2006/7 | Editorial | Wissensmanagement

Führungskräfte zwischen Leistungsdruck und Lebensqualität

von Brigitte Spieß

Die Geschwindigkeit, in der sich die komplexen Umbrüche unserer Zeit vollziehen, stellt Unternehmen und Führungskräfte vor eine neue Bewährungsprobe. Unternehmen verlangen von ihren Spitzenmanagern, dass sie spontan und kreativ sind, schnell und flexibel reagieren sowie Mut zum Risiko zeigen. Märkte und Kunden verhalten sich unlogisch und unberechenbar. Die Informationsflut wächst und der Einzelne ist gezwungen, eine Vielzahl an Themen parallel zu bearbeiten. Hinzu kommt das Problem, den Ansprüchen von Beruf und Privatleben gleichzeitig gerecht zu werden. Wie gelingt es im Beruf Spitzenleistungen zu erbringen und ein ausgewogenes Privatleben zu führen?

 

Manager geraten aus dem Takt

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Fehlende Orientierung und Sinndefizite führen bei vielen Managern zu einem Gefühl der Erschöpfung und Überforderung. Nicht Stress aufgrund hoher Arbeitsanforderungen macht sie krank, sondern Stress aufgrund eines Mangels an Bedürfnisbefriedigung. [1] Führungskräfte haben es sich auf dem Weg nach oben in der Regel abtrainiert, auf Belastungszeichen der Psyche oder des eigenen Körpers zu reagieren. Die Leidensbereitschaft ist hoch und erst wenn der Körper rebelliert, wird das eigene Leben auf den Prüfstand gestellt. Wohin übermäßiger Stress und mangelnde Lebensqualität im Arbeits- und Privatleben langfristig führen kann, belegen aktuelle Studien und Statistiken zu psychische Störungen. [2] Die Ergebnisse vieler Check-up Untersuchungen bei Führungskräften weisen beispielsweise darauf hin, dass nicht die organischen Leiden, wie z.B. Herz- oder Kreislauferkrankungen, im Vordergrund stehen. Auffallend sind eher so genannte Befindungsstörungen, zunehmend auch depressive Verstimmungen und Ängste. Wer psychisch einmal aus dem Gleichgewicht geraten ist, kann meist länger nicht im Büro erscheinen. Laut Arbeitswissenschaftler entwickelt sich die Abwesenheitsdauer, die durch den mentalen Knock-out zustande kommt, scheinbar unaufhaltsam nach oben. Doch Arbeitsausfall und Fehlzeiten im Unternehmen sind häufig nur die Spitze des Eisbergs. Die Auswirkungen zeichnen sich auch in der Unternehmenskultur und im Führungsverhalten ab.

 

Balance - nicht nur die Aufgabe des Einzelnen

Geraten innere Stabilität, Gesundheit und Wohlbefinden bei Führungskräften aus dem Lot,  führt das nicht selten zu Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen. Eine ausgebrannte und unausgeglichene Führungskraft ist auf Dauer weder leistungsfähig noch leistungswillig und kreativ. Sie ist nicht mehr in der Lage, Spannungen und Belastungen zu ertragen, ohne zu explodieren und zu resignieren. Und sie ist vor allem kein glaubwürdiges und überzeugendes Vorbild für ihre Mitarbeiter. Das Ungleichgewicht des Einzelnen wirkt sich somit auf die Kultur, Innovationskraft und Produktivität des Unternehmens aus.

Richtet man den Blick auf die Parameter und Bedingungen im Unternehmen, die das Leistungsvermögen und die Lebensqualität von Führungskräften und Mitarbeitern beeinträchtigen bzw. fördern, lassen sich mehrere zentrale Faktoren nachweisen, von denen einige im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

 

Die Unternehmenskultur muss stimmen

In einer  Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft werden Menschen mit ihren Talenten und Fähigkeiten zur zentralen Ressource. Um gegenüber anderen Arbeitgebern für potenzielle Bewerber attraktiv zu bleiben und zudem die Loyalität der eigenen Mitarbeiter zu sichern, muss die Unternehmenskultur stimmen. Sie trägt maßgeblich zum wirtschaftlichen Erfolg sowie zur Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter bei.

Dabei kommt es darauf an, eine wertegestützte Unternehmenskultur nicht nur zu definieren, zu gestalten und zu verankern, sondern sie auch vorzuleben. Wer diesem Unternehmens- und Führungsleitbild gerecht werden will, muss investieren - in seine Wertebasis, seine (gesundheitlichen) Leitbilder und seine Führungskompetenzen. Hier ist ein Engagement in allen Ebenen und Bereichen gefordert. Eine familienfreundliche und Lebensbalance fördernde Personalpolitik unterstützt z.B. die Stabilität, Gesundheit und Zufriedenheit der Manager und damit auch deren Erfolgs- und Leistungsstreben. Arbeitsmodelle, die der Individualität von Menschen entgegenkommen und ein selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Arbeiten ermöglichen, fördern die Kreativität und das Selbstwertgefühl der Belegschaft. Führungskräfte, die atmosphärische Krisen frühzeitig wahrnehmen und steuernd eingreifen, sichern die Innovationskraft und damit auch eine hohe Produktivität ihres Unternehmens.

 

Führungskräfte sind Vorbilder einer gelebten Unternehmenskultur

Mit Werten zu führen, heißt, eine Organisation zu gestalten, in der die Menschen Sinn und Orientierung finden, um mutig zu sein, um persönlich und beruflich weiterzukommen und um zusammen mit anderen neue Ideen und Lösungen zu entwickeln. Nur starke, d.h. in sich ruhende Persönlichkeiten können einen lebenslangen Wettbewerb verkraften und anderen Vorbild sein. Sie verfügen über Qualitäten wie Souveränität und Gelassenheit, die es ihnen ermöglichen, im entscheidenden Moment eher von Werten gesteuert zu sein als von kurzfristigen Prioritäten und so genannten dringenden Bedürfnissen.

Für Unternehmen erwächst daraus die Aufgabe, über Belastungsgrenzen und Balance ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter neu nachzudenken. Um herauszufinden, wie es um den jeweiligen Gesundheitszustand und die Stressbelastung steht, brauchen Führungskräfte Zeitinseln zur regelmäßigen Bestandsaufnahme. Zeit zum Innehalten und Nachdenken weitet den Blick wieder für das Wesentliche und fördert die Konzentration. Wer Entspannung konsequent praktiziert, erneuert und erhält seine physischen Kräfte. Positive Veränderungen, klare Entscheidungen oder die Reflexion über Werte sind ohne freie Zeiträume und einen distanzierten Blick fast unmöglich.

 

Das klassische Führungsprofil um neue Kompetenzfelder erweitern

Unternehmenskultur zeigt sich im gelebten Verhalten. Die meisten Führungskräfte stolpern jedoch völlig unvorbereitet in ihre Position. Sie verfügen zwar über ausreichende Sach- und Methodenkompetenz, aber ihr Gespür für Menschen lässt häufig zu wünschen übrig. Eine Führungskraft qualifiziert sich als solche durch verantwortungsbewusstes und verlässliches Verhalten, durch Wertschätzung, Dialog und Einbindung der Mitarbeiter. Zwischenmenschliche Fähigkeiten sowie Fragen des Urteilvermögens, der Ethik und der moralischen Integrität machen den Unterschied zwischen guten und schlechten Unternehmensentscheidungen aus. Dies setzt eine gewisse Reife, Eigenverantwortlichkeit und Fähigkeit zur Selbstorganisation voraus. Lebenslanges Lernen bezieht sich eben nicht nur auf fachliches Wissen und Können, sondern beinhaltet auch Persönlichkeitsentwicklung.

Unternehmen, die über Jahrzehnte eine auf den Menschen ausgerichtete Führungs- und Unternehmenskultur vorleben und mit unternehmerischem Erfolg umsetzen, haben das neue Anforderungsprofil an Führungskräfte erkannt. Sie wählen ihre Bewerber nach ihrer Passung zur Zielkultur aus und investieren in die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Führungskräfte. Denn eine Kultur kann sich nur dann weiterentwickeln, wenn sich auch die Kompetenzen der Mitarbeiter weiterentwickeln. Sie sehen das Ausschöpfen der Potenziale ihrer Mitarbeiter als wesentliche Zukunftsaufgabe an. Ihr Mitarbeiterstamm durchläuft einen langjährigen Sozialisationsprozess, der das klassische Führungsprofil um vertiefte Selbsterkenntnis und neue Kompetenzfelder wie  eine Werte- und Kulturkompetenz erweitert.

 

Fazit

Das Wichtigste in einer beschleunigten Welt ist eben nicht, die Zeit zu managen, sondern sich selbst - im Sinne eines ganzheitlichen Lebensmanagements. Die Balance hängt im Wesentlichen davon ab, inwieweit es  Führungskräften und Mitarbeitern gelingt, externe und interne Anforderungen mithilfe von eigenen Ressourcen zu bewältigen. Diese Ressourcen können sich einerseits z.B. auf Wissen, körperliche Fitness und Persönlichkeitseigenschaften beziehen und betreffen andererseits z.B. Familie, Freunde, ausreichende Zeit für Erholung und Besinnung. Führungskräfte tun gut daran, zukünftig verstärkt ihren Blick auf jene Ressourcen und Potenziale zu richten, die es ihnen ermöglichen, gleichzeitig beruflich erfolgreich zu sein und in stabilen sozialen Strukturen gesund zu leben.

Für Unternehmen lohnen sich Investitionen in die Unternehmenskultur. Sie sind verantwortlich für die Bedingungen, die das Leistungsvermögen und die Lebensqualität von Führungskräften und Mitarbeitern fördern. Stimmt die Kultur, dann sind die Mitarbeiter hoch motiviert, die Herausforderungen anzunehmen und die Leistungen zu erbringen, die das Unternehmen voranbringen.

 

Literatur:

[1] Shape-Studie - Berufliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität Ressourcen und Potenziale, 2006. www.shape-studie.de

[2] Vgl. z.B. 5-Jahres-Studie der Techniker-Krankenkasse 2000-2005; Gesundheitsreport 2006. www. tk-online.de

 

 

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