2016/12 | Fachbeitrag | Digitale Transformation

Für die digitale Welt müssen Unternehmen agiler werden

von Thomas Fydrich

Inhaltsübersicht:

Die Kombination stagnierender IT-Budgets, die Notwendigkeit, Systemprozesse an eine zunehmende Regulierung anzupassen und sich parallel auf schnell ändernde Märkte einzustellen, wird für viele IT-Organisationen zunehmend zur nahezu unlösbaren Herausforderung. Auf der einen Seite erwarten die Endkunden und damit die Fachbereiche, dass die IT ihre Initiativen zur Digitalisierung und zur schnelleren Umsetzung neuer Produkte und Services – und somit zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit – hoch priorisiert; auf der anderen Seite reicht das genehmigte Budget kaum aus, um alle Programme und den laufenden Betrieb gleichberechtigt aufrechtzuerhalten.

Die Interviews, die CGI im Rahmen des jährlich stattfindenden weltweiten „Voice of Our Clients“-Programms durchführt, zeigen sehr deutlich eine wachsende Spannung zwischen den Fachbereichen und der IT, wenn es um das richtige Verhältnis der finanziellen Ausstattung der langjährig genutzten IT (Keep-up-Aktivitäten) und der gezielten Förderung innovativer Vorhaben (Step-up-Aktivitäten) geht, die ein Unternehmen zukunftsfähig machen. Im Durchschnitt entfallen 82 Prozent des Budgets auf die für den Betrieb unabdingbaren Aufgaben (Run the Business) und nur 18 Prozent auf Innovationen (Change the Business). Dies wird besonders kritisch, da ja auch die Geschwindigkeit und Kosten der internen Prozesse durch schon digital agierende Mitbewerber den Druck auf die Organisation als Ganzes erhöhen.

IT-Modernisierung in der Digitalen Welt

Die Gretchenfrage ist die richtige Balance zwischen den Aufwendungen für den Betrieb („Keep up“) und den möglichen beziehungsweise notwendigen Investitionen in neue Produkte und Dienstleistungen, aber auch in die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und die Unterstützung der eigenen Mitarbeiter durch neue Technologien.

Im Sinne einer IT-Modernisierung können Unternehmen dabei heute auf unterschiedliche Optionen zurückgreifen. Der Klassiker ist das Outsourcing des IT-Betriebs und der Wartung von Altsystemen an entsprechende Dienstleister, die das Ganze dann industriell – oft in Off- und Nearshore – betreiben. Die Größenordnung der Einsparungen kann dabei zwischen 30 und 40 Prozent liegen. Die damit eingesparten Beträge kann das Unternehmen dann in die Entwicklung von Innovationen stecken – wenn es nicht andere Kostentreiber gibt, die diese Einsparungen schon gleich wieder verbrauchen. Vielfach führt eine punktuelle Digitalisierung nur zu einer wachsenden Komplexität der Gesamt-IT und damit letztlich auch wieder zu steigenden Run-Kosten; es können keine nachhaltigen Vorteile entstehen.

Es wird also zunehmend wichtig sich zu überlegen, wie sich ein Unternehmen in Bezug auf die Nutzung seiner IT aufstellen möchte. Welche Anwendungen sind für welche Bereiche kritisch? Gibt es Konsolidierungs- oder Optimierungsbedarf? Muss die Anwendung mit hoher Performance und kostengünstig funktionieren oder soll sie einer Anzahl anspruchsvoller, zahlungswilliger Kunden coole neue Funktionen am laufenden Band liefern? Muss die Bank diese Anwendung entwickeln oder gibt es sie zu kaufen? Oder gibt es vielleicht sogar einen Service, den die Bank sicher und effektiv in ihre IT und Angebotspalette einbinden kann, ohne dass dazu eine neue Anwendung gebaut werden muss?

Egal, ob sich ein Unternehmen für eine Positionierung als „Innovator“, als „Kostenführer“ oder als „Kundenversteher“ entscheidet, liegt der Schwerpunkt dann oft auf der Integration und dem Rollout neuer Funktionen, Produkte und Dienstleistungen – beispielsweise als App oder im Internet. Dabei geht es nicht nur um Anwendungsszenarien im Bereich von Produkten oder Services für Endverbraucher. Auch Kunden aus dem B2B-Sektor erwarten einen ähnlichen Komfort wie sie ihn bei Amazon, eBay, Apple oder Netflix als Endkunde erfahren.

Damit ist der Umfang einer Modernisierung bei der gesamten IT angekommen. Inwieweit sich deshalb ein IT-Modell der zwei Geschwindigkeiten lohnt, muss jedes Unternehmen selber entscheiden. Wichtig ist eine Ende-zu-Ende-Sicht auf das Unternehmen und das vorhandene oder notwendige Anwendungsportfolio. Die einzelnen Modernisierungsmaßnahmen umfassen neben der Neuentwicklung und der Nutzung von Standardsoftware heute immer mehr auch digital unterstützte Sourcing-Modelle oder die Nutzung von Partnerschaften mit spezialisierten Anbietern von Lösungen und Services.

Im Umfeld der Neuentwicklung leisten agile Projektansätze wie SAFe oder stärker übergreifende Methoden zur Verbesserung der Produktivität der Entwicklungs- und Wartungsteams einen Beitrag zur Optimierung der Entwicklungs- und Pflegeaufwände – natürlich immer begleitet von der Frage nach lokaler oder verteilter agiler Near- und Offshore-Entwicklung. Hier muss aber die IT zumindest die Integrationsfähigkeit und die Absicherung der „internen“ Systeme und der relevanten Daten über die gesamte Lebensdauer garantieren.

Effizienz versus Effektivität

Die Diskussion um die richtige Größe der Ausgaben für die IT reichen weit zurück ins vergangene Jahrhundert. Entscheidend ist, dass der Erfolg von Unternehmen insbesondere in Branchen mit hoher Digitalisierungsrate – früher nannte man es auch IT-Intensität – ganz stark von ihrer IT-Effizienz abhängt.

Um sich als digitales Unternehmen zu bewähren, muss die IT-Organisation prüfen, wie sie Fachbereiche untereinander mittels IT besser verzahnen kann. Vertrieb, Marketing, Produktion sowie Betrieb und Technology müssen heute viel stärker bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen zusammenarbeiten. Die IT liefert die Plattform für Big-Data-Analytics und hilft dabei, mehr und qualitativ hochwertige Daten aus den Geschäftsprozessen zu sammeln, Marketing & Sales, Produktion und IT können dann gemeinsam aus den vorliegenden Daten neue Produkte und Dienstleistungen ableiten. Mittels agiler Entwicklung und einer Verzahnung von IT-Entwicklung und IT-Betrieb (DevOps) lassen sich diese IT-unterstützten Produkte und Dienstleistungen dann schnell ausliefern oder anpassen.

Unterschiedliche Prioritäten in den Branchen

Bei der Betrachtung des Statuts der Digitalisierung in den unterschiedlichen Branchen zeichnet sich auf der Basis der CGI-Befragung eine Dreiteilung der Industrien ab:

1. Konsumenten-orientierte Gewerbe (beispielsweise Handel, Telekommunikation und Banken)

2. Anlagen-orientierte Gewerbe (beispielsweise das produzierende Gewerbe, Transportwesen und Energieversorger)

3. Risikomanagement-orientierte Gewerbe (beispielsweise Öl- und Gasförderung, Versicherungen und Gesundheitswesen).

Während Konsumenten-orientierte Gewerbe stark von den Entwicklungen des Market getrieben werden und damit direkt von den Auswirkungen der Digitalisierung betroffen sind, sind zum Beispiel die Risikomanagement-orientierten Branchen eher von politischen und gesellschaftlichen Aspekten getrieben.

Letztlich führt dies auch in der Umsetzung zu unterschiedlichen Prioritäten. Im Konsumenten-orientierten Gewerbe erzielen die Vorreiter Wettbewerbsvorteile durch Innovationen, beispielsweise mit dem Einsatz von Cloud-Services, der vielfältigen Nutzung drahtloser Netzwerke, der Förderung von Teamwork, der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten sowie mit Methoden der prognostischen Analyse. Nachzügler konzentrieren sich auf die Digitalisierung einzelner Bereiche anstatt auf unternehmensweite Initiativen und sind noch mit Web-Frontends und Apps beschäftigt, während die führenden Unternehmen sich schon mit Omni-Channel-Projekten vertraut gemacht haben.

Im Anlagen-orientierten Gewerbe setzen die innovativen Vorreiter beispielsweise auf Customer-Relationship-Management, Social Media und Self-Service-Portale für Mitarbeiter, Kunden und Vertriebspartner sowie das Internet der Dinge, bei denen die Assets mehr Daten untereinander, aber auch als Teil einer Wertschöpfungskette, austauschen. Die Nachzügler evaluieren, analysieren, planen und automatisieren einzelne Geschäftsprozesse, sind aber gleichzeitig noch mit grundlegenden Arbeiten im Bereich der Legacy-Modernisierung und Digitalisierung befasst.

In den Risikomanagement-orientierten Branchen schließlich haben die Vorreiter gemeinsame nutzbare Plattformen und Datenbestände beispielsweise auf der Basis von so genannten Datalakes eingeführt, haben modernste Arbeitsumgebungen für die Mitarbeiter implementiert, haben Kundenplattformen zur Förderung kollaborativen Arbeitens aufgebaut und schützen ihre Assets mit umfangreichen Cyber-Security-Maßnahmen. Die Nachzügler haben mit der Einführung offener Architekturen, von Social Media und mobilen Endgeräten begonnen und testen in Pilotprojekten einzelne Content-Management-Lösungen.

Die Vorreiter unter den Unternehmen arbeiten mit IT- und BPO-Dienstleistern unterschiedlicher Größe, etwa den FinTechs zusammen, um ihre Keep-up-Kosten zu reduzieren und sie investieren oder gehen gezielt Partnerschaften dort ein, wo IT den digitalen Wandel vorantreibt. Ein führendes Medien- und Telekommunikationsunternehmen beispielsweise hat von 2004 bis 2014 die Maintenance-Kosten für seine Kernplattformen durch einen IT-Outsourcingvertrag um 60 Prozent reduziert. Diese Einsparungen wiederum wurden unter anderem in neue konvergente Abrechnungslösungen, den Aufbau einer Omni-Channel-Plattform sowie in Web-Content-Management- und Data-Analytics-Lösungen reinvestiert.

In Anbetracht von stagnierenden oder gar sinkenden IT-Budgets und Fachkräftemangel ist die Konzentration der Mittel auf Keep-up-Aktivitäten im günstigsten Fall Verschwendung; im schlimmsten Fall bedeuten sie den Verlust von Marktanteilen. Vorausschauende Unternehmen konzentrieren sich auf die aktive Gestaltung des Digitalen Wandels. Dabei sollten die Unternehmen allerdings mittels einer entsprechenden Digitalisierungsstrategie und den damit verbundenen IT-Modernisierungsmaßnahmen die möglichen Folgen der Komplexitätssteigerung der IT-Landschaft und der damit verbundenen Betriebs- und Wartungskosten nachhaltig managen und konsequent die Möglichkeiten der Digitalen Transformation für sich nutzen.

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