2015/4 | Fachbeitrag | Digitale Transformation

Digitaler Wandel: Radikale Innovationen & neues Führungsverständnis

von Tim Neugebauer

Inhaltsübersicht:

Seit es Software gibt, ist sie ein Mittel der Prozessoptimierung. Durch sie sollen Arbeitsabläufe schneller, mit weniger Fehlern und in besserer Qualität stattfinden – bei reduzierten Kosten. Dieser traditionelle Zweck ist zwar legitim, im digitalen Zeitalter greift er aber zu kurz. Denn wenn Unternehmen lediglich am bestehenden Status optimieren, bleibt wenig Raum für die Auseinandersetzung mit den tiefer greifenden Chancen und Risiken technologischer Veränderung. Diese Auseinandersetzung ist in Anbetracht der immensen Reichweite der Digitalisierung jedoch notwendig. Denn die revolutionierende Kraft des Digital Business erfasst heute alle Branchen. Digitale Konkurrenten mit neuartigen Geschäftsmodellen, smarten Produkten und integrierten Dienstleistungen hinterfragen und verändern bestehende Marktstrukturen.

Digital Business Transformation fordert radikale Innovationen

Digital Business Transformation bedeutet, bestehende Geschäftslogiken so fortzuentwickeln, dass sie auch unter den Bedingungen einer digital vernetzten Welt erfolgreich sein können. Was oberflächlich betrachtet einfach erscheint, erfordert im Detail erhebliche Anstrengungen. Denn es reicht in der Regel nicht, bestehende Produkte und Dienstleistungen nur im Detail verbessern zu wollen, indem man sie beispielsweise durch digitale Funktionen anreichert. Vielmehr sind radikal neue Lösungen gefragt – im Sinne echter digitaler Innovationen bei eigenen Prozessen, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Gegenüber kleinen und flexiblen digitalen Startups haben etablierte Unternehmen hier mitunter einen deutlichen Nachteil. Einerseits ist das aktuelle Geschäft eines etablierten Marktteilnehmers häufig nur sehr bedingt digital ausgerichtet. Die Geschäftstätigkeit war ja traditionell – oft seit Jahren und Jahrzehnten – erfolgreich. Darum wird die Notwendigkeit kaum wahrgenommen, Innovationen zu entwickeln und digitale Geschäftsfelder zu generieren, die auch in Zukunft Erträge sichern. Die ganze Unternehmenskultur ist häufig nicht offen für Neuerungen. Die Folge ist, dass aktuelle digitale Produktionsverfahren – von Frameworks bis Cloud-Plattformen – in etablierten Unternehmen gar nicht bekannt sind oder aber ausgeblendet werden. Dabei können sie entscheidend helfen, Entwicklungen zu beschleunigen und Kosten zu reduzieren.

Zudem besteht in etablierten Unternehmen oft ein organisatorisches Dilemma. Es gibt eine Konkurrenzsituation: zwischen unverzichtbar scheinenden Routinetätigkeiten im operativen Geschäft und potenziell riskanten digitalen Innovationsprojekten. Tendenziell sind es immer die tagesaktuellen Notwendigkeiten, die den unternehmensinternen Kampf um die knappen Ressourcen bestimmen. Digital Business Transformation ist also zunächst eine Aufgabe für das Management. Es ist seine Sache, die Ausrichtung des Unternehmens auf zukünftige digitale Entwicklungen zu erweitern und zugleich dem organisatorischen Dilemma zu begegnen. Auch das etablierte Unternehmen muss im Rahmen der ihm gegebenen Möglichkeiten Wege finden, um die digitale Transformation, die in der jeweiligen Branche bevorsteht – oder schon in vollem Gange ist – aktiv zu gestalten. Aus dieser Perspektive muss das Management neuartige technische Lösungen bewerten.

Führung 2.0: direkt, flexibel, agil

Ein weiterer Aspekt ist die Erneuerung von Vorgehensmodellen und Managementmethoden. Gerade in diesem Bereich gibt es schon Werkzeuge, die helfen, unsere Denkmuster für die Herausforderungen der digitalen Welt zu öffnen, das Risiko digitaler Innovationen zu steuern und die Umsetzung zu vereinfachen. Ansätze wie „Business Model Generation“ (nach Osterwalder/Pigneur), „Lean Startup“ (Ries) und „Customer Development“ (Blank) gehören im E-Business- und Digital-Startup-Umfeld zum Allgemeingut. Entscheidungsprozesse im Zeitalter der Digitalisierung müssen direkter, Vorgehen flexibler und agiler sein. Die teamorientierte und projektbezogene Zusammenarbeit über die alten organisatorischen Abteilungsgrenzen hinweg wird immer wichtiger.

Deutschland gilt international als Land der Ingenieure. Es ist durchaus legitim, daraus eine spezifische Stärke in Sachen Digital Business Transformation abzuleiten: Auch Softwareentwicklung ist letztlich eine Ingenieursleistung. Wenn deutsche Unternehmen dagegen eine spezifische Schwäche gegenüber der Herausforderung Digitalisierung aufweisen, so ist es wohl ihre traditionell anbieterzentrierte Kultur. Ingenieurswissenschaftliche Entwicklungen sind oft hochinnovativ, aber nicht immer sind sie auch die ganz konkrete Antwort auf aktuelle Bedürfnisse im Markt. Bei Kunden- und Nutzerorientierung haben deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich oft Nachholbedarf. Aber gerade die erwähnten Vorgehensmodelle und Werkzeuge des Digital Business – wie Scrum, Lean Startup, Customer Development und Business Model Canvas – können dabei helfen, die Schwächen bei der Nutzer- und Marktzentrierung auszugleichen und anschließend die ureigenen Ingenieursstärken auszuspielen.

Digital Business Transformation in der Industrie: vier Kernthesen

These 1:
Die Veränderungskraft der Digitalisierung erreicht alle Branchen – auch die Industrie hat sich den Zukunftsthemen zu stellen. Stichworte hier sind Industrie 4.0, Internet der Dinge, zunehmende Serviceorientierung (von der Sekundärdienstleistung am Produkt zur Primärdienstleistung mit Produktergänzung), neue digitale Geschäftsmodelle usw.

These 2:
Etablierte Industrieunternehmen werden zukünftig noch stärker und wesentlich schneller durch branchenfremde Wettbewerber bedroht. Langanhaltende Wettbewerbsvorteile verschwinden – zeitlich begrenzte Wettbewerbsvorteile werden die Regel. Dies erfordert den kontinuierlichen Aufbau neuer Wettbewerbsvorteile (vgl. u.a. „Rita McGrath: The End of Competitive Advantage“).

These 3:
Kontinuierliche Verbesserungsprozesse und inkrementelle Fortentwicklung sind im Industriesektor die Regel, „bold innovations“ im Sinne radikal neuer oder disruptiver Entwicklungen eher die Ausnahme. Diese sind aber nötig, um entsprechend neue Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Grund ist u.a. das klassische „organisatorische Dilemma“ des Innovationsmanagements: Routineprozesse vs. Innovationsprozesse; Planungssicherheit vs. Risiko; fehlende innovationsfördernde Unternehmenskultur usw.

These 4:
Wollen Industrieunternehmen These 1 begegnen, These 2 ermöglichen und These 3 überwinden, müssen sie verschiedene Herausforderungen bewältigen. Fünf Stoßrichtungen dafür, hier mit spezifischem Digitalfokus:

  • Entwicklung der Innovationsstrategie
  • Ressourcenbereitstellung/Team-Building/Top-Management-Support
  • Etablieren einer innovationsfördernden Unternehmenskultur
  • Einführung eines passenden Innovationsprozesses (Backend of Innovation, Idea-to-launch)
  • Neue Wege im „Fuzzy Frontend“: Open Innovation, Cross-Industry-Innovation usw.

Marktbeobachtung als erster Schritt

Was sollte ein etabliertes Unternehmen also tun, wenn es mit der Digital Business Transformation ernst machen will? Wenn aus dem Follower von heute ein Leader von morgen werden soll? Die einfachste Strategie kann zunächst darin bestehen, sich die augenblicklichen Gestalter der digitalen Transformation sehr genau anzusehen. Dies bedeutet, von den Erfahrungen und dem Wissen der High-Tech-Startups zu lernen und funktionierende Verfahren und Geschäftsmodelle des E-Business an geeigneter Stelle zu übernehmen. Der erste Schritt dahin kann einfacher sein, als man denkt: Im Zweifelsfall ist das nächste „Digital Startup Meetup“ in der eigenen Stadt nur ein paar Klicks entfernt.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Innovationen für Deutschland

WISSENplus
Die Bundesregierung hat eine neue, weiterentwickelte Hightech-Strategie veröffentlicht (http://www.bmbf.de/pub/HTS_Broschure.pdf). Diese „steht für das Ziel, Deutschland auf dem Weg zum weltweiten Innovationsführer voranzubringen“. Bemerkenswert sind bei der Hightech-Strategie 2014 einige Erweiterungen: So wurde sie durch eine Entgrenzung des bisherigen Fokus Hightech zu einer ressortübergreifenden ...

Weiterlesen

Wissensmanagement, eine Frage der Führung?

Die Praxis in vielen Unternehmen zeigt immer wieder, wie oft Führung das Gegenteil bewirkt. Durch einen falschen Führungsstil werden Mitarbeiter demotiviert, vorhandene Eigeninitiative wird genommen, die Kreativität der Mitarbeiter einschränkt. Was aber kann eine Führungskraft in dem Spannungsfeld des möglichst selbst initiierten Wissensmanagements der Mitarbeiter und der nötigen Gesamtkoordination d...

Weiterlesen

Digitalisiert & vernetzt: Daten im (Work-)Flow

Daten gelten als Gold des 21. Jahrhunderts. Sie haben sich als vierter Produktionsfaktor neben Boden, Arbeit und Kapital fest etabliert. In vielen Organisationen tragen sie - als elementarer Wissensbaustein - mittlerweile sogar mit mehr als 60 Prozent zur Wertschöpfung bei. Doch trotz ihrer wachsenden Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit werden Daten in vielen Organisationen nach wie vor vernachlässig...

Weiterlesen

Wissen braucht Führung

WISSENplus
In Expertenorganisationen „erzeugen" Menschen Wissen. Sie entwickeln, tauschen, vermitteln und nutzen es. Und diese Wissensprozesse müssen geführt werden. Im folgenden Best-Practice-Bericht geht es um die Besonderheiten bei der Führung von Expertenorganisationen, um Verhaltensmuster in Expertenteams und um wichtige Aspekte bei der Teamentwicklung....

Weiterlesen

My CMS: Anwaltskanzlei bündelt ihr Wissen App-basiert

WISSENplus
CMS ist eine der zehn größten internationalen Anwaltskanzleien. Sie ist in 70 Städten in 43 Ländern vertreten - mit 75 Standorten weltweit. Aufgrund einer Fusion mit den Kanzleien Nabarro und Olswang im Jahr 2017 hatte es CMS mit einer heterogenen IT-Landschaft zu tun. Doch die Digitalisierung macht auch vor der Rechtsbranche keinen Halt. Ein immer schnelleres Wachstum und die hohen Anforderungen ...

Weiterlesen

Studie: Die HR-Welt blickt positiv in eine digitalere Zukunft

Wie sieht eigentlich das „Neue Normal“ in den Personalabteilungen aus? Gibt es bleibende Veränderungen oder geht es nach dem Krisenmanagement wieder zurück zu „business as usual“? Im Rahmen einer meta | five Studie wurden im Mai 2020 rund 50 Unternehmensvertreter, vorwiegend führende Mitarbeitende aus Personal-Abteilungen verschiedener Branchen dazu befragt, inwieweit sich ihr beruflicher Alltag...

Weiterlesen

Generation Y als Treiber eines „neuen“ Innovationsmanagements

WISSENplus
Natürlich waren und sind creaktive Ideen auf motivierte Mitarbeiter angewiesen. Doch bisher haben Führungskräfte ihre Mitarbeiter dafür höchstens in Crea-Seminare geschickt, in denen sie mit einem gut gefüllten Crea-Werkzeugkasten ausgerüstet wurden. Anders ausgedrückt: Das „klassische“ Innovationsmanagements ist sehr toolbasiert. Brainstorming gilt als die Methode, mit der sich Innovationen...

Weiterlesen

Mit Chatbots immer topaktuell informiert

WISSENplus
Im Kundendienst und im Marketing haben Chatbots ihren Platz gefunden. Noch kaum bekannt ist ihr Potenzial aber in der Wissensvermittlung. Mit Chatbots lässt sich Wissen kurz, mobil und interaktiv weitergeben. Kurz: Sie treffen den Zeitgeist und holen Anwender dort ab, wo sie sind: beim Messaging. Ohne neue App lassen sich so beispielsweise neue Mitarbeiter in einen Betrieb einführen, Awareness-Kampa...

Weiterlesen