2011/5 | Fachbeitrag | Human Resources

Lebenslanges Lernen - Mitarbeiter für neue Herausforderungen motivieren

von Hubert Hölzl

Inhaltsübersicht:

Führungskraft Müller erteilt Mitarbeiter Wagner eine neue Aufgabe – zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Oder eine neue IT-Lösung zum Bearbeiten von Kundenanfragen zu entwickeln. Kurz unterhalten sich Müller und Wagner darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in zwei Monaten 50 Kunden für das neue Produkt zu finden oder die Bearbeitungszeit für Kundenanfragen um ein Viertel zu senken. Dann kehrt Führungskraft Müller an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich anderen Aufgaben. Entspannt! Denn Mitarbeiter Wagner hat in der Vergangenheit schon oft bewiesen, dass man auf ihn bauen kann.

 

Wochen oder gar Monate gehen so ins Land. Und immer wieder fragt Führungskraft Müller Herrn Wagner, wenn er ihn trifft: „Wie läuft's?“ Dessen Antwort: „Bestens.“ Oder: „Es geht voran.“ Also fragt Müller nicht nach. Denn er ist überzeugt: Der Wagner hat die Angelegenheit im Griff. Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe erledigt und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Zunehmend macht sich bei Wagner Nervosität breit. Immer häufiger erzählt er von „Problemen, die sich ergaben“. Und eine Woche, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er seinem Chef: „Ich schaffe es nicht.“ Der fragt entsetzt: „Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir noch gegensteuern können.“ Doch dafür ist es nun leider zu spät.

 

Die Mitarbeiter beim lösen der Aufgabe anleiten

Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Die Hauptverantwortung trägt aber die Führungskraft. Denn sie lotete nicht aus: Findet Wagner alleine einen geeigneten Lösungsweg oder braucht er Unterstützung? Also konnte Müller diese seinem Mitarbeiter auch nicht gewähren. Die Führungskraft überprüfte zwischenzeitlich auch nicht, ob sich ihr Mitarbeiter noch „auf Kurs“ befindet, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine ihrer Kernaufgaben nicht wahr, nämlich ihre Mitarbeiter bei deren Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt.

Dieses Anleiten ist heute vielfach verpönt. Stattdessen wird in Führungsseminaren häufig über das Thema Coaching gesprochen. Dabei reduziert sich das Coachen im Betriebsalltag weitgehend auf ein Anleiten der Mitarbeiter – zumindest dann, wenn der Coach zugleich der disziplinarische Vorgesetzte ist. Dass das Anleiten einen eher schlechten Ruf hat, hat folgenden Grund: Anleiten wird oft mit Anweisen gleichgesetzt. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle „Tue dies“ und "Tue das" zu erteilen, sondern ihnen auch die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art.

 

Lernprozesse initiieren und begleiten

Ein weiterer Grund ist: Die Funktion „Anleiten“ wird heute weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. Zu unrecht! Denn was tut ein „Anleiter“? Er gibt seinen Schützlingen, wenn sie vor neuen Aufgaben stehen, nicht die Lösung vor. Er fragt sie vielmehr: „Wie würdet Ihr diese Aufgabe angehen?“ Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und zeigt sich dabei, dass sie Unterstützung brauchen? Dann gibt er ihnen Hilfestellungen, bevor er sich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt. Doch damit ist sein Job noch nicht erledigt. Er fragt vielmehr beim Umsetzen immer wieder nach: „Gibt es Probleme?“, „Was habt Ihr zwischenzeitlich erreicht?“, um bei Bedarf korrigierend oder unterstützend einzugreifen. Denn sonst ist weder sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, noch dass bei den Schützlingen die gewünschten Lernprozesse stattfinden.

Eine solche Unterstützung beziehungsweise Begleitung brauchen nicht nur Azubis, sondern auch erfahrene Arbeitskräfte – zumindest bei Aufgaben, mit deren Lösung sie noch keine oder wenig Erfahrung haben. Und diese ihnen zu gewähren, ist eine Führungsaufgabe. Denn ansonsten bleibt es weitgehend dem Zufall überlassen, welche Arbeitsergebnisse erzielt werden. Und die Führungskraft kann am Ende nur noch konstatieren: Die Ziele wurden nicht erreicht.

Das sei an einem Beispiel illustriert: Nehmen wir an, Kundenbetreuer Mayer, der bisher im Innendienst arbeitete, soll künftig im Außendienst Neukunden akquirieren. Dann genügt es nicht, wenn sein Chef, Vertriebsleiter Müller, zu ihm sagt: „Herr Mayer machen sie das mal“, und ihm eventuell noch das Ziel vorgibt: „Bis Ende Juni, also in den nächsten drei Monaten, müssen Sie zehn Neukunden haben.“ Denn dann ist nicht sicher gestellt, dass Herr Mayer seine neue Aufgabe adäquat wahrnimmt und das definierte Ziel erreicht. Das kann Vertriebsleiter Müller im Extremfall den Job kosten. Denn seine Leistung wird von seinen Chefs an der Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Ausflüchte wie „Mein Mitarbeiter Mayer war überfordert“, akzeptieren sie nicht, wenn Müllers Bereich das vorgegebene (Vertriebs-)Ziel verfehlt.

 

Den Weg zum Erfolg aufzeigen

Was sollte Vertriebsleiter Müller also tun? Er sollte sich, wenn er seinem Mitarbeiter die neue Aufgabe überträgt, mit ihm zusammensetzen und erarbeiten:

  • Wie kann das vorgegebene Ziel erreicht werden?
  • Welche Maßnahmen sind hierfür nötig? Und:
  • Welche Unterstützung braucht Mitarbeiter Mayer?

Das Ergebnis könnte sein: Wenn wir bis Ende Juni zehn Neukunden gewinnen möchten, müssen wir bis Ende April mindestens 100 Unternehmen anrufen und ermitteln, ob bei ihnen grundsätzlich ein Bedarf für unsere Leistung besteht. Von ihnen sagen voraussichtlich zirka 25: „Ja.“ Mit diesen 25 potenziellen Kunden müssen wir bis Ende Mai persönliche Gespräche führen und ihnen individuelle Angebote unterbreiten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Ende Juni Aufträge von zehn Neukunden haben.

Sind der Weg zum Ziel „zehn Neukunden“ und die Etappenziele, die es hierbei zu passieren gilt, fixiert, kann daraus abgeleitet werden:

  • Welche Teilaufgaben ergeben sich hieraus und
  • welche Unterstützung fachlicher, personeller sowie motivationaler Art braucht Mayer, um diese wahrzunehmen?

Erst danach darf sich Führungskraft Müller wieder anderen Aufgaben zuwenden und Mitarbeiter Mayer eigenständig seinen Job erledigen lassen – doch nicht eigenverantwortlich, weil ihm noch die nötige Erfahrung fehlt. Also muss Müller in den Folgewochen bei Mayer regelmäßig zum Beispiel nachfragen:

  • „Wie läuft es mit dem Telefonieren? Bekommen Sie ausreichend Entscheider an den Hörer?“ oder
  • „Erweist sich unsere Annahme, dass 25 Prozent der Unternehmen sich für unsere Leistung interessieren, als richtig?“

Antwortet Mayer „nein“, muss Müller sich mit ihm zusammensetzen und analysieren: Warum? Zeigt sich dann zum Beispiel, dass die Sekretärinnen Herrn Mayer nur selten zu den Entscheidern durchstellen, lautet die Frage erneut: Warum? Vielleicht sind seine Telefonate falsch aufgebaut? Vielleicht hat Mayer aber auch mentale Barrieren, fremde Menschen anzurufen und lässt sich deshalb schnell abwimmeln? Abhängig vom Ergebnis kann dann die nötige Unterstützung für Mayer organisiert werden.

 

Auf dem Weg zum Ziel begleiten

Entsprechendes gilt, wenn Mayer sagt: „Ich komme zwar zu den Entscheidern durch. Es interessieren sich aber weniger als 25 Prozent für unsere Leistung.“ Dann muss Müller mit Mayer ermitteln, wie das Etappenziel, 25 Interessenten bis Ende April zu identifizieren, doch noch erreicht werden kann. Vielleicht sollte sich Mayer beim Telefonieren auf andere Branchen konzentrieren? Vielleicht muss er aber auch schlicht 150 statt der geplanten 100 Untenehmen anrufen?

Durch ein solches Vorgehen kann die Führungskraft sicherstellen, dass ihr Mitarbeiter die gesteckten Etappenziele und letztlich auch das Endziel erreicht. Doch nicht nur dies. Sie sorgt auch dafür, dass beim Mitarbeiter die gewünschten Lernprozesse stattfinden und bei ihm die Erfahrung entsteht, die er künftig zum eigenständigen Lösen ähnlicher Aufgaben braucht. Denn durch das gemeinsame Analysieren, warum gewisse Vorgehensweisen funktionieren und andere nicht, gewinnt der Mitarbeiter auch Erfahrung damit, geeignete Lösungswege zu entwerfen. Diese kann er auf andere Aufgaben übertragen.

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