2014/1 | Kolumne | IT

Alles nicht so einfach

von Gabriele Vollmar

Bei einer Betriebsweihnachtsfeier in Bremen habe ich von einem der Vorstände des Unternehmens, einem mittelständischen IT-Entwicklungs- und Beratungshaus, ein tolles Lob an die Mitarbeiter gehört: „Wir sind stolz auf das, was Ihr aus den Möglichkeiten, die wir euch geben, gemacht habt.“ Besser kann man zeitgemäße Führung, oder wenn Sie so wollen „Führung 2.0“, also das Führen von Wissensarbeitern in einer intelligenten, lernenden Organisation, nicht ausdrücken. Ich war (und bin) begeistert.

Vorrangiges Ziel dieser Art von Führung ist es, Wissensarbeit produktiver zu machen. Laut Peter Drucker – wie die regelmäßigen Leser meiner Kolumne wissen und mir trotzdem hoffentlich die n-te Wiederholung verzeihen – DIE Managementherausforderung des 21. Jahrhunderts. Aufgrund der Spezifika von Wissen – sowohl als Produktionsfaktor als auch als Produkt – sowie von Wissensarbeit lässt sich eine Produktionssteigerung in diesem Umfeld nicht mit den altbekannten Methoden erreichen, die ich an dieser Stelle einmal verkürzend „tayloristisch“ nennen möchte und die in einem Regelkreis auf konkreten und detaillierten Ziel- und Prozessvorgaben, Messung und Kontrolle und darauf basierend kontinuierlicher inkrementeller Optimierung beruhen. Dieses quasi mechanistische Verständnis funktioniert bei einem weitgehend verborgenen, teilweise emergenten und schwer planbaren Prozess der Wissensarbeit, der sich im Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv ansiedelt, nicht. Was funktioniert ist eine Führung, die sich auf das Gestalten förderlicher Rahmenbedingungen für die Wissensarbeiter einlässt. Mit allem, was dazu gehört: Vertrauensvorschuss und Kontrollverlust, Unwägbarkeit und Überraschung, Mut und Durchhaltevermögen, Vision und Pragmatismus, Sparring und Wegweiser… nun sicher fallen Ihnen auch noch ein paar Begriffspaare ein. Unterm Strich ist diese Art von wissensförderlicher Führung – oder auch Wissensmanagement (?) – aber schlicht eine Zumutung, oder? Warum? Weil es eine radikale Neuinterpretation der Führungsrolle verlangt.

Eigentlich ein, wenn nicht gar das, zentrale Thema im Wissensmanagement. Und doch wenig thematisiert, wenig diskutiert in unserer WM-Community – zumindest in meiner Wahrnehmung.

Meine Wahrnehmung ist vielmehr, dass das Thema Wissensmanagement mal wieder durch technologiezentrierte Fragestellungen beherrscht wird: sei es seit einigen Jahren schon der Hype um Social Media oder ganz aktuell der um Big Data. Ein Blick in die relevanten Wissensmanagementkongress-Programme der letzten Monate genügt. Warum ist das so? Warum scheint Wissensmanagement immer nur im Sog von IT-Themen Fahrt aufzunehmen und seine Sexiness zu steigern?

Lassen Sie mich eine These wagen (der Sie gern widersprechen dürfen): Bei aller Komplexität, die vor allem derzeit im Kontext Big Data bemüht wird, versprechen diese Themen machbare, planbare, letztlich kaufbare Problemlösungen, kurz Beherrschbarkeit. Ganz im Gegensatz zu den Themen rund um Führung, „Mensch als Wissensträger“, individuelles, kollektives und organisationales Lernen und Veränderung. Hier ist – zu Recht – die Rede von nachhaltigem Bemühen, Dauer, Langsamkeit, eingeschränkter Erfolgsgarantie, Unmöglichkeit eines belastbar nachweisbaren Return on Invest, individuellem Commitment usw. Die erlösende Heilsbotschaft sucht man vergebens – das ist die Krux.

Und doch sollten wir nicht müde werden, genau diese Fragestellungen aufzuwerfen, auch wenn sie unbequem sind, und unsere Kreativität (auch) hier einzusetzen. Und ein wenig gegen den Sog der momentan vorherrschenden IT-Themen anzurudern. Damit der viel beschworene Begriff der Ganzheitlichkeit im Wissensmanagement wieder mehr wird als ein Lippenbekenntnis.

P.S.: Auch ein Thema, das wir als Wissensmanager viel zu wenig zu unserem machen, ist das der Daten- und Informationssicherheit und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Ein guter Vorsatz für 2014?

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren

Videolearning kompakt erklärt: Die wichtigsten Formate im Überblick

WISSENplus
Seit die Khan-Academy Schülern auf der ganzen Welt dabei hilft, per Video spielend Mathe zu lernen, greift der Trend des Videolearnings auch immer mehr auf die Unternehmen über. „Video ist das neue Leitmedium", schreibt zum Beispiel der Weiterbildungsexperte Jochen Robes. Und der amerikanische Corporate-Learning-Profi Josh Bersin geht noch weiter: „Video is the new ‚text‘". Was bedeutet das fÃ...

Weiterlesen

Lernen 2.0 – ohne Umwege ans Ziel

WISSENplus
Im globalisierten Wettbewerb müssen selbst traditionsreichste Unternehmen Personal entlassen und umstrukturieren. Das heißt, Einzelne bekommen mehr oder andere Aufgaben. Personalern steht es dann zu, diese Kollegen mit möglichst wenig Aufwand weiter zu qualifizieren. Und zwar so, dass sich die oftmals in diesen Phasen gedrückte Stimmung wieder hebt. Wie das geht: Der eine liest abends Fachliteratur, der...

Weiterlesen

Wissensmanagement, Weiterbildung & Motivation – eine Generationenfrage

WISSENplus
Wie gehen die Menschen mit Informationen und Wissen um? Welche Art der Weiterbildung wünschen sie? Wie lassen sie sich am besten motivieren? Diese Fragen müssen generationsspezifisch beantwortet werden. Denn ältere Mitarbeiter lernen anders als junge. Auch im Umgang mit Wissen gibt es Unterschiede zwischen Jung und Alt. Jüngere Mitarbeiter wenden bei der Fortbildung gerne Methoden des eigenverantwortlic...

Weiterlesen

Knowledge Café – ein intranetbasiertes WM-System

In einem Projekt bei der Herlitz PBS AG wurden das Konzept und der Prototyp einer intranetbasierten Software-Lösung entwickelt, die ein integriertes Wissensmanagement unterstützt. Die Techniken, Methoden und Ergebnisse dieses Projektes sowie die Funktionalität des Wissensmanagement-Systems Knowledge Café stellt Marten Schönherr vor....

Weiterlesen

Lebenslanges Lernen - Mitarbeiter für neue Herausforderungen motivieren

Immer wieder ergibt sich im Betriebsalltag die Situation, dass Mitarbeiter neue Aufgaben übernehmen müssen. Dann benötigen sie in der Regel eine fachliche und mentale Unterstützung durch ihre Vorgesetzten. Denn nur wenn sie das erforderliche Know-how vermittelt bekommen und während des Lernprozesses einen kompetenten Ansprechpartner an ihrer Seite haben, können sie ihre Aufgaben erfolgreich meistern. ...

Weiterlesen

Soziale Medien in der Lernenden Organisation

WISSENplus
Ãœbergeordnete Zielvorstellung von Wissensmanagement ist es, eine Organisation in eine Lernende Organisation zu transformieren. Doch was genau bedeutet das? Wann ist eine Organisation als lernend zu bezeichnen?...

Weiterlesen

Von der Führungskraft zum Digital Leader

WISSENplus
Digitale Transformation, das ist die umfassende Digitalisierung aller Bereiche des beruflichen und gesellschaftlichen Lebens. Big Data, mobiler Zugriff und Cloud Computing sind nur drei Schlagworte in diesem komplexen Geflecht, das Unternehmen auf mehreren Ebenen vor Herausforderungen stellt. Einerseits ist die IT-Abteilung gefragt: Die berufliche Nutzung von Privatgeräten (BYOD) muss in Einklang mit den S...

Weiterlesen

Der Chef im Wolfspelz – was Führungskräfte von Alpha-Tieren lernen können

WISSENplus
Die Wirtschaftsbionik liefert neue Managementansätze aus der Welt der Flora und Fauna. Unser bestehendes Wissen und Denken wird damit um interessante Perspektiven bereichert. Viele Aspekte des Arbeitslebens lassen sich so auf eine andere Weise beleuchten. Im Bereich der Technik wird schon seit Langem auf die Natur zurückgegriffen. Die Erkundung der Oberflächenbeschaffenheit der Lotusblüte zur Entwicklun...

Weiterlesen