2018/1 | Fachbeitrag | Digitale Transformation

"Jedes Unternehmen profitiert davon, einen Blick über den digitalen Tellerrand zu werfen."

von Jorn Lyseggen

Inhaltsübersicht:

Das Internet hat die Art verändert, wie wir Entscheidungen treffen. Das hat auch Jorn Lyseggen, Gründer und CEO des Media-Intelligence-Anbieters Meltwater, beobachtet. Das einstige Start-up, das 2001 in einer norwegischen Werfthütte entstand, hat sich mittlerweile zu einem Global Player in Sachen Monitoring entwickelt - und Jorn Lyseggen zum Fachautor. In seinem ersten Buch „Outside Insight“ beschreibt er, wie moderne Unternehmer künftig Daten aus dem Web als Grundlage für ihre Entscheidungen nutzen. Im Interview mit „wissensmanagement – Das Magazin für Führungskräfte“ verriet uns Jorn Lyseggen, wie weit diese Entwicklung ist und welche Rolle künstliche Intelligenz dabei spielt.

wm: Herr Lyseggen, Ihr erstes Buch erschien Anfang Oktober im Penguin Verlag. Können Sie uns kurz umreißen, worum es bei Outside Insight geht?

Jorn Lyseggen: Das Konzept Outside Insight beschreibt, wie moderne Unternehmer zukünftig Entscheidungen treffen. Der bisherige Status quo ist, dass Daten aus vergangenen Geschäftsjahren als Grundlage für die Zukunft dienen. Dabei gibt es da draußen jede Menge Daten, die potentiell Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens oder einer Marke haben können - und das Beste daran: All diese Informationen sind online frei zugänglich!

Mein Buch ist eine praktische Anleitung für Führungskräfte, da es zeigt, wie sie an diese Daten kommen und sie sinnvoll in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen.

wm: Auf welcher Grundlage haben Unternehmer bisher Entscheidungen getroffen? Wie werden sie künftig Entscheidungen treffen?

Lyseggen: Bisher haben Unternehmer zurückgeschaut, um Prognosen für die Zukunft zu treffen. Das heißt, interne Daten aus Abverkäufen, Wachstumsraten und Gewinnen der vergangenen Geschäftsjahre bildeten die Grundlage für Entscheidungen. Dieses Wissen wird zwar weiterhin eine Rolle spielen, wird aber um (tages-) aktuelle Informationen ergänzt. Und zwar um Daten, die so aktuell sind, dass sie sogar in Echtzeit aus dem Web kommen.

wm: Was sind das für Daten, die künftig bei Entscheidungsprozessen eine Rolle spielen werden?

Lyseggen: Prinzipiell können alle Daten, die frei zugänglich im Web sind, in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Das bedeutet: Alles, was auf Twitter, Facebook, YouTube, Instagram, in Blogs und Kommentaren, Rezensionen und Produktbewertungen, aber auch in Börsennews (Börsen-News?), Patentanmeldungen, Stellenausschreibungen sowie Erfolgsmeldungen veröffentlicht wird, kann einen Einfluss haben.

wm: Das klingt nach sehr vielen potentiell relevanten Daten. Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in dem Zusammenhang?

Lyseggen: Diese riesige Menge an Daten bedeutet gleichzeitig auch eine Menge an Aufwand - schließlich ist nicht jede Information auch wirklich relevant. Die Aufgabe ist nun, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das können entweder Mitarbeiter in stundenlanger Kleinstarbeit leisten - oder aber Programme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, binnen Sekunden erledigen.

wm: Gilt Outside Insight nur für digitale Unternehmen oder können auch andere Branchen davon profitieren?

Lyseggen: Der Grundgedanke von Outside Insight ist zwar zutiefst digital - die Anwendungsbereiche müssen es aber nicht sein. Schließlich kann jede Branche von dem Wissen profitieren, wie Mitbewerber online agieren oder für sie relevante Themen im Social Web besprochen werden.

Stellt beispielsweise ein Handwerksbetrieb fest, dass die Produkte seines Mitbewerbers auf Facebook vermehrt negativ besprochen werden, kann er daraufhin sein eigenes Sortiment sinnvoll umstellen.

wm: Können nur Global Player von Outside Insight profitieren oder lohnt sich der Paradigmenwechsel auch für kleine und mittelständische Unternehmen?

Lyseggen: Jeder, der seine Entscheidungen auf fundierten Grundlagen treffen will, kann und sollte einen Blick ins Internet werfen und Outside Insight umsetzen. Inwiefern die Kapazitäten und die Infrastruktur vorhanden sind, ist eine andere Sache. Das ist aber kein Grund, auf den Blick über den Tellerrand zu verzichten. Monitoring-Anbieter und -Professionals helfen hier natürlich gerne weiter - entweder beim Set-up entsprechender Strukturen oder bei der regelmäßigen Informationsgewinnung selbst.

wm: Welche Abteilungen profitieren von Outside Insight?

Lyseggen: Prinzipiell kann jede Abteilung davon profitieren, zu wissen, was außerhalb des eigenen Kosmos passiert - schließlich kann Branchenwissen nicht schaden. Am offensichtlichsten ist der Einsatz natürlich im Management, im Marketing und der Produktentwicklung.

wm: Wodurch zeichnen sich moderne Unternehmer aus?

Lyseggen: Moderne Unternehmer haben genau das, was ich beschrieben haben, verinnerlicht. Sie nutzen nicht nur “alte” Daten für den Blick in die Zukunft, sondern beziehen auch Echtzeit-Informationen aus dem Web in ihre Entscheidungen ein. Außerdem ermutigen sie ihre Mitarbeiter, genau dasselbe zu tun und über den Tellerrand der eigenen Abteilung und des eigenen Unternehmens zu blicken. Manchmal kann es übrigens sogar nützlich sein, über die eigene Branche hinaus nach Inspiration zu suchen.

wm: Wie kam es zu der Vision Outside Insight? Wie lange beobachten Sie diese Entwicklung schon?

Lyseggen: Ich habe Meltwater 2001 gegründet, zu einer Zeit in der sich das Internet als Kommunikationskanal immer stärker etablierte. Schon da wusste ich: Da kommt eine große Menge an Daten auf uns zu, die Unternehmen sinnvoll einsetzen können - solange sie denn den Überblick bewahren. Dabei unterstützen Meltwater und andere Monitoring-Anbieter sie.

wm: Welche Rolle spielt Monitoring bereits jetzt bei Entscheidungsprozessen?

Lyseggen: Ich freue mich, sagen zu können, dass Monitoring heute schon in vielen Unternehmen angekommen ist und sich teilweise sogar ganze Teams damit auseinandersetzen, was im (Social) Web passiert. Ich beobachte, dass somit immer mehr Unternehmen das Konzept Outside Insight umsetzen - wenn auch unbewusst. Mit meinem Buch gebe ich ihnen das Wissen an die Hand, diese Informationen künftig strategischer einzusetzen.

wm: Wie treffen deutsche Unternehmer derzeit Entscheidungen? Gilt diese Entwicklung auch für deutsche Entscheider?

Lyseggen: Die Art, wie deutsche Unternehmer Entscheidungen treffen, hängt derzeit noch stark von der Branche ab, in der sie zu Hause sind. Je digitaler ein Unternehmen, desto eher setzt es auf Monitoring. Je besser das Monitoring implementiert ist, desto stärker beziehen sie externe Daten in ihre Entscheidungsprozesse ein. Es gibt noch etwas “Aufklärungsarbeit” zu leisten - und wir freuen uns darauf.

wm: Können Sie uns einen Ausblick geben, wohin die Reise geht? Was ist der nächste Schritt in Sachen künstlicher Intelligenz?

Lyseggen: Überhaupt erst einmal externe Daten aus dem Web, die mittels künstlicher Intelligenz gefiltert werden, in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, ist schon ein ziemlich großer Schritt. Ein Schritt, der im Laufe der nächsten Monate und Jahre immer weiter ausgearbeitet wird. Schon heute sind wir so weit, mittels Machine Learning zu gewährleisten, dass künstliche Intelligenz mit immer weniger menschlicher Hilfe immer bessere Ergebnisse erzielt!

wm: Herr Lyseggen, vielen Dank für die spannenden Insights!


Das Buch zum Thema

Jorn Lyseggen

Outside Insight
Navigating a World Drowning in Data

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