2007/3 | Editorial | Wissensmanagement

Motivation aus dem Tierreich

von Oliver Lehnert

Lassen Sie uns das Entstehen von Wissen um die kürzeste Strecke zu einer Futterstelle in einem Ameisenhaufen betrachten: Zwei Ameisen - A und B - laufen zur gleichen Zeit in Richtung der potenziellen Futterstelle los. Bei jedem Schritt hinterlassen sie eine Duftmarke. Diese gilt als Anhaltspunkt für sie selbst und für die ihnen nachfolgenden Ameisen. Sobald beide Ameisen die Futterstelle entdeckt haben, kehren sie mithilfe ihrer eigenen Duftmarken zurück. Da Ameise A auf dem kürzeren Weg unterwegs war, hat ihre Strecke eine frischere Duftmarke als die von Ameise B. Genau aus diesem Grund entscheidet sich die nächste Ameise für die Strecke A. Mit jedem weiteren Gang über die Strecke A potenziert sich die Duftstärke. So findet die Ameisengruppe heraus, welche Strecke am kürzesten ist.

Keine der Ameisen hat eine globale Übersicht über das zu lösende Problem. Die einzelne Ameise weißt nicht, wie gut es dem gesamten Schwarm geht. Sie handelt lokal, aber die Auswirkungen sind global. Interessant dabei ist, dass jede Ameise nur zwei Regeln befolgt. Regel eins: Wenn du losläufst, hinterlasse einen Duftstoff. Regel zwei: Dort, wo der Duft am stärksten ist, läufst du hin. Das ist kein Wissen, sondern ein simples Informationsaufnahme- und Regel-Anwendersystem. Kein einziges Neuron im Gehirn beherbergt Wissen. Es entsteht erst durch die Interaktion der Insekten untereinander. Das Wissen eines Individuums kann wie eine Zelle in einem größeren Organismus betrachtet werden. Doch aufgrund der lokalen Perspektive fällt es auch Menschen schwer, den Superorganismus, den Schwarm, also zum Beispiel das Unternehmen, zu erkennen. Schwärme funktionieren, indem sie nach ganz einfachen Regeln zu Strukturen kommen. Man stattet jedes Individuum mit mehreren einfachen Regeln aus und sie optimieren sie. Dieses Phänomen gibt es überall, in der Physik etwa nennt man es Thermodynamik.

Genau wie ein Ameisenvolk haben auch Unternehmen die Fähigkeit, sich selbst zu organisieren. Die Frage dabei ist: Lassen sich im Unternehmen Regeln definieren, die dazu führen, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile? Auf der Leitungsebene der meisten Unternehmen wird schon seit Jahren daran gearbeitet, entsprechende Regeln zu finden. Dazu gehören Kontroll- und Anreizsysteme: Wenn der Vorstand sein Einkommen erhöhen will, muss er den Unternehmenswert steigern. Dieser Ansatz funktioniert aber nur, wenn ein erkennbarer Zusammenhang zwischen dem Handelnden und der Messgröße besteht. Und genau das ist die Herausforderung. Denn überall dort, wo nicht mit rein quantitativen Messmethoden gearbeitet werden kann und der Einfluss auf das Betriebsergebnis nicht unmittelbar gegeben ist, sind solche einfachen Regeln schwer zu finden. Dass die Schwarmtheorie aber auch für Menschen gilt, zeigt die La-Ola-Welle. Sie funktioniert auf lokaler Ebene, hat jedoch große Auswirkungen. Die Regel lautet: Beobachte deinen Nachbarn. Wenn er aufsteht, stehst du auch auf. Das ist eine lokale Sicht, die in der Konsequenz aber eine globale Folge hat.

Das heißt: Unternehmen müssen Regeln finden, an deren Einhaltung die Betroffenen ein Interesse haben und die das Unternehmen positiv beeinflussen. Und da sind wir nun beim Wissensmanagement: Menschen leisten ihren Beitrag zum Erfolg einer Organisation in Form von Informationsverarbeitung. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Mitarbeiter Informationen so verarbeiten und weitergeben, dass es im Sinne des Unternehmens ist.

Ihr

Oliver Lehnert

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