2000/5 | Editorial | Wissensmanagement

Bildung als Marketinginstrument

von Michael Bernecker

Seit einigen Jahren verlangen Marketingtheorie und -praxis nach einem Paradigmenwechsel: weg von der Einzeltransaktion hin zu einer beziehungsorientierten Betrachtung von Geschäftsprozessen. Damit verbunden ist eine deutliche Zunahme so genannter Kundenbindungsprogramme. Nicht mehr die Neukundenakquise ist das höchste Ziel vieler Unternehmen, sondern die Bindung der vorhandenen Kunden, um so die Abwanderung zur Konkurrenz zu verhindern.

Ausgangspunkt dieser Überlegung ist eine Veröffentlichung von Reichheld und Sasser, die empirisch nachgewiesen haben, dass Kunden erst im Laufe der Zeit rentabel werden [1].

Neben klassischen Bindungskonzepten wie Kundenclubs, Kundenzeitschriften oder unterschiedlichen Veranstaltungen setzen immer mehr Unternehmen auch Kunden- und Händlerseminare oder -workshops zur Kundenbindung ein [2]. Neben diesen direkten Vermittlungsformen können aber auch Fachzeitschriften und Fachbücher als Bildungsleistungen verstanden werden.

Was versteht man unter Bildungsmarketing?

Interpretiert man Bildung als Marketinginstrument, dann kann eine Zuordnung zur Leistungspolitik oder zur Kommunikationspolitik erfolgen. Bildungsmarketing im Rahmen der Leistungspolitik ist mit folgenden Ausprägungen zu beobachten [3]:

1. Bildungsleistungen stellen einen Teil der Sachleistung dar: Komplexe Anlagegüter sind oft nur dann einsetzbar, wenn neben der Sachleistung eine Schulungsleistung vorhanden ist. Die Schulungsleistung steht folglich in einem untrennbaren Zusammen-hang mit der Sachleistung.

2. Seminare oder Produktschulun-gen, die ein Hersteller im Rahmen der Servicepolitik anbietet, um somit den Produktkern zu ergänzen und dem Kunden einen

Zusatznutzen (Augmented Products) zu verschaffen [4]: Bildung kann man damit als Service-Instrument interpretieren. Sie wird außerdem häufig als Differenzierungsmerkmal empfohlen, um

eine homogene Leistung in der Wahrnehmung des Kunden isoliert zu positionieren. Man spricht in diesem Fall von einem Value-Added-Service [5].

3. Bildungsleistungen, die ein Sachleister zusätzlich als Randsortiment anbietet: Diese Leistung unterscheidet sich durch den Charakter einer isolierten Dienstleistung, die auch getrennt erworben werden kann [6].

Bei diesen drei Interpretationen des Begriffes Bildungsmarketing steht der Endkunde bzw. Endverbraucher im Mittelpunkt der Bildungsmaßnahme. Verwendet man Bildungsleistungen, um Verkaufsförderung zu betreiben, dann handelt es sich um ein Kommunikationsinstrument, dass im Rahmen des vertikalen Marketings auf unterschiedliche Zielgruppen ausgerichtet sein kann [7].

1. Bildungsmaßnahmen, die auf Händler ausgerichtet sind, lassen sich als handelsgerichtete Verkaufsförderung bezeichnen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Handelsbetriebe beim Verkauf der Waren und Dienstleistungen zu unterstützen. Klassische Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind Seminare zum Verkaufstraining oder Produktschulungen.

2. Seminare oder Bildungsleistungen, die Händler durchführen und die sich an Endkunden richten, bezeichnet man als konsumentengerichtete Verkaufsförderung. Typische Maßnahmen sind Informationsbroschüren, Vorführungen oder Schulungen, in denen die Handhabung der angebotenen Produkte trainiert wird.

Diese Ausprägungen zeigen, dass Bildungsleistungen in unterschiedlicher Form in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen als Marketinginstrument eingesetzt werden können.

Situationsanalyse

Der erste Schritt eines Planungskonzeptes besteht in einer Situationsanalyse, mittels derer zu untersuchen ist, inwieweit ein Bildungskonzept als Marketinginstrument sinnvoll eingesetzt werden kann. Die Situationsanalyse umfasst in der Regel vier Analysebereiche:

• die Einflussfaktoren des Angebotes

• die Einflussfaktoren der Nachfrager

• das unternehmensbezogene Potenzial (eigenes Know-how)

• die kommunikativen Leitgedanken des Unternehmens

Ziele

In einem weiteren Schritt ist zunächst eine Analyse der möglichen Ziele von großer Bedeutung. Kunden- und Händlerseminare führen zu einer höheren Kundenbindung, mehr Umsatz und damit zu einer höheren Rentabilität, gesteigertem Wachstum und größerer Sicherheit. Diese Marketingziele der Kundenbindung und der effizienteren Kommunikation lassen sich mit Hilfe von Bildungskonzepten erreichen, denn in Lernprozessen ist der Konsument grundsätzlich stärker involviert, als dies im Rahmen der klassischen Werbung möglich ist. Dadurch ist auch die Kommunikation effizienter.

Als mögliche Ziele von Kundenseminaren können allgemein genannt werden:

1. Kundenbindung:

Durch Bildungsmaßnahmen kann eine emotionale Kundenbindung entstehen, weil die Faktoren Vertrauen, Einbeziehung, Zufriedenheit und damit indirekt die Bindung des Kunden steigen.

2. Aufbau von ökonomischen Wechselbarrieren:

Wechselbarrieren sind im Zusammenhang mit der Kundenbindung zu sehen, weil der Teilnehmer bedingt durch seinen Wissenszuwachs zukünftig zu ihm bekannten Anbietern und Technologien tendiert.

3. Schaffung eines emotionalen Mehrwertes:

Viele Kunden suchen nicht nur ein Produkt oder eine Dienstleistung, sie möchten sich mit der Leistung auch identifizieren können. Ein Seminar oder eine Schulung können diesen Mehrwert bieten.

4. Neukundengewinnung:

Mit Hilfe von Einführungsschulungen oder Informationsveranstaltungen können bisherige Nichtkunden zu Kunden gemacht werden.

5. Umsatzsteigerung:

Gebundene Kunden kaufen mehr und häufiger bei ihrem Stammanbieter.

6. Schaffung einer Kommunikationsplattform:

Mit Hilfe von Seminaren kann ein Unternehmen in einen engeren Kontakt mit seinen Kunden treten.

7. Gewinnung von Daten:

Mit Hilfe von unterstützenden Kommunikationsmaßnahmen liefern Bildungsmaßnahmen immer auch Daten für die Datenbank des Anbieters, die wiederum Voraussetzung für eine direkte Ansprache der Kunden ist (One-to-One-Marketing).

Diese Ziele sind die wichtigsten im Zusammenhang mit Bildungsmaßnahmen im Marketing. Dabei erweist sich wiederum die Kundenbindung als oberstes Ziel. Darüber hinaus existieren noch weitere Ziele mit geringerer Bedeutung: So werden andere Unternehmensbereiche wie z.B. die Marktforschung oder die Öffentlichkeitsarbeit durch die Maßnahmen unterstützt. Auch kann der Fach-handel des Unternehmens profitieren, indem durch einen Club zusätzliche Kontakte zum Kunden entstehen. Darüber hinaus können sich positive Effekte für das Image des Unternehmens bei den Teilnehmern ergeben. Auch eine breitere Imagewirkung ist denkbar, wenn die Veranstaltungen Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren.

Konzeption einer Maßnahme

Die Konzeptionierung der Maßnahme erfolgt mit Hilfe von sechs leitenden W-Fragen [9]:

• Wer?

Bestimmen Sie die angestrebte Zielgruppe, damit keine Streuverluste bei der Realisierung Ihrer Maßnahmen auftreten.

• Was?

Klären Sie, worauf sich die Bildungsleistung beziehen soll: auf ein einzelnes Produkt oder auf allgemeine Unternehmensleistungen.

• Wie?

Wie soll die Maßnahme die Kundenbindung unterstützen? Es kann eine emotionale, technische, vertragliche oder ökonomische Kundenbindung entstehen.

• Mit wem?

Sie können die Bildungsleistung mit Hilfe eigener Mitarbeiter oder mit einem Fremdveranstalter durchführen.

• Womit?

Welche Bildungstechnologie wenden Sie an, um die Inhalte zu transportieren? Klassische Seminare oder Workshops kommen dabei genauso in Frage wie Fachzeitschriften, Bücher, Broschüren oder CBT [10].

• Wie oft und wann?

Wie oft und wann soll Ihre Maßnahme durchgeführt werden?

Durchführen einer Maßnahme

Das Durchführen von Bildungsmaßnahmen erfolgt in einem vom Bildungsanbieter aktiv zu gestaltenden Rahmen. Auch hier helfen leitende W-Fragen:

• Was?

Legen Sie die zu vermittelnden Inhalte und Teilgebiete fest.

• Wie lange?

Legen Sie die einzelnen Lernsequenzen mit ihrer Dauer und Reihenfolge fest.

• Wie?

Bestimmen Sie die Sozialform des Lernens, z.B. Einzelarbeit, Gruppendiskussion oder Partnerarbeit.

• Wo?

Bestimmen Sie, wo, in welchem Ambiente und mit welchen technischen Gegebenheiten die Maßnahme ablaufen soll.

• Mit wem und womit?

Benennen Sie die personellen (Trainer) und materiellen Träger (Unterlagen) der Bildungsmaßnahme.

• Welche?

Definieren Sie die konkreten Aufgaben und Problemstellungen möglichst exakt: Anhand welcher Aufgabenstellung sollen die Teilnehmer die geplanten Inhalte erhalten?

Nachbearbeitung und Kontrolle

Nach der Durchführung sollte eine Bildungsmaßnahme auch gründlich nachbereitet und ihr Erfolg kontrolliert werden. Dies realisieren die meisten Anbieter mit Hilfe von Fragebögen oder Checklisten, die den Teilnehmern vorgelegt werden. Mit einem Soll-Ist-Vergleich können Sie dann die Zielerreichung und die Qualität der Maßnahme kundenorientiert erheben.

Literatur

[1] Reichheld, F.; W.E. Sasser: Zero-Migration: Dienstleister im Sog der Qualitätsrevolution. In: Harvard Manager 4 1991. S. 108-116.

[2] o.V.: Senioren ans Netz. In: Capital 15 2000. S. 112.

[3] Bernecker, M.: Bildungsmarketing. In: GdWZ 1 2000. S. 127-129.

[4] Pepels, W.: Die Bedeutung von Dienstleistungen. In: Pepels, W. (Hrsg.): Kundendienstpolitik. München 1999. S. 1-12.

[5] Meffert, H.: Marketing. 8. Auflage. Wiesbaden 1997.

[6] Schick, M.: Qualität vor Augen, Weiterbildung als Element des Handelsmarketing. In: Lernfeld Betrieb 3 1991. S. 28-30.

[7] Bruhn, M.: Kommunikationspolitik. München 1997.

[9] Bruhn, M.: Kundenorientierung. München 1999.

[10] Bernecker, M.: Bildungsmarketing. Sternenfels, Berlin 2000.

Der Autor

Dr. Michael Bernecker war nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre als Bildungsmanager, Geschäftsführer und anschließend Geschäftsführender Gesellschafter in der Weiterbildung tätig. Seit 1994 nimmt er verschiedene Lehraufträge an der Universität Siegen und der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach

wahr. Dr. Bernecker arbeitet als Marketingdirektor bei der PGPA Werbeagentur und leitet dort die Unit Customer Care.

bernecker@wissensmanagement.net

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