2022/1 | Fachbeitrag | Best Practices

Deutschlands Weg zur smarten Verwaltung: Was Behörden bei der Digitalisierung beachten müssen

Gerade in der öffentlichen Verwaltung gibt es viele Möglichkeiten, digitale Technologien und Prozesse für effizientere Abläufe und mehr Bürgerfreundlichkeit zu nutzen. Doch dabei gilt: Nur mit einem ganzheitlichen Ansatz lässt sich die Digitalisierung in Behörden vorantreiben. Fünf Tipps, die auf dem Weg zu smarten Verwaltung unerlässlich sind.

Bildquelle: (C) mohamend_hassan / Pixabay

1. Gesetzliche Vorgaben als Chance begreifen

Rechtliche Vorgaben wie das E-Government-Gesetz des Bundes oder das Onlinezugangsgesetz (OZG) fungieren als Treiber. Diese Gesetze verpflichten Bund, Länder und Kommunen, zur Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger die 575 wichtigsten Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 digital anzubieten. Auch wenn der Zeitplan aller Voraussicht nach nicht eingehalten wird, markiert das OZG einen Wandel in Sachen Digitalisierung. Und der nächste "Treiber" steht bereits vor der Tür: Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat schärfere Grenzwerte für die Luftqualität ins Spiel gebracht. Die neuen Limits für die in Verkehr, Haushalten und Industrie emittierten Schadstoffe sind deutlich strenger als die aktuell geltenden. Die Grenzwerte haben zwar reinen Empfehlungscharakter, die EU hat sich bisher aber häufig an der WHO orientiert. Werden die Normen für die Luftqualität verschärft, sind die Städte und Gemeinden gezwungen, mit intelligenten Maßnahmen gegenzusteuern. Gesetzliche Vorgaben wie das OZG oder schärfere Grenzwerte sollten die Verantwortlichen in der öffentlichen Verwaltung deshalb als Chance sehen, sich Gedanken darüber zu machen, was ihre Bürger brauchen.

2. Nicht Papiere, sondern Prozesse digitalisieren

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung muss als Chance zur Neugestaltung von Prozessen verstanden werden. Zwar lassen sich viele Anträge bis hin zu denen für einen neuen Personalausweis mittlerweile online abrufen, aber zum Konzept der smarten Verwaltung gehört deutlich mehr als einen Prozess "irgendwie" zu digitalisieren. Denn Digitalisierung bedeutet nicht nur einen Wechsel der Zugangskanäle, vielmehr müssen Verwaltungsleistungen für den Bürger so einfach und bequem wie nur möglich zur Verfügung stehen. Die An- und Ummeldung eines Wohnortes oder die Unternehmensgründung sind aktuelle Beispiele, bei denen die fehlende Zusammenarbeit in den Behörden Ende-zu-Ende-Prozesse verhindert. Grundlegend gilt: Sind Abläufe kompliziert und damit ineffizient, wird ein reiner Wechsel von analog zu digital dieses Problem nicht lösen.

3. Customer Journey erstellen

Die Bürger stehen digitalen Verwaltungsservices durchaus aufgeschlossen gegenüber - allerdings nur, wenn diese zeitsparend sowie einfach zu bedienen sind und am besten per Smartphone genutzt werden können. Bei der Neugestaltung von Verwaltungsverfahren und der Entwicklung digitaler Dienste müssen deshalb von Anfang an die Bedürfnisse der späteren Nutzer, die aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen kommen, berücksichtigt werden. Sollen Services wirklich für alle Menschen zugänglich sein, müssen einfache Sprache, Barrierefreiheit, intuitive Bedienung sowie proaktives Hinweisen auf Fristen ganz selbstverständliche Bestandteile werden. Aktuell nutzen Bürger mit einem hohen Bildungsabschluss digitale Angebote wesentlich häufiger als jene mit niedrigerem Bildungsniveau oder Migrationshintergrund. Zu einem optimalen Kunden-Erlebnis gehört auch die erlebte Interaktion mit der Verwaltung - das reicht von einem einzigen Nutzerkonto für Meldepflichten und Anträge bis hin zu digitalen Beteiligungsformaten.

4. Mitarbeiter einbeziehen

Digitale Projekte in der öffentlichen Verwaltung scheitern bei ihrer Umsetzung in die Praxis häufig an der zu geringen Bereitschaft der Mitarbeiter, Veränderungen anzunehmen und in ihrer täglichen Arbeit anzuwenden. In der Regel wird ihnen schon eine Menge zugemutet: Behörden müssen mit immer weniger Personal immer mehr Aufgaben abwickeln, die der nationale Gesetzgeber und die EU auf den Weg bringen. Kommen dann noch unklare Anforderungen, eine hohe Komplexität, mangelndes Wissen bis hin zu einer ungenügenden Kommunikation und Partizipation im Vorfeld hinzu, führt das im Ergebnis häufig zu Ablehnung, Überforderung und Verweigerung. Der digitale Wandel in der Verwaltung gelingt nur, wenn die Mitarbeiter in diese Reise eingebunden und Kompetenzen ausgebaut werden. Letzteres klappt nicht mit unspezifischen Weiterbildungen oder einem Handbuch für eine neue Anwendung - vielmehr müssen die Mitarbeiter rollenspezifisch abgeholt und geschult werden.

5. Organisatorische und technische Silos einreißen

Bereichsübergreifendes Denken ist ein Grundpfeiler der smarten Verwaltung. Bislang allerdings ist die Arbeit in Behörden und Ämtern stark strukturiert und reglementiert. Die Folge sind sowohl organisatorische als auch technische Silos, in denen die Mitarbeiter isoliert von anderen Abteilungen, Fähigkeiten und Kenntnissen agieren. Eine solche starre Organisation blockiert allerdings den Wandel, einzelne Behörden müssen künftig enger zusammenarbeiten. So könnten etwa die bereits installierten Sensoren zur Messung der Luftqualität genutzt werden, um je nach aktuellen CO2-Emissionen Verkehrsströme umzulenken. In der Kommunikation mit dem Bürger muss das Ziel sein, Medienbrüche zu reduzieren, indem beispielsweise ein einzelnes Nutzerkonto für verschiedene Verwaltungsprozesse bereitsteht. Werden Dienstleistungen modular angeboten, können sie auch als Best Practices von anderen Behörden eingesetzt werden.

"Die Bürgerinnen und Bürger stellen heute hohe Ansprüche an die digitale Verwaltung. Wer im Alltag ganz selbstverständlich online einkauft und Bankgeschäfte oder Versicherungsanträge per App erledigt, erwartet zu Recht solche niedrigschwelligen, intuitiv bedienbaren Angebote auch vom Staat", erklärt Marcus Giehrl, Practice Director Innovations and Smart Technologies bei NTT Ltd. "Bislang ist die digitale Verwaltung in den meisten Kommunen und Städten aber eher eine große Baustelle - eine papierlose, vereinfachte und bestenfalls individualisierte Leistungserbringung sucht man vergebens. Natürlich ist der Weg hin zu einer smarten Verwaltung nicht einfach, ein Schritt könnte aber ein sogenanntes Digitallabor sein, in dem neue Möglichkeiten gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern erprobt werden."



Der Autor:

Marcus Giehrl ist Practice Director Innovations and Smart Technologies bei NTT Ltd. in Deutschland.

Foto: (C) NTT Ltd.

Web: https://services.global.ntt/

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Tool implementiert – und dann?

WISSENplus
Mit Hilfe eines gut gepflegten ITSM-Tools lässt sich im Unternehmen eine Wissensdatenbank über wiederkehrende Abläufe aufbauen, dank derer Service-Mitarbeiter schneller und besser auf Vorfälle reagieren können. Fachliche Prozesse werden in einen technischen Rahmen gegossen. Die Service-Qualität steigt und damit auch die Kundenzufriedenheit. ...

Weiterlesen

Trends und Megatrends verändern Organisationsumwelten: Was bedeutet das für die Kompetenzentwicklung?

WISSENplus
Übergeordnete Entwicklungen wie demografischer Wandel, Digitalisierung und Globalisierung sowie der damit einhergehende Wertewandel verändern die Organisationsumwelten und damit auch unser Verständnis von (beruflichem) Learning. Diese Veränderungen beeinflussen maßgeblich die Qualität der Bildung, die entscheidend ist, um den Fachkräftebedarf zu sichern und im Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu b...

Weiterlesen

Mein Recht auf Unbeobachtung

"Upps, ein Streifenwagen!" Das hat sich vermutlich jeder Autofahrer schon mal gedacht und dabei sicherheitshalber auf den Tacho geblickt. Selbst wenn wir uns regelkonform verhalten, zeigt sich in solchen Momenten sehr deutlich der Unterschied zwischen beobachteter und unbeobachteter Freiheit. - Ein Kommentar von Alain Blaes - ...

Weiterlesen

The Big Stay: Bremst die Arbeitsplatzsicherheit wechselwillige Beschäftigte?

Ein Viertel der Fachkräfte würde bei der Wahl einer neuen Stelle immer die Arbeitsplatzsicherheit vor andere Faktoren stellen - obwohl sie das in der Vergangenheit teilweise anders priorisiert hatten. Diese Ergebnisse stammen aus einer aktuellen Impulsumfrage von Robert Walters in Deutschland und zeigen eine Tendenz, die sich als "The Big Stay" bezeichnen lässt. Diese Entwicklung könnte nachh...

Weiterlesen

Wie Reaktanz Changevorhaben ausbremsen kann

WISSENplus
Viele Menschen reagieren sehr sensibel, wenn ihre Autonomie real eingeschränkt wird oder sie dies befürchten. Das sollten Führungskräfte wissen, um beispielsweise unnötige Widerstände gegen Changevorhaben zu vermeiden. ...

Weiterlesen

7 Best Practices gegen GenAI-Wildwuchs im Unternehmen

Generative KI nimmt Mitarbeitern viele zeitraubende Tätigkeiten ab und macht sie effizienter. Kein Wunder, dass sie die praktischen Helfer im Arbeitsalltag nutzen wollen und oft loslegen, ohne auf offiziell vom Unternehmen eingeführte Tools zu warten. Dadurch entstehen allerdings erhebliche Risiken: Es drohen nicht nur Datenschutzverletzungen und der Abfluss sensibler Firmendaten, sondern auch unfai...

Weiterlesen

Wie KI riesige Datenmengen nutzbar macht

WISSENplus
Es wäre eine Mammutaufgabe, die Unmengen an unstrukturierten Daten und Informationen aus Kundenfeedbacks zu sichten und auszuwerten, obwohl diese tiefe Einblicke in Verhaltensmuster von Kunden und wertvolle neue Erkenntnisse bieten könnten. Das trifft vor allem für den Bereich der qualitativen Befragungen wie Videointerviews zu, deren Auswertung mit sehr hohem Ressourcenaufwand verbunden ist. Doch ...

Weiterlesen