2022/12 | Fachbeitrag | Leadership
In Stresssituationen richtig entscheiden: Was die Business-Welt von der Luftfahrt lernen kann
"Lead like a pilot": Die vergangenen Jahre haben Führungskräfte immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt - Coronamaßnahmen, Lieferengpässe, Ressourcenknappheit, Inflation. Dabei gilt es stetig, Entscheidungen in Ausnahme- und Stresssituationen zu treffen und zu kommunizieren. Und das mit klarem Kopf und Weitblick. Die Luftfahrt kann der Business-Welt dabei als Vorbild dienen.
Trotz Druck richtig entscheiden
"Der Tunnelblick ist oft die erste Stressreaktion", weiß Rhetoriktrainer Peter Flume. Und dadurch treffen Führungskräfte falsche Entscheidungen. "Wenn sich Entscheidungsträger nur auf einen Aspekt konzentrieren, können sie keine fundierten Beschlüsse unter Abwägung aller Fakten fassen", fügt der Nürtinger hinzu. Wie Krisenmanagement funktionieren kann, zeigt die Luftfahrt: Turbulenzen, schreiende Passagiere, unbekannte Flugplätze und immer neue Anweisungen über den Funk. Wenn es in der Luft brenzlig wird, sind Piloten geschult, mit einem kühlen Kopf die Maschine sicher zu landen. "Das alles geht nur durch jahrelanges Training und Vorbereitung auf Extremsituationen", sagt der Rhetoriktrainer. Die Situation lasse sich auf das Business übertragen. Hier kann Vorbereitung ebenfalls der entscheidende Faktor zum Steuern aus der Krise sein. "Führungskräfte sollten immer mögliche Ausnahmeszenarien und passende Lösungen parat haben", rät Flume. So komme es erst gar nicht zum Tunnelblick. In Stresssituationen können Entscheidungstragende dann lediglich die Rahmenbedingungen ihrer Krisenpläne überprüfen und Einzelheiten anpassen. Der Tipp des Rhetoriktrainers also: Notfallpläne und Checklisten können durch die Krise leiten, wenn der Kopf vor lauter Panik ausschaltet.
Entscheidungen überlegt treffen
Als sich Peter Flume 2019 mit einem Motorausfall seiner Propellermaschine in der Luft befindet, bleiben ihm nur wenige Optionen: Eine direkte Notlandung auf ungewissem Untergrund in Verlängerung seiner Flugbahn oder der Versuch einer sicheren Notlandung am Züricher Flughafen mit professioneller Hilfe nur wenige Minuten entfernt. Innerhalb von Sekunden entscheidet sich der Rhetoriktrainer für die Umkehrkurve zum Flughafen und rettet so sein Leben. In Extremsituationen gilt es demnach abzuwägen, welche Konsequenzen eine Entscheidung oder eben auch ein Nicht-Handeln nach sich ziehen. Auch im Business eilen Lösungen in Krisenzeiten. Führungskräfte müssen also überlegen: Wer profitiert von meiner Entscheidung? Wer kommt zu Schaden? Welche Kosten zieht das Ganze hinter sich her und auf welche rechtlichen und journalistischen Folgen muss ich mich einstellen?
Das Gute ist, jeder Führungstragende verfügt über ein qualifiziertes Team und trifft keine Entscheidung ganz alleine. Den Motorenausfall seiner Maschine hat Flume durch sein langjähriges Training und ständige Weiterbildung souverän gemeistert. "Die kritische Phase hätte ich aber nicht alleine bewältigen können", ist sich der Rhetoriktrainer mit Flugschein bewusst. Nachdem Flume seine Situation an das Terminal weitergegeben hatte, musste er sich nicht weiter um Details kümmern. So wurde der Flugverkehr kurzerhand für ihn gestoppt, auf dem Landefeld wartete schon das Notfallteam. Jeder kannte seine Aufgabe und nur so hat die ganze Aktion reibungslos und ohne größere Schäden ablaufen können. "Jeder Mitarbeiter sollte nicht nur die Notfallpläne kennen, sondern auch seine Aufgabe in der Situation - ganz nach dem Motto 'Teamwork makes the dreamwork' kann man dann gemeinsam alles meistern", sagt Flume.
Dafür ist jedoch Kommunikation ausschlaggebend. Führungskräfte müssen laut des Experten alle Ressourcen wahrnehmen, hören und miteinbeziehen können, um fundierte Entscheidungen zu treffen. "Auch heißt es: Ego aus und Reflektion an", weiß Flume. Ein zwingender Punkt sei es, bei der Entscheidung immer Freiraum zum Revidieren zu lassen. "Bei der Hudson-Landung konnte der Pilot schließlich auch nur die richtige Entscheidung treffen, da er flexibel auf die neuen Herausforderungen reagiert und seine Pläne angepasst hat." Intensive Kommunikation in kurzen Intervallen und Offenheit für andere Lösungsansätze haben im Hudson-Fall alle unbeschadet aus der Krise kommen lassen - so kann das auch im Alltag von Führungskräften aussehen.
Beschlüsse deutlich kommunizieren
Als Flume Kontakt mit dem Tower aufgenommen hatte, war vor allem die saubere Kommunikation der entscheidende Faktor für seine sichere Landung. "Meine klare Ansage an den Controller, wie die Notlandung abzulaufen hat, half dabei, das Flugzeug sicher und unbeschädigt im Gleitflug zu landen", sagt der Nürtinger rückblickend. Im Business entscheiden Führungskräfte zwar nicht über Leben oder Tod. Trotzdem eilen wichtige Entscheidungen. Deutliche Ansagen und direkte Aufgabenverteilungen sind also der Schlüssel zum erfolgreichen Meistern. Das bedeutet: Bestimmende Aussagen, keine Floskeln und immer eine Rückmeldung beim Team einholen, ob jeder die Vorgehensweise verstanden hat.
"Auf die dabei möglicherweise entstehenden Befindlichkeiten und Wünsche der Mitarbeiter sollten Führungskräfte ebenfalls reagieren." So hat Flume nach seinem persönlichen Hudson-Moment den Kontakt mit der Fluglotsin gesucht, um sich für die perfekte Zusammenarbeit zu bedanken. "Denn ohne das Team ist selbst die qualifizierteste Führungskraft hilflos bei Krisen", so Flume.
An der persönlichen Resilienz arbeiten
Krisenpläne helfen natürlich, einen kühlen Kopf zu bewahren. "Aber vor allem persönliche Stressresistenz der Führungskraft ist gefragt", weiß Flume. Und diese kann trainiert werden. So zeigt der Rhetoriktrainer beispielsweise Führungskräften in seinen Seminaren, was die eigenen Stressmuster sind und, wo sie an sich selbst arbeiten können - und das alles in einem Flugsimulator. "Dabei werfe ich Teilnehmer ins kalte Wasser und lasse sie wichtige Entscheidungen im Cockpit treffen", sagt Flume. Anschließend geht der Seminargeber gemeinsam in die Entscheidungsanalyse mit den Teilnehmenden, findet individuelle Lösungen für Stressreaktionen und bereitet somit auf Extremsituationen im beruflichen Alltag vor.
Was Flume seinen Teilnehmern zusätzlich an Wissen mitgibt: Führungskräfte sollten sich so organisieren, dass sie für Extremfälle noch genug Energie haben und leistungsfähig sind. Regelmäßige Pausen, Routineaufgaben zu delegieren und Unwichtiges fernzuhalten, können die Kräfte der Führungsperson schonen. "Nur, wer mit dem Kopf und der Kraft hundertprozentig da ist, kann gemeinsam mit dem Team ein "happy landing" hinlegen", schließt der Pilot aus Leidenschaft ab.