2004/8 | Fachbeitrag | Wissenskreislauf
Die Bausteine des Wissensmanagements in der Praxis
Inhaltsübersicht
In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl von Studien
und Konzepten für die gezielte Identifikation, Vermittlung und Integration
von Wissen im Unternehmen vorgelegt, etwa die „Vier Akte zum Wissensmanagement“
von Schüppel [1] oder das „Modell des integrativen Wissensmanagements“
von Reinhardt und Pawlowsky [2]. In der Fülle der Publikationen nehmen
die „Bausteine des Wissensmanagements“ von Probst, Raub und Romhardt
[3] aufgrund ihrer Praxisnähe nach wie vor eine besondere Stellung ein.
Mit der Differenzierung von Wissensprozessen in einzelne Bausteine ermöglicht
es dieser Ansatz, Wissensprobleme innerhalb einer Organisation besser einzuordnen,
zu verstehen und zu lösen.
Das Prinzip des Wissenskreislaufs
Im Mittelpunkt des Konzeptes steht die Gestaltung, Nutzung und Entwicklung
einer organisationalen Wissensbasis. Diese umfasst sowohl individuelle als auch
kollektive Wissensbestände, die einer Organisation bei der Lösung
von Problemen zur Verfügung stehen, sowie die Daten und Informationen,
auf denen individuelles und kollektives Wissen aufbaut. Eine Organisation lernt
durch Optimierung der gemeinsamen Wissensbasis, auch wenn das Wissen selbst
in der Regel als personengebundene Problemlösungskompetenz zu verstehen
ist. Entscheidend für den Erfolg der Bausteine des Wissensmanagements ist
ihre integrale Komponente: Wissensmanagement steht nicht als isolierte Strategie
neben anderen Prozessen, sondern durchdringt als Querschnittsaufgabe das gesamte
Unternehmen.
Die Bausteine des Wissensmanagements gliedern sich in einen inneren und einen
äußeren Wissenskreislauf. Der äußere Kreislauf bildet
einen klassischen Managementprozess ab mit den Elementen Zielsetzung, Umsetzung
und Kontrolle. Zunächst werden konkrete Ziele formuliert und Strategien
entwickelt, um diese zu erreichen. Ein Controllingsystem wacht über Erfolg
und Effizienz der Maßnahmen und liefert ein Feedback für die Formulierung
neuer oder revidierter Wissensziele.
Die sechs Bausteine des inneren Kreislaufs beschreiben die operative Umsetzung
der Strategie: Während die Wissensidentifikation intern und extern bereits
vorhandenes Wissen lokalisiert, dient der Wissenserwerb der gezielten Beschaffung
externen Wissens. Demgegenüber ist die Wissensentwicklung auf die unternehmensinterne
Produktion neuer Fähigkeiten, neuer Ideen und Produkte sowie verbesserter
Prozesse ausgerichtet. Die Wissensverteilung optimiert die Distribution und
Verfügbarkeit vorhandenen Know-hows; das schließt auch den Aufbau
einer leistungsfähigen technischen Infrastruktur ein. Die Wissensnutzung
als Kernelement des Wissensmanagements bezeichnet den produktiven Einsatz organisationalen
Wissens zum Vorteil des Unternehmens. Und schließlich sorgt die Wissensbewahrung
dafür, dass Erfahrungen und Informationen zuverlässig gespeichert
werden, damit einmal erworbene Fähigkeiten der Organisation nicht verloren
gehen. Die einzelnen Bausteine sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen
sich gegenseitig.
Die sechs Kern- und zwei Außenprozesse bilden einen interdependenten
Managementregelkreis, der die wesentlichen Wissensfunktionen im Unternehmen
abdeckt. Dabei wird berücksichtigt, dass sich eine Organisation aus verschiedenen
Elementen (Individuen und Gruppen) mit unterschiedlichen operativen, strategischen
und normativen Zielen zusammensetzt. Die Variable Wissen wird durch dieses Konzept
als Dreh- und Angelpunkt zur Lösung von Managementproblemen im Unternehmen
etabliert. Dabei dienen die Bausteine des Wissensmanagements nicht nur dazu,
die Wissensmanagement-Prozesse zu strukturieren, sondern ermöglichen auch
eine praktische Problemanalyse, ohne den Anspruch einer umfassenden Theoriebildung
zu erheben.
Die Bausteine des Wissensmanagements nach Probst, Raub und Romhardt [3] |
Ein Praxisbeispiel: Skandia
Das schwedische Versicherungsunternehmen Skandia realisierte in den neunziger
Jahren ein Projekt zur Implementierung eines ganzheitlichen Wissensmanagements
(Intellectual Asset Management) [4, 5]. Ziel war eine realistischere Einschätzung
des Firmen-Marktwertes durch eine Bewertung des intellektuellen Kapitals als
entscheidender Unternehmensressource. Außerdem sollte der interne Informationsfluss
verbessert werden, um durch die Verfügbarkeit von Wissen zur richtigen
Zeit am richtigen Ort den Wert des intellektuellen Kapitals zu steigern. Unter
der Leitung von Leif Edvinsson begann man 1991 mit der Umsetzung eines sechsstufigen
Wissensmanagement-Konzepts.
Das Projekt gliederte sich in sechs Phasen, wobei die Umsetzung der einzelnen
Schritte jeweils etwa ein Jahr in Anspruch nahm:
- Missionary:
Die erste Phase diente einer umfassenden Analyse des Wissensmarktes. - Measurement:
Im zweiten Schritt ging es darum, geeignete Bewertungsmethoden und Wissensindikatoren zu entwickeln. Als Hilfsmittel wurde ein Modell zum Messen des intellektuellen Kapitals erarbeitet: der Skandia-Navigator. Dieser fördert die Unternehmensentwicklung durch die Untersuchung der Kennzahlen Kunden, Prozesse, Personal sowie Forschung und Entwicklung. Der ursprüngliche Navigator wurde um ein so genanntes F-Link-Kennzahlensystem ergänzt, das weitere Kennzahlen zu den Faktoren enthält, die den größten Einfluss auf den Markterfolg haben: Kundenzufriedenheit, Zufriedenheit der Vertreter, Motivation und Kompetenz der Mitarbeiter sowie Qualitätsbewusstsein und Effektivität der Verwaltung. - Leadership:
Dieser Projektabschnitt befasste sich mit der Entwicklung der unterschiedlichen Komponenten des intellektuellen Kapitals. In einem eigens gegründeten Future Center trafen sich die Organisationsmitglieder in einer offenen Atmosphäre, um durch Anwendung von Szenariotechniken das in Zukunft relevante Wissen zu identifizieren und zu entwickeln. - Information Technology:
In dieser Phase wurde die unterstützende informationstechnologische Infrastruktur aufgebaut und ein Spezialistennetzwerk zur gezielten Verteilung und Nutzbarmachung des Wissens eingeführt. - Capitalising:
Hier galt es, die Wiederverwendbarkeit des Wissens sicherzustellen, um damit Rendite und Produktivität des intellektuellen Kapitals zu steigern. - Futurizing:
Der letzte Projektabschnitt beschäftigte sich mit der Entwicklung standardisierter Verfahren zum Speichern relevanten Wissens (und zukünftiger Strategien). Dazu erstellte man u.a. so genannte Procedure Manuals.
Obwohl das Skandia-Modell unabhängig von den Bausteinen des Wissensmanagements
entwickelt wurde, folgen beide Ansätze einem vergleichbaren Prinzip. Die
sechs Schritte des Intellectual Asset Managements entsprechen in ihren Grundzügen
den von Probst, Raub und Romhardt definierten Kernprozessen des Wissenskreislaufs.
Die Zielsetzung des Projekts – die Bewertung und Wertsteigerung des im
Unternehmen vorhandenen intellektuellen Kapitals – bildet dabei den strategischen
Rahmen. Allerdings fehlen zur vollständigen Umsetzung der Bausteine des
Wissensmanagements gezielte Maßnahmen zum Wissenserwerb – ein notwendiger
Schritt, der von den Unternehmen bewusst gestaltet werden muss.
Aufgrund des rasanten Anwachsens von relevantem Wissen und der zunehmenden
Spezialisierung ist es heute kaum noch möglich, das gesamte Wissen, das
für das Erreichen der Unternehmensziele benötigt wird, in der Organisation
zu generieren und vorrätig zu halten. Darüber hinaus trägt die
hohe Dynamik der Veränderungsprozesse dazu bei, dass vorhandenes Wissen
in kurzer Zeit veraltet. Der Erwerb von Wissen aus externen Quellen ist somit
ein Kernprozess des Wissensmanagements. Es gilt, identifizierte Wissenslücken
zu schließen, indem relevantes externes Wissen importiert und in die organisationale
Wissensbasis integriert wird. Dabei ist darauf zu achten, dass diese neuen Wissenspotenziale
grundsätzlich in der Organisation nutzbar sind.
Management des intellektuellen Kapitals bei Skandia |
Bewertung des Ansatzes
Auch wenn – wie das Beispiel Skandia zeigt – die Bausteine des
Wissensmanagements einen hohen Praxisbezug aufweisen, sehen einige Autoren Probleme
bei ihrer Umsetzung. So wird kritisiert, dass trotz einer Fülle von Beispielen
praktische Schwierigkeiten beim konkreten Implementieren, insbesondere von Informationstechnologien,
zu wenig Beachtung finden. Zudem wird bezweifelt, dass die Reduktion auf wenige
Parameter der Komplexität der Thematik gerecht wird.
Auch die mangelnde Theoriebindung ist immer wieder Ziel der Kritik. Es gelinge
dem Modell nicht, die unzureichende theoretische Basis durch einen pragmatischen
Praxisbezug auszugleichen; das Theoriedefizit gefährde die Integrierbarkeit
des Ansatzes in bestehende Organisations- und Managementmodelle. Ein weiterer
Kritikpunkt ist die deterministische und direktive Art, in der Interventionen
beschrieben werden.
Trotz dieser Kritik steht außer Frage, dass sich die Bausteine des Wissensmanagements
mit ihrem ganzheitlichen Ansatz gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht eng
an die Praxis anlehnen: Sie ermöglichen eine strukturierte Betrachtung
des Wissensmanagements und bieten praktikable Ansätze zur Intervention
und Optimierung innerhalb des Unternehmens. Gerade die Reduktion des komplexen
Themas Wissensmanagement auf wenige Kernprozesse gestattet es, die Ressource
Wissen systematisch zu identifizieren, zu erfassen und für das Unternehmen
nutzbar zu machen.
Literatur:
[1] Schüppel, J.: Wissensmanagement – Organisatorisches Lernen im
Spannungsfeld von Wissens- und Lernbarrieren. Wiesbaden 1996.
[2] Reinhardt, R./Pawlowsky, P: Wissensmanagement – ein integrativer Ansatz
zur Gestaltung organisationaler Lernprozesse. In: Dr. Wieselhuber & Partner
(Hrsg.): Handbuch Lernende Organisation. Unternehmens- und Mitarbeiterpotentiale
erfolgreich erschließen. Wiesbaden 1997.
[3] Probst, G./Raub, S./Romhardt, K.: Wissen managen. 3. Aufl. Wiesbaden 1999.
[4] Skyrme, D.J./Amidon, D.: Creating the Knowledge-Based Business. Wimbledon
1997.
[5] American Productivity & Quality Center International Benchmarking Clearinghouse
(APQC): Knowledge Management. Consortium Benchmarking Study. Best Practice Report.
Houston 1996.