2002/1 | Editorial | Wissensmanagement

Lernen funktioniert nicht nur elektronisch

von Wolfgang Sturz

 

Die LearnTec in Karlsruhe steht wieder vor der Tür - eine Messe, bei der man manchmal meinen könnte, dass der Schwerpunkt immer mehr auf die zweite Silbe gelegt wird. Dabei ist es ja immer der Mensch, der etwas lernen will oder soll.

Der Einsatz von Technologien zur Optimierung von Lernprozessen stammt auch nicht erst aus der Internet-Zeit, sondern ist eigentlich viel älter. Bereits in den 70er Jahren habe ich mir bestimmte Grundlagen der Betriebswirtschaft durch meine Teilnahme an EDV-gestützten Planspielen angeeignet. Unsere "

unternehmerischen Entscheidungen" wurden damals auf Lochkarten gestanzt und in einen Großrechner mit einer Simulations-Software eingelesen. Das Ergebnis wurde in riesigen Listen ausgedruckt, zum Beispiel eine "

errechnete" Marktreaktion: E-Learning in den Kinderschuhen.

Trotzdem war das damals bereits ein sehr effektives E-Learning. Bei mir sind nämlich nicht die technischen Details bezüglich der Bedienung der Software hängengeblieben, sondern tatsächlich bestimmte betriebswirtschaftliche Grundlagen, um die es damals bei der Wissensvermittlung primär ging.

In den dazwischen liegenden fast 40 Jahren hat sich sehr viel getan. Von einfachen Vokabel-Lernprogrammen bis hin zu komplexen, interaktiven und audiovisuellen Fremdsprachenprogrammen, von sehr einfach strukturierten linearen Tutorials für neue Software-Programme bis hin zu interaktiven, modularen und recht fein granulierten Hilfestellungen für die Bedienung ganz spezifischer Programmfunktionen.

Heute gibt es kaum noch eine Branche, in der die elektronische Wissensvermittlung nicht bereits Fuß gefasst hat. Sogar manchen Autos wird inzwischen ab Werk eine multimediale CD mitgegeben, die dem stolzen Besitzer helfen soll, sich schneller in seinem neuen Fahrzeug zurecht zu finden. Banken verteilen Programme, mit denen die Kunden sich in Themen wie Finanzwirtschaft, Existenzgründung, Aktien und Börsen und ähnliche einarbeiten können. Und so geht es weiter.

E-Learning wird allerdings - und das scheint manchmal bei aller Euphorie unterzugehen - nie als Nürnberger Trichter funktionieren. Der Erfolg von E-Learning bleibt nämlich von zwei wichtigen und häufig unterschätzten Randbedingungen abhängig:

• Die Fähigkeit des Managements, Mitarbeiter oder Mitglieder, wie Hubert Saint-Onge, Clarica, sie nennt, zum kontinuierlichen Lernen und zum Einsatz von E-Learning-Prozessen zu motivieren.

• Das Verständnis der Mitarbeiter dafür, dass Lernen auch beim Einsatz toller E-Learning-Systeme harte Knochenarbeit bleibt.

E-Learning wird also nie ein vollständiger Ersatz für althergebrachte Lernstrukturen werden. Hubert Saint-Onge hat zwar, so berichtet der Lernexperte in dem Interview auf Seite 44, die internen Schulungsabteilungen in seinem Unternehmen komplett abgeschafft, beziehungsweise geschlossen und konsequent durch E-Learning-Konzepte ersetzt. Trotzdem funktioniert das Lernen auch dort nicht nur elektronisch. Zum Wissensmanagement gehört, so Saint-Onge, nämlich nicht nur die in eine Richtung laufende Vermittlung von Fakten. Erst der gedankliche Austausch von Wissen macht Wissen wissenswert. Dafür wurden bei Clarica Diskussionsforen entwickelt, die zum Teil auch auf den Möglichkeiten der modernen elektronischen Kommunikation aufbauen. Allerdings sind, damit diese Diskussionsforen funktionieren, zusätzlich regelmäßige Treffen aller Beteiligten erforderlich, um bestehende elektronische Barrieren abzubauen.

Nicht zuletzt spielt beim E-Learning so wie bei jedem anderen Lernprozess der Aspekt der Motivation eine sehr große Rolle. Das Management eines Unternehmens muß über alle Verantwortungsebenen hinweg ein intensives Bewusstsein für die Eigenverantwortung eines jeden einzelnen entstehen lassen und pflegen. Wissenstransfer per E-Learning funktioniert nur dann, wenn sowohl der Wissensvermittler als auch der Wissenskonsument die notwendige Motivation zum Umgang mit diesem Medium mit sich bringt.

Im vorliegenden Heft finden Sie eine ganze Reihe von Beiträgen zu diesem konträren Thema. Machen Sie sich als Leser ein eigenes Bild über die verschiedenen Konzepte, und entscheiden Sie, was für Ihre speziellen Randbedingungen am besten geeignet ist.

Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr

Dr.-Ing. Wolfgang Sturz

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