1999/10 | Fachbeitrag | Wissensmanagement einführen

Ein erfolgreicher und schneller Einstieg

von Dr. Peter Schütt

 

Von Peter

Schütt

 

 

Inhaltsübersicht:

 

Warum ist

Wissensmanagement plötzlich ein so heißes Thema? Es wird

sehr viel darüber geschrieben, doch kaum jemand weiß

wirklich, was es für das eigene Unternehmen konkret bedeutet.

Noch weniger ist vielen klar, wie erste Schritte in ein wirklich

sinnvolles Wissensmanagement aussehen können. Ist Wissensmanagement

nur ein Marketing-Gag der Unternehmensberater? Oder ist es der Motor

der Innovation, und ist damit eine Investition in das Wissen des

Unternehmens eine Garantie für die Zukunft?

 

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Die

schleichende Revolution

 

 

Wir stehen

am Rande einer schleichenden Revolution. Wie der Buchdruck die Art

der Wissensvermittlung im auslaufenden Mittelalter revolutioniert

hat (innerhalb von 15 Jahren wurden 8 Millionen Bücher gedruckt

– ebenso viele wie die Menschheit bis dahin insgesamt geschrieben

hatte [1]), so sorgt

heute das Internet für einen dramatischen Wechsel im geschäftlichen

und privaten Leben. Kundenbeziehungen müssen überall neu

definiert werden. Branchen wie Buch- und Tonträgerhandel, die

Reisebranche mit ihren Reisebüros, die Banken mit ihren vielen

Filialen, aber auch der Handel zwischen Firmen (die Supply Chain)

werden in wenigen Jahren ganz anders aussehen.

 

 

 

Damit muss

sich zwangsweise auch das Managementmodell ändern. Der Taylorismus,

der die erste Hälfte des auslaufenden Jahrhunderts mit seiner

Grundthese “Der Chef wird’s schon richten” bestimmt

hat, ist nun wirklich am Ende. Ein Unternehmen, das morgen noch

am Markt bestehen will, muss sehr flexibel auf kleinste Veränderungen

und Anforderungen reagieren – und das nicht erst nach zeitaufwendiger

Rückfrage an den Chef. Unter dem Stichwort “Empowerment

der Mitarbeiter” ist uns dies in den 80er Jahren schon verkauft

worden, damals allerdings als Wurmfortsatz einer extremen Prozessorientierung.

 

 

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Die Mitarbeiter im Brennpunkt der Unternehmensentwicklung

 

 

Diese Prozessorientierung

war und ist dann erfolgreich, wenn wiederkehrende Abläufe zu

steuern sind. Die heutigen Anforderungen sind aber höher. Ein

kostenoptimierter Prozess genügt nicht mehr, um besser zu sein

als der Mitbewerber. Deshalb orientieren sich die Unternehmen mit

immer kürzer werdenden Produktzyklen mehr und mehr am Stichwort

“Innovation”. Leider gibt es aber grundsätzlich keinen

losgelösten Innovationsprozess, so wie ein Computer auch nicht

innovativ sein kann. Innovation entsteht, wenn Wissen auf Wissen

prallt – und das am wahrscheinlichsten in einem völligen

Freiraum des Denkens. Damit rücken die Mitarbeiter als Person

nach langen Jahren als “Prozessbestandteil” wieder in

den Brennpunkt der Unternehmensentwicklung. Es ist ihr Wissen, das

den Unterschied ausmacht.

 

 

 

Praktisch gesehen

scheint das Zitat eines Unbekannten “Der Kauf eines Kaffeeautomaten

ist die beste Investition in Wissensmanagement” zu stimmen.

Dies galt jedoch nur, solange wir noch gewohnt waren, alle in einem

Firmengebäude zu arbeiten. Doch heute agieren selbst mittelständische

Unternehmen oftmals global, und der Trend bei vielen Unternehmen

zur weltweiten Fusion scheint ungebrochen. Was hilft da der Kaffeeautomat

in München, Frankfurt oder Hannover?

 

 

Was fängt

den Verlust an Austausch von Erfahrungswissen auf, wenn wir plötzlich

nicht mehr jeden morgen im Büro zusammenarbeiten, sondern per

ISDN vernetzt vom Arbeitszimmer zu Hause oder mobil vom Kunden?

Woher wissen wir dann, was jemand anderes im eigenen Unternehmen

schon weiß? Oder erfinden wir die Räder dann fünf-,

sechs- oder siebenmal ? Das wäre teuer – zu teuer, um

gegen die Wettbewerber zu bestehen.

 

 

 

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Was heißt “Wissen managen”?

 

 

Genau diese

Fragestellung gilt es in Wissensmanagement-Projekten als erstes

zu beantworten: Wie kann man das vorhandene Wissen aufspüren,

eventuell aufbereiten und dann zur Verfügung stellen, wenn

es irgendwo im Unternehmen gebraucht wird?

 

 

Wissen kann

in zwei verschiedenen Zuständen auftreten:

 

 

  1. ähnlich dem Wasser in flüssigem Zustand als explizites, dokumentiertes Wissen, z.B. in Büchern, als E-Mail, in Datenbanken oder im Internet, und
  2. eher mit einem dampfförmigen Zustand vergleichbar als stilles Wissen (tacit knowledge) in den Köpfen der Mitarbeiter

 

 

 
wissen picture

Wissen existiert in zwei Zuständen: als explizites, dokumentiertes Wissen und als stilles Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter.

 

 

Letzteres

lässt sich, wenn es nicht zu kurzlebig und nicht zu komplex

ist, gegebenenfalls auch dokumentieren, also explizit machen.

Dies stößt spätestens dann auf Grenzen, wenn es

die persönliche Genialität jedes Einzelnen betrifft,

die nicht mehr übertragbar ist. Das weite Zwischenfeld ist

aber gerade das Spannende, was in den letzten Jahren der reinen

Prozessorientierung so stark vernachlässigt wurde.

 

 

 

 

 

Viele Wissensmanagement-Projekte

konzentrieren sich auf den expliziten Teil, indem der Zugriff auf

Information mittels Suchmaschinen und Navigatoren verbessert und

die Dokumentenablage strukturierter in neuen Ablagesystemen organisiert

wird. Bei diesen sinnvollen Ansätzen wird jedoch allzu leicht

verkannt, dass Information ohne das Wissen um den Kontext in der

Regel wenig Wert aufweist und diese Medien eine Rückfrage in

der Regel nicht – oder nur sehr umständlich – ermöglichen.

Der erwünschte Erfolg solcher Projekte bleibt somit oft hinter

den Erwartungen zurück.

 

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Warum

mechanistische Lösungen scheitern

 

 

 

Was hier fehlt,

ist eine neu definierte Ausgewogenheit im strategischen Einsatz

von explizitem und stillem Wissen. Das führt dann an einem

Wissensmanagement-Programm, das die Mitarbeiter im Zentrum sieht,

nicht vorbei. Wenn man über tacit knowledge spricht, muss man

auch über eine Veränderung der Unternehmenskultur nachdenken.

Dass so etwas nicht mechanistischen Regeln folgen kann (“Lichtschalter

betätigen”), sondern sich eher nach biologischen Modellen

richtet, irritiert heute noch viele Manager.

 

 

Das Internet

und die großen Unternehmensdatenbanken scheinen Entscheidungsfindung

sicherer zu machen, indem Entscheidungen mehr auf sogenannte “Fakten”

aufgebaut werden. Ob die Daten dabei immer richtig interpretiert

und im richtigen Kontext gesehen werden, wird oft gar nicht erst

hinterfragt. Stattdessen sichert man sich durch eine Kopie der E-Mail

an den Chef vermeintlich ab und erzeugt bei ihm eine E-Mail-Überflutung.

Der Glaube an Explizites ist oftmals höher als die Bereitschaft

fünf Minuten nachzudenken; damit werden die Entscheidungen

nicht besser.

 

 

 

Das Grundproblem

besteht darin, dass es nicht möglich ist, jegliches Wissen

explizit darzustellen. In der Regel kommt es in der Darstellung

zu einer Verknappung auf das “Wesentliche”, was die Einbindung

des Kontexts als erstes über Bord wirft. Was machen denn gute

Entscheidungsfinder? Sie suchen nicht – zumindest nicht immer

– stundenlang im firmeneigenen Intranet, sondern fragen einen

guten Freund innerhalb des Unternehmens um Rat.

 

 

Diese informellen

Netzwerke, die unsichtbar in jedem Unternehmen existieren, sind

das Lymphsystem der Unternehmen, während die Blutbahnen als

Organisationsdiagramm überall veröffentlicht sind. Diese

Netzwerke funktionieren von sich aus, ohne große Investitionen

und ohne Motivationsprogramme. Sie funktionieren nicht nach den

Regeln der Aufbauorganisation, bei der es um Macht usw. geht, sondern

sie funktionieren nach dem Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit

auf sehr hoher Vertrauensbasis und nahezu konkurrenzfrei. Ein ideales

Umfeld für Wissensaustausch!

 

 

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Schnelle

Erfolge in Wissensmanagement-Programmen erzielen

 

 

Die meisten

Unternehmen haben heute eine zweistufige Organisation: die klassische

Aufbauorganisation mit ihren Bereichen und Abteilungen und die darüberliegende,

projektorientierte Matrixorganisation. Die Japaner Ikujiro Nonaka

und Hirotaka Takeuchi haben in ihren wegweisenden Veröffentlichungen

in den frühen 90er Jahren eine dritte Organisationsebene empfohlen,

die man heute die “Wissensebene” nennen würde [2].

Dabei geht es darum, in den Unternehmen (im Sinne von Supply Chain

auch durchaus über Firmengrenzen hinaus) einen Freiraum des

Denkens zu schaffen, in dem Mitarbeiter bestimmte Themen weiterentwickeln.

 

 

 

Organisationsanalysen

zeigen fast immer sehr deutlich, dass die Grenzen der Aufbauorganisation

mit ihren Zielvorgaben den Wissensfluss stark behindern. So entwickeln

sich lokale Lösungen, die nicht dem Besten entsprechen, was

ein Unternehmen kann. Diese Barrieren in der an sich sinnvollen

Aufbauorganisation aufzuweichen, indem man Mitarbeiter bereichsübergreifend

sachthemenorientiert zusammenkommen lässt – am Anfang

real und später auch virtuell über Groupware- und Intranetlösungen

– kann ein erstes Ziel eines Wissensmanagement-Programms sein.

In zahlreichen Kundenprojekten der IBM hat sich gezeigt, dass hierin

ein hohes Potential an schnellen Erfolgen (Quick Wins) verborgen

ist.

 

 

Es ist dabei

natürlich nicht mit einer normalen Mitarbeiterbesprechung getan.

Hier bedarf es ausgefeilter Mechanismen, um wirklich Wissen fließen

zu lassen. Als Ausgangspunkt eignen sich die vorhandenen, oftmals

auch an Sachthemen orientierten informellen Netzwerke am besten.

Sie für den Unternehmenserfolg zu nutzen, heißt gleichsam

Eisberge etwas zu heben und sichtbarer zu machen. Sie ganz zu heben,

bedeutet sehr viel Energie aufzuwenden und Gefahr zu laufen, dass

sie in der Sonne davonschmelzen. Mit Bedacht eingerichtet –

und man kann dabei sehr wohl klein anfangen – sind auch die

Erfolge schnell sicht- und messbar. “Schnell” heißt

hier etwa 6 Monate; ein wirklicher Kulturwandel dauert aber doch

eher 2 Jahre und länger.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
10 Regeln für erfolgreiche Wissensmanagement-Programme

Aus weltweiter Praxiserfahrung in einer Vielzahl von Wissensmanagement-Projekten hat IBM Global Services 10 Erfolgsfaktoren für Bereichs- oder Unternehmensleiter abgeleitet:

1. Sie investieren seit Jahren in Ihre DV-Lösungen und managen Ihr explizites, dokumentiertes Wissen schon lange gut. Eine Portalanwendung oder ein Datenbanknavigator könnte noch mehr Transparenz erzeugen. Trotzdem wissen Sie nicht wirklich, was Ihre Mitarbeiter wissen. Dabei ist dieses stille Wissen (tacit knowledge) der Motor jeglicher Innovation und die Grundlage zukünftiger Erfolge. Investieren Sie in diese Richtung.
 

2. Die Aufbauorganisation Ihres Unternehmens schafft zu wenig Freiräume für einen innovativen Erfahrungsaustausch mit den im Unternehmen verstreuten, fachlich besten Kollegen. Schlüssel zum Erfolg ist die Vernetzung von Mitarbeitern, die an ähnlichen Themen arbeiten (Expertennetzwerke).
 

3. Das Wissen Ihrer Mitarbeiter ist kein fester Besitzstand Ihres Unternehmens. Wissen kann jederzeit zur Tür hinausgehen. Umwerben Sie Ihre Mitarbeiter wie sonst Kunden; bei zufriedenen Mitarbeitern sind automatisch auch Ihre Kunden zufrieden.
 

4. Mitarbeiter geben ihr wirklich wichtiges Wissen nur freiwillig preis, und dies auch nur in einem Umfeld des Vertrauens und wenn sie für sich persönlich einen Wert darin finden. Persönliche Wissensziele sind kein geeignetes Mittel zum Erfolg.
 

5. Monetäre Anreizsysteme können anfänglich sinnvoll sein, um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter für das Wissensmanagement-Programm zu wecken. Langfristig sind sie aber ungeeignet, wirklich an das wichtige Wissen zu kommen.
 

6. Mitarbeiter wollen an wichtigen Dingen beteiligt sein. Zeigen Sie mit dem wichtigsten Gut, das Sie haben – Ihrer Zeit –, wie wichtig Sie den Austausch von Fachwissen finden und beteiligen Sie sich in einer zurückhaltenden, eher zuhörenden Rolle in den Expertennetzwerken.
 

7. Werten Sie Ihre Unternehmensgeschichte innovativ aus, um intern die Erfolgsgeschichten verbreiten zu können, die Ihnen das notwendige Unternehmensklima zum freiwilligen Wissensaustausch schaffen (Story Telling).
 

8. Damit Expertennetzwerke funktionieren, ist persönliches Kennenlernen extrem wichtig. Für ein fortlaufendes Funktionieren dürfte das Telefon das Werkzeug erster Wahl sein (regelmäßige Telefonkonferenzen), wenn physische Treffen wegen zu großer Distanzen ausgeschlossen sind. Als unterstützende Maßnahme sind Softwarelösungen aus dem Groupware-Bereich mit integrierten Workflow-Funktionen, z.B. mit einem “Team Room” für jedes Netzwerk, auch ein Erfolgsfaktor.
 

9. Ein Wissensmanagement-Programm muss einen kulturellen Wandel herbeiführen – von “Wissen ist Macht” zu “Wissen austauschen ist Macht”. Dazu sollte man klein anfangen, die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen durchforsten, Erfolgsgeschichten sammeln und das Programm dann ausweiten. Erste Erfolge sind etwa nach 6 Monaten sichtbar, die volle Einführung dauert 2 Jahre und länger.
 

10. Sie können Ihr Wissensmanagement-Programm alleine durchführen, laufen aber Gefahr, einer Betriebsblindheit zu unterliegen und sehr lange zu brauchen, bis sich die Erfolge einstellen. Wenn Sie außenstehende Partner einbinden, sollten Sie darauf achten, dass die Beratung zu einer selbständigen Fortführung des Programms führt. Letztlich kennt niemand Ihre Betriebsabläufe so gut wie Sie selbst!

 
 

 

 

 


Literatur

 

 

 

[1]

Eisenstein, E.: The Printing Revolution in early modern Europe.

Cambridge University Press 1983, Nachdruck 1998.

 

 

[2]

Nonaka, I./Takeuchi, H.: A Dynamic Theory of Organizational Knowledge

Creation. In: Organizational Science. Ausgabe 5, Nummer 1, Februar

1994. Nachdruck in: Prusak, L. (Hrsg.): Knowledge in Organizations.

Butterworth-Heinemann 1997.

 

 

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