2023/5 | Fachbeitrag | Tools

Hightech, Highspeed, Hightouch?

Die Informations- und Kommunikationsindustrie offeriert uns permanent neue Produkte, die uns angeblich helfen, Zeit zu sparen. Das tun sie oft auch. Doch zugleich erscheint es so, als würden wir umso stärker unter Zeitdruck stehen, je intensiver wir diese Produkte nutzen. Ähnlich verhält es sich in den Unternehmen. Obwohl in ihnen heute fast alle Geschäftsprozesse IT-gestützt ablaufen, haben sie zunehmend das Gefühl: Wir können mit den Marktveränderungen immer weniger Schritt halten. Eine zentrale Ursache hierfür ist: Die Vorzüge der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie nutzen alle Unternehmen. Also werden in der gesamten Wirtschaft die Geschäftsprozesse schneller und die Innovationszyklen kürzer. Und der effektive Umgang mit der Zeit? Er wird zunehmend zum Erfolgsfaktor, was auch solche Managementbegriffe wie "Just-in-time" und "time-to-market" belegen.

Bildquelle: (C) Gerd Altmann / Pixabay

Multitasking prägt den (Arbeits-)Alltag

Auf den wachsenden Zeitdruck reagieren viele Menschen privat, indem sie ihr häusliches Umfeld noch stärker technisieren, so dass fortan zum Beispiel ihre Gärten auf Knopfdruck gewässert werden. Außerdem praktizieren sie ein Multitasking, obwohl Studien belegen: Menschen sind schlechte Multi-Tasker. Denn mehrere Dinge parallel zu tun, bedeutet stets, seine Aufmerksamkeit zu teilen, was zu mehr Fehlern führt.

Auch in den Unternehmen ist das Multitasking gängige Praxis. Das bringen die modernen Arbeitsstrukturen mit sich. Heute haben nur noch wenige Arbeitnehmer eine Stellenbeschreibung mit genau definierten Aufgaben. Sie sollen vielmehr im Team vorgegebene Ziele erreichen. Also sind sie bei ihrer Arbeit auch von der Zuarbeit von Kollegen abhängig und müssen häufiger auf deren Anliegen reagieren. Entsprechend schwer können sie ihren Arbeitstag planen - speziell dann, wenn sich auch die Zielvorgaben oft wandeln. Zudem erledigen sie meist mehrere Aufgaben parallel. Auch das kostet Konzentration und produziert Stress.

Ähnlich verhält es sich auf der organisationalen Ebene. Früher galt bei Organisationsentwicklern die Maxime: Nach einem Veränderungsprojekt sollte in einem Unternehmen einige Zeit Ruhe herrschen, damit sich der neue Ist-Zustand festigen kann und die Mitarbeiter verschnaufen können. Diese guten, alten Zeiten sind vorbei. Heute laufen in den meisten Unternehmen so viele, sich überlappende (Change-, Innovations- und Transformations-)Projekte parallel, dass das sogenannte Multi-Projekt-Management sich zu einer neuen Schlüsselkompetenz entwickelt hat.

Kommunikation reduziert sich auf Information

Das Leben und Arbeiten in einem solchen Umfeld hat Konsequenzen. Hierfür ein Beispiel: Unternehmen betonen zwar immer wieder, ihre Führungskräfte seien für die Entwicklung ihrer Mitarbeiter (mit-)verantwortlich. Faktisch sinkt aber in den meisten Betrieben die Zeit, die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern face-to-face kommunizieren, kontinuierlich - auch weil heute ein großer Teil der firmeninternen Kommunikation und somit Mitarbeiterführung per Mail bzw. digital erfolgt, insbesondere wenn viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten und die Teams weitgehend "virtuelle" sind.

Hierdurch wird der "soziale Kitt" in den Unternehmen brüchig. Denn es macht einen qualitativen Unterschied, ob man nur die Mail einer Person liest oder ihr gegenüber sitzt, ihr in die Augen schaut, ihre körperlichen Reaktionen wahrnimmt und hierauf reagiert. Das schafft eine andere Qualität der Beziehung sowie des wechselseitigen Verstehens; außerdem eine höhere Verbindlichkeit. Deshalb ist es kein Zufall, dass bei der digitalen Kommunikation viel häufiger Konflikte entstehen und eskalieren.

In vielen Unternehmen reduziert sich die zwischenmenschliche Kommunikation heute zunehmend auf eine wechselseitige Information. Dabei wird zweierlei übersehen:

  1. Die menschliche Kommunikation lebt auch davon, dass die Gesprächspartner ihr jeweiliges Gegenüber als Individuum wahrnehmen und erleben.
  2. Der persönliche Kontakt ist auch für die Beziehungsbildung und den Vertrauensaufbau wichtig.

Identifikation mit den Unternehmen sinkt

Kommt in einer Organisation die persönliche Kommunikation zu kurz, hat das oft weitreichende Auswirkungen:

  • ?Die Mitarbeiter fühlen sich weniger als Person wahrgenommen und gewertschätzt,
  • ?sie können sich weniger als Ganzes in die Organisation einbringen,
  • ?ein Erfahrungslernen wird erschwert,
  • ?Flow-Erlebnisse im Team werden vereitelt und
  • ?Konflikte werden nicht oder auf dem falschen Weg (zum Beispiel per Mail) ausgetragen.

Dadurch sinkt auch die Produktivität.

Eine weitere Konsequenz ist: Das Vertrauen zwischen den Beschäftigten sowie den Führungskräften und ihren Mitarbeitern sinkt. Die Mitarbeiter vereinzeln, was zu einer geringeren Identifikation mit dem Unternehmen führt. Deshalb sollten sich Führungskräfte auch Gedanken darüber machen:

  • Wann und was kommunizieren wir bewusst nicht per Mail bzw. digital, sondern im persönlichen Kontakt? Und:
  • Wie fördern wir bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit die informelle Kommunikation, da auch sie für den Beziehungsaufbau wichtig ist?

Sonst besteht die Gefahr, dass sie mit ihren Mitarbeitern irgendwann fast ausschließlich mittels elektronischer Medien kommunizieren - gerade weil diese Form der Kommunikation so einfach und bequem ist.

Die "Seele" der Unternehmen bewahren

Die Top-Entscheider in den Unternehmen sollten sich zudem fragen: Wie schaffen wir in unserer Organisation eine neue Balance zwischen

  • Verändern und Bewahren,
  • An- und Entspannung,
  • betriebswirtschaftlichen Erfordernissen und menschlichen Bedürfnissen?

Sonst besteht die Gefahr, dass ihre Unternehmen seelenlose Wesen werden, mit denen sich die Mitarbeiter immer weniger identifizieren.



Die Autorin:

Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden. Die Managementberaterin und Vortragsrednerin ist unter anderem die Autorin des Buchs "Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt".

Web: www.ifidz.de

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

KI-gestützte Self Services im Customer Support

WISSENplus
Wer Kunden glücklich macht, hat schon gewonnen. Was so simpel klingt, ist in der rauen Wirklichkeit von Sales und Services oft nur schwer umzusetzen. Unterstützung und Entlastung kommt von automatisierten Funktionen und Self Services, die dank Künstlicher Intelligenz die Arbeit erleichtern....

Weiterlesen

Wie kreiert man sich selbst optimierende Abläufe?

WISSENplus
Der Begriff der Hyperautomation steht für die nächste Evolutionsstufe bei der Automatisierung von Geschäftsprozessen. Mit Unterstützung durch Künstliche Intelligenz werden aus teil- oder vollautomatisierten Prozessen sich selbst optimierende Abläufe oder auch wichtige digitale Ratgeber für Prozessverantwortliche. Im Gespräch mit "wissensmanagement" erläutert Johannes Keim, Partner b...

Weiterlesen

Transformationale Führung: Den Wandel meistern!

WISSENplus
Unternehmen kommen immer wieder in Situationen, in denen sie ihr Geschäftsmodell überdenken und sich am Markt neu positionieren müssen. Sie sind gefordert, sich neu zu erfinden, um auch mittel- und langfristig erfolgreich zu sein. Möchte oder muss ein Unternehmen einen solchen Transformationsprozess durchlaufen, dann resultieren hieraus spezielle Anforderungen an seine Führungskräfte. Denn das U...

Weiterlesen

Virtuelle Kompetenz als neue Form der Empathie?

WISSENplus
Virtuelle Kompetenz ist die Fähigkeit unserer Neuzeit. Kaum ein Job im Büro kommt ohne aus. Können wir uns nicht nur in der realen Begegnung, sondern auch im digitalen Raum gut bewegen, haben wir den entscheidenden Schlüssel in der Hand - für ein intensives Miteinander und positive persönliche Erlebnisse ebenso wie für eine hohe Effizienz des Teams und damit verbunden exzellente Ergebnisse....

Weiterlesen

Ein Leitfaden für die S/4HANA-Migration

WISSENplus
Die Einführung des neuen S/4HANA-Systems (S/4) stellt Unternehmen aller Branchen vor große Herausforderungen. Aufgrund der Vielzahl an betroffenen Unternehmensbereichen und Mitarbeitenden birgt ein S/4-Projekt ein hohes Maß an Komplexität, sodass die effizienzgetriebene Planung basierend auf einer Kombination aus Projekt- und Changemanagement für ein nachhaltiges Gelingen eines Projektes erfolgs...

Weiterlesen

4 Kernprobleme des Modern Workplace - und wie sie sich lösen lassen

Die hybride Arbeitsweise hat sich inzwischen weitestgehend in den Unternehmen etabliert und ist vor allem von Mitarbeitenden gewünscht - aber auch Arbeitgeber haben dadurch Vorteile. Viele IT-Abteilungen sind bei der Etablierung und dem Betrieb moderner Arbeitsplätze allerdings noch mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Dazu zählen unter anderem die gestiegene Komplexität der IT-Landschaft,...

Weiterlesen

Vorsicht Falle: Agile Stolpersteine vermeiden!

WISSENplus
Die Rufe nach mehr Agilität sind nicht zu überhören! Ebenso oft werden von Unternehmen Berater an Bord geholt, die bei der Umsetzung helfen sollen. Das Problem: Führungskräfte können meist weder abschätzen, ob die Versprechen der Berater realistisch sind, noch ob deren Methode wirklich die bestmögliche für das Vorhaben ist. Was tun? Einfach probieren? Viel Mühe, Geld und Zeit investieren, um...

Weiterlesen