2018/3 | Digitalisierung | Qualitätsmanagement
Mit Mindmaps durch die ISO-Zertifizierung navigieren
Der aktuelle ISO 9001:2015 Standard definiert neue Anforderungen an das Qualitätsmanagement (QM). Ziel ist es, das Thema Qualitätsmanagement stärker in der Strategie der Unternehmen zu verankern, damit diese die Herausforderungen einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft erfolgreich meistern können. Wie aber sieht die konkrete Umsetzung einer solchen Norm aus? Welche Tipps gilt es zu beachten? Und was sollte man auf keinen Fall tun? Diesen Fragen haben sich der Chancen- und Risikomanagement-Spezialist Dr. Marco Gruber und Holger Wirtz, der leitende Medizinphysik-Experte des Strahlentherapiezentrums Singen, gestellt.
wm: Herr Gruber, ISO 9001?:?2015 zwingt Unternehmen zum Umdenken. Sie müssen bestehende QM-Systeme weiterentwickeln und bestehende Strukturen hinterfragen. Aber wie lässt sich ein derartig grundlegender Wandel realisieren?
Gruber: Eine wesentliche Fortentwicklung der neuen Norm besteht darin, dass sie nunmehr ein „risiko- und chancenbasiertes Denken“ voraussetzt. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar – denn wie soll dieses Denken mit Blick auf sämtliche Prozesse visualisiert und „gemanagt“ werden? Das geht nur, wenn sämtliche Ebenen einer Organisation eingebunden sind und ein gelebtes System entsteht. Um diesen Wandel zu realisieren und das risiko- und chancenbasierte Denken nachhaltig umzusetzen, braucht es einfach zu bedienende Führungsinstrumente – denn die Zeit drängt: Bis zum 15. September 2018 müssen ISO-zertifizierte Unternehmen ihre Prozesse an den aktualisierten Standard der ISO 9001 Norm anpassen, wenn sie ihre Zertifizierung nicht verlieren wollen.
wm: Herr Wirtz, Sie sind verantwortlich dafür, dass die Qualität innerhalb Ihrer auf Strahlentherapie ausgerichteten Gemeinschaftspraxis stimmt. Wie gehen Sie mit ISO-Zertifizierungen um, speziell mit der Umsetzung von ISO 9001?:?2015?
Wirtz: Qualitätsbewusstsein fängt im Kopf an. ISO-Zertifizierungen sollen und dürfen keine Qual sein, sondern vielmehr eine Strukturierungshilfe für Prozesse und Unternehmensführung. Wir haben uns schon 2009 für die ISO 9001?:?2008 entschieden und in den Folgejahren die DIN EN 15224 integriert, um dem gesteigerten Qualitätsbewusstsein und Anspruch der Patienten Rechnung zu tragen. Aufgrund des gelebten QM-Systems war es ein Leichtes, im Januar 2016 auf die ISO 9001?:?2015 umzusteigen – und zwar als eine der ersten Großpraxen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf die Ausarbeitung der Risikomanagement-Fragestellungen und Dokumentationen der internen Entwicklungen gelegt.
wm: Was sind die größten Herausforderungen der ISO 9001?:?2015 und wie lassen sie sich lösen?
Gruber: Eine der größten Herausforderungen bei der Einführung des neuen ISO-Standards besteht darin, Risiken in den Prozessen unternehmensweit zu beherrschen und Chancen nachhaltig zu entwickeln, damit sie aktiv gemanagt werden können. Dies kann nur gelingen, wenn nicht nur die Prozesse per se, sondern auch die damit verbundenen Risiken und Chancen der einzelnen Prozesse identifiziert, nach Ursache und Wirkung analysiert und bewertet werden. Erst dann kann die Steuerung und Kontrolle wirksam greifen.
Wirtz: In unserem Fall war die größte Herausforderung die Integration und Visualisierung von allen auditierfähigen Merkmalen auf einer Plattform. Dabei sollten vorhandene ISO-Strukturen und Dokumentationen aus Zeit- und Kostengründen möglichst nicht aufgebrochen werden. Gleichzeitig mussten Designänderungen in der Grundstruktur der Visualisierung intuitiv leicht möglich sein und die Arbeit mit dem Managementsystem Spaß machen. Die größte Herausforderung ist aber die Bearbeitung und Adaption der Risikobetrachtungen bestimmter Prozesse. Eine leicht nachzuvollziehende und gleichzeitig adaptierbare Methodik der Risikobetrachtung musste gefunden werden. Wünschenswert war zudem noch die objektive Erfassung von Prozessdaten, die bis dato nur durch Interviews der Prozessbeteiligten in unserem Arbeitsfeld erfasst werden konnten. „Tracker“ von Prozesskennzahlen, Stichwort Industrie 4.0, verarbeitet in einer automatisierten Prozessdatenbank, sollten online die Zahlen in das Risikomanagementsystem übertragen. Nur so können Investitionen und Ressourcen in Budgetplanungen gesteuert werden.
wm: Herr Gruber, Sie haben NEXTCUBE® entwickelt, ein auf MindManager basierendes Steuerungstool. Wie funktioniert diese Lösung?
Gruber: NEXTCUBE basiert für die Steuerung des Risikomanagements maßgeblich auf der beispielsweise vom TÜV Rheinland hierfür anerkannten Brainstorming-Methode. Das Besondere daran: Mit NEXTCUBE lassen sich Prozess- und Projektrisiken unter Einbezug des Reputationsschadens erstmals dreidimensional identifizieren, analysieren und bewerten. Um das Risikoprofil einer Unternehmung zu reduzieren und damit Chancen zu erhöhen, werden diese Informationen mittels NEXTCUBE in den Gesamtkontext gestellt und priorisiert. Daraus abgeleitete Maßnahmen sind mit MS Outlook®, MS SharePoint® oder IBM Notes® synchronisierbar. Diese umsetzungsorientierte Visualisierung bietet verschiedene Vorteile: Zum einen nimmt die Darstellung in Form einer Map dem Thema die Komplexität und reduziert die Inhalte auf das Wesentliche. Zum anderen bietet das leistungsfähige Feature der Map-Parts die Möglichkeit, dreidimensional bewertete Chancen und Risiken farblich hervorzuheben, um auf einen Blick die Potenziale sowie den Handlungsbedarf zu erkennen. Das liegt daran, dass die Map-Parts sehr einfach mit Inhalten gefüllt und schnell per Copy & Paste in weitere Zweige eingefügt werden können.
wm: Und wie muss ich mir das konkret in der Praxis vorstellen, speziell in der Medizintechnik?
Wirtz: Wir nutzen NEXTCUBE, um die seit 6.2.2018 von der EU-Direktive geforderte 2013/59/EURAtom zum Schutz unserer Patienten zu erfüllen. In dieser europaweit gültigen Richtlinie werden QM-Systeme und von den Behörden auditier- und überprüfbare Protokolliersysteme gefordert. Es ist also sinnvoller, die ISO 9001?:?2015 und explizit genannte Risikomanagementsysteme in einem Arbeitsschritt auf einer Visualisierungsplattform zusammenzufassen. Modulbauweisen der verschiedenen Messsysteme sind in der Medizintechnik vorhanden und auch gewünscht. Die Integration der Sub-Module in Big-Data-Datenbanken ist obligatorisch, darf aber die Mitarbeiter nicht überfordern und muss gleichzeitig ein Höchstmaß an Patientensicherheit bieten. Event- und Warnschwellen-gesteuerte Visualisierungen sind hierbei mehr als sinnvoll.
wm: Die Visualisierung der Zertifizierungsanforderungen scheint demnach hilfreich zu sein. Was ist in Ihren Augen der größte Vorteil der Darstellung im MindManager Format?
Wirtz: Mit MindManager haben wir die Möglichkeit, erstmals intuitiv und einfach die komplexen Prozessketten innerhalb der Patientenströme hinsichtlich ihres aktuellen Risikopotenzials zu visualisieren und zu steuern. Eine solche Dokumentation macht jedes ISO-Audit zu einem freudigen Spaziergang!
Gruber: MindManager verschafft die Freiheit, Komplexität ästhetisch zu reduzieren. So können die Informationen in NEXTCUBE beispielweise als Entscheidungsgrundlage für die Führungsebene eines Unternehmens dienen oder aber helfen, fehlerhaftes Verhalten zu vermeiden. Hilfreich ist beim Einsatz der Lösung vor allem, dass bestehende Prozesse dank des Map-Formats ohne Aufwand integriert und angepasst werden können. Das spart den Unternehmen nicht nur viel Zeit zu Beginn des Zertifizierungsprozesses, sondern nimmt auch die Vorbehalte gegenüber der neuen ISO-Norm, deren Umsetzung Tag für Tag dringender wird.
wm: Angenommen, ich habe nicht die Möglichkeit auf ein solches Tool zurückzugreifen, welche Hilfestellungen, Vorgehensweisen u. Ä. können Sie noch empfehlen?
Gruber: „Schere, Stein, Papier.“ (lacht) Nein, im Ernst – das ISO-Zertifikat ist ja auf ein bestimmtes Unternehmen zugeschnitten. Jede Organisation verändert sich jedoch über die Zeit und Papier ist geduldig: Aber moderne Führungsinstrumente wie NEXTCUBE machen den Aufbau, die Dokumentation, die Implementierung und die Bewirtschaftung um so vieles einfacher, dass ich keine reelle Alternative zu digitalen Tools erkennen kann.
Wirtz: Aus meiner langjährigen Praxis als QM-Beauftragter weiß ich, dass der logistische Aufwand, um an die relevanten, auswertbaren Prozesskennzahlen zu kommen, sehr groß sein kann. Möchte man diesen nicht betreiben, kann man sich an externe QM-Berater wenden, die ihren Vorschlag mit dem Auftraggeber abstimmen. Der Nachteil dieses Outsourcens ist, dass betriebstechnische Änderungen nur zeitverzögert dokumentiert werden können und natürlich Geld kosten. Der Aufbau einer betriebstechnischen Wissensdatenbank mit einem, evtl. schon vorhandenen, Dokumentenmanagementsystem mit Office®-Produkten, kann unter Mithilfe der Unternehmens-IT auch zielführend sein. Auch das wäre durchaus im Sinne der DIN ISO 9001?:?2015.