2014/3 | Kolumne | Kolumne

Der eine hat Visionen, der andere leidet

von Gabriele Vollmar

Beim letzten GfWM Regionaltreffen in Stuttgart hat einer unserer Teilnehmer über ein leider gar nicht so unübliches Wissensmanagement-Projekt in einem größeren Unternehmen gesprochen. Eine deprimierende Geschichte, fürchte ich: Das Unternehmen, ein durchaus innovatives Unternehmen (wenn es auch in den letzten Jahren hinter den Wettbewerb zurück gefallen ist) in einem Hochtechnologiebereich, hat vor einigen Jahren bottom-up über einen Mitarbeiter das Thema Wissensmanagement aufgegriffen. Das Management ließ sich überreden, diese Initiative aufzugreifen und an einer Wissensmanagement-Strategie zu arbeiten. Es wurden Ziele definiert, die Baustellen identifiziert, darunter z.?B. wenig Überblick über Datenbestände, ungenügendes Lernen aus Erfahrung, Gefahr des Wissensverlusts durch eine alternde Belegschaft, Wissensinseln usw. Diese Analyse fand auf breiter Basis – mehr oder weniger leidvolle – Zustimmung, sowohl bei den Mitarbeitern als auch bei den Führungskräften. In einem nächsten Schritt wurden gemeinsam mit den Mitarbeitern verschiedene Maßnahmen entwickelt, die hier Abhilfe schaffen sollen, wie z.?B. ein Debriefing-Prozess und Ähnliches. Das Führungsteam diskutierte sogar, ob Wissensmanagement-bezogene Ziele in die persönlichen Ziele der Mitarbeiter aufgenommen werden sollten. Also scheinbar alles bestens, oder?

Nein, denn als es ans Eingemachte ging, d.h. Maßnahmen den Weg vom Papier ins wahre Leben finden sollten, stellte sich so Manches als Lippenbekenntnis heraus. Fehlte notwendiger Rückhalt. Gab es Bedenken über Bedenken, Hindernisse all überall, keine Zeit, keine Zeit. War das Thema zwar immer noch wichtig, aber leider nicht dringend. War es vor allem nicht ROI-fähig. Totschlagargument Führung: „Rechnen Sie mir doch mal den konkreten Nutzen vor!" Totschlagargument Mitarbeiter: „Wir wollen nicht den gläsernen Mitarbeiter."

Eine Organisation, die schlicht nicht will. Zutiefst und auf allen Ebenen. Und der jedes Argument recht ist, ihr Nichtwollen rational zu verbrämen.

Aber wieso will sie nicht? Und wieso schien es zunächst so?

Obwohl das Unternehmen in den vergangenen Jahren nachweislich sowohl an Innovationskraft als auch an Rendite im Vergleich zum Wettbewerb verloren hat, geht es ihm nach wie vor sehr gut. Der Mutterkonzern ist noch ganz zufrieden, ebenso wie die Kunden. Das Renommee am Markt ist gut. Der Leidensdruck ist noch gering.

Und vor allem: Die derzeitige Situation wird nicht mit Schwächen in der Bewirtschaftung der strategischen Ressource Wissen in Zusammenhang gebracht. Anscheinend spielt dieser Faktor im Weltbild des Managements keine Rolle. Die Negativentwicklung wird ausschließlich mit verstärkter Vertriebstätigkeit beantwortet. Management des 20. Jahrhunderts, oder?

Wissensmanagement bedeutet Veränderung, auch tiefgreifende strukturelle und normative, gerade auch in Hinsicht auf das Führungsverständnis, gelebte Werte in der Organisation usw. Veränderung kann durch Leidensdruck in Gang gesetzt werden. Veränderung, weil man muss, nicht weil man will.

Sie kann aber auch durch eine bestimmte Vision einer zukünftigen Entwicklung in Gang gesetzt werden. Als Bewegung, nicht weg von etwas, sondern hin auf etwas. Eine Vorstellung von Zukunft zu entwickeln und den Weg dorthin aufzuzeigen, ist ureigenste Führungsaufgabe. Dazu braucht es aber Freiraum. Wird der Blick durch Operatives blockiert oder durch eindimensional Scheinstrategisches wie die nächsten Umsatzzahlen, rückt ein Zukunftsentwurf nicht in den Blick. Und dann wird es auch schwierig, Nutzen jenseits eines ROI wahrzunehmen. Oder Ängste zu beseitigen. Mitarbeiter zu begeistern …

Übrigens: Der Mitarbeiter, der damals das Thema Wissensmanagement initiierte, ist mittlerweile in Rente. Und temporär in einer Beraterfunktion in einzelnen Projekten zurück, weil der durch seinen Weggang entstandene Wissensverlust nicht kompensiert werden kann. Ebenso wenig wie bei einigen seiner Kollegen.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Wissensmanagement – was kommt danach?

„Enterprise 2.0 hat Wissensmanagement abgelöst.“ Soweit eine Aussage auf einem Symposium im vergangenen Jahr. Eine Aussage, über die das Fachteam der Gesellschaft für Wissensmanagement e.V. (GfWM) gestolpert ist und die uns nachdenklich gemacht hat: Wie kommt es zu einer solchen Aussage? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Enterprise 2.0 und Wissensmanagement, wenn man denn der Aussage nicht zustim...

Weiterlesen

Wissensmanagement in KMU: Die wichtigsten Erfolgsfaktoren, die größten Stolpersteine

WISSENplus
Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist der effektive und effiziente Umgang mit der Ressource Wissen von großer Bedeutung. Sie gelten als flexibel und setzen die nur begrenzt verfügbaren Ressourcen sorgfältig und passgenau ein. Konsequenzen aus unternehmerischen Fehlentscheidungen können sie aber häufig nur bedingt ausgleichen. Gerade für KMU ist es daher erfolgsentscheidend, möglichst viel (E...

Weiterlesen

Changemanagement: Kultureller Wandel bei der Rogers Germany GmbH

Der Wandel einer Organisation stellt Führungskräfte und Mitarbeiter vor große Herausforderungen. Wie Widerstände und kulturelle Barrieren durch Verhaltensänderungen nach einem erfolgreichen Übernahmeprozess überwunden werden konnten, zeigt das Beispiel der Rogers Germany GmbH, ehemals Curamik Elektronics GmbH, im oberpfälzischen Eschenbach. Mit Teamfit-Analyse konnte das Unternehmen Konflikte identi...

Weiterlesen

Oft vernachlässigt: Der Faktor Mensch im Changeprozess

WISSENplus
Führungskräfte unterschätzen bei Veränderungsprojekten oft, wie schwer es ihren Mitarbeitern fällt, Gewohnheiten aufzugeben. Deshalb erwarten sie von ihnen Verhaltensweisen, zu denen diese noch nicht fähig sind. Und sie gewähren ihnen nicht die nötige Unterstützung....

Weiterlesen

Einstiegsdroge oder Sackgasse?

In den vergangenen Monaten fragten Unternehmen bei mir verstärkt Unterstützung zum Thema „persönliches Wissensmanagement" an, in der Regel in Form einer kleinen internen Weiterbildung für die Mitarbeiter. Sicherlich spielt hierbei der individuelle Leidensdruck der Mitarbeiter hinsichtlich Information Overload und die gestiegenen Ansprüche an die Effizienz der eigenen Wissensarbeit eine Rolle....

Weiterlesen

Wissen, das sich selbst verwaltet?

WISSENplus
Der Erfolg wissensintensiver Unternehmen hängt maßgeblich von einem funktionierenden Wissensmanagement ab. Beratungsfirmen stehen z.B. vor Herausforderungen wie einer hohen Dynamik, volatilen Ressourcen sowie schnellen Reaktionszeiten. Ansätze, welche auf ein aktives Managen von Wissen abzielen, scheitern trotz passender Rahmenbedingungen. Die Gründe dafür liegen überwiegend in umsetzungsfernen oder z...

Weiterlesen

Und plötzlich funktioniert es nicht mehr

Während unseres Urlaubs in Botswana dieses Jahr haben meine Tochter und ich einen so genannten bush walk gemacht. D.h. wir waren in einer kleinen Gruppe mit Wildführer im Okavango-Delta unterwegs, und zwar – entsprechend der vor dem Aufbruch klar formulierten Regeln – in einer Reihe, einer hinter dem anderen, ohne zu sprechen und ohne stehenzubleiben, sofern nicht der Guide stehen bleibt, um etwas zu ...

Weiterlesen

Ich lerne, du lernst, wir lernen, es lernt ...

Bei einem der Wissensmanagement-Masterstudiengänge, bei denen ich unterrichte, werden die Teilnehmer zu Beginn des ersten Lerntaktes gebeten, ihre Motivation hinsichtlich des Themas Wissensmanagement vor dem Hintergrund ihres konkreten beruflichen Kontextes darzustellen. Vor kurzem war es mit einem neuen Jahrgang mal wieder soweit. Bei Durchsicht der Einreichungen fiel mir auf, dass in diesem Jahr so etwas...

Weiterlesen