2009/8 | Fachbeitrag | Change Management
Krisenzeiten sind Lehrjahre
Inhaltsübersicht:
- Konsequenz 1: Alle verfügbaren Informationen sammeln
- Konsequenz 2: Projektgruppe „Krisenprävention“ etablieren
- Konsequenz 3: Projektmanagement-Kompetenz aufbauen
- Konsequenz 4: Grundlagen für Speed Management schaffen
- Konsequenz 5: Ganzheitlich denken und handeln
- Fazit
Führungskräfte aller Ebenen stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: Neben dem Krisenmanagement müssen
sie mit strategischem Weitblick prüfen, welche Konsequenzen sie aus der jetzigen Situation für die Zukunftsgestaltung
ziehen müssen. Denn nach der Krise ist bekanntlich immer auch vor der Krise – und nachdem sich die Gewitterwolken verzogen haben,
wird es wieder Sonnenschein geben. Aber das nächste Tiefdruckgebiet kommt bestimmt. Wer die jetzige Wirtschaftsflaute
überleben oder sogar gestärkt aus ihr hervor gehen will, muss Lehren aus der schwierigen Zeit ziehen. Diese Lehren werden
branchenspezifisch ausfallen und von Unternehmen zu Unternehmen andere sein. Trotzdem lassen sich fünf Konsequenzen
festhalten, die die meisten Firmen und so gut wie alle Führungskräfte betreffen.
Konsequenz 1: Alle verfügbaren Informationen sammeln
Führungskräfte und Mitarbeiter sind gefordert, alle Informationen zur derzeitigen Krisensituation zu sammeln
und Erfahrungsberichte zu verfassen. Dabei sind nicht Zahlen, Daten und Fakten interessant, sondern das Erfahrungswissen.
Denn genau jetzt erleben alle Beteiligten Situationen – im Umgang mit Kunden, Lieferanten, aber auch mit den Mitarbeitern –,
die nur in einer Krise möglich und zu beobachten sind. Diese speziellen und einmaligen Erfahrungen müssen allen Mitarbeitern im
Unternehmen zugänglich gemacht werden. Am besten in Form von subjektiven Erlebnisberichten.
Geeignete Fragen in diesem Zusammenhang sind:
- Welche spezifischen Reaktionen im Umgang mit Kunden (Lieferanten, Mitarbeitern …) erleben Sie jetzt? Welche Gespräche ergeben sich daraus?
- Welche außergewöhnlichen Erfahrungen machen Sie?
- Welche besonderen Lernprozesse durchleben Sie, die der Krisensituation geschuldet sind?
Konsequenz 2: Projektgruppe „Krisenprävention“ etablieren
Ob die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise von irgendjemandem hätte vorhergesehen werden können,
ist umstritten. Trotzdem sollten Unternehmen prüfen, ob sie nicht eine Projektgruppe einsetzen sollten,
die in Zukunft die Veränderungen in den Rahmenbebedingungen und im betrieblichen Umfeld daraufhin abklopfen,
ob sich Krisensymptome zeigen. Die Arbeit des Projektteams sollte dabei unter einer allgemeinen Fragestellung:
„Stimmt unsere strategische Ausrichtung noch? Ist angesichts der derzeitigen Situation eine Anpassung oder Änderung notwendig?”
Diese Fragestellung ist ein wenig von der Krisensituation abgekoppelt und macht den Blick frei für die Anpassung
an Veränderungen jeglicher Art.
Konsequenz 3: Projektmanagement-Kompetenz aufbauen
Projektmanagement ist der Sammelbegriff für all die Prozesse und Werkzeuge, die benötigt werden, um in einer gegebenen
Zeit mit den erforderlichen Ressourcen – Menschen, Werkzeuge, Finanzen – ein Ziel zu erreichen, das quantitativ
und qualitativ klar definiert ist. Oft werden dazu Menschen aus der Linie herausgezogen. Sie übernehmen für eine befristete
Zeit eine Aufgabe innerhalb des Projektteams, um schließlich wieder in die Linie zurückzukehren.
Was hat das Projektmanagement mit der Krisenbewältigung zu tun? In den meisten Unternehmen gibt es derzeit einen Stab
oder ein Projektgruppe, die sich mit der Bewältigung der Krise beschäftigt. Das ist im Prinzip richtig – es muss
ein Kernteam geben, das sich mit diesem brennenden Problem in ganz besonderem Maße auseinandersetzt. Allerdings:
In der Krise, bei der Bewältigung einer schwierigen Zeit, sollte es einen erheblichen Unterschied zu „normalen” Projekten geben:
An einem Krisen-Change-Projekt müssen alle Mitarbeiter und Führungskräfte beteiligt sein. Denn wenn die Krisenbewältigung
an eine kleine Gruppe delegiert wird, birgt dies die Gefahr, dass alle anderen die Verantwortung von sich schieben:
„Die Task Force kümmert sich doch – dann muss ich mich nicht selbst engagieren.”
Daher ist es entscheiden, möglichst alle Menschen im Unternehmen mit einem Grundwissen im Projektmanagement auszustatten.
Dieses Know-how nutzt nicht nur bei der Vertreibung der nächsten Krisen-Gewitterwolke, sondern auch, um auf den Nägeln
brennende Probleme zu lösen, in Qualitätszirkel auf die Suche nach Optimierungsmöglichkeiten zu gehen oder durch Account-Teams
wichtige Großkunden zu betreuen.
Konsequenz 4: Grundlagen für Speed Management schaffen
Derzeit finden die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter nahezu jeden Tag neue Verhältnisse an ihrem Arbeitsplatz vor:
Der Großkunde ist nun doch nicht abgesprungen, die politischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, die Geschäftsführung
hat das Budget gekürzt, ein Großauftrag winkt, ein Angebot muss eher gestern als heute raus. Das ist derzeit der tägliche
Wahnsinn, mit dem Unternehmen zumeist unvorbereitet konfrontiert werden.
Schnelligkeit und Dynamik sind in Zeiten, in denen tägliche Flexibilität und stündliches Anpassungsvermögen zur Routine werden,
wichtiger als je zuvor. Überspitzt ausgedrückt: Jeder Tag muss wie ein Projekt angegangen werden. Darum sollten für die
Zukunft auch Linienmanager, sollten alle Mitarbeiter, die Verantwortung tragen, wissen, wie man ein Projekt auf- und durchzieht.
Hier empfiehlt sich ein „Projektmanagement light“, also einen Schnellkurs in den vier Dimensionen des Projektmanagements:
- die projekt-fachliche Seite: Alle Mitarbeiter und Führungskräfte werden in einer Art Crash-Kurs mit den elementaren Begriffen, Methoden und Werkzeugen des Projektmanagements vertraut gemacht.
- der menschliche Aspekt: Projekte scheitern häufig daran, dass es „beim Menschlichen” hapert. Die Projektmitglieder müssen sich „riechen“ können und zusammenpassen, der Projektleiter sollte über außerordentliche Führungskompetenzen verfügen und einen Teamgeist im Projektteam entfachen können. Der Faktor Mensch spielt bei der Projektarbeit eine große Rolle. Beide genannten Aspekte müssen zusammen kommen: Ein Projektleiter ohne Projektmanagement-Werkzeuge, aber mit viel Teamgeist und Moderationstechnik ausgestattet, wird wohl ebenso erfolglos bleiben wie ein „hard-nosed” Projektmanager, der alle Methoden des Projektmanagements virtuos und sachlich-korrekt einsetzt, aber keine Ahnung davon hat, wie er die beteiligten Menschen führen und begeistern soll.
- die creaktive Dimension: Erfolgreiches Projektmanagement benötigt kreative Methoden, um zu überraschenden Problemlösungen zu gelangen, etwa die 6-3-5-Methode, das laterale Denken oder die morphologische Matrix.
- Die vierte Dimension schließlich betrifft das Changemanagement — denn ein Projekt führt immer zu Veränderungen, erst recht das der Krisenprophylaxe und -bewältigung. Aufgabe der Unternehmen ist es, den Mitarbeitern und Führungskräften Möglichkeiten zu eröffnen, nicht nebenbei, sondern gezielt und in Ruhe Projektmanagement-Fachwissen, Führungs-Know-how, Problemlösungskompetenz und Change-Wissen aufzubauen. So kann jeder im Unternehmen bei der nächsten Krise am Projekt „Krisenbewältigung” teilnehmen — auch diejenigen, in deren Aufgabenbereich es ansonsten nicht fällt, Projekte zu managen oder Projektarbeit zu leisten.
Konsequenz 5: Ganzheitlich denken und handeln
Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist mit einer derartigen Überraschung und Intensität auf uns hereingebrochen, dass die
meisten Unternehmen mit Sofortmaßnahmen reagieren mussten, die jedoch nicht immer gut vorbereitet waren. Jetzt haben sie die
Möglichkeit, aufgrund der beschriebenen Lernprozesse für die Zukunft besser gerüstet zu sein. Der ganzheitliche Ansatz besagt,
dass die Mitarbeiter einerseits gezielt an der Einstellung feilen können, die in der Krise liegenden Chancen für das Unternehmen
zu nutzen. Und zum anderen sollten sie Tools entwickeln, die aus den jetzigen Erfahrungen abgeleitet werden können und zum
Beispiel Krisenaktions-, Kommunikations- und Notfallpläne umfassen.
Aus Fehlern werden Sie klug, vor allem aus Fehlern, die einer Firma in der Krise unterlaufen. Entscheidend ist, wie die
Verantwortlichen damit umgehen. Stecken sie den Kopf in den Sand – oder begreifen sie ihre Erfahrungen als Lernmöglichkeiten?