaffen wurde. Über das Portal ist der direkte Zugriff auf die Kompetenzlandschaft
der Marine und die eingerichteten IT-Anwendungen möglich.
Dokumentenmanagement-Funktionen erlauben es den Nutzern, zu jeder Zeit von
jedem Ort aus relevante Inhalte einzusehen und zu bearbeiten. Außerdem
wird das Kommentieren und Weiterleiten von Dokumenten unterstützt, um Dialoge
oder Bearbeitungsprozesse einleiten zu können.
Das Erfahrungswissen der Fachexperten wird über so genannte Expertenprofile
in speziellen Verzeichnissen erfasst. Diese Profile ermöglichen eine onlinegestützte
Suche nach relevanten Experten. Zudem können Anfragen über vorhandene
Experten geroutet werden („Können Sie mir einen Experten zum Thema
XY empfehlen?“). Wichtig ist auch, dass der Expertenstamm aus sich selbst
heraus wachsen kann, um bislang nicht erschlossenes Potenzial innerhalb der
Marine zu identifizieren. Es ist deshalb möglich, dass die Nutzer selbst
Experten vorschlagen.
Weiterhin wird über Kommunikationsfunktionen, wie Experten-Ask-Net, Diskussionsforen
und Chat, der fachbezogene Dialog intensiviert, um einen Arbeits- bzw. Projektfortschritt
auch zwischen Arbeitssitzungen zu unterstützen und das vorhandene Kreativpotenzial
besser auszuschöpfen. Um zusätzlich die Durchführung virtueller
Konferenzen zu ermöglichen, wurde eine Spezialsoftware integriert.
Aufgabenunterstützung im Self Service durch abrufbare IT-Funktionen |
Organisatorische und kulturelle Verankerung
Besonders wichtig ist, das Thema Kompetenz-Networking ganzheitlich anzugehen
und dabei die kulturelle und organisatorische Verankerung nicht zu vernachlässigen.
Um das Prinzip des Kompetenz-Networking nachhaltig zu verankern, ist ein gesundes
Verhältnis aus Konzeption, Technik, Mensch und Organisation gefragt.
Zunächst gilt es, bei allen Beteiligten ein Bewusstsein für vernetztes
Arbeiten zu schaffen. Dazu eignen sich Maßnahmen des internen Marketings
wie Aufklärungskampagnen, Impulsseminare oder begleitende Ausbildungsmaßnahmen.
Das Etablieren geeigneter Rollen sowie das Definieren von Grundsätzen für
die Projektarbeit gewährleistet, dass auch tatsächlich die komplette
Kompetenzvielfalt einbezogen werden kann – bis hin zu Experten, die über
konkrete Anwendungserfahrungen aus Übungen und Einsätzen verfügen.
Abteilungen dürfen hier nicht als Einzelkämpfer agieren; die bereichsübergreifende
Zusammenarbeit muss gestärkt werden.
Unterstützende Maßnahmen sind in der Deutschen Marine bereits eingeleitet
worden. Deren Wirkung ist im laufenden Betrieb des Kompetenznetzes Marine konsequent
zu beobachten, um die Akzeptanz des neuen Ansatzes bei allen Beteiligten sicherzustellen.
Literatur:
[1] Kah, A.: Kompetenz-Networking. Höchste Ausbaustufe des Wissensmanagements.
In: Handelsblatt.com. Juli 2004.
[2] Leibold, M./Probst, G./Gibbert, M.: Strategic Management in the Knowledge
Economy. Wiley & Sons 2002.