2015/2 | Fachbeitrag | Arbeitgebermarke

Employer Branding: Recruiting transparent gestalten

von Jens Gieseler

Inhaltsübersicht:

Branchen und Abteilungen, die vom Fachkräftemangel betroffen sind – klassische Beispiele sind IT-Entwickler oder Ingenieure – reagieren mit zunehmend professionellen Abläufen auf den Wandel des Stellenmarktes und das Verhalten der Bewerber; zumal auch die Bearbeitungsgeschwindigkeit eine immer größere Rolle spielt. Unternehmen, die sich zu viel Zeit lassen, um den passenden Mitarbeiter zu finden, müssen oft feststellen, dass der sich bereits für eine andere Firma entschieden hat. Deshalb greifen sie immer wieder auf Personaldienstleister zurück, die über mehr Know-how und Marktnähe verfügen.

Firmen verstehen

„Wer allein auf der Basis, entsprechen Wissen und Erfahrung unseren Anforderungen, neue Mitarbeiter sucht, fällt leicht auf den Bauch“, erzählt Andreas Kahl, Inhaber des Personalkontor Kahl & Konsorten aus Hamburg. Er nimmt sich mindestens einen halben Tag Zeit, um intensiv mit der Geschäftsführung, Führungskräften und Mitarbeitern zu sprechen. Denn er will das Unternehmen verstehen, welche Unternehmenskultur, Werte, welcher Führungsstil oder welches Leitbild werden jenseits von Formulierungen auf dem Papier tatsächlich gelebt.

Kürzlich erlebte er den Fall, dass ein innovatives IT-Unternehmen einen neuen Vertriebsleiter suchte. Das Unternehmen ist mittelständisch geprägt: Inhaber geführt, 500 Mitarbeiter, deutschsprachig. Zur Auswahl stand ein Vertriebsleiter, der in einem Konzern mit 90.000 Mitarbeitern gearbeitet hat, dort wahrscheinlich ein höheres Budget verantwortete als das mittelständische Unternehmen Umsatz macht und über beste Kontakte in der Branche verfügt. Die Qualifikationen des zweiten Bewerbers waren nicht so gut, er hätte an Verbindungen arbeiten und Fortbildungen machen müssen. Für Kahl war er trotzdem tendenziell der geeignetere Kandidat. Er befürchtete, dass sich die Chemie zwischen einem Familienpatriarchen und einem Konzernmanager sehr schwierig gestalten wird, weil sie unterschiedliche Entscheidungsstrukturen gewohnt sind. „Mandanten und Kandidaten schauen wir uns deshalb nach vier Themenkomplexen an, die zusammenpassen müssen“, verrät Andreas Kahl:

  1. Werte & Kultur,
  2. Wissen, Erfahrungen & Referenzen,
  3. Talente & Höchstleistungen sowie
  4. Verhalten & Stresspotenzial.

Präzise formulieren und schnell reagieren

Fehlbesetzungen kosten laut Personal-Guru Jörg Knoblauch 15 Monatsgehälter. Deshalb hat er eine Systematik in neun Schritten entworfen, um die besten Mitarbeiter zu finden. Meist ist schon die Stellenbeschreibung allgemein und austauschbar: Durchsetzungsstark und teamfähig sollen die Bewerber sein, mehrsprachig in Wort und Schrift, Auslandserfahrung vorweisen können – aber nicht älter als 30 Jahre sein. So funktioniert es nach Auffassung des Geschäftsführers von Tempus-Consulting nicht. Ein echtes Anforderungsprofil muss messbare und machbare Ziele enthalten, wie etwa: „Wir erzielen derzeit eine Million Euro Umsatz mit einer bestimmten Maschinenserie. Der gesuchte Verkäufer muss innerhalb eines Jahres diesen Umsatz verdoppeln.“ Damit ist jedem Bewerber klar, worum es geht.

Weitere wichtige Schritte in seinem Modell des Einstellungsprozesses sind: die eigenen Netzwerke zu aktivieren, ein standardisiertes Telefoninterview mit interessanten Kandidaten zu führen, wenn möglich, direkte Referenzen bei vorherigen Chefs einzuholen oder die Probezeit aktiv zu gestalten – etwa indem gleich am ersten Arbeitstag drei bis fünf Meilensteine vereinbart werden. Bei dem genannten Beispiel könnte das bedeuten, dass die verkauften Maschinen Zusatzausstattungen im Durchschnitt von 20.000 Euro haben oder der Verkäufer eine Kundenzufriedenheitsquote von 95 Prozent erreichen muss oder, dass er drei Verbesserungsvorschläge pro Monat einreichen sollte. „Viel Zeit dürfen sich Geschäftsführer und Personaler allerdings mit dieser präzisen Rekrutierung nicht lassen“, warnt Knoblauch. In Zeiten des Fachkräftemangels wird die rasche Bewerberauswahl immer bedeutender. Vorreiter ist die IT-Branche mit ihren extrem kurzen Einstellungszeiten. Wer den Auswahlprozess unnötig verlängert, hat die Besten bereits an die Konkurrenz verloren. Seine Lösung: schnelleres Bearbeiten, notfalls mit höherem Personaleinsatz und Nutzung entsprechender Software.

Datenbank mit Fachprofilen

Der Personaldienstleister Hays hat sich auf die Vermittlung von Experten in unterschiedlichsten Branchen spezialisiert. Im Pool werden gegenwärtig beispielsweise 65.000 freiberufliche IT-Fachleute gepflegt und 24.000 freiberufliche Ingenieure. 900 der 1.500 Hays-Mitarbeiter arbeiten direkt mit diesem Pool. „Wir stecken viel manuelle Pflege in diese Daten“, erzählt Sebastian Rahm. Denn gerade die Freelancer bleiben im Schnitt neun Monate in einem Projekt und erwerben durch die Tätigkeit neue Kompetenzen, die in die Datenbank eingepflegt werden. So verfeinert sich mit der Zeit das so genannte Matching – die Zusammenführung des Anforderungsprofils und der Kandidaten-Skills. Vor allem mit den „Neuen“ sind intensive Interviews notwendig, denn einiges an Know-how ist für sie selbstverständlich und steht nicht im Lebenslauf. „Bei aller Automatisierung und Unterstützung durch die IT wird es hoffentlich immer einen menschlichen Faktor geben“, sagt der Recruiting-Experte. Letztlich sei eine Datenbank immer nur so schlau, wie die Fragen, die die Nutzer stellen. Da sich der Markt und die Stellenanforderungen ändern, müssen auch die Suchkategorien ständig angepasst und verfeinert werden.

Systematisches Recruiting

Die aktuelle Einschätzung des Arbeitsmarktes ist ebenfalls eine unverzichtbare menschliche Beratungskomponente, beispielsweise wenn das Anforderungsprofil des Unternehmens und die Gehaltsvorstellungen nicht zusammenpassen. „Unsere Berater, die teilweise nicht nur für bestimmte Branchen, sondern für spezielle Themen innerhalb der Branchen zuständig sind, können im Gespräch viele Missverständnisse klären“, sagt Rahm. Idealerweise finden Personaldienstleister 100-prozentige Lösungen. Aus einer so genannten „Longlist“ mit 20 geeigneten Kandidaten machen die Spezialisten eine „Shortlist“ mit den drei bis fünf interessantesten Bewerbern, damit die Unternehmen Zeit sparen.

Weil sich der Arbeitsmarkt spezialisiert, besetzen kleine Personalberater nur bestimmte Themen, deren Marktmechanismen sie genau verstehen. So vermittelt Kahl & Konsorten Führungskräfte wie Bereichs-, Vertriebs- oder Marketingleiter. Zweiter Themenschwerpunkt ist Vertriebsposition und seit einigen Monaten werden auch Techniker und Meister vermittelt. Im Schnitt benötigen die Hamburger zwei Monate von Auftragsanfang bis Vertragsunterschrift. Für die 70 Kandidaten, die im vergangenen Jahr vermittelt wurden, setzt der Dienstleister einen Onboarding-Prozess auf, damit die Integrationszeit möglichst verkürzt und der neue Mitarbeiter so schnell wie möglich produktiv wird. Das fängt bei der Büroeinrichtung und einem Intranet-Zugang vorab an und geht über die Vorbereitung eines Paten bis zum Einarbeitungsplan mit entsprechenden Meilensteinen. Als weitere Unterstützung bietet das Personalkontor eine Flatrate für Coachings an. „Sowohl der neue Mitarbeiter wie seine Kollegen müssen sich kennen lernen. Deshalb ist eine Verunsicherung in dieser Phase völlig normal“, sagt Andreas Kahl. In solchen Fällen können er und seine Kollegen aufgrund ihrer Erfahrung helfen. 

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Web 2.0 & Co. – die sieben wichtigsten Trends im Wissensmanagement

Web-2.0-Technologien, die zuerst nur Webseiten und Portale eroberten, bestimmen nun in zunehmendem Maße auch das allgemeine Informations- und Kommunikationsverhalten. Ob Blogs, Wikis, Podcasts, Webkonferenzen oder Social Networks – bei der Nutzung dieser Anwendungen wird der Informationsfluss umgedreht. Statt Informationen an große Gruppen zu verteilen, lassen Web-2.0-Anwendungen dem Empfänger die Wahl...

Weiterlesen

Employer Branding – Lernen von den Hidden Champions

WISSENplus
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) spüren den Druck des Fachkräftemangels am stärksten. Doch einige sogenannte Hidden Champions berichten auch Gegenteiliges. Sie werden von Fachkräften oft sogar den großen Konzernen vorgezogen. Was macht sie für Bewerber heute so attraktiv? Und ist dieses Potenzial auch auf andere KMU übertragbar?...

Weiterlesen

Employer Branding – wenn das Gehalt allein nicht mehr zählt

Die heutigen 18-bis-37-Jährigen, die sogenannte Generation Y, wünschen sich flexible, selbstbestimmte und sinnstiftende Arbeit sowie eine ausgewogene Work-Life-Balance. Als erste Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist und oftmals hochqualifiziert, erwarten die „Ypsiloner“ von ihrem Arbeitgeber mehr als nur ein gutes Gehalt. Wollen Unternehmen zukunftsfähig bleiben, stellen sie sich auf die...

Weiterlesen

Heute hier, morgen da - oder lieber hire and fire?

WISSENplus
Wandelt sich der Markt, wandeln sich Produkte – wandeln sich Arbeitsplätze, wandeln sich Anforderungen an Mitarbeiter – wandelt sich ... Die Dynamik des Wandels hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Entwicklungen schreiten rasch voran, Arbeitsplätze verändern sich in immer kürzeren Zyklen. Jetzt liegt es nahe, dass die Unternehmen auf eine Flexibilisierung ihrer Mitarbeiter setzen....

Weiterlesen

Fachkräftemangel: Energiebranche steht mit dem Rücken zur Wand

WISSENplus
In letzter Zeit wird wieder verstärkt über die akute Knappheit an Fach- und Führungskräften in Deutschland diskutiert. Zu Recht! Denn der Mangel an qualifizierten Fach- und Führungskräften hat mittlerweile auch die Energie- und Chemie-Unternehmen erreicht, die bislang zu den wichtigsten Zugpferden der deutschen Ökonomie gehörten und als attraktive, weil sichere Arbeitgeber galten. Und in den kommend...

Weiterlesen

Wissensbewahrung: Schwäbisch Hall setzt auf Transfer-Coachings

WISSENplus
In jedem Unternehmen gibt es erfolgskritisches Wissen, das nicht verloren gehen darf, wenn das Unternehmen auch künftig erfolgreich arbeiten möchte. Dieses Wissen ist oft personengebunden. Also stellt ein Abwandern oder Ausscheiden der Wissensträger ein operatives Risiko dar. Dieses Risiko einer Wissenserosion wird sich in den kommenden Jahren in vielen Unternehmen erhöhen, denn aufgrund der Altersstruk...

Weiterlesen

Interne Leistungsträger binden, kompetente Führungskräfte gewinnen

WISSENplus
Talent Management gehört zu den großen unternehmerischen Herausforderungen. Denn nicht nur der demografische Wandel verschärft den Wettbewerb um qualifizierte und talentierte Mitarbeiter, ebenso tragen Veränderungen in der Arbeitswelt dazu bei. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie „Globale Herausforderungen für Personalentwicklung und Training“, die die AchieveGlobal in Kooperation mit...

Weiterlesen

Fachkräftemangel erfordert Umdenken: Recruiting steht vor einer neuen Ära

WISSENplus
Arbeitgeber melden immer neue Rekorde beim Fachkräftemangel: Die demografische Zeitbombe tickt. Wer sie entschärfen will, muss im Recruiting komplett neue Wege gehen. Engpässe bestehen vor allem in technischen Berufen, wie im aktuellen „MINT-Frühjahrsreport“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu lesen ist. [1] So gab es im April über 314.000 offene Stellen in den Bereichen Mathematik, Info...

Weiterlesen