2010/4 | Kolumne | Betriebliches Vorschlagswesen
Ideenreichtum ist kreative Verschwendung
„The best way to have a good idea is to have a lot of ideas.” Dieses Axiom des zweifachen Nobelpreisträgers Linus Pauling erscheint auf den ersten Blick banal. Doch wie so viele scheinbar banale Dinge mutet es uns Einiges zu, wenn wir es denn ernst nehmen. Denn Pauling redet hier von Redundanz, Übermaß, ja, Verschwendung als Grundlage von Kreativität und Innovation. Wie aber passt das zusammen mit unserer in Jahren der Toyotismus-Gläubigkeit und dem alles beherrschenden Lean-Management-Denken antrainierten Abscheu vor muda, der Verschwendung, verstanden als „menschliche Aktivität, die Ressourcen verbraucht, aber keinen Wert erzeugt“ (Wallace J. Hopp). Eine Idee, die einfach nur so in die Welt gesetzt wird, ohne am Ende zu einer vermarktungsfähigen Innovation zu führen, verbraucht Ressourcen, erzeugt aber – scheinbar – keinen Wert – ist also muda, und damit zu vermeiden.
Ideengenerierung um der Ideen willen, schiere Quantität statt Qualität im Sinne einer klaren Zweckorientierung – eine Zumutung! Und nicht das, worauf klassische Ideen- und Innovationsmanagement-Prozesse ausgerichtet sind. Be- oder gar verhindern diese Prozesse also Kreativität und einen Paulingschen Ideenreichtum? Schnüren die allenthalben immer rigider werdenden Kostensparprogramme und das Weiterdrehen an der Rationalisierungsschraube den kreativen Freiräumen in unseren Unternehmen endgültig die Luft ab? Setzen wir allzu sehr auf die Produktivitätssteigerung im Hase-Igel-Wettlauf mit den (billigeren) Konkurrenten am Weltmarkt anstatt auf die Kreativitätssteigerung? Befördert allgegenwärtiges „cost cutting” Ideenarmut anstatt Ideenreichtum?
Bevor wir uns nun allzu sehr der Schwarzseherei für die Zukunft unseres „Landes der Ideen“ hingeben, lassen Sie mich Ihnen Ihnen von zwei Unternehmen berichten, die ich bei der Evaluierung der Exzellenten Wissensorganisationen 2009 kennen gelernt habe (www.wissensexzellenz.de):
- - Da ist zum einen die Bernd Kußmaul GmbH in Weinstadt bei Stuttgart (www.bernd-kussmaul-gmbh.de), eine von 25 im letzten Jahr vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichneten Exzellenten Wissensorganisationen. Dort verfügt jeder Mitarbeiter über „Testgeld“ – es handelt sich wohlgemerkt um echtes Geld, je nach Position im Unternehmen zwischen 500 und 5.000 Euro im Jahr. Dieses Budget bekommt jeder zum Ausprobieren einer neuen Idee meist ohne Weiteres genehmigt. Es gibt keine Vorgaben, wie das Geld zu verwenden ist. Es gibt keine Termine, es müssen keine Ergebnisse abgeliefert werden. Testgeld ist frei zum Experimentieren ohne Druck. Über Ideen, Experimente und Tests wird im Team offen gesprochen, auch über fehlgeschlagene Versuche. Was für eine Verschwendung! -
- Oder die di Digitale Informationssysteme GmbH in Mannheim (www.digi-info.de), einer der Kandidaten für die Exzellente Wissensorganisat ion 2009. Dort ist die Arbeitszeit der Mitarbeiter kontingentiert, je nach Stelle zu unterschiedlichen Anteilen, z.B. 80/20 oder 70/30, d.h. 70 Prozent der Arbeitszeit müssen auf Kundenprojekte verbucht werden, 30 Prozent sind zur freien Verfügung, z.B. für interne Entwicklungsprojekte („etwas ausprobieren“). Ergebnisse, positive wie negative, werden im so genannten Donnerstalk allen Kollegen vorgestellt. Außerdem ist Know-how-Dopplung Pflicht, d.h. mindestens zwei Personen kennen einen Prozess, auf Konferenzen gehen in der Regel mehrere Mitarbeiter, an den meisten Projekten arbeiten zwei Entwickler gemeinsam, bei neuen Entwicklungen besteht die Vorgabe, dass mindestens zwei schlau gemacht werden müssen. Usw. – Was für eine Verschwendung!
Und da ist die Robert Bosch GmbH, immerhin ein Weltkonzern, dessen Gründer schon vor über 100 Jahren erkannte, dass seine Facharbeiter und Techniker kein Kostenfaktor, sondern das Vermögen darstellen, das er am dringendsten braucht, und der deshalb um bis zu 62 Prozent höhere Löhne als die Konkurrenz bezahlte, gegen Widerstand anderer Unternehmer den 8-Stunden-Tag einführte, den freien Samstag usw. Was für eine Verschwendung!
Ihre
Gabriele Vollmar