2013/8 | Kolumne | Kolumne

Einstiegsdroge oder Sackgasse?

von Gabriele Vollmar

In den vergangenen Monaten fragten Unternehmen bei mir verstärkt Unterstützung zum Thema „persönliches Wissensmanagement" an, in der Regel in Form einer kleinen internen Weiterbildung für die Mitarbeiter. Sicherlich spielt hierbei der individuelle Leidensdruck der Mitarbeiter hinsichtlich Information Overload und die gestiegenen Ansprüche an die Effizienz der eigenen Wissensarbeit eine Rolle.

Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auf einen weiteren Beweggrund eingehen: Die Motivation sich dieses Themas anzunehmen, liegt nach meiner Erfahrung zu einem bedeutenden Anteil in der immer noch herrschenden Unsicherheit hinsichtlich der Einführung eines – unternehmensweiten – organisationalen Wissensmanagements begründet.

D.h. die Notwendigkeit, die Ressource Wissen nachhaltig zu bewirtschaften wird durchaus gesehen, die Scheu hier aber eine tatsächliche Wissensmanagement-Strategie für die Unternehmung zu definieren und umzusetzen, ist gleichzeitig sehr groß: Mögliche Aufwände werden gescheut, Widerstände befürchtet, die leidige Frage nach dem Return on Invest lässt sich scheinbar nicht beantworten (zumindest nicht mittels konventioneller Methoden) usw. Also ist die Hoffnung, das Ganze im Kleinen nach dem Motto „jeder für sich und wie er kann" anzugehen und dadurch einen mittelbaren Effekt für die Gesamtorganisation zu erzielen.

Diese Annahme ist nun sicherlich nicht falsch. Zumal viele Werkzeuge eines persönlichen Wissensmanagements ebenso auch für ein Team, eine Abteilung usw. eingesetzt werden können und somit im besten Falle eine Art Schneeballeffekt entstehen kann. Die Beschäftigung mit persönlichem Wissensmanagement kann zu einer Art Einstiegsdroge werden; am Ende der Entwicklung stünde dann auch ein organisationales Wissensmanagement, das eben zunächst bottom-up initiiert wurde. So gesehen kann der Weg über das persönliche Wissensmanagement ein durchaus gangbarer für uns Wissensmanager sein, um auch eher zögerliche Organisationen „zu knacken". Ich sehe in dieser Entwicklung aber durchaus auch ein Risiko, nämlich das, dieses unbehagliche Thema gewissermaßen kleinzukriegen und endgültig zu einem Nischendasein in der Organisation zu verurteilen, sich damit auch der Verantwortung zu entziehen, auf Ebene der Organisation förderliche Rahmenbedingungen für (persönliche) Wissensarbeit zu gestalten.

Kümmert sich jeder in erster Linie um sich selbst, entsteht zwar auch ein gewisser Masseneffekt, dessen Auswirkung und Reichweite – und damit auch das Nutzenpotenzial – sind aber begrenzt. Persönliches Wissensmanagement ist ein wesentlicher Bestandteil der angesprochenen Rahmenbedingungen, es kann und darf aus Sicht der Organisation, aber auch aus Sicht der Gesellschaft und der Volkswirtschaft kein Endzweck sein.y

Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich plädiere nicht für die großen, umfassenden, allzu oft zu akademischen, allzu oft zu umsetzungsresistenten Gesamtkonzepte. Diese sind in der Vergangenheit zu häufig und zu Recht gescheitert oder haben den Weg vom Schreibtisch „auf die Straße" noch nicht einmal gefunden. Ein Rückzug in eine Art Privatheit des Wissensmanagements kann aber auch keine Lösung sein. Vielmehr brauchen wir beides: Die organisationsweite Wissensmanagementstrategie als Orientierungsrahmen und Schaffer notwendiger Rahmenbedingungen sowie die Wissensmanagement-Kompetenz jedes Einzelnen, die ihn auch befähigt, das organisationale Wissensmanagement angemessen zu nutzen und umzusetzen.

Schließen möchte ich mit einer Frage des Nationalökonoms Friedrich August von Hayek, die er schon 1974 in seinem Werk „Die Anmaßung von Wissen" stellt: „Wie kann das Zusammenwirken von Bruchstücken von Wissen, das in den verschiedenen Menschen existiert, Resultate hervorbringen, die, wenn sie bewusst vollbracht werden sollten, auf Seiten des lenkenden Verstandes ein Wissen erfordern würden, das kein einzelner Mensch besitzen kann?" Es gilt also, die Sphäre des rein Persönlichen zu überwinden – auch und gerade im Wissensmanagement.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Selbstwirksamkeit als Schlüssel zu Erfolg und Veränderung im Unternehmen

Schon wieder ist ein Projekt gescheitert – so wie jedes andere auch in den letzten Jahren, obwohl die meisten abgeschlossen wurden. Julian König, der Programmmanager, ist ratlos. Denn seine Ansprüche sind hoch. Gescheitert ist ein Projekt für ihn schon dann, wenn es im magischen Dreieck von Leistung, Zeit und Budget eines der drei Ziele deutlich verfehlt. Irgendwo klemmt es immer. Man ist zu teuer und...

Weiterlesen

Und plötzlich funktioniert es nicht mehr

Während unseres Urlaubs in Botswana dieses Jahr haben meine Tochter und ich einen so genannten bush walk gemacht. D.h. wir waren in einer kleinen Gruppe mit Wildführer im Okavango-Delta unterwegs, und zwar – entsprechend der vor dem Aufbruch klar formulierten Regeln – in einer Reihe, einer hinter dem anderen, ohne zu sprechen und ohne stehenzubleiben, sofern nicht der Guide stehen bleibt, um etwas zu ...

Weiterlesen

Ich lerne, du lernst, wir lernen, es lernt ...

Bei einem der Wissensmanagement-Masterstudiengänge, bei denen ich unterrichte, werden die Teilnehmer zu Beginn des ersten Lerntaktes gebeten, ihre Motivation hinsichtlich des Themas Wissensmanagement vor dem Hintergrund ihres konkreten beruflichen Kontextes darzustellen. Vor kurzem war es mit einem neuen Jahrgang mal wieder soweit. Bei Durchsicht der Einreichungen fiel mir auf, dass in diesem Jahr so etwas...

Weiterlesen

Schön zu wissen

Haben Sie schon einmal vom CNSilk Projekt gehört? Hier haben Forscher des MIT Seidenraupen gewissermaßen als 3-D-Drucker eingesetzt. Herausgekommen ist eine riesige Seidenkuppel, die man vor allem mit einem Wort beschreiben kann: schön. Oder vom Föhr Reef? Einem riesigen gehäkelten Korallenriff. Dabei wurde die alte Fertigkeit des Häkelns mit Erkenntnissen der Mathematik, Biologie und Ökologie kombin...

Weiterlesen

Wiki und die starken Männer

In der letzten Kolumne haben wir uns, angeregt durch einen Vortrag von Richard Sennett (und zugegebenermaßen dem Teenie-Film „La Boum“), mit der Hypothese auseinandergesetzt, dass Hierarchie in Organisationen eine zerstörerische Wirkung entfalten und zur Verschwendung von Wissen führen kann. Ich möchte nun gerne an diese Überlegungen dort anknüpfen, wo ich Sie das letzte Mal „über der Klip...

Weiterlesen

Buddy-Coaching: Kollegen bei ihrer Entwicklung unterstützen

WISSENplus
Sich gegenseitig unter die Arme greifen – das hat es unter Arbeitskolleggen schon immer gegeben, etwa wenn es beim zufälligen Small Talk in der Kantine oder „zwischendurch“ zum Erfahrungsaustausch kommt. Beim Buddy-Coaching jedoch geschieht dies systematisch und zielgerichtet: Im Fokus steht die konsequente Weiterentwicklung einer Person....

Weiterlesen

Wissensbewahrung: Schwäbisch Hall setzt auf Transfer-Coachings

WISSENplus
In jedem Unternehmen gibt es erfolgskritisches Wissen, das nicht verloren gehen darf, wenn das Unternehmen auch künftig erfolgreich arbeiten möchte. Dieses Wissen ist oft personengebunden. Also stellt ein Abwandern oder Ausscheiden der Wissensträger ein operatives Risiko dar. Dieses Risiko einer Wissenserosion wird sich in den kommenden Jahren in vielen Unternehmen erhöhen, denn aufgrund der Altersstruk...

Weiterlesen

Der Wissensarbeiter auf der Suche nach Lebenssouveränität

WISSENplus
Zeitmanagement ist ein wichtiger Aspekt des Selbstmanagements. Aber Selbstmanagement ist mehr als der Versuch, die Zeit in den Griff zu bekommen und effektiv zu nutzen. Selbstmanagement verfolgt das Ziel, unter einem ganzheitlichen Aspekt die verschiedenen Lebensbereiche, mit denen Wissensarbeiter zu tun haben, in ein harmonisches Gleichgewicht zu bringen und so zu mehr Lebenssouveränität zu gelange...

Weiterlesen