2001/10 | Fachbeitrag | KMU

Gehversuche im Mittelstand: das Wissensmanagement-Projekt KluG

von Peter Brandt

 

Von Peter

 

Brandt

 

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

 

 

Eine Stabsstelle für Wissensmanagement

 

einrichten, die Motivations- und Steuerungsarbeit für den Wissensaustausch

 

durch einen Wissensmanager leisten, ein teures Software-System maßschneidern

 

lassen – all dies liegt für kleine und mittlere Unternehmen

 

(KMU) jenseits aller Kapazitätsgrenzen. Gleichwohl ist Wissensmanagement

 

im Mittelstand nicht weniger wichtig und – wie die folgenden

 

Ausführungen zeigen sollen – auch erfolgreich möglich.

 

KMU setzen ähnliche Hoffnungen in Wissensmanagement wie die

 

Großen und haben mit den gleichen Barrieren zu kämpfen.

 

Manches ist aber eben doch anders in KMU. Welche Methoden und Instrumente

 

des Wissensmanagements auf die spezifischen Bedingungen in KMU zugeschnitten

 

sind und wie Wissensmanagement in der betrieblichen Praxis der KMU

 

funktioniert, ermittelt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln

 

(IW) im Projekt KluG.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurz gefasst:

  • Wissensmanagement ist auch in KMU ein Thema, doch fehlt das Geld für aufwendige Software-Lösungen.
  • Viele Instrumente und Methoden des Wissensmanagements eignen sich auch für KMU, denn die Technik ist nachrangig.
  • Das Institut der deutschen Wirtschaft möchte mit dem Projekt KluG KMU für das Wissensmanagement sensibilisieren.
  • Das Projekt sammelt in mittelständischen Modellunternehmen Praxiserfahrungen und macht diese als Best Practices öffentlich.
 

 

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Wissensmanagement in KMU

 

Spezifische Bedingungen

 

 

1999 führte Infratest Burke im Auftrag der Deutschen Bank

 

eine Mittelstands-Umfrage zum Thema Wissensmanagement durch und

 

fand heraus [1]:

 

 

  • 97 Prozent der Unternehmen halten Wissensmanagement für wichtig oder sehr wichtig für ihr Unternehmen.
  • Der Anteil des Produktionsfaktors Wissen an der Wertschöpfung im Unternehmen wird insgesamt als hoch eingeschätzt. Dabei wird er im Dienstleistungsbereich und in Unternehmen mit weniger als 50 Millionen DM Umsatz relativ noch höher gewichtet.
  • Rund ein Viertel der Unternehmen sieht sich nicht in der Lage, die Frage nach Wissensmanagement überhaupt zu beantworten.
  • Der gegenwärtige Wissenstransfer im Unternehmen wird lediglich von sechs Prozent für sehr gut und von nur 36 Prozent für gut befunden.

 

 

Seither dürfte sich manches verschoben haben. Das scheint

 

auch eine im Mai 2001 vom Kölner Institut für e-Management

 

(IfeM) durchgeführte Online-Umfrage bei 136 Unternehmen zu

 

bestätigen [2]. Wissensmanagement ist zunehmend

 

ein Thema für die Geschäftsleitungen: In 49 Prozent der

 

befragten Unternehmen entscheidet der Vorstand über Wohl oder

 

Wehe des Wissensmanagements. Im März 2000 war die Einführung

 

von Wissensmanagement hingegen noch bei nur 15 Prozent der Unternehmen

 

Chefsache. 62 Prozent der im Mai 2001 antwortenden Unternehmen haben

 

weniger als 500 Mitarbeiter. Daraus kann man schließen, dass

 

inzwischen auch KMU stärker als 1999 die Ressource Wissen strategisch

 

nutzen.

 

 

 

KMU zeichnen sich oft gegenüber Großunternehmen durch

 

folgende für Wissensmanagement förderliche Rahmenbedigungen

 

aus:

 

 

  • flache Hierarchien
  • wenige organisatorische Barrieren
  • kürzere Informationsketten
  • Tradition der Wissensweitergabe, gerade im Handwerk
  • Kontinuität in Führungspositionen
  • überschaubare Personalstruktur mit vielen persönlichen Kontaken
  • informeller Erfahrungsaustausch

 

 

In KMU kann die Verbesserung des Wissenstransfers wesentlich direkter

 

vom Willen der Nutzer gesteuert werden.

 

 

 

 

 

Methoden und Instrumente

 

 

 

In KMU fehlt oft das Geld für aufwendige Software-Lösungen.

 

Man kann hier also bereits dort beginnen, wo die großen Unternehmen

 

nach gescheiterten Versuchen mit technischen Lösungen ebenfalls

 

angelangt sind: beim Menschen.

 

 

 

Viele Instrumente und Methoden des Wissensmanagements eignen sich

 

auch für KMU:

 

 

  • Wissensträger oder Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten können in Experten- oder Skillverzeichnissen erfasst werden.
  • Welche Probleme wie gelöst wurden, wird in so genannten Lessons-Learned-Dateien dokumentiert.
  • Um das im Unternehmen bereits vorhandene, aber nicht genutzte Wissen besser zu verbreiten, eignen sich Patenschaftsmodelle, Gesprächsforen, Einarbeitungsprogramme, "Mitarbeiter-schulen-Mitarbeiter"-Projekte, Mentorensysteme, Jobrotation oder auch die Beratung durch ehemalige Mitarbeiter, die als Senior Experts engagiert werden.
  • Die Einrichtung von Kaffee-Ecken, Raucherräumen, Kantinenzirkeln oder einer Überstunden-Bar trägt zum Wissenstransfer bei, denn das nähere Kennenlernen fördert den Aufbau von Vertrauen und den Austausch von Erfahrungen – nicht nur auf privater Ebene.

 

 

Welches Instrument aber letztlich geeignet ist, hängt von

 

den Betriebsfaktoren ab. Veränderungen müssen dort greifen,

 

wo konkret der Schuh drückt oder wo negative Spätwirkungen

 

absehbar sind. In den Unternehmen sind Arbeitsgruppen zu bilden,

 

die von der Geschäftsleitung nicht nur geduldet, sondern auch

 

durch die Bereitstellung zeitlicher Kapazität gefördert

 

werden. Ohne eine offene Gesprächskultur, die auch konstruktive

 

Kritik verträgt, wird man keinen Schritt weiter kommen.

 

 

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KluGe Erfahrungen

 

Wer verbirgt sich hinter KluG?

 

 

Das Projekt KluG wird von Oktober 2000 bis November 2001 am Institut

 

der deutschen Wirtschaft Köln durchgeführt und möchte

 

KMU für die Bedeutung von Wissen und dessen reibungslosen Transfer

 

sensibilisieren. KluG steht dabei für "Kenntnisse leiten

 

zu unternehmerischem Gewinn". Das Projekt sammelt in mittelständischen

 

Modellunternehmen Praxiserfahrungen im Bereich Wissensmanagement

 

und macht diese Informationen öffentlich. Kernstück von

 

KluG ist die Website www.iw-klug.de,

 

auf der nach und nach alle Projekterkenntnisse kostenlos zugänglich

 

sein werden. Am Ende des Projekts wird ein Leitfaden zur Einführung

 

von Wissensmanagement in KMU erstellt werden. KluG wird gefördert

 

aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des nordrhein-westfälischen

 

Arbeitsministeriums.

 

 

 

 

 

Der Leitgedanke M – O – T

 

 

 

KluG will bei KMU den Irrweg vermeiden, durch Einführung eines

 

Tools die Probleme des Wissensflusses nur zu verschieben. Daher

 

wurde im Projekt ein ganzheitliches Konzept mit dem Kürzel

 

M – O – T (Mensch – Organisation – Technik)

 

entwickelt: Erst wenn die konkreten Bedarfe und praktikablen Wege

 

der Wissensweitergabe geklärt sind, wenn Zeit und Raum für

 

Austausch da ist, der Wille der Geschäftsführung offenkundig

 

ist, wenn betroffene Mitarbeiter beteiligt werden und die Organisation

 

entsprechend verändert wird, kann überlegt werden, wie

 

die gewünschten und bereits funktionierenden Austausche technisch

 

unterstützt werden können.

 

 

 

Selbst dann wird man jedoch ohne Anreizsysteme kaum auskommen.

 

Ein Informationsnetz besteht im Verständnis von KluG

 

 

  • erstens aus Menschen
  • zweitens aus Menschen
  • drittens aus Menschen
  • viertens aus Vereinbarungen
  • fünftens aus technischen Hilfsmitteln

 

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Praxiserfahrung aus einem KluG-Modellbetrieb

 

 

Die IBK Wiesehahn hat 40 Mitarbeiter und handelt mit Schläuchen,

 

Armaturen und Dichtungen. Die Kunden sind Unternehmen im Anlagenbau

 

der Stahl-, Chemie- und Lebensmittelindustrie. In den Vorgesprächen

 

mit der Geschäftsführung erwies sich der Wissensfluss

 

zwischen den Außendienstmitarbeitern und zum Innendienst als

 

besonders sensibler und verbesserungsbedürftiger Bereich: Früher

 

war es kein Problem, wenn drei Abteilungsleiter mit ihren drei unterschiedlichen

 

Produkten Großunternehmen aufsuchten. Doch den neu akquirierten

 

kleineren B-Kunden können nicht drei verschiedene Ansprechpartner

 

für drei verschiedene Produkte zugemutet werden. Zukünftig

 

soll jeweils ein Abteilungsleiter die gesamte Produktpalette bei

 

einem Kunden präsentieren. Hierzu braucht dieser hochwertiges

 

und aktuelles Wissen über alle Produkte. Daneben benötigt

 

er ebenso dringend Wissen über die Kunden. Kundenwünsche

 

müssen so dokumentiert werden, dass sie für den Innendienst

 

verwertbar sind.

 

 

 

Als Wissensziel wurde zwischen Unternehmen und KluG vereinbart:

 

"Der Wissenstransfer über Produkte und Kunden muss innerhalb

 

des Vertriebs und zum Innendienst hin besser werden." Aufgrund

 

der engen zeitlichen Grenzen blieb das Projekt auf diesen überschaubaren

 

Bereich konzentriert. Doch sind diese Ansätze eines Customer

 

Relationship Managements (CRM) und eines Key Account Managements

 

überhaupt Wissensmanagement im engeren Sinne? Die Geschäftsleitung

 

möchte die Mitarbeiter generell dafür sensibilisieren,

 

Informationen und stilles Wissen weiterzugeben und in geeigneter

 

Form zu dokumentieren. Denn Wissensverluste wurden in der Vergangenheit

 

zum strategischen Nachteil für das Unternehmen. Unter dieser

 

Perspektive kann durchaus von Wissensmanagement gesprochen werden.

 

 

 

Die IBK richtete eine Arbeitsgruppe ein, der die Geschäftsführerin,

 

vier Mitarbeiter des Außen- und zwei des Innendienstes sowie

 

zwei Mitarbeiter von KluG angehören. Eines der Mitglieder der

 

Arbeitsgruppe ist zugleich Betriebsrat, worauf KluG wegen sonst

 

drohender Akzeptanzprobleme großen Wert legt. Die Gruppe trifft

 

sich alle drei bis vier Wochen für jeweils drei Stunden. Im

 

ersten Workshop wurde die Frage bearbeitet: "Was müssen

 

Sie für Ihre tägliche Arbeit wissen?" Mithilfe der

 

Metaplantechnik und eines Bepunktungsverfahrens ermittelte die Arbeitsgruppe

 

15 relevante Wissensbereiche, darunter Kundenzufriedenheit, Preise,

 

Termine, Kundeneigenschaften und Produkte. Anschließend wurden

 

die Mitarbeiter gebeten, für je einen Groß- und einen

 

B-Kunden zu schätzen, wieviel Prozent des Wissens in Papierform

 

vorliegt, wieviel Prozent in elektronischer Form und wieviel in

 

ihren Köpfen vorhanden ist. Dies wurde für alle 15 Wissensbereiche

 

in einem Fragebogen festgehalten. Ergebnis war, dass sich durchschnittlich

 

70 Prozent des Wissens nur in den Köpfen befindet. Anschließend

 

ermittelte die Gruppe, in welchen Fällen dies zum Problem werden

 

kann. Denn nur da lohnt sich eine Korrektur des bisherigen Weges.

 

In folgenden Feldern musste das Wissen dringend transparenter werden:

 

 

  • Ansprechpartner beim Kunden
  • Material- und Prospektkenntnisse
  • Kundenpflege

 

 

Mithilfe der Kreativitätstechnik "Umkehrmethode"

 

wurden Maßnahmen zur Behebung der erkannten Defizite ausgesucht.

 

Diese Technik verkehrt die Problemstellung in ihr Gegenteil und

 

formuliert bewusst widersinnige Ziele. In diesem Sinne fragte KluG:

 

 

 

 

  • Mit welchen Maßnahmen können wir erreichen, dass unsere Kunden über unsere Produkte und Dienstleistungen möglichst wenig wissen?
  • Mit welchen Maßnahmen können wir erreichen, dass wir nicht wissen, welche Produkte und Dienstleistungen wir unseren Kunden verkaufen können?

 

 

So zu fragen, beflügelt die Fantasie des Menschen in besonderer

 

Weise: Dem Ideenfluss sind anscheinend keine Grenzen gesetzt, wenn

 

das übliche Denken in den Kategorien von Funktionalität

 

und Effizienz außer Kraft gesetzt wird. Die Teilnehmer des

 

Arbeitskreises zeigten während der Entwicklung von Maßnahmen

 

eine große Assoziationsbreite. Nun brauchten diese Maßnahmen

 

nur noch in ihr logisches Gegenteil überführt zu werden.

 

Als erste Veränderungen wurden beschlossen:

 

 

  • Die Gruppe entwickelt ein Formblatt für Fragen, die zur Verbesserung der Informationen über Kunden beitragen. Informationen über Ansprechpartner beim Kunden werden in die Kundenstammblätter eingetragen. Die Informationen über Mahnungen, die an Kunden verschickt worden sind, werden auf dem Schwarzen Brett ausgehängt, damit die Informationen allen Mitarbeitern bekannt werden.
  • Für die Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit wird ein Arbeitskreis gebildet, der entsprechende Maßnahmen ausarbeiten soll (Ergänzung des Internetauftritts um Produktinformationen etc.).
  • Um mögliche organisatorische Fehler bei der Betreuung der Endkunden herauszufinden, wurde ein Fehlerkörbchen in einer Abteilung probeweise aufgestellt. Hier werden alle Notizen wie Kundenbeschwerden oder interne schriftliche Hinweise gesammelt und ausgewertet.
  • Da die Bearbeitung der Post morgens erst relativ spät stattfinden kann, wurde nach neuen Möglichkeiten der Eingangspost-Besprechung gesucht.

 

 

Ausblick: Der Wissensmanagement-Zirkel bei IBK Wiesehahn bleibt

 

auch nach Projektende eine feste Institution. Um die entstandene

 

Dynamik zu erhalten, bildet die IBK Wiesehahn eine Mitarbeiterin

 

weiter, so dass sie als Koordinatorin die Arbeit mit dem Team erfolgreich

 

fortführen kann.

 

 

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Literatur:

 

 

[1] Deutsche Bank AG, Fraunhofer IAO (Hrsg.):

 

Wettbewerbsfaktor Wissen. Leitfaden zum Wissensmanagement. Frankfurt

 

1999. S. 9-11.

 

 

[2] www.ifem.org/etablierungwm/

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